„Die Kultur des innersten Lebens steht in jedem Zeitalter in enger Wechselwirkung mit der Bedeutung, die es dem Tode zuschreibt.“
Georg Simmel, Metaphysik des Todes (1910)
„Tod ist der plumpeste, geistfernste und dabei unwiderlegliche Einspruch gegen den Idealismus, er stellt den Vorrang der Materie über den Geist schlagend unter Beweis. Denken, das sich erhebt über das, was bloß ist, zerspellt an der unüberwindlichen Hürde dessen, was das denkende Subjekt selbst auf bloßes Material, reine, mit sich identische Empirie reduziert: Aus dem Sterbenmüssen führt kein Gedanke heraus. Und doch bliebe der Tod stumm, bedeutungslos, nähme nicht das Denken sich seiner an. Das Tier, das sein eigenes Ende nicht zu antizipieren vermag, vermag auch nicht um sich zu fürchten. In dem Maße, wie der Tod zu seiner natürlichen Existenz gehört, bleibt er ihm auch äußerlich. Sterben ist daher etwas wesentlich Materielles und Immaterielles zugleich: Der Tod, der über den Geist triumphiert, nötigt zur Reflexion darauf, was das ist, was da zu Ende geht; welcher Überschuss über den bloß seienden Körper verschwindet, wenn dieser als toter übrigbleibt.“
Extrablatt. Aus Gründen gegen fast Alles. Ausgabe 8 (Les Madeleines: Thesen zu Materialismus und Tod)
Weil Sterben lernen/ Philosophie nur ein untotes Unterrichtsfach ist, jeder aber begreift, wie schlecht einer eine Aufgabe löst, für die er keinerlei Expertise hat, nimmt es wunder, dass, wo nicht an der Abschaffung des Todes, immerhin an der Abschaffung seines Ignorierens nicht mit mehr Hochdruck gearbeitet wird. Denn wie schrecklich muss einer sterben, der es nicht lernte, sich von einer ephemeren Ewigkeit in eine kosmische zu bequemen, ohne sich mitzunehmen.
Prof. Erna Radtke – Wiesel (Lehrstuhlinhaberin „Kritische Praxis“)