Der an sich mutige Beitrag des Paritätischen Wohlfahrtsverbands (PW) mit dem Titel »Hartz IV hinter uns lassen«, hat natürlich auch seine Ecken und Kanten.
Da die etablierten politischen Parteien sich in letzter Zeit kritisch zu Hartz4 äußerten, macht es jetzt auch der Wohlfahrtsverband. - Aber sollte er nicht unabhängig vom Verhalten der Parteien immer sachlich Stellung beziehen?
Außerdem muss man wissen, wenn jetzt die Vorschläge des Verbandes zu bewerten sind, dass der PW sich in den letzten Jahren immer gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen hat.
Mutig ist der Beitrag dennoch und sachlich interessant, weil viele Fakten erwähnt werden und so ein gutes Gesamtbild entsteht, wie die Lage der Menschen ist, die ohne Geld dastehen und sich an den Staat wenden, zwecks Hilfe.
Auch wird in dem Text der Begriff »negatives Menschenbild« verwendet und es geht plötzlich um die »Würde des Menschen«. Beides hatte doch erst in der Grundeinkommen-Diskussion so richtig Aufmerksamkeit erlangt. So scheint die Auseinandersetzung mit dem Grundeinkommen auch Einfluss auf die Wahrnehmungswelt der Grundeinkommen-Distanzierten zu haben.
Allerdings hat der Verband alte, überkommene Orientierungen beibehalten, was schade ist. So müsste man eigentlich von einer Wohlfahrtseinrichtung erwarten, dass sie weiß, was »Hilfe« ist, und wie die Grenze zur »Einmischung« und Bevormundung, oder gar »Missbrauch« zu ziehen ist. - Außerdem sprechen sie von »Abschaffung der Sanktionen«. sagen aber nicht, wie das funktionieren soll, in einem Staat, der maßgeblich darauf baut, dass ein »Niedriglohnsektor« existiert. Der Niedriglohnsektor Deutschlands ist der größte Europas, und er würde zusammenbrechen, wenn das Sanktionssystem bei Hartz4 abgeschafft wird. – Denn wer arbeitet dann noch zu schlechten Löhnen und schlechten Arbeitsbedingungen, wenn alle wissen, sie könnten auch »ohne Arbeit« ein sanktionsfreies Mindesteinkommen haben?
Insofern ist die Aussage der Organisation bestenfalls »blauäugig«, aber es ist eher zu vermuten, dass sie ganz genau wissen, dass die Sanktionen niemals abgeschafft werden können, ohne dass das Wirtschaftssystem in Deutschland komplett in Frage gestellt wäre. Dann wäre es aber kaltes Kalkül, etwas zu fordern, was sowieso chancenlos ist. Man stellt sich positiv dar, ohne etwas zu riskieren. – Die anderen werden es schon verhindern.
Denn der Paritätische will an der »Arbeitsgesellschaft« festhalten. - Wieso eigentlich? Kann eine Gesellschaft nicht etwas anderes sein, als nur arbeitswütig? Für den Wohlfahrtsverband scheinbar nicht. - Der Sozialstaat und die Sozialversicherungen sollen reformiert, geflickt, ausgebessert oder repariert werden. - Aber eine gänzlich neue Perspektive auf die Gesellschaft, ohne die Arbeit in den Mittelpunkt zu stellen, wollen sie nicht! - Deshalb hat das Grundeinkommen beim Paritätischen Wohlfahrtsverband auch keine Chance.
Der PW fordert eine Erhöhung des Regelsatzes bei Hartz4. Das ist absolut berechtigt. Bloß wer setzt das um? Da der Verband immer »im Gleichschritt« mit der etablierten Politik läuft, bleibt es halt bei Forderungen. – Man hat nach außen hin, für die Presse, sich »für das Gute« eingesetzt und etwas »gefordert«, und das war es. Mehr ist eh nicht drin, werden sich die Funktionäre sagen. – Aber können wir auf diese Weise Gesellschaften gestalten?
Problematisch ist das Kapitel in der Broschüre, bei der es um die »Hinführung« zur Arbeit geht. Da trieft nur so der Geist der »Arbeitsgesellschaft« aus dem Schriftstück. Bei allen Ausführungen in diesem Kapitel fehlt immer der Aspekt der »Freiwilligkeit«. Egal, was der Verband da anspricht, Qualifizierung, Weiterbildung, Chancen, Interessierte, Möglichkeiten, alles ist nur und ausschließlich unter dem Aspekt der Freiwilligkeit zu sehen. - Und der ist in einer Gesellschaft ohne »Entkopplung von Arbeit und Einkommen« nicht vorhanden!
Wenn das Sanktionssystem weiterhin besteht, ist die »Hinführung zur Arbeit« eine Einmischung in die Lebensplanung der Menschen. Und der »Arbeitsbegriff« beim Paritätischen Wohlfahrtsverband ist immer noch der alte. Sonst käme man nicht auf die Idee, einen Arbeitsmarkt zu »fördern« oder von »öffentlich geförderter« Beschäftigung zu sprechen. - Aber wie sich Menschen »beschäftigen« ist Privatsache. Und ein Arbeitsmarkt sollte sich nur insofern entwickeln, wie es sinnvolle Aufgaben gibt, für deren Lösung sich Menschen freiwillig zusammenfinden. In der Hinsicht braucht nichts »gefördert« zu werden. – Aber da zeigt es sich, dass für den Wohlfahrtsverband Arbeit zum Selbstzweck gerät. Nicht was sinnvoll ist, soll gearbeitet werden, sondern alle sollen arbeiten wollen. - Das ist die Ideologie nicht nur im Wohlfahrtsverband.
Der Arbeitsmarkt ist jedoch kein Selbstzweck. Da aber viele Menschen und Organisationen das Einkommen nicht von der Arbeit trennen wollen, gerät er dazu. Arbeit wird zum Selbstzweck, wenn alle nur noch auf das dahinterstehende Geldeinkommen schielen. – Dann ist der Sinn der Arbeit plötzlich unwichtig.
Ein guter Beitrag des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zur aktuellen Lage der Menschen in Geldnot, weil er sich an vielen Fakten orientiert. - Aber die Ideologie, die der Verband vertritt ist die alte: die Arbeitswelt soll weiterhin im Mittelpunkt des Lebens stehen und Arbeit soll nicht von Einkommen getrennt werden. – Die Frage ist dann, wie wollen wir uns weiter entwickeln?