Renate Seitz, Bernhard Zepernick
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D Marrubii herba (Andornkraut)
D Marrubium vulgare hom. HAB 1
D Marrubium vulgare hom. HPUS 88
Herba marrubii; Herba marrubii albi; Herba marrubii vulgaris; Herba prasii
dt.:Weißes Andornkraut; White horehound wort; Herbe de marrube, Herbe à la vièrge.
Marrube – PF X; Herba Marrubii – ÖAB 90; EB 6; Marrubii herba – Hung VII; Marrubium – BHP 83
Die getrockneten blühenden Zweigspitzen PF X; die getrockneten, zur Blütezeit gesammelten Blätter und oberen Pflanzenteile ÖAB 90, EB 6; Blätter und blühende Spitzen BHP 83.
Stammpflanzen: Marrubium vulgare L.
Herkunft: Aus Wildsammlung oder Anbau in Südosteuropa, insbesondere Ungarn, aus Italien, Frankreich und Marokko [12], [13], [14].
Gewinnung: Sammlung bzw. Ernte während der Blütezeit (Juni bis August), möglichst baldige Trocknung bei mäßigen Temperaturen [14].
Ganzdroge: Aussehen. Der vierkantige, hohle, dicht filzig behaarte Stengel trägt kreuzweise gegenständige, bis 3,5 cm lange, herzförmige oder eiförmige, oberseits weichhaarige, unterseits grau- bis weißfilzige, runzelige, am Rande gekerbte Blätter, von denen die unteren langgestielt, die oberen kürzer gestielt und zuweilen in den Blattstiel verschmälert sind. Die kleinen, weißen, zweilippigen Blüten bilden dichte, halbkugelige, blattwinkelständige Halbquirle. Der Kelch ist röhrenförmig, am Grunde zottig, sechs- bis zehnzähnig mit hakenförmig gekrümmten Zähnen [15].
Schnittdroge: Geschmack. Bitter, etwas scharf. Geruch. Schwach aromatisch [15]. Aussehen. Knäuelig zusammenhaftende runzelige Blattstücke, unterseits filzig behaart; vierkantige, weichwollig behaarte Stengelstücke; daneben Teile der Blüte, insbesondere filzig behaarte Kelchblattstückchen mit hakig gekrümmten Zähnen, gelegentlich dreikantige schwarze Nüßchen [14].
Mikroskopisches Bild: Epidermiszellen der Blätter wellig bis buchtig; beiderseits diacytische Spaltöffnungen mit zwei senkrecht zum Spalt angeordneten Nebenzellen; Haarfilz aus Büschelhaaren, die sich aus ein- bis mehrzelligen, z. T. übereinander entspringenden, schmalen, spitzen Einzelhaaren zusammensetzen; außerdem einzellige, lange, spitze Haare, Labiatendrüsen mit 8 Sekretionszellen und kleine Drüsenhaare mit ein- bis zweizelligem Stiel und einem meist zweizelligem Köpfchen. Mesophyll aus 1 Reihe Palisadenzellen, darunter ein drei- bis vierreihiges Schwammparenchym, beide mit reichlichen Calciumoxalatnadeln. Stengel, Kelch und Korolle mit den gleichen Haaren wie die Blätter. Auf der Innenseite der Kelchblätter 1 mm lange, spitze, dickwandige, glatte Haare, deren Endzellen knieförmig abgebogen sind. Pollenkörner kugelig, glatt, mit 6 schlitzförmigen Austrittsspalten [15], [16].
Pulverdroge: Gekennzeichnet durch diverse Haarformen: 1zellige kurze, 1zellige lange Haare, bis 6zellige Gliederhaare mit weitlumiger Fußzelle, Büschelhaare, deren längere Haare (200 μm) peitschenförmig gewunden sind, Labiatendrüsenhaare mit verschieden großen, 2- bis mehrzelligen Köpfchen und speziell an Bruchstücken der Kelchinnenseite 1 mm lange, schmale, stark verdickte, glatte, 2- bis 3zellige Haare [15].
