R. Brenneisen
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A Anadenanthera colubrina (VELL.) BRENAN
D Anadenanthera-colubrina-Samen
A Anadenanthera peregrina (L.) SPEGAZZ.
D Anadenanthera-peregrina-Samen
Die Samen.
Stammpflanzen: Anadenanthera peregrina (L.) SPEGAZZ.
Herkunft: s. Verbreitung der Art Anadenantheraperegrina.
Ganzdroge: Vgl. Botanische Beschreibung der Art Anadenantheraperegrina.
Inhaltsstoffe: Im Samen wurden folgende Tryptaminalkaloide identifiziert: 5-Hydroxydimethyltryptamin (Bufotenin), 5-Hydroxydimethyltryptamin-N-oxid, Dimethyltryptamin, Dimethyltryptamin-N-oxid, 5-Methoxydimethyltryptamin. [2],[11]–[14] Möglicherweise sind die N-Oxide Artefakte [11]. Weiter wurde das β-Carbolinderivat 2-Methyltetrahydro-β-carbolin nachgewiesen [15]. Der mittels GC und GC/MS ermittelte Totalalkaloidgehalt der Samen von frisch geernteten Pflanzen betrug 209 mg/100 g getrocknetes Pflanzenmaterial, davon 75 % als Dimethyltryptamin, 19 % als 5-Methoxydimethyltryptamin und 6 % als 5-Hydroxydimethyltryptamin [5], [11].
Identitaet: Für die Aufnahme von qualitativen und quantitativen Profilen der wichtigsten Inhaltsstoffe im Drogenmaterial eignen sich die GC und GC/MS (GC-Bedingungen: SE-54 WCOT Fused-Silica-Kapillarsäulen, 25 m × 0,3 mm Innendurchmesser; 100 °C (1 min), 100 bis 260 °C (10 °/min); Helium, FID oder MS-Detektion) [10]. Der Nachweis isolierter Alkaloide, z. B. Bufotenin und Dimethyltryptamin, kann anhand von einfachen Farbreaktionen (Marquis), DC (Silicagel GF254, imprägniert mit 0,1 M-Kaliumhydroxidlösung; Methanol-konz. Ammoniaklösung (100+1,5); Detektion mit Dragendorff-, Iodoplateat-, Marquis- oder Van Urk-Reagenz) [16], GC, HPLC (C18-Reversed-Phase-Säule, 30 cm × 4 mm Innendurchmesser; Dioxan-0,1 M-Ammoniumcarbonatlösung (4+5), 1 mL/min; UV 280 nm) [17], UV-Photometrie, IR sowie MS durchgeführt werden [16]–[20].
Stabilität: Nach zwei Jahren Lagerung war in Samen nur noch 5-Hydroxydimethyltryptamin (Bufotenin) nachweisbar, welches teilweise auch durch Oxidation von Dimethyltryptamin und 5-Methoxydimethyltryptamin entstanden war [5], [11]. In rund 150jährigen Samen wurde mittels GC/MS ein Gehalt an Bufotenin von 15 mg/g Trockengewicht gemessen [10].
Wirkungen: s. Toxikologische Eigenschaften.
Distribution: Untersuchungen mit Drogenzubereitungen liegen nicht vor. Nach i. m. Applikation von 0,7 mg/kg KG Dimethyltryptamin am Menschen wurden mittels GC/MS nach 10 bis 15 min Plasmahöchstwerte von 154 ng/mL gemessen, was etwa 1,8 % der injizierten Dosis entspricht. Nach 1 h war im Blut praktisch kein Dimethyltryptamin mehr meßbar [21]. Bufotenin passiert die Blut-Hirn-Schranke nicht oder nur sehr schlecht [11], [22].
