Theodor Kartnig, Kerstin Hoffmann-Bohm
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D Epilobium-angustifolium-Kraut
D Epilobium-angustifolium-Wurzel
D Epilobium palustre hom. HAB 34
A Epilobium parviflorum SCHREBER
dt.:Feuerkraut, Kopnischer Tee, Weidenröschenkraut, Weidenröschentee; Rosebay herb, spiked willow herb, willow herb; Herbe de Neritte, Herbe de Saint Antoine; Erba Camenerio, Erba di Gombi-rossi, Erba Sfenize.
Die knapp vor oder während der Blütezeit gesammelten und getrockneten oberirdischen Teile.
Stammpflanzen: Epilobium angustifolium L.
Herkunft: Sammlung aus Wildbeständen; Hauptlieferländer sind die mittel-, südost- und osteuropäischen Länder.
Gewinnung: Lufttrocknung im Schatten.
Ganzdroge: Aussehen. Stengel 2 bis 8 mm im Durchmesser, rundlich bis schwach kantig, kahl oder nur sehr spärlich mit gekrümmten oder geraden Deckhaaren besetzt. Laubblätter 2,5 bis 20 cm lang und 0,4 bis 3,5 cm breit, im trockenen Zustand mit umgerolltem, nur entfernt und sehr klein gezähntem Blattrand. Oberseite dunkelgrün, Unterseite weißlichgrün. Seitennerven nur bei dieser Art regelmäßig und fast rechtwinkelig zum Hauptnerv angeordnet. Blattfläche, Nerven und Rand meist vollständig kahl. Der braungelbe Hauptnerv tritt an der Unterseite deutlich hervor. Einzelblüten violett bis rosa, vereinzelt auch weiß. Länge der Petalen ca. 11 mm, der Sepalen ca. 10 mm. Einzig bei dieser Art trägt die Kelchblattoberseite keine Haare oder Papillen und auch der Rand ist kahl. Unterseite mit angedrückten Haaren besetzt. Narbe an der Innenseite mit Haaren besetzt. Griffelgrund stark behaart [6], [9].
Schnittdroge: Geschmack. Schwach adstringierend. Geruch. Uncharakteristisch. Aussehen. Im Gesamteindruck grünlichbraun. Stengelstücke rundlich bis schwach kantig, 2 bis 8 mm im Durchmesser. Blattfragmente oberseits dunkelgrün, unterseits deutlich heller. Abzweigung der Seitennerven fast rechtwinkelig. Blattflächen meist vollständig kahl. Blütenfragmente violett bis rosa, selten weißlich. Kelchblattoberseite und Rand kahl. Narbeninnenseite und Griffelgrund behaart.
Mikroskopisches Bild: Blatt bifacial, Epidermiszellen beider Seiten polygonal bis schwach buchtig. Oberseits keine, unterseits zahlreiche Spaltöffnungen, meist anomocytisch. Hauptnerv mit bicollateralem Leitbündel. Im Mesophyll im unmittelbaren Bereich der Gefäßbündel Idioblasten (Schleimzellen) mit bis etwa 150 μm großen Raphiden, die die Zelle meist nicht zur Gänze ausfüllen. Die Intercostalflächen raphidenfrei. Selten Einzelkristalle. Kelchblattoberseite kahl, Unterseite mit angedrückten Deckhaaren. Kronblätter fast ohne Haare; Raphiden. Narbeninnenseite mit Haaren besetzt, die eine auffällige, kugelige Endzelle aufweisen. Außenseite der Narbenschenkel mit isodiametrischen bis rechteckigen Zellen mit seitlichen Ausbuchtungen. Griffelgrund stark behaart. Pollen rötlich, einzeln.
Pulverdroge: Mikroskopisches Bild. Grünbraunes Pulver mit zahlreichen Blatt- und Stengelfragmenten sowie relativ wenigen Blütenfragmenten. Epidermisteile mit anomocytischen Spaltöffnungen. Fragmente mit Idioblasten (Schleimzellen), Raphiden enthaltend. Fragmente der Kelchblätter mit Deckhaaren.
Verfälschungen/Verwechslungen: In der Literatur finden sich keine Hinweise auf etwaige Verfälschungen.
Minderqualitäten: In der Droge sollte der Anteil an derben Stengelstücken gering sein.
