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Zauberlehrlinge in academicis heute

Ein neuer Narr – Zu neuer Pein –

Wo kommt er her – Wie kam er ein –

Goethe, FAUST II, 1

In Harvard gehen die Uhren auch nicht anders. Vom dort lehrenden Michael J. Sandel erscheint am 9. November ein neues Buch in deutscher Sprache („Was man für Geld nicht kaufen kann. Die moralischen Grenzen des Marktes“), aus dem die FAZ in ihrer Ausgabe vom 7. November 2012 einen Vorabdruck bringt. „Geld regiert die Welt und das ist nicht schön“ steht da ungefähr drin und wiederholt zum ungezählten Mal lamentierend das alte, vulgärökonomische recitativo von den bewahrenswerten Dingen des Lebens, die so unbezahlbar wie bedeutend und erfüllend sind. Über Ware, Wert und deren jeweilige Formen war bisher alles Notwendige bei Marx, Sohn-Rethel und Backhaus nachzulesen. Moralapostel wie Sandel tauchen in schöner Regelmäßigkeit als kritische Kais aus der Kiste auf, beizen den Zeitgeist mit ihren moralinsauren Ideologieessenzen und dienen und drehen im wesentlichen aus der Mode gekommene Phrasen an; sie erinnern an jemanden, der, in eine verdreckte Schießhauskloake gesperrt, darum bittet und bettelt, dass man das Fenster ein wenig mehr öffnen möge, damit der bestialische Gestanke abziehe, statt sich zu absentieren. Ihre kapitalismuskritische Parole lautet: Die Lüge ist den Menschen zumutbar.

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„ gibt es eine Wahrheit ohne Richtigkeit? behalten diejenigen recht, welche die Geschichte überhaupt als fable convenue bezeichnen?

Ein gewisses natürliches Gefühl und die unzweifelhafte Übereinstimmung aller Zeiten sagt uns, daß dem nicht so sei, daß in den menschlichen Dingen ein Zusammenhang, eine Wahrheit, eine Macht sei, die, je größer und geheimnisvoller sie ist, desto mehr den Geist herausfordert, sie kennenzulernen und zu ergründen.“

J.G. Droysen, „Historik“

Wer nach längerer Zeit einmal wieder einen Blick in die von Golo Mann und August Nitschke vor Jahrzehnten herausgegebene PROPYLÄEN WELTGESCHICHTE wirft, wird von der stilistischen Dezenz, der erzählerischen Verve und dem Gestaltungsvermögen der Autoren prima vista so beeindruckt sein wie er es von der reinen Könnerschaft Prousts oder Nabokovs ist. Romanciers und Historiker waren einmal benachbart, in Zeiten von Neuro-Historik und epischer Quasselindustrie ist beider Schicksal besiegelt.

Ralf Frodermann XI 2012