Dein Wort - meine Freude

(Ein betrachtendes Gebet zur Schriftlesung)



Seit ich die Quelle entdeckt habe,

mag ich nur dort meinen Durst noch löschen.

Seither schmeckt mir schal,

was sonst angeboten wird.

Seit ich dort schöpfe, kann ich beurteilen, was zählt.

Seit ich dort trinke, weiß ich, wonach Bekömmliches schmeckt,

weiß ich, was Unbekömmlichem fehlt.

Ich bin an den Ur-Quell geraten, ohne den es nichts gibt,

was Durst stillt und Durst macht.

Meine Quelle löscht mir den Durst -

und macht mich auch durstig.

Weil ich meine Quelle nie ausschöpfen kann,

kann ich auch mit dem Schöpfen nie aufhören.

Weil dieses Wasser aus Gottes Ewigkeit kommt

und in Gottes Ewigkeit strömt,

werde ich ewigkeitslang schöpfen und trinken,

Ich schöpfe mit keinem Gefäß. Ich selbst bin ein Gefäß.

Meine Hand ist das Zeichen.

Sie ist klein und birgt nur wenig.

Während der Mund trinkt, rieselt das meiste

durch meine Finger hindurch.

Das ist gut so, damit ich schluckweise trinke.

Nur schluckweise kann ich schmecken und schauen,

wie lieb der Herr ist.

Dein Wort ist mir zur Quelle des Lebens geworden.

Dein Wort ist meine Freude und meine Kraft.

Dein Wort, das bist Du selbst.

In Deinem Wort finde ich Dich.

In Deinem Wort schenkst Du Dich mir.

In Deinem Wort sprichst Du mich an,

damit ich antworten kann.

In Deinem Wort bekommst Du für mich

Gestalt und Gesicht.

Dein Wort macht mir die Welt durchsichtig.

Dein Wort lässt mich Dir entgegenlaufen.

Dein Wort ist mir nahe und auch fern.

Dein Wort begleitet mich und ist mir erwartend voraus.

Wie mein Leben, so steht auch auch Dein Wort für mich

im Licht wie im Schatten, im Sturm und im Regen;

die Nacht kann es verdunkeln, ein Morgen aufleuchten lassen,

ein Nebel kann es einhüllen

und durchbrechende Sonne wieder ganz nah machen.

Aber ich weiß, Dein Wort bleibt, weil Deine Liebe bleibt.

Du selbst kommst im Wort auf mich zu.

Sobald ich es merke, wird die ganze Welt rund.

Du hälst sie ja in der Hand.

Du umschließt sie mit Deinem Herzen.

Weil ich das weiß, komme ich immer wieder ins Lot.

Aber wenn ich in Deinem Wort Dein Herz schlagen höre,

dann bin ich still wie ein Kind

und froh wie ein Kind.

Dann ist mein Glück voll - und ich möchte

Dir vor lauter Dank und Jubel einen Kuss geben.

Du machst mir die Welt auf Dich hin durchsichtig.

Du durchschaust auch mich und sagst mir, was mir nottut.

Irgenwann werden wir alle eingesammelt dein

in Dein Wort, das bleibt - zwischen Alpha und Omega.

(Bei der Betrachtung der Darstellung "In der Schrift lesende Nonne" an einem Kapitell, Heiligenstadt im Eichsfeld, 12. Jh.)



Weitere Gebete, Andachten und Betrachtungen siehe : Gebete