Inhaltsstoffe: Flavonoide. Die getrocknete Droge enthält ca. 1,5 % Flavonolglykoside [14]. Es kommen die gleichen Verbindungen wie in den frischen Blättern und Blüten vor (s. → E. angustifolium) [17]. Leucoanthocyane [21] . Gerbstoffe. Hydrolysierbare Gerbstoffe, und zwar Gemische von Polygalloylglucosen, die Penta-O-galloylglucose als gemeinsamen Baustein und 2 bis 8 zusätzliche, depsidisch verknüpfte Galloylreste enthalten [22], [23]. Der Gerbstoffgehalt der Blätter beträgt ca. 12 %. In den Blättern wurden ferner 2 Ellagitannine, 2,3-Digalloyl-4,6-hexahydroxydiphenoylglucose und 1, 2,3-Trigalloyl-4,6-hexahydroxydiphenoyl-β-D-glucose (= Tellimagrandin I und II) nachgewiesen [24]. Lektine. In den Blüten sollen Lektine vorkommen [25], [26]. Sterole. Aus der getrockneten Ganzpflanze wurden β-Sitosterol, β-Sitosterolcaprat, β-Sitosterolcaproat, β-Sitosterolcaprylat, β-Sitosterol-β-D-glucosid, β-Sitosterolpalmitat, β-Sitosterol-6′-O-palmitoyl-β-D-glucosid, β-Sitosterolpropionat und β-Sitosterol-6′-O-stearyl-β-D-glucosid isoliert. Die Gesamtmenge an β-Sitosterolderivaten, ber. als β-Sitosterol, beträgt 0,40 %, bez. auf das Trockengewicht. Untersuchungen zur Verteilung der β-Sitosterolderivate in verschiedenen getrockneten Pflanzenteilen (Blatt, Blüte, Samen, Stengel) ergaben folgendes: Die Blätter enthalten alle oben angegebenen β-Sitosterolverb., die Blüten und Samen alle außer β-Sitosterolcaproat und -propionat, während die Stengel nur β-Sitosterol, β-Sitosterol-β-D-glucosid und die beiden β-Sitosterol-6′-O-acyl- β-D-glucoside enthalten; Freies β-Sitosterol ist in allen Pflanzenorganen die Hauptverbindung, wobei die Konzentration in den Blättern am höchsten ist (keine Zahlenangaben) [16]. Triterpensäuren. Aus den getrockneten Blättern wurde ein Gemisch aus 2-α-Hydroxyoleanolsäure, 2-α-Hydroxyursolsäure, Oleanolsäure und Ursolsäure in einer Ausbeute von ca. 1,5 % isoliert[27].
Identitaet: Erstellung von drei DC-Fingerprints: [28] Untersuchungslösung: Methanolischer Drogenauszug; Referenzsubstanzen: Hyperosid, Isoquercitrin; Sorptionsmittel: Kieselgel 60; FM: Ethylacetat-Ethylmethylketon-Ameisensäure-Wasser (40+45+10+5); Detektion: Direktauswertung im UV 366 nm (= Fingerprint 1); Besprühen mit Diphenylboryloxyethylamin (Naturstoff-Reagenz nach NEU), Auswertung im Vis (= Fingerprint 2) bzw. im UV 366 nm (= Fingerprint 3); Auswertung: Anhand der Referenzsubstanzen Hyperosid (Rf 0,53) und Isoquercitrin (Rf 0,64) Nachweis eines charakteristischen Fleckenmusters. DC-Fingerprints sind zum Vergleich in Lit. [28]angegeben.
Verwendung: Als Teesurrogat (Kopnischer Tee) und Gemüse.
