Bierdeckelstories

Bierdeckelstory 1

Man denke sich nur: dieser freundliche, seinem Beruf, der vergleichenden Märchenforschung, ganz und gar hingetane und ergebene Mann wollte unter keinen Umständen Mitglied unseres Sparklubs werden. In einem Bierfachgeschäft wie meiner Kneipe war das ungewöhnlich. Aber ungewöhnlicher noch war seine ungeheure Sauflust und Redseligkeit, die, ob nüchtern oder schwer geladen, immer die gleiche blieb.

Ihm vertraute ich mich jedenfalls an, denn ein Dieb war ich geworden an meinen Sparbrüdern, auch Sparschwestern, die zuvorkommend genug waren, ihre Alkoholsucht mit mir zu teilen, aber nicht akkurat genug. So ging ich übers Jahr an die Sparfächer, mistete sie gründlich aus und stand um Weihnachten vorm Auffliegen.

Ich bat also den Märchenonkel um Rat und erhielt von ihm ein Buchgeschenk. Diese Leute scheinen zu glauben, wenn man nur die Dinge gehörig durchdenkt, sie vergleicht mit ähnlichen Übeln und dazu noch viele Matratzen, schusssichere Fußabtreter und Bettvorleger aus Phrasen, esoterischem Kauderwelsch und vermischten Nachrichten zwischen sich und die angerichtete Scheiße montiert, ließe sich der Knoten lösen, als wäre jeder ein gordischer.

Ich kannte das Buch nicht; es war nagelneu und hieß DAS BÖSE (Jahrbuch für Biblische Theologie Bd. 26). Es konnte nicht helfen.

Dann gab er mir, ein zweiter und letzter Versuch, eine Haremsschwarte in die Hand (LEBEN IM SULTANSPALAT. Memoiren aus dem 19. Jahrhundert von Emily Ruete, geb. Prinzessin Salme von Oman und Sansibar). Das tat mir auch nicht gut und ich gab ihm, nachdem ich das Ding ordentlich durchgesehen hatte, zu bedenken, dass mein Leben kein Sachkundeunterricht sei und ich in Geldverlegenheiten steckte. Für seine prompte Einladung in die Oper- Mozarts ENTFÜHRUNG- hatte ich überhaupt keinen Sinn mehr und verbat mir weitere Irreführungen.

Er war jetzt noch ernster als betrunken und sprach sehr beschwichtigend auf mich ein: meine Gäste würden, würde ich mich ihnen nur offenbaren wie ihm, gewiss verzeihen, den Schaden vergessen, ausgleichen, ja mehr noch, mich für alle Zeiten der Notwendigkeit entheben, ein Dieb zu sein und zukünftig und freiweillig alle ihre Bestellungen bei mir doppelt bezahlen und dazu noch aufmunternd mit den Augen zwinkern.

Dieses alles setze aber meine unverzügliche Selbsttötung voraus, andernfalls man mich zu Abfall erklärte. Das seien die Regeln bei Regelverstößen in geldwerten Dimensionen.

Ich ging in die Küche, steckte meine beiden Kitteltaschen voll mit Grillanzünder und mich wie eine Kerze an.

Mein Tod war schmerzhaft, ich sprang in den Fluss hinter der Wirtschaft, starb dann aber.

Tatsächlich schüttelten alle wohl den Kopf, viele weinten, als sie von der Malaise hörten, aber ich konnte mir doch nicht sicher sein, dass sie bei meiner Wiederkunft sagen würden „Schwamm drüber!“, „Salvierende Wirkung TOD, alter Junge, kein Thema!“ –

Ich konnte dem Märchenheini nicht mehr trauen, denn ich war ja wirklich tot in seinem Märchen.

Ralf Frodermann XII 2012