Klassische Hygiene
Von der Kunst der Diskretion, welche darin besteht, sich schicklich über Unschickliches zu äußern, gibt Goethe in „Wilhelm Meister theatralische Sendung“, seinem „Urmeister“, dessen kritische Edition erst 1911 durch Harry Maync erfolgte, eine Probe.
Im fünften Kapitel des ersten Buchs heißt es:
Von der Zeit an wandte er alle verstohlene, einsame Stunden drauf, hin und wider zu lesen, es auswendig zu lernen und sich in Gedanken vorzustellen, wie herrlich es sein müsste, wenn er auch die Gestalten dazu mit seinen Fingern beleben könnte; er ward darüber in seinen Gedanken selbst zum David und zum Goliath, spielte beide wechselweise vor sich allein, und ich kann im Vorbeigehen nicht unbemerkt lassen, was vor einen magischen Eindruck Böden, Ställe und heimliche Gemächer auf die Kinder zu machen pflegen, wo sie, von dem Druck ihrer Lehrer befreit, sich fast ganz allein selbst genießen, eine Empfindung, die sich in spätern Jahren langsam verliert und manchmal wiederkehrt, wenn die Orte unsaubrer Notwendigkeit eine geheime Kanzlei für unglücklich Liebende abgeben müssen.
Am Rand der Dezenz sind alle Onanisten grau.
April 2014
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“Sie mögen mich nicht! Das matte Wort! Ich mag sie auch nicht!“ (Goethe über die Deutschen)
Goethe aus näherm Umgang dargestellt. Ein nachgelassenes Werk von Johannes Falk.
Leipzig, 1832
Der gedämpfte Kuckuck / Posthagiographische Ansichtskarte
Albert Emil Brachvogel und Felix Huch schrieben auflagenstarke Biographien über Friedemann Bach, Mozart und Beethoven. Huch und Brachvogel heißen heute Safranski. Safranski schreibt Biographien über E. T. A. Hoffmann und Goethe und etc. Dabei stört den Absatz keineswegs, dass vom deutschen Bildungsphilistertum nur noch Speisereste übrig sind. Safranskis neuer Goethe ist daher nicht überflüssig wie ein Kropf, sondern allgemeinverständlich wie ein Bier, dabei erpicht aufs Kassemachen.
Seine Sache ist die Überflutung des „weiten Leserkreises“ mit Goethemarmelade aus den Weckgläsern und Komposthaufen germanistischer Fachwissenschaft, Goethe ad usum delphini o.ä.
Germanistik in Sachen Goethe heißt nach Albrecht Schöne, der jetzt aussieht wie Ernst Jünger,
Nicholas Boyle:
Goethe, (Band 1) The poetry of desire (1749-1790), Oxford University Press 1991
(Band 2) Revolution and Renunciation (1790-1803), Oxford University Press 2000
Safranskis populär-philologische Schreibmanufaktur recycelt dagegen germanistischen Goethe- zu Hausbuchschnittkäse. Den gibt’s an allen Käsetheken kultureller Aufregung mit Rabatt, und den verstehen sogar Studenten zu verdauen, Schmocks zu feuilletonistischen Canapees zu verarbeiten und immer noch halbbildungsbeflissene Chefarztgattinnen und andere Golfplätze zu erwerben.
Das siebente Kapitel aus Thomas Manns Lotte in Weimar goutiert der Weimargast im dortigen Hotel Elephant nach Mitternacht, die andernorts schon stiller näher zog.
Aus dieser hier jedenfalls herzlich grüßend, verbleibt in prospektiver Katerstimmung,
Ihr
Prof. Bobby Holunder (Ferientagebuch Sommer 2013/ Modul „Einsturzgefährdete Wissenschaften heute“)
IX 2013