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Häresie, Apologie und Mission:
Die Koran-Rezeption des Nikolaus von Kues
"Das Wandeln auf dem Weg Allahs aber bedeutet im engsten Sinn die Ausbreitung des Islam durch den Glaubenskrieg."
Franz Rosenzweig: Der Stern der Erlösung 202 (1921)
Inhalt:
0 Einleitung
1 Cribratio Alkorani Buch I
2 Cribratio Alkorani Buch II
3 Cribratio Alkorani Buch III
4 Literatur
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Einleitung
„Es gibt keine Ideen. Es gibt nur menschliche Existenzen in konkreten Lagen, die auf jeweils spezifische Weise agieren und reagieren; eine dieser spezifischen Aktionen und Reaktionen besteht nach der üblichen Terminologie darin, sich Ideen zu erdenken oder anzueignen. Nicht Ideen kommen in Berührung miteinander, sondern nur menschliche Existenzen, die innerhalb von organisierten Gesellschaften im Namen von Ideen handeln müssen; Ideenkombinationen sind ebenfalls das Werk von menschlichen Existenzen, die dabei vom eigenen Verhältnis zu anderen Existenzen ausgehen; und schließlich werden Ideen weder besiegt noch siegen sie, sondern ihr Sieg oder ihre Niederlage steht symbolisch für die Durchsetzung oder die Unterwerfung von bestimmten menschlichen Existenzen.“ (Panajotis Kondylis: Macht und Entscheidung. Die Herausbildung der Weltbilder und die Wertfrage. Stuttgart, 1984 S. 85/86)
Mit dem Islam war der christlichen Metaphysik des europäischen Mittealters eine neue Herausforderung ihres Selbstverständnisses erwachsen, nachdem der patristischen Philosophie seit früh-hellenistischer Zeit die heilsgeschichtliche Umdeutung der antiken, heidnischen Autoren seit Platon und Aristoteles mehr oder weniger erfolgreich gelungen war. Nach deren Lesart waren die griechischen und römischen Klassiker vielfach Vorläufer christologischen Geistes avant la lettre; damit durchaus Autoritäten also, deren Werken mit kritischem Respekt zu begegnen war, mehr noch: deren Werke es dem christlichen Glauben anzuverwandeln, zu akkomodieren galt. Auf diese Weise entstanden zahllose metaphysische Amalgame, meist aus klerikal-mönchischer Feder.
Nikolaus von Kues verfasste seine „Sichtung des Korans“ in den sechziger Jahren des 15. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit konnten die Theologen und Philosophen Europas bereits auf eine lange Tradition solchen Schrifttums zurückblicken. Oft waren dergleichen Auseinandersetzungen mit der neuen, orientalischen Religion äußerst polemischen Charakters; vielen Autoren galt der Islam als eine häretische Sekte, eine orientalische Ketzerei und Mohammed als ihr perfider Anführer und Betrüger. (Dionysius Cartusianus: Contra perfidiam Machometi.)
Die Kreuzzüge und ihre ideologische Dynamik waren nicht zuletzt aus diesem Bewusstsein gespeist gewesen.
Auch die „interreligiöse“ Spätschrift des Cusaners ist alles andere als unparteilich. Sie unternimmt den Versuch, die mutmaßlich christlichen Elemente des Korans zu ermitteln, ihre mit der kirchlichen Orthodoxie unvereinbaren Teile zu verwerfen und sogar ihren Autor, den Propheten Mohammed, zu diskreditieren.
Nikolaus von Kues kannte den heiligen Text des Islam aus lateinischen Übertragungen; seine strategische Prüfung des Korans und seiner Suren fand also auf Grundlage relativ präziser Textkenntnis statt.
Über den Zweck seiner kritisch-agitatorischen Lektüre lässt er seine Leser von Anfang an nicht im Unklaren:
„Unsere Absicht aber ist es, unter Zugrundelegung des Evangeliums Christi das Buch Muhammads zu ‚sieben’ und zu zeigen, dass auch in diesem Buch das enthalten ist, wodurch das Evangelium, wenn es der Bestätigung bedürfte, nachdrücklich bekräftigt werden würde, und dass, wo es abweicht, dies aus Unwissenheit und folglich aus böser Absicht Muhammads hervorgegangen ist, da Christus nicht seine eigene Ehre suchte, sondern die seines Vaters und das Heil der Menschen, Muhammad hingegen nicht die Ehre Gottes und das Heil der Menschen, sondern seine eigene Ehre.“ (Sichtung des Korans, Vorwort)
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Cribratio Alkorani Buch 1
Das erste Buch der Koran-Lektüre des Cusaners umfasst 20 Kapitel. Jedes Kapitel ist mit einer Überschrift versehen, die an polemischem Gestus oft nichts zu wünschen übrig lässt und den konfrontativen Charakter des auf ihn folgenden Textes programmatisch präludiert, z. Bsp. Kap. IV: „Dass der Koran keinen Glauben verdient, wo er den heiligen Schriften widerspricht“, Kap. V: „Dass das Evangelium dem Koran vorzuziehen sei“, oder Kap. IX: „Dass der Koran die Christen als Ungläubige beschimpft, weil sie Christus Gottes Sohn nennen.“
Nikolaus ist es von Beginn seiner traktatähnlichen Schrift darum zu tun, die scheinbaren oder tatsächlichen Widersprüche zwischen der islamischen und der christlichen Gotteslehre einzuebnen oder jedenfalls zu entdramatisieren.