Verfälschungen/Verwechslungen: Verfälschungen sind bekannt mit der mediterranen Art M. incanum DESR. (Syn.M. peregrinum RCHB. et CESATI non L [4].), die regional in der Volksmedizin auch als Ersatzdroge gilt [17], und mit der bastardisierten Art M. remotum KIT. (M. vulgare × M. peregrinum) [14], [17]. Von früheren Verwechslungen mitM. anisodon K. KOCH wird berichtet [11]. In Amerika sind Verfälschungen mit Ballota hirsuta BENTH. vorgekommen[17].
Inhaltsstoffe: Ätherisches Öl. In Spuren (0,05 bis 0,06 %) ätherisches Öl mit den Monoterpenkomponenten Camphen, p-Cymol, Fenchen, Limonen, α-Pinen, Sabinen, α-Terpinolen u. a [18]. Diterpene. Diterpen-Bitterstoffe der Labdanreihe; Hauptkomponente sind das Lacton Marrubiin (0,12 bis 1 %, vornehmlich in den Blättern, höchster Gehalt vor Blühbeginn) [19]-[23] und die ebenfalls in der Droge enthaltene Vorstufe Premarrubiin (0,13 %) [24], [25]. Weitere sind Marrubenol (ohne Mengenangaben) und ein Labdan-Hemiacetal (ca. 0,1 %) [26], Marrubiol [27], Peregrinol [22] und Vulgarol [28] (alle ohne Mengenangabe).
Marrubiin
Premarrubiin
Marrubenol
Labdan-Hemiacetal
Vulgarol
Gerbstoffe. Bis zu 7 % nicht näher definierte Gerbstoffe und Hydroxyzimtsäurederivate, u. a. Chlorogen-, Kaffee-, 1-Kaffeoylchina- und Kryptochlorogensäure, jedoch keine Rosmarinsäure [29]. Flavonoide. Flavon- und Flavonolglykoside und deren Aglyka (z. B. Apigenin, Luteolin, Quercetin bzw. Chrysoeriol, Vicenin II oder Vitexin) sowie die ungewöhnlichen Lactoylflavone 5,7,3′,4′-Tetrahydroxy-7-O-lactoylflavon (Luteolin-7-lactat) und 5,7,4′-Trihydroxy-7-O-lactoylflavon (Apigenin-7-lactat) (ohne Mengenangaben) [30], [31]. N-haltige Verbindungen. 0,2 % Cholin und 0,3 % Betonicin [32]. Sonstige. Reichliche Mengen mineralische Bestandteile, insbesondere Kaliumsalze [7].
Identitaet: a) Durch makroskopische und mikroskopische Prüfung PF X, ÖAB 90. b) Ethanolischer Drogenextrakt (10 %) ergibt mit Eisen(III)chloridlsg. eine grünbraune Färbung (Gerbstoffe) PF X. c) DC nach PF X: Untersuchungslösung: 10 %iger, ethanolischer Drogenextrakt; Referenzlsg.: 0,5 % Santonin in Methanol; Sorptionsmittel: Kieselgel G; FM: Aceton-Methylenchlorid (30+40); Detektion: Vanillin-Schwefelsäure, 15 min Erhitzen auf 105 °C, Auswertung im Vis; Auswertung: Von den vielen verschiedenfarbenen Flecken müssen 3 violette Hauptflecke mit Rf-Werten um 0,7 erscheinen (Vergleichssubstanz: Rf = 0,65), einer davon entspricht dem Marrubiin. d) Als weitere Identifizierungsmöglichkeit bieten sich HPLC-Methoden an [23], z. B. in den Systemen LiChrospher Si 60/Superspher Si 60 mit dem LM Hexan-Dioxan (85+15) und Detektion bei 225 nm.
Reinheit: Asche: Höchstens 12 % PF X, ÖAB 90, BHP 83; höchstens 15 % EB 6. Fremde Bestandteile: Höchstens 2 % PF X; höchstens 1 % ÖAB 90, BHP 83. Trockenrückstand: Höchstens 12 % (1 g Droge, 100 bis 105 °C) PF X. Wasserlöslicher Rückstand: Mindestens 10 % BHP 83.
