Haus der Didaktik

„Denn die Dummheit des Klugen ist ja etwas ganz anderes als die Dummheit des Dummen.“

Bobby Holunder, Die Tagebücher 1970 – 1998. (26. Juli 1992) Bockwurst University Press, 2000

Schwarze Löcher in Lessings dramatischem Gedicht Nathan der Weise

Eine kurze Handreichung für Physiklehrer, die Deutschlehrer vertreten (Sek. II)

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Lessings Nathan ist ein gewaltiger poetischer Tritt in den Hintern des Hamburger Hauptspastors Goeze.

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Die im siebenten Auftritt des dritten Aufzugs erzählte, berühmte Ringparabel wird unmittelbar vorher, gegen Ende des sechsten Auftritts, als Auswegstrategie Nathans durch ihn selbst dem Zuschauer mitgeteilt: „Nicht die Kinder bloß, speist man mit Märchen ab.“ Äußerst befremdet von der naiven Aufforderung Sultan Saladins (hier klingt die Pilatus- Frage nach der Wahrheit mit!), Nathan möge ihm entwickeln, welcher Glaube, welches Gesetz ihm am meisten „einleuchte“, schickt Nathan seiner „Abspeisung“ Saladins durch die Ringparabel eine dialektische Meditation über die Wahrheit voraus, auf die sich einmal Hegel beziehen wird:

“Nathan:

Hm! Hm! – wunderlich! – Wie ist

Mir denn? – Was will der Sultan? Was? – Ich bin

Auf Geld gefasst; und er will – Wahrheit. Wahrheit!

Und will sie so, - so bar, so blank, als ob

Die Wahrheit Münze wäre! – Ja, wenn noch

Uralte Münze, die gewogen ward! –

Das ginge noch! Allein so neue Münze,

Die nur der Stempel macht, die man aufs Brett

Nicht zählen darf, das ist sie doch nun nicht!

Wie Geld in Sack, so striche man in Kopf

Auch Wahrheit ein? Wer ist denn hier der Jude?“

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„Ungeglaubter Glaube“ ist im Nathan schon aktenkundig:

„Tempelherr:

Der Aberglaub’, in dem wir aufgewachsen,

Verliert, auch wenn wir ihn erkennen, darum

Doch seine Macht nicht über uns.“

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Der Disputationscharakter vieler Passagen im Nathan ist Lessings Intention geschuldet, den Pastor Goeze – im Stück bekanntlich in Gestalt des Patriarchen von Jerusalem schon karikiert – religionsphilosophisch endgültig auf Eis zu legen. Zwar tritt Reimarus nicht auf, sein Geist ist aber in Lessings Lehrstück allgegenwärtig.

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Shylock heißt bei Lessing Nathan (Kaufmann von Jerusalem), beide gehen leer aus, denn die kuriose Familienzusammenführung am Ende des dramatischen Gedichts (kein happy end könnte haarsträubender sein!) lässt Nathan außen vor.

Recha ist nicht seine Tochter, sondern die Christin Blanda von Filnek, die in dem geliebten jungen Tempelherrn (eine Art Parsifal nach beendetem Grals- Praktikum) ihren Bruder Leu von Filnek erkennen, während sie den ersehnten Mann, den Tempelherrn, nun unter seinem falschen Namen Curd von Stauffen beerdigen muss. (Inzestverbot als Anti-Blockiersystem dramatischen Verlaufs!)

Sultan Saladin (Mixtur aus König Thoas in Goethes Iphigenie und Bassa Selim in Mozarts Entführung) ist beider Onkel, seine Schwester Sittah beider Tante. Ihr verstorbener Bruder Assad war, wie sich zeigt oder, besser gesagt, aus dramaturgisch- pädagogischen Gründen zeigen muss, ein Schwerenöter, der im Abendland nichts anbrennen ließ.

Für Nathan, den Juden, bleibt Zaungastfreundschaft. Wenn der Vorhang fällt, ist er schon vergessen.

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Anonymus: Traktat über die drei Betrüger / Traite de trois imposteurs.

Ed. W. Schröder Hamburg, 1992

S. Horsch: Rationalität und Toleranz: Lessings Auseinandersetzung mit dem Islam.

(= Ex oriente lux Bd. 5) Würzburg, 2004

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Freya Schwege

    • Didaktik des Vertretungsunterrichts / Universität Bockwurst

Weitere Materialien in Vorbereitung!

Demnächst: Lehrerhandreichungen zu Paul Gurk: TUZUB 37 Meitingen, 1983 (Baden Baden, 1935)

BERLIN (1934)