Dass dies auf Kosten der muslimischen Auffassungen geschieht, versteht sich aus seiner Sicht von selbst. Denn so sehr sich die metaphysischen Motive und Aspekte des cusanischen Denkens aus neoplatonischen und anderen, heidnischen Quellen speisen, so gewiss bleibt es doch jederzeit der katholischen Orthodoxie, dem Denkraum eines Augustinus und dem Ordo- Denken der scholastischen Autoritäten eines Albertus Magnus und Thomas von Aquin verhaftet. Niemals wurden Schriften Nikolaus von Kues’ indiziert.
Sein Versuch, den theistischen Gehalt des Koran zu christianisieren, zu evangelisieren und dessen Anhänger zum „wahren“, christlichen Glauben zu bekehren, muss auf den zeitgenössischen, papsttreuen Leser seiner Schrift zweifellos einen ganz und gar nicht befremdlichen Eindruck gemacht haben. Im Gegenteil dürfte eine Kapitelüberschrift wie „Koranstellen, die belegen, dass Christus der Sohn Gottes ist“ (I,17) ohne Zweifel Beifall gefunden haben unter den katholischen Theologen und Schriftgelehrten des späten Mittelalters wie des Frühhumanismus, deren Funktion ja nicht zuletzt darin bestand, die Alleingültigkeit der heiligen Testamente der Bibel gegen Thora und Koran in mehr oder weniger komplexer Theorie widerspruchsfrei zu demonstrieren.
Nikolaus von Kues entwirft im 20. Kapitel des ersten Buchs seiner Koranexegese ein Bild, um die Trinitätslehre vom Vorwurf des Polytheismus fernzuhalten.
Es ist das berühmte Beispiel vom Glasmacher: „Im Blasen des Glasmachers sehe ich also das vernunfthafte Wesen, d.h. die Vernunft, ihr Wort und beider Geist oder Bewegung, ohne deren Vorhandensein das Blasen selbst niemals die Form eines Gefäßes hervorbringen könnte“ (I,20). Wie der Glasmacher, so ist der dreieinige Substanz „jener Geist ,der Gott ist, nicht der Geist irgendeines anderen oder ein Akzidens, wie es der Substanz anhaftet, sondern er ist ein Geist beziehungsweise eine substantielle Bewegung, die jegliche Substanz und überhaupt alles erschafft, und in der jegliche Wissenschaft und Kunst als deren Urheber enthalten ist..“ (ibid.).
Dem als inferior erachteten Koranglauben stellt Nikolaus die rationalistische, vernunftgemäße und somit gegen und über vernünftige Einwände immune und erhabene Trinitätslehre des Neuen Testaments entgegen.
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Cribratio Alkorani Buch 2
Die 19 Kapitel des zweiten Buchs erläutern vornehmlich die zentralen Aspekte der christlichen Trinitätslehre sowie das Leben und die Bedeutung Jesu. Die Lehre von der Dreifaltigkeit war das theologische Allergicum des monotheistischen Islam, ein eminenter, höchst irritierender Stein des Anstoßes, den Nikolaus von Kues, nicht zuletzt mit Rekurs auf die auch von islamischer Seite anerkannten Autoritäten des alten Testaments (den Propheten), auszuräumen suchte.
Er versucht dies, indem er aus der Tatsache der drei grammatikalischen Personen auf die Dreifaltigkeit Gottes zu schließen sucht: „Deshalb sagt man mit Recht: Ich bin ein Mensch, du bist ein Mensch, er ist ein Mensch, und diese drei Personen sind von derselben menschlichen Wesenheit....Gott kann also mit Recht sagen: Ich bin Gott, du bist Gott, er ist Gott, von derselben göttlichen Wesenheit, und die drei Personen sind nicht frei Götter, da sie nicht drei Gottheiten sind, sondern sie sind nur ein Gott, da sie eine Gottheit sind, die Gott ist.“ (II,10)
Der Versuch des Cusaners, den Koran mit der Bibel nicht nur kompatibel zu machen, nicht nur vermeintliche oder wirkliche Widersprüche zu eliminieren, sondern den Koran mit der Bibel geradezu zu homogenisieren, zeigt sich insbesondere in seinen Ausführungen zur Gestalt Jesu Christi, der dem Islam als Prophet, jedoch nicht als Sohn Gottes galt.
