Wettbewerbsfassung "Sylter Inselschreiber 2016"

Der Karussellbremser / Erinnerungen (Auszüge)

Aus dem Vorwort

„Ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns."

Schreibt Kafka unter dem 27. Januar 1904 an seinen Freund, den Kunsthistoriker Oskar Pollak.

Gegen Zahnstein helfen keine Zahnstocheru und das gefrorene Meer in uns beeindruckt kein Reise-Haartrockner.

Ich muß die Axt anlegen, an meine Lügen legen, an mein eisiges Herz legen.

Ich und die Axt. Aber nennt mich nicht Axt. Und nicht alter Mann. Und nicht Meer.

Kapitel 31

Ach dass ich euch nicht meiden müsste/

Ihr schätze dieser dritten Welt/

Ihr schnee- gebürgten engelbrüste/

Von lufft und seufzern aufgeschwellt

Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau

- Das ostfriesische Busenwunder / Riesenhupen 1983 - 1986

Zu Anfang des Jahres 1983 hatte mich die Prosa der Welt endgültig eingeholt und so stürzte ich mich in großer Aufregung in eine ihrer größeren Pfützen, indem ich einen folgenreichen Vertrauensbruch beging, nämlich Frau und Tochter betrog. Nach diesem Sakrileg standen die Zeichen meistens auf Sturm im Wasserglas meines Lebens.

Die junge Dame, die es meinen Lenden antun sollte, stammte aus dem ostfriesischen Leer; in die öde hessische Universitätsstadt war sie gekommen, um das Studium der Psychologie aufzunehmen. Sie war ein Scheidungskind wie ich selber und verbrachte die Semesterferien oft bei ihrer Großmutter, an deren Tisch auch ich bald ein durchaus wohlgelittener Gast sein durfte.

Meike war rettungslos in ihr Leben und sich verliebt. Sinnlich und fordernd wie sie war, vergab sie mir doch einige Monate meine Impotenz, die sich unter dem Bann ihrer Reize nur langsam, dann aber umso heftiger auflösen sollte. Später sagte sie mir in aller Unschuld, sie habe immer gehofft, mich nicht wegen meiner anfänglichen Lendenlahmheit verlassen zu müssen. Ein geistiges Band zwischen uns existierte niemals, denn ihr Unglück war aus ganz anderen Elementen gebildet als das meine.

Sie war keineswegs schön im Sinn einer Augenweide, doch brachte sie in mir eine Saite zum Klingen, dessen Echo mich rasender machte als sie. So ging ihr rascher das Interesse an mir verloren als mir lieb war und da ich auf die Dummheit verfiel, ihr in Gestalt einer anziehenden Gina einen Vorwand für Kurskorrekturen zu liefern, machte sie unseren immer faderen Kinderorgien ein schnelles Ende. Sie betrog mich nach drei Jahren mit einem meiner Brüder, nachdem sie einem wohlhabenden, älteren Herrn, der um sie gebuhlt, einen Korb gegeben hatte.

Danach hatte ich den Eindruck, dass das Leben dann und wann eine Retourkutsche bereit hält, die zu erwarten einer wie ich tunlichst nicht unterlassen sollte.

Noch nach Jahren begehrte ich sie wie ein Hausbesitzer vor seinem in Flammen stehenden Anwesen das Nahen der Feuerwehr begehrt. Wir sahen uns zuweilen und nur meiner Tollpatschigkeit war es zu danken, dass es zu keiner noch so sporadischen Vereinigung mehr kam. Dass sie unterdessen verheiratet und Mutter zweier Kinder geworden war, kümmerte mich nicht, sie kaum.

Wir leben nachlässig und tragen darum einander nichts nach. Und wie könnte ich ihr auch daraus einen Vorwurf machen, dass ihre mich bezaubernde und erschütternde Sinnlichkeit, deren Wirkung auf mich ich belächeln, doch niemals beherrschen konnte, schon lange vergangen ist. Ich empfinde keinen Triumph darüber, dass sie so früh verblühte. Ich danke vielmehr dieser einst würdig Blühenden, mich ungeschickten Jungen als tributpflichtigen Liebhaber ihrer makellos geschälten Nacktheit angenommen zu haben.

Aus dem Fluss des Leben wird allzu rasch ein Rinnsal. Das Delta, in dem es sich einst verläuft, trocknet aus und schale Bitterkeit tritt an die Stelle der flutender Sattheit. Wird dann der Ozean des Nichts auch austrocknen wie das tote Meer in uns?