Wirkungen: Antiphlogistische und antiexsudative Wirkung. Der 2 h vor Ödeminduktion p. o. applizierte wäßrige Auszug (5 g Droge in 150 mL Wasser) bewirkt in einer Dosierung von 1 mL/100 g KG am Carrageenan-induzierten Rattenpfotenödem eine signifikante Ödemhemmung [29]. Der methanolische Auszug zeigt eine deutlich schwächere Wirkung [29]. Beim Dextran T 70-induzierten Rattenpfotenödem trat keine Wirkung auf, was als Hinweis auf die Hemmung der Prostaglandinbiosynthese durch den wäßrigen Auszug aus E. angustifoliuminterpretiert wird [30]. Auszüge aus anderen Epilobium-Arten (E. adenocaulon HAUSSKN., E. roseum SCHREB.,E. parviflorum SCHREB., E. montanum L., E. hirsutum L., E. dodonaei VILL.) zeigten keine bzw. eine wesentlich geringere Wirkung [31]. Der wäßrige Auszug aus der Droge (5 mg/mL Badflüssigkeit) bewirkt am Modell des isolierten, perfundierten Kaninchenohres [32] eine signifikante Hemmung der durch 10 μg Calcium-Ionophor A 23187 stimulierten Freisetzung bzw. Bildung der Prostaglandine PG D2, PG E2 und PG I 2 [29]. Wirksames Agens ist Myricetin-3-O-β-D-glucuronid. Sein antiexsudativer Effekt am Carrageenan-induzierten Rattenpfotenödem ist etwa 10mal so stark (ED50 = 40 μg/kg KG p. o.) wie der von Indometacin, die PG-Hemmung am perfundierten Kaninchenohr (IC50 = 0,2 μmol/L) entspricht der von Indometacin [10]. Antimikrobielle Wirkung. Eine 10 %ige Suspension der frischen oberirdischen Teile in ca. 15 %igem Ethanol hemmt in einer Verdünnung von 1:5 in vitro die Vermehrung eines Bakteriophagen von Pseudomonas pyocyanea. Der Effekt ist insgesamt schwach ausgeprägt und liegt in einem Bereich, in dem bereits antibakterielle Effekte auftreten. Im bebrüteten Hühnerei hemmen 0,2 mL Suspension, 1 h vor Viruseinsaat appliziert, die Vermehrung von Influenza A-Viren. Die Wirkungsstärke soll von den verwendeten Pflanzenteilen abhängig sein. Die höchste Aktivität sollen Zubereitungen aus den Früchten, gefolgt von solchen aus Blüten und aus Blättern aufweisen. Experimentelle Angaben fehlen. Die Wirkungen sind durch Proteinzusatz, z. B. 10 % Serum, aufhebbar und nur in proteinfreiem Medium zu beobachten. Die Autoren schließen daraus, daß die Wirkungen auf Gerbstoffe zurückzuführen und ausnutzbare chemotherapeutische Effekte unwahrscheinlich sind [33]. Tinktur und Fluidextrakt sollen eine antimikrobielle Wirkung gegen Candida albicans,Staphylococcus albus und Staphylococcus aureus aufweisen. Die Befunde sind wegen unzureichender experimenteller Angaben nicht interpretierbar [34]. Der Trockenrückstand eines auf Filterpapierscheiben aufgebrachten Mazerates mit Ethanol 70 %, entsprechend etwa 400 μg Rückstand/Filterpapierscheibe, wirkt im Agar-Diffusionstest schwach antimikrobiell gegen Bacillus subtilis, Escherichia coli, Mycobacterium smegmatis,Shigella flexneri, Shigella sonnei und Staphylococcus aureus [35]. Tumorhemmende Wirkung. Als „Chanerol“ und „Chanerozan“ bezeichnete, chemisch nicht exakt definierte Extraktfraktionen zeigten bei Mäusen und Ratten nach i. p. Applikation gegen verschiedene transplantierbare Tumore tumorhemmende Wirkungen. Der tumorhemmende Effekt verschwand wenige Tage nach Absetzen der Medikation. Die zur Tumorhemmung im Tierversuch nötige Dosierung liegt im Bereich der LD50 [25], [26], [36].
Innerlich: Miktionsbeschwerden bei benigner Prostatahyperplasie (= Prostataadenom), Stadium I bis II. Die experimentellen pharmakologischen Daten zur antiphlogistischen und antiexsudativen Wirkung liefern Hinweise auf die mögliche therapeutische Eignung. Eine klinische Prüfung der Wirksamkeit scheint lohnend. Weitere innerliche Anwendungen: Wäßrige Auszüge pulverisierter Droge gegen Magen- und Darmentzündungen sowie Schleimhautläsionen im Mund. Von den Cheyenne-Indianern Montanas gegen rectale Blutungen [37]. In der chinesischen Volksmedizin bei Menstruationsstörungen [38]. Äußerlich: Der wäßrige Extrakt zur Verbesserung der Wundheilung. Die Wirksamkeit bei den genannten Anwendungen ist gegenwärtig nicht belegt.
Acute Toxizität:
Tier. „Chanerol“ besitzt bei Mäusen einen LD50-Wert i. p. von 10 bis 15 mg/kg KG, bei i. v. Verabreichung von 14 mg/kg KG [36].
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15.08.2010