Wirkwertbestimmung: Nach der sensorischen Bitterwertbestimmung des ÖAB 90 soll ein wäßriger Drogenextrakt in der Verdünnung 1:3000 noch deutlich bitter schmecken (Bitterwert 3000). Dazu wird 1,00 g Droge mit 1 L Wasser 1 h im Wasserbad extrahiert und 10 mL davon nochmals mit 20 mL Wasser verdünnt.
Lagerung: Vor Licht und Feuchtigkeit geschützt PF X; vor Licht geschützt, in gut schließenden BehältnissenÖAB 90.
Verwendung: Zur Herstellung von bitteren Likören und appetitanregenden Weinen, in Bonbons [39].
Gesetzliche Bestimmungen: Aufbereitungsmonographie der Kommission E am BGA „Marrubii herba (Andornkraut)“ [36].
Wirkungen: Neuere Arbeiten über Wirkung und pharmakologische Eigenschaften des Andornkrauts fehlen. Auf Grund der Bitterstoffe nimmt man an, daß Marrubii herba analog anderen Bitterdrogen anregend auf die Magensaftsekretion und – wohl reflektorisch – auf die Galleproduktion wirkt [33]. Untersuchungen zur choleretischen Wirkung von isoliertem Marrubiin und der durch Lactonspaltung entstandenen Marrubiinsäure bzw. deren Na-Salz an Ratten ergaben eine deutliche Steigerung der Gallesekretion bei Marrubiinsäure und ihrem Salz, nicht jedoch bei Marrubiin [34]. Untersuchungen mit Marrubiumextrakt fehlen. Da jedoch nichts darüber bekannt ist, ob oder in welchem Maße Marrubiin bzw. Premarrubiin im menschlichen Organismus in Marrubiinsäure umgewandelt wird, kann über die choleretische Wirkung der Droge keine Aussage gemacht werden. An Hunden führten i. p. Gaben von 50 mg/kg KG Trockenextrakt (wäßrig, keine Angaben zur Extraktkonzentration) zu einer Relaxation des Sphincter Oddi: Amplitude und Frequenz der Sphincter-Oddi-Kontraktionen, aufgezeichnet mittels eines Gallengangmanometers, nahmen nach Extraktapplikation 20 min lang ab [35].
Bei Appetitlosigkeit, dyspeptischen Beschwerden wie Völlegefühl und Blähungen; bei Katarrhen der Luftwege [36].
Einzeldosis: 1,5 g Droge auf 1 Tasse Tee; [15], [37] Tagesdosis: 4,5 g Droge [36], 1 bis 2 g zum Teeaufguß bis zu 3mal täglich [38]. Zur Teezubereitung Droge mit kochendem Wasser übergießen und nach 5 bis 10 min abseihen. Art der Anwendung: Zerkleinerte Droge, Frischpflanzenpreßsaft sowie andere galenische Zubereitungen zum Einnehmen [36]. Tagesdosis: 2 bis 6 Eßlöffel Preßsaft, andere Zubereitungen entsprechend; [36] Fluidextrakt (1:1), mit Ethanol (20 %) 2 bis 4 mL 3mal täglich [38].
Nicht bekannt [36].
Nicht bekannt [36].
Nicht bekannt [36].
Bei akuter oder chronischer Bronchitis und Keuchhusten und speziell bei unproduktivem Husten; [38] bei Asthma und tuberkulösen Lungenkatarrhen [17], auch bei Erkältungen [39]. Weiter bei Durchfall, Gelbsucht, Schwächezuständen [39], [40], bei Fettleibigkeit [41] und in hohen Dosen als Abführmittel [39], [41], bei schmerzhaften Menstruationen und Frauenkrankheiten [40], [41], [42] und bei Herzrhythmusstörungen [41]. Zum Gurgeln bei Mund- und Halsentzündungen [12], [41], [44] und äußerlich bei Hautschäden, Geschwüren und Wunden[12], [41]. Die Wirkungen der sehr alten und traditionsreichen Droge sind weitgehend nicht belegt, sind aber z. T. auf Grund der Inhaltsstoffe plausibel.
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15.08.2010