Soziologica X - XVII

Dreigroschensoziologische Grabpflege

„An diesem Entwicklungspunkt tauchte die Frage der Kapitalbeschaffung auf. Ein weiterer Ausbau der Bande in Richtung auf Laden- und Lagerdiebstähle erforderte größere Mittel, als Herrn Macheath verfügbar waren. Sein Unternehmen geriet in jene Schere, die alle unsere Geschäftsleute so fürchten.“

Brecht, Dreigroschenroman (Zweites Buch / Kapitel VII)

Seitdem Soziologie ihr Versprechen einlöst, unter keinen Umständen mehr eine kritische zu sein, ist sie - selbst innerhalb der allgemeinen Quasselindustrie, derer sie angehört – noch entbehrlicher als sie es ohnehin von jeher war.

Jetzt haben zwei ihrer bestallten Totengräber sie noch einmal tiefer gelegt.

Helmut Thome und Stephan Stahlschmidt gehen im „Berliner Journal für Soziologie“ 3 2013 der Frage „Zur räumlichen Verteilung und theoretischen Erklärung der Gewaltkriminalität in Deutschland“ nach und kommen zu dem Schluss, dass desintegrative Individualisten wie zum Beispiel Herr Macheath die Deliktzahlen steigen lassen.

Dass die Gesellschaft ihr Versprechen auf Vollbeschäftigung nicht einzulösen vermag und daher allerlei Rechtsbrüche dieser Kalamität auf dem Fuße folgen, bedurfte keiner Aufwärmung.

Interessanter ist ein Aspekt gleichsam zweiter Ordnung:

Begibt sich die soziologische Kriminalistik a la Thome und Stahlschmidt auch nur in die Nähe materialistischer Analyse, kommt unversehens die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG (18. Mai 2014) in Gestalt ihres Feuerwehrmanns Jürgen Kaube ums Eck und erklärt, vor lauter Antinomien den Widerspruch nicht mehr sehend, vorsorglich: „Es kann also nicht ausgeschlossen werden, dass der Grad an vermeintlicher Desintegration unserer (sic!) Gesellschaft geringer ist als von Zeitdiagnosen vermutet.“

Ebenso wenig kann danach mehr ausgeschlossen werden, dass der Grad an indulgenter Denkleere der Schmocks zum Zweck der Produktion von Indulgenz und Denkleere größer ist als von ihnen selbst vermutet und keineswegs totaliter aliter.

Ralf Frodermann

Mai 2014