Elimination: Ein Versuch am Menschen mit 14C-markiertem 5-Hydroxydimethyltryptamin (0,2 bis 1 mg i. v.) ergab, daß die Elimination vollständig über die Nieren erfolgt und 100 % der Radioaktivität (bzgl. Dosis) im Urin gemessen werden können [23]. Nach parenteraler Applikation werden beim Menschen Dimethyltryptamin und 5-Hydroxydimethyltryptamin praktisch vollständig metabolisiert. Im Falle von Dimethyltryptamin wurden innerhalb von 6 h nur rund 0,1 % der verabreichten Dosis (0,7 mg/kg KG) unverändert im Urin wiedergefunden [16], [21]. Beim 5-Hydroxydimethyltryptamin betrug die Wiederfindung im menschlichen Urin 1 bis 6 % der verabreichten Dosis (0,2 bis 1 mg) [23]. Rund 70 % werden als freie und glucuronidierte 5-Hydroxyindolessigsäure (Hauptmetabolit) ausgeschieden [16], [23]. Aus einem Rattenversuch mit 5-Methoxydimethyltryptamin (2 mg/kg KG i. p.) geht hervor, daß die metabolische Desaminierung wie beim 5-Hydroxtryptamin (Serotonin) bevorzugt durch die MAO-A erfolgt[24]. MAO-Hemmung durch i. p. Verabreichung von 32 mg/kg KG Iproniazid erhöht die Halbwertszeit von Dimethyltryptamin in Rattenhirn und -leber [25]. Beim Menschen verdoppelt sich nach Gabe eines MAO-Hemmers (75 mg Iproniazid p. o.) die Urin-Ausscheidungsrate des endogenen Dimethyltryptamins, einem Aminosäuren-Stoffwechselprodukt [26]. Für Dimethyltryptamin wurde im Menschen ein weiterer, in Position 6 hydroxylierter Metabolit nachgewiesen, welcher mit einem Anteil von 5 bis 20 % der verabreichten Dosis im Urin ausgeschieden wird [27]. Sämtliche Anadenanthera-Hauptalkaloide unterliegen nach peroraler Verabreichung einem ausgeprägten First-pass-Metabolismus durch intestinale und hepatische MAO sowie hepatische mikrosomale Enzyme [11]. Dies erklärt die schlechte orale Wirksamkeit und die Bevorzugung der intranasalen oder rektalen Applikation in Form des Schnupfpulvers oder Klistiers [11] (s. Volkstümliche Anwendung).
Über das Suchtpotential des Yopo-Konsums liegen keine Angaben vor.
Das als „Yopo“ oder „Parica“ (auch für Virola-Schnupfpulver verwendeter Begriff [11]) bezeichnete Schnupfpulver wird im Orinoco-Bassin von Kolumbien und Venezuela, im nördlichsten Teil des brasilianischen Amazonas sowie im nördlichen Argentinien von Indianern als halluzinogenes Rauschmittel verwendet [2], [4], [6], [14]. Je nach Stamm und Gegend wird Yopo anders zubereitet. Gewöhnlich werden die Samen von Anadenanthera peregrina zuerst befeuchtet, zu einem Teig gewalzt und durch Rösten getrocknet. Nachdem man sie zu einem graugrünen Pulver zerrieben hat, werden sie mit alkalischer Pflanzenasche oder Kalk von Schneckenhäuschen vermischt [14]. Der Zusatz von basischen Stoffen setzt die Alkaloidbasen frei und erhöht damit die nasale sowie die rektale Absorptionsrate [11]. Andere Pflanzen werden nicht zugegeben [2], [4]. Über den Alkaloidgehalt des Yopo liegen keine Angaben vor. Im nördlichen Argentinien wird zur Herstellung des „Cébil“ genannten (in Südperu als „Vilca“, in Bolivien als „Huilca“ bezeichneten [2], [5]–[7]) und vermutlich bereits in präkolonialer Zeit von Indianern benützten Schnupfpulvers Anadenanthera colubrina verwendet [2], [4], [14]. Das Pulver wird mit speziellen Rohren in die Nase geblasen (auch gegenseitig), in die Augen und Ohren gestreut, rektal in Form von Klistieren appliziert oder auf die ganze Körperoberfläche aufgestreut [9], [11], [13], [14], [30]. Yopo wird zu gewissen Zeiten und jeden Tag eingenommen. Bei den venezuelanischen Cuiva-Indianern besteht zum Beispiel eine einzelne Dosis aus maximal 5 g, eine Menge, die 1- bis 3mal pro Tag appliziert wird und eine Wirkung von 15 min bis 2 h Dauer auslöst [31]. Besonders oft wird es von Medizinmännern verabreicht, um Trancezustände und Visionen hervorzurufen und mit Göttern in Kontakt zu treten [9]. Es soll auch Prophezeiungen ermöglichen, den Stamm vor Krankheiten schützen oder Jägern und Jagdhunden erhöhte Flinkheit und Wachsamkeit verleihen [4], [9].
