Grammophonzimmer/Bitte Ruhe!

"Wollen wir ihn nicht der Einfachheit halber einen Schurken nennen?"

Robert Walser (Mikrogrammblatt 263)

Pejorative Pragmatik oder Kritik?

Beleidung und Fluch zählen zum Arsenal indezenter Sprechakte und können in linguistischer wie kulturgeschichtlicher Hinsicht als gut erforscht gelten. (Vergl. S. Meier: „Beleidigungen. Eine Untersuchung über Ehre und Ehrverletzung in der Alltagskommunikation.“ Aachen, 2007. Dazu die Rezension von S. Kleinke in: GESPRÄCHSFORSCHUNG 10 / 2009; und H. M. Gauger: „Das Feuchte & das Schmutzige. Kleine Linguistik der vulgären Sprache.“ München, 2012)

„Es einem richtig geben“, hinter vorgehaltener Hand oder vis a vis, ist, obzwar in vielen Fällen strafbewehrt, Teil individual- kathartischer Strategien auch innerhalb der Sprachbäder reifer Zivilisationen geblieben. Bei Kontexten, die reflexhaften Affekten und Vernichtungswillen günstig sind, handelt es sich oft um allem Insultorischen affine Kontexte. Sie sind Brutkästen des Hasses, in deren Laboratorien der Niedertracht auch die Blaupausen politischer Korrektheit entwickelt werden, die heute Quasi- Gesetzeskraft haben und deren Verletzungen sanktioniert werden. (Ein exaktes Musterbeispiel solcherart Exekutionen in der Weltliteratur ist die Entsorgung Professor Silks durch seine miesen Kollegen in Philip Roths „Der menschliche Makel“.)

Manche Schimpfworte sind dahingegangen und wurden ersetzt: „Galgenstrick“, „Bajuffe“ oder „Beutelschneider“ versteht kaum noch einer, und falls doch, dann oft falsch.

Prästabilierte Harmonie zwischen Scherzwort und Beleidgtsein:

Ihr/sein ganzer Körper bellt nach Liebkosung,

Doch Triebverzicht heißt heut‘ die Losung,

Und kann ich den mir garantier’n,

Darf ich das Himmelstor passier’n.

Kritik verschmäht Beleidigung. Sie ist nicht belehrend, sondern Praxis der Belehrbarkeit.