Pulegon / Pulegone
Das monocyclische Monoterpenketon (R)‐(+)‐Pulegon ist Hauptbestandteil des ätherischen Öls der Polei‐Minze (Flohkraut). Die Aufklärung der Struktur über die Etappen Summenformel, Konstitution und absolute Konfiguration zwischen 1891–1929 wird beschrieben. Früher wurde Polei‐Minze als Allheilmittel, Gewürz und gegen Flöhe eingesetzt. Heute wird von der Aufnahme des Inhaltsstoffs Pulegon abgeraten, denn Pulegon bildet im Metabolismus giftige Metaboliten. Das durch Wasserdampfdestillation gut zugängliche Poleiöl ist ein geschätzter Lieferant für (R)‐(+)‐Pulegon. Es stellt einen wertvollen enantiomerenreinen Baustein aus dem chiral pool der Natur für die Synthese chiraler Verbindungen dar. Alle Spektren des Pulegons eignen sich zum Üben spektroskopischer Interpretationen. Dieser Artikel setzt die Reihe zur Isolierung und Spektroskopie von Naturstoffen fort und beruht auf einer Bachelorarbeit. Er ergänzt die Kapitel des Buchs “Classics in Spectroscopy” von S. Berger und D. Sicker (Wiley‐VCH 2009).
(R)‐(+)‐Pulegon ist ein monocyclisches Monoterpenketon. Es bildet den Hauptbestandteil des Poleiöls, das aus dem Kraut der Polei‐Minze gewonnen werden kann. Die Polei‐Minze wurde in der Antike als Allheilmittel, Gewürz und gegen Schädlinge wie Flöhe oder Nager eingesetzt. Ein Aufguss für Bäder ist auch heute unbedenklich, von einer Inkorporation wird aber abgeraten. Pulegon selbst ist zwar wenig giftig, aber es wird im Körper beim Versuch der Entgiftung oxidativ zu toxischen Metaboliten umgewandelt, die die Leber schädigen. Der heutige Wert von Poleiöl liegt im (R)‐(+)‐Pulegon als enantiomerenreinem Baustein aus dem Chiral Pool der Natur für die Synthese chiraler Verbindungen. Wir stellen Pulegon vor, beschreiben seine Isolierung und Struktur und interpretieren die Spektren.
Poleiöl ist das durch Wasserdampfdestillation aus dem Kraut erhältliche ätherische Öl. Es erinnert im Geruch sowohl an Pfefferminze (Menthol) als auch an Campher. In der Tat zeigt der Vergleich dieser Formeln mit (R)‐(+)‐Pulegon als Hauptinhaltsstoff des Poleiöls strukturelle Gemeinsamkeiten. Das Poleiöl enthält ca. 90 % dieses Pulegons. Von diesem Naturstoff gehen, wie man heute weiß, die wesentlichen physiologischen Wirkungen der Pflanze aus. Pulegon ist oberhalb kleiner Mengen gesundheitsschädlich, da es den Verdauungstrakt, aber auch Haut und Schleimhäute reizt. Poleiöl sollte man daher weder zu sich nehmen noch auf der Haut verreiben. Ein Metabolit, der noch stärker als Pulegon selbst hepatotoxisch (lebergiftig) ist, ist das (R)‐Menthofuran (Abbildung 6), das oxidativ aus Pulegon gebildet wird.
Vorsicht mit Polei‐Minze ist geboten, wenn es um mehr als das Aroma geht. Da Polei‐Minze (Abbildung 4) heute in „makroskopischen Mengen“ als giftig gilt, sollte sie nicht mehr innerlich, sondern nur noch äußerlich angewendet werden. Ein für Bäder, Waschungen oder Kompressen gedachter Teeaufguss ist unproblematisch. Gegen Flöhe wird wohl heute niemand mehr Polei‐Minze benötigen. In der Schädlingsbekämpfung kann man mit dem Öl und dem Kraut Insekten, Mäuse und Ratten vertreiben. Hier ist die Wirkung offenbar fulminant. Dafür spricht, dass bereits im allerersten Band der Philosophical Transactions der 1660 gegründeten Royal Society of London for Improving Natural Knowledge ein Artikel über das Töten von Klapperschlangen mittels Pennyroyal (engl. für Polei‐Minze) steht (2).
In der Antike aber war alles noch ganz anders. Bei den Griechen und Römern gehörte Polei‐Minze zu den Küchenkräutern. Im Apicius „De re coquinaria“ („Über die Kochkunst“), dem ältesten erhaltenen Kochbuch der römischen Antike, wird Polei‐Minze in der gleichen Weise verwendet wie wir heute die Kräuter Liebstöckel, Oregano oder Koriander verwenden. Der berühmte Gelehrte Plinius der Ältere, der beim Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 v. d. Z. ums Leben kam, beschreibt in seiner 37‐bändigen Enzyklopädie Naturalis historia aber auch schon, dass Polei‐Minze ein innerlich anwendbares Emmenagogum ist. So heißt ein Mittel, das den Eintritt der Monatsblutung anregt. Es verwundert nicht, dass das ätherische Öl als Abtreibungsmittel eingesetzt wurde, nicht selten aber mit tödlichem Ausgang [(3)a, b]. In der Antike wurde es auch zur Empfängnisverhütung eingesetzt [(3)c]. All das ist heute abzulehnen. In der Volksheilkunde galt Polei‐Minze‐Tee als Mittel gegen Verdauungsbeschwerden. Seit dem Wissen um die leberschädigende Wirkung des Pulegons wird auch vom Trinken dieses Tees abgeraten.
Pulegon ist Bestandteil vieler ätherischer Öle unterschiedlicher Lippenblütler. Dies wurde für die in der Türkei wildwachsenden Arten minutiös analysiert (4). Nur nebenbei – ein zweiter Lieferant für Pulegon ist die verwandte “American pennyroyal” (Hedeoma pulegioides (L.) Pers.), d. h. die Amerikanische Polei‐Minze, die im Osten Nordamerikas vorkommt. Auch deren Öl darf Poleiöl genannt werden.
3 a) L. Roth, M. Daunderer, K. Kormann „Giftpflanzen – Pflanzengifte“ 4 ., überarbeitete Aufl., Sonderausgabe, Nikol, Hamburg 1994, 493– 494; b) I. Schönfelder, P. Schönfelder „Das Neue Handbuch der Heilpflanzen, Botanik Arzneidrogen, Wirkstoffe Anwendungen“ Franckh‐Kosmos Verlags GmbH & Co. KG, Stuttgart, 2011; c) R. Jütte „Geschichte der Empfängnisverhütung“ München 2003, S. 68 f.
4 K. H. C. Baser, N. Kirimer, G. Tümen “ Pulegone‐Rich Essential Oils of Turkey” J. Essent. Oil Res. 1998, 10 , 1– 8.