Tox. Inhaltsstoffe und Prinzip: Das psychotrope Prinzip von Anadenanthera-Arten und daraus zubereiteter Schnupfpulver oder Klistiere ist primär auf die Tryptaminalkaloide 5-Hydroxytryptamin (Bufotenin) und Dimethyltryptamin zurückzuführen [30] und wird mit narkotisch-halluzinogen umschrieben [32].
Toxikodynamik: Yopo-Schnupfpulver. Verändert etwa 10 bis 15 min lang das Bewußtsein vollständig. Es kommt zur Ich-Auflösung, zu fantastischen mehrdimensionalen Visionen, zu Sterbe- und Wiedergeburtserlebnissen, Tierverwandlungen, erotischen Ekstasen und Flugerlebnissen [13], [33]. Oft beginnt die Intoxikation mit Kopfschmerz, Speichelfluß, Erbrechen und geht dann in eine Art Trancezustand mit Singen, Schreien, Stampfen und Tanzen über [34]. Die psychotrope Wirkung kann im Extremfall eine bis mehrere Stunden andauern [33]. Die abklingende Psychoaktivität geht in der Regel in eine Dysphorie (Katerstimmung) über [34]. In Probandenversuchen mit bis zu 1 g Anadenanthera-Schnupfpulver gelang es allerdings nicht, die psychotrope Wirkung nach intranasaler Applikation zu reproduzieren [33]. Dimethyltryptamin. Beim Menschen setzt die psychotrope Wirkung nach i. m. Applikation von 0,7 mg/kg KG bereits nach 2 bis 3 min ein, erreicht nach rund 10 min das Maximum und dauert rund 1 h [21]. Beim gesunden Probanden lösen 0,7 bis 1,1 mg/kg KG, i. m. verabreicht, Mescalin- und LSD-ähnliche psychotische Reaktionen aus [35]. 0,25 mg/kg KG i. m. erhöhen ähnlich wie Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC) die Psychotismuswerte (Psychotismus-Test nach Eysenck [36]). Beim Schizophrenen wirken 25 bis 50 mg i. m. psychoseverstärkend [27], [37]. Aufgrund eines ausgeprägten First-pass-Effektes (s. Elimination) löst Dimethyltryptamin bei peroraler Applikation in Dosierungen bis zu 350 mg keine halluzinogenen Effekte aus (gilt auch für 5-Hydroxy- und 5-Methoxydimethyltryptamin) [11], [33]. Dimethyltryptamin (50 bis 70 mg, i. v./i. m.) verursacht beim Menschen innerhalb von 15 bis 30 min vegetative Nebeneffekte wie zum Beispiel Mydriasis und Blutdruckerhöhung, welche nach 1 bis 2 h wieder abklingen [28]. 5-Hydroxydimethyltryptamin (Bufotenin). Die psychotrope Wirksamkeit dieses im Vergleich mit Dimethyltryptamin deutlich weniger lipophilen Alkaloids wird angezweifelt, da es offenbar die Blut-Hirn-Schranke nicht zu passieren vermag (s. Verteilung) [11], [22]. Nach intranasaler und parenteraler Applikation von 10 bis 20 mg wurden beim Menschen primär vegetative Reaktionen beobachtet [33]. 5-Methoxydimethyltryptamin. Nach dem Rauchen von 5 bis 10 mg (als Base suspendiert auf einer Tanacetum-vulgare-Zigarette) tritt die psychotrope Wirkung in weniger als 60 sec. ein, erreicht nach 2 bis 3 min das Plateau und verschwindet innerhalb von 20 min. Die psychotropen Effekte beinhalten den Verlust des Realitätsbezuges, Imaginationen und das Gefühl des Eingeschlossenseins und der Isolation [29], [38]. 5-Methoxydimethyltryptamin löst beim Menschen in einer Dosierung von 5 bis 10 mg i. m. Tremor und Mydriasis aus[29].
Acute Toxizität:
Mensch. Über Vergiftungsfälle bei der Anwendung von Yopo am Menschen liegen keine Angaben vor.
Toxikologische Daten:
LD-Werte. Die an der Maus gemessenen LD50-Werte von Dimethyltryptamin, 5-Hydroxydimethyltryptamin (Bufotenin) und 5-Methoxydimethyltryptamin betragen 110, 290 bzw. 115 mg/kg KG i. p [8].
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24.01.2013