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Cribratio Alkorani Buch 3
Das dritte Buch umfasst 21 Kapitel, von denen die Kapitel 17-21 eine besondere Aufmerksamkeit verdienen.
Das 17. Kapitel trägt den Titel „Versuch, den Sultan zu überreden, den Glauben an die Jungfrau Maria als Gottesgebärerin und die Anerkennung des Evangeliums anzuordnen“; mit dem 18. Kapitel beginnt das Finale der Schrift des Cusaners, erneut in Briefform, gerichtet diesmal “An den Khalifen von Bagdad, dass die Juden über Abraham im Koran Zusätze gemacht haben“.
Die beiden anderen, konkurrierenden Buchreligionen Judentum und Islam waren nicht nur von Nikolaus von Kues als ernstzunehmende Bedrohung des christlichen Dogmas ausgemacht und identifiziert worden.
Mehr als 150 Jahre vor ihm hatte der Katalane Raimundus Lullus in den vier Büchern seines Dialogs „Das Buch vom Heiden und den drei Weisen“ die drei Religionen vor dem geistigen Auge der gelehrten Leserschaft seiner Zeit Revue passieren lassen. Allerdings, im Gegensatz zum späteren Cusaner, ohne alle Polemik und missionarischen Furor. Lullus war der thomistischen Maxime der Hochscholastik noch verpflichtet gewesen, dem christlichen Credo eine rationale Gestalt und Grundlage zu geben. Seine Dominanz sollte aus Vernunft ableitbar sein, seine Wahrheit sich geradezu logisch ergeben, und damit der überredenden Rhetorik des Proselytenmachers prinzipiell nicht bedürfen müssen.
Der eine, wahre, „allein seligmachende“ Glaube, ist nach Cusanus ohne Zweifel der christliche.
Auch die Vielfalt der Religionen und ihrer je eigenen Absolutheits- und Machtansprüche ändern an dem cusanischen Befund nichts. Sein Integrationsversuch des islamischen Glaubens gibt bereits das Muster vieler auf ihn folgender Einnahmeprozeduren intellektueller Kolonisatoren ab: Integration durch Dissimilation, Einschluss durch Ausschluss.
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Literatur
Nicolai de Cusa: Cribratio Alkorani/Sichtung des Korans. Erstes Buch.
ed. L. Hagemann und R. Glei
Hamburg, 1989
Nicolai de Cusa: Cribratio Alkorani/Sichtung des Korans. Zweites Buch.
ed. L. Hagemann und R. Glei
Hamburg, 1990
Nicolai de Cusa: Cribratio Alkorani/Sichtung des Korans. Drittes Buch.
ed. L. Hagemann und R. Glei
Hamburg, 1993 (einschlägige Literatur in den drei Bänden dieser Ausgabe)
Ramon Lull: Das Buch vom Heiden und den drei Weisen.
Übersetzt und herausgegeben von T. Pindl
Stuttgart, 1998
Berthold von Moosburg: Expositio super Elementationem theologicam Procli (= Corpus philosophorum Teutonicorum medii aevi Bd. 6). Meiner, Hamburg 1984–2011
F. H. Burgevin: Cribratio Alchorani. Nicholas Cusanus’s Criticism of the Koran in the Light
of His Philosophy of Religion.
New York u a., 1969
H. Blumenberg: Aspekte der Epochenschwelle. Cusaner und Nolaner.
Frankfurt a. M., 1976
J. Hopkins: Nicholas of Cusa's De pace fidei and Cribratio Alkorani. Translation and
Analysis.
Minneapolis, 1994 (2. Auflage)
W. Beierwaltes: Der verborgene Gott. Cusanus und Dionysius.
Trier, 1997
K. Flasch: Nikolaus von Kues. Geschichte einer Entwicklung. Vorlesungen zur Einführung in
seine Philosophie.
Frankfurt a. M., 1998; 3. Auflage, 2008
M. Riedenauer: Pluralität und Rationalität. Die Herausforderung der Vernunft durch religiöse
und kulturelle Vielfalt.
Stuttgart, 2007
T. Kaufmann: „Türckenbüchlein“. Zur christlichen Wahrnehmung „türkischer“ Religion in
Spätmittelalter und Reformation. (Forschungen zu Kirchen und Dogmen-
geschichte, 97)
Göttingen, 2008
P. R. Blum: Studies on Early Modern Aristotelianism.
Leiden, 2012
Stanford Encyclopedia of Philosophy (online) / Artikel „Nicolaus Cusanus“