Menkes-Syndrom

Definition:

    • X-chromosomal-rezessiv vererbte Kupferstoffwechselstörung mit charakteristischem Kräuselhaar + weiteren systemischen Symptomen => ca. 1 :100 000-250 000 aller Neugeborenen bzw. ca. 0,8-2 pro 100 000 männlicher Neugeborener
    • Synonyme: kinky-(steely-)hair-disease / Trichopoliodystrophie

Pathogenese:

    • Mutation MNK- bzw. ATP7A-Gen im langen Arms X-Chromosom (Xq13.3) => kodiert eine transmembrane Kupfertransportierende Adenosin-Triphosphatase vom P-Typ (ATPase) => relativ großes Gen (23 Exonen, 150 kb mit 4,5 kb kodierender Region) => bisher >200 verschiedene Mutationsorte, -formen bekannt => ausgeprägte Variabilität im Phänotyp
    • v.a. Störung im Golgi-Apparat Zellen => Folge ist Fehlverteilung des im Stoffwechsel wichtigen Kupfers => Kupferabgabe bei normaler Kupferaufnahme gestört + Kupfer wird nicht bzw. nur unzureichend in verschiedene Enzyme eingebaut => Aktivität Kupfer enthaltender Enzyme vermindert z.B. Cytochrom-C-Oxidase (Energiestoffwechsel Mitochondrien) / Lysyl-Oxidase (Synthese Elastin, Keratin) / Superoxid-Dismutase (Antioxidanz) / Dopamin-Beta-Hydroxylase (Synthese Dopamin) / Ascorbinsäure-Oxidase bzw. Tyrosinase (Skelettstoffwechsel + Pigmentbildung)
    • Kupfer im Plasma, Leber, Hirn vermindert => in Darmschleimhaut, Muskeln, Milz, Nieren, Plazenta vermehrt => Überschüssiges Kupfer an Metallothionin gebunden => u.a. Neurodegeneration (Thalamus, Kleinhirn) bzw. Agenesie Corpus callosum
    • Vereinzelt beobachtetes Auftreten bei Mädchen => durch X-Autosom-Translokation mit XO/XX-Mosaik bzw. infolge gestörter Lyonisierung (Inaktivierung X- Chromosoms)

Klinik:

    • klassische Form: nach Frühgeburt in ersten Lebenswochen zu Fütterungsschwierigkeiten / Gedeihstörung / allgemeiner Entwicklungsverzögerung / hypotone, schlaffe Muskulatur / verstärkter Ikterus / hämorrhagische Diathese / kongenitale Knochenbrüchen => charakteristische Haare meist noch nicht erkennbar => nach zwei bis drei Monaten: zerebrale Anfälle / episodenhafte Hypothermie + Hypoglykämie => meist Progredienz bis 3 Lj. mit letalem Ausgang (infolge gestörte T-Zellfunktion Meningitis / Sepsis)
    • charakteristische Haare: hell (depigmentiert) / spärlich / struppig / putzwolle-artig => Haarschäfte korkenzieherartig gedreht (Pili torti bzw. Molilethrix) => brechen leicht ab (Trichorhexis nodosa) => Augenbrauen + Wimpern evlt. ebenfalls betroffen
    • häufig seborrhoische Dermatitis (Milchschorf, Ekzem) / Gesicht mimikarm, schlaff, ausdruckslos / Wangen pastös ausgeprägt / Nasenwurzel niedrig / Mund leicht geöffnet / vorgewölbte Lippen („karpfenmaul-ähnlich“) / Mikrogenie / hoher Gaumen / Zahnleisten breit
    • Anomalie Röhrenknochen => Auftreibung Metapyhysen / Osteoporose (ähnlich Skorbut) / Wirbelanomalien / Auftreibung Rippen (rosenkranz-artig) / Thoraxdeformität (Pectus excavatum) / vermehrt Schaltknochen im Bereich Schädelnähte
    • Augenhintergrund mit blasser Sehnervenpapille / Mikrozysten im Pigmentepithel bzw. Iris
    • zusätzlich Hydronephrose / Hydroureter / Megazystis + Divertikelbildung (Rupturgefahr) / Rektusdiastase / Leistenhernien / Kryptorchismus
    • seltener Ataxie / Tremor / Dystonie (mit abnormen unwillkürlichen Bewegungen) / Demenz / geistige Retardierung
    • im Verlauf geringe Entwicklungsfortschritte bei schwer ausgeprägten Mehrfachbehinderung => evtl. Hirndrucksymptome mit Erbrechen, Unruhe, Bewusstseinsveränderung, Krämpfe => CAVE subdurales Hämatom
    • Occipital-Horn-Syndrom: tastbare Verkalkung am Hinterhaupt + Ansatz Trapezmuskels + M. sternocleidomastoideus => ausgeprägte Bindegewebsschwäche / überstreckbare Gelenke / sehr schlaffer, übermäßig elastischer Haut (Cutis laxa, Ehlers-Danlos-Syndrom) / hämorrhagische Diathese / geistige Retardierung / seltener Hernien, Blasendivertikel, Skelettanomalien

Diagnose:

    • Klinik / Erniedrigung Kupfer + Coeruloplasmin (Serum, CAVE erst nach 2-8 Wochen postnatal) / Kupfer (Urin) verringert bzw. normal => Beweisend: verminderte Aufnahme Cu64 in kultivierten Fibroblasten + molekulargenetische Untersuchung mit Nachweis Mutation auf X-Chromosom
    • EEG (multifokal hypersynchrone Potentiale, evtl. Hypsarrythmie mit BNS-Krämpfe) / Ableitung visuell evozierter Potentiale (Amplituden niedrig bzw. keine Reaktionen) / MRT (Hirnatrophie + erweitertes Ventrikelsystem, evtl. subdurale Hämatom bzw. Ergüsse) / Funktion Sinnesorgane (Augenhintergrund) / Überprüfung Entwicklungsstand
    • pränatale Diagnose Nachweis vermehrter Kupfergehalt in Amnionzellen bzw. Chorionzotten bzw. Mutationsanalyse (bei entsprechenden Hinweisen in Familie)

DD:

    • Ähnliche Haarveränderungen => Biotinmangel / Mitochondriopathien / Pollitt-Syndrom
    • M. Wilson: autosomal rezessiv hepatolentikuläre Degeneration => Synthesedefekt Coeruloplasmin => pathologische Kupfer-Speicherung in Leber / Stammganglien / Cornea (Kayser-Fleischerscher Cornealring) => im Kindesalter Fieberschübe mit Hämolyse + Ikterus / kolikartige Bauchmerzen

Therapie:

    • täglich parenterale Zufuhr von Kupfer-Histidin / Frühförderung / genetische bzw. Familienberatung / antikonvulsive Therapie

Prognose:

    • bei klassischer Form schlecht (<3 Lj.) / ansonsten sehr variable Prognose bei verschiednen Varianten