Mare tranquillitatis XI (Der Karussellbremser / deleted scenes)

„27. Februar 1978

Als um 14.00 auf der Bank frage und die Bankfrau sagt, nichts ist gekommen und dazu: ‚Wir haben tausende von Kunden’ (also können wir auf den kleinen Roth keine Extra- Anstrengungen verwenden’ – ergänze ich in mir) steil nach unten, laut schimpfend, stärkste Wut: ‚Mistiges, dreckiges, widerliches Übelvieh, du dreckige Schweinemutter!’ u.Ä.“

Dieter Roth: Da drinnen vor dem Auge. Lyrik und Prosa. Frankfurt a. M., 2005

Das Auge des 27. Februar

verschlagene, wässrige, blaue,

von bosheit zeugend, bosheit

zeugen, nur bosheit sehend,

böse blicke, aussenden derselben –

    • der exorzistische blick

    • der taufende blick

    • der blinde blick

    • der teilnahmsvolle blick

    • der schöpferische blick

    • der geduldige blick

die hast der wahrnehmung

Kapitel 28

Meine Studienjahre in Giessen (1980-1987)

Im Wintersemester 1980 begann ich an der Giessener Universität Philosophie und Germanistik zu studieren. Wie es mich ausgerechnet an jene alma mater verschlug, tut nichts zur Sache und kann getrost hier unerzählt bleiben. Das Scheitern wäre mir auch andernorts nicht besser, nicht gründlicher, nicht folgenreicher gelungen.

Grabbes Lustspiel, darin der Teufel dem Sohn einer armen Seele das Philosophiestudium zur Strafe auferlegt, damit der hübsch und fein zugrunde gehe, hätte mir Warnung sein sollen; ich schlug alle brotberuflichen Auspizien aber in den Wind, indem ich, nunmehr immatrikuliert, die berufliche Vorschule des Lebens auf dünnstem Eise, dem philosophischen und philologischen Studium, hinter mich zu bringen suchte.

Mich lockte keineswegs der Beruf des wohlbestallten Studienrats etc., vom ersten Tag meines Studiums wollte ich Professor werden, ja, am liebsten wäre ich es gleich am zweiten geworden! Nach dem ersten Semester hatten sich derlei Pläne in Luft aufgelöst, allerdings nur, um neuen Luftschlössern Platz zu machen. Kaum hatte das Studium begonnen, war ich schon am Ende meines Lateins und muss heute freimütig bekennen, dass fünf meiner sieben akademischen Jahre verlorene Zeiten waren, die keine Suche verdienen.

Bis zum Sommer 1982, ich war unterdessen Vater einer Tochter geworden und die Mutter der Tochter Mutter, bis zu jenem Sommer verlief meine Jugend. Ich hatte aufs falsche Pferd gesetzt, auf mich, doch musste ich weiterreiten und ritt weiter. Gemäß schlechtestem Wissen und mit üblen Vorahnungen. Doch wen kümmern die Lügen seines Lebens, wenn das Wetter das Wetter der Jugend ist und die Angst die Angst der Jugend? Wen kümmerten die leichtfertigen Impertinenzen, die nichts weiter waren als die Keime schnell wachsender Schmerzen?

Stan Laurel und Gonzo

Zweier Studienfreunde ist an dieser Stelle nun zu gedenken, die mir wohl eine Menge Lacher verdankten und denen ich für meinen endgültigen Abschied von dem abscheulichen Universitätsstädtchen an der Lahn mein Lebtag zu danken haben werde.

Gonzo, der gern den Weibsbildern nachlief und schwer auf Kerl machte, war ein Landei aus dem Norden und Student der Psychologie. Ganz und gar nicht begriffsstutzig, hatte er sich rasch im akademischen Ringelpietz zurechtgefunden und bald für sich eine Passage durchs ewige Eis akademischer Karrierewidrigkeiten entdeckt.

Stan hatte sich den germanistischen und slawistischen Philologien verschrieben, dem Kommunismus Marke DKP und zuweilen den Weibern, die vorher durch Gonzos Hände gegangen waren, und zuletzt bei mir landeten. Eine nannten wir sogar 'die Königin der Lüste'.

Intermission 11

Sechs richtig Falsche plus Zusatzzahl / Flüchtiges Notennotturno vor der Hyperinflation

Das Meer in uns kennt die Gezeiten nicht (Robert Holunder)

Es sind keine neuen Auszüge vorhanden.

5€ Note

Heiermann, jetzt aus Papier,

Wie oft, mein Kleiner, fehlst du mir!

Wie oft sehnt’ ich dich mir herbei,

Statt deiner kamen selten zwei.

10€ Note

Mit dir ist nicht gut Kirschen fressen,

Dich kann man notfalls gar vergessen;

Du bist, was niemand gerne ist:

Minifahne, die jeder hisst.

20€ Note

Fast lohnt es, dich zu falten,

Wer könnte, würde dich behalten.

Doch Louis, du, bist Kleingeld nur

In jeder Börse, jeder Hur’.

50€ Note

Bist du nicht ein schöner Schein?

Keiner wird dich Lügner zeih’n!

Kommst du doch für’s Nicken auf,

Das stets begleitet kleinen Kauf.

100€ Note

Alter Bruder aus drei Zahlen,

Alte Schwester, rasch zermahlen,

Gäbe es nur dich hienieden,

Mir wär’s Pleitegrab beschieden.

200€ Note

Wer kennt dich nicht vom Hörensehn?

Wer wollte seine Seele nicht verkaufen?

Wem einmal du warst vorgeseh’n,

Dem kann im ALDI nichts absaufen.

500€ Note

Visitenkarte Gottes, trau’n fürwahr;

Wer dich hat, dem sind Rätsel klar.

Und wer dich hecken kann in Massen,

Den werden Freunde usw. nie verlassen.

Ralf Frodermann (2015)