Varia onomastica VII

Heikki Solin

VAR I A O N O M A S T I C A VII. TH A L A S S A U N D KA I S E R DI E N E R

in «Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik» 73 (1988) 111–112

P.J.Sijpesteijn publiziert ZPE 70,1987,147f. Nr. II eine stadtrömische Grabinschrift, leider ohne Photo. Schwierigkeiten bereitet der Name der verstorbenen Tochter. Sijpesteijn liest .haias S.( ) und vermutet mit Vorbehalt den Namen Gaia, gefolgt von dem Vatersnamen Se(?). Doch das Patronymikon wäre in diesem Zusammenhang ungewöhnlich, weswegen vor fil(iae) nur der Name der Tochter gestanden haben mag. Ich verstehe ihn Thalassa, und Sijpesteijn bekräftigt mir brieflich diese Lesung, die er nochmals am Stein nachgeprüft hat. Thalassa ist ein üblicher Name in Rom, vgl. mein Namenbuch 1132f., wo nicht weniger als 25 Belege verzeichnet sind.

Auf S.149f. Nr. VII publiziert Sijpesteijn, ebenfalls ohne Photo, eine auch stadtrömische Grabinschrift wie folgt: DM / Fl(aviae) Hediae matri F[l(avius).] / Phoebion Augg`(ustorum)[.] / verna vil(icus) et Fl(avius) Trypho [.] / fil(ii) fec(erunt) Diese Auslegung ist nicht möglich; anstössig ist dabei vor allem die Namensform von Phoebion, denn vor Phoebion Augg. verna kann unmöglich ein kaiserliches Gentile gestanden haben. Die Bezeichnung Augustorum verna muss zwangsläufig einen kaiserlichen Sklaven meinen, und ein Sklave kann ja kein Gentile führen. Nun fehlt Sijpesteijn zufolge auf jeder Zeile nur ein Buchstabe, und er insistiert auf F[l(avius)], da sich sonst keine passenden Ergänzungen mit einem Buchstaben finden lassen. Wenn dem so ist, gibt es keinen anderen Ausweg als Fl(avius) Phoebion Augg. l(ibertus) verna zu verstehen. Wir kennen vereinzelte Fälle von Augusti liberti vernae; freilich sind die Belege anders geartet: entweder ist verna enger mit einer darauf folgenden Bezeichnung als mit Augusti libertus verbunden, und sodann fehlt in allen Belegen das Gentile.[1] Ich möchte aber meinen, dass der Ausdruck Augusti libertus verna möglich war, und er kann so auch hier angesetzt werden. Überraschend ist auch das Vorkommen eines kaiserlichen Freigelassenen als vilicus, doch lassen sich kaiserliche wie andere Freigelassene als vilici nachweisen, obschon die meisten von ihnen Sklaven waren.[2] - Von anderen Ergänzungen käme in Frage höchstens f[ec.(it)], doch wäre laut Sijpesteijn die Ergänzung von zwei Buchstaben zu lesen; ob alsof(e)[c(it)] ? Dabei wäre aber anstössig, dass in 5 FEC wiederholt wäre.

Hedia und Phoebion lebten wahrscheinlich in einem contubernium, und Trypho war ihr Sohn. Weil nach TRYPHO ein Buchstabe zu fehlen scheint, wird es vorzuziehen sein, das Cognomen des Sohnes als Tryphon mit Schluss -n aufzufassen.

[1] CIL VI 1887 Fortunatus Aug.l. verna paternus; 8958 Dorcadis Iuliae Augustae l.vernae Caprensis; 5738 Anicetus Augg.lib. verna architec(tus); AE 1957, 231 (Leptis Magna) Vitalis lib. verna (er wird kaiserlicher Freigelassener gewesen sein). Merkwürdig ist Not.Sc. 1901, 20 (Puteoli) M.Ulpius Proculus tabular(ius) fisci Alex(andrini) Domitiani Caes(aris) verna III Augustor(um) libertus. Zu diesen Fällen vgl. H.Chantraine, Freigelassene und Sklaven im Dienst der römischen Kaiser, Wiesbaden 1967, 166.

[2] Vgl. etwa CIL VI 532. 8650. 8676. 9089 (kaiserliche Freigelassene als vilici)