3.2.4 Welche Herausforderungen können entstehen?

Maximilian Stoller unterrichtet Deutsch, Sport und Musik an der Rennbuckel-Realschule in Karlsruhe, die sich auf den Einsatz von Medien spezialisiert hat. Er schloss sein Studium im Fach Medienpädagogik ab und unterrichtet dies nun als Erweiterungsfach. Um mehr über seine Erfahrungen, Herausforderungen und mögliche Grenzen der von Lernenden erstellten Bücher zu erfahren, wurde ein Interview mit ihm geführt.

"In unserer Schule haben alle SchülerInnen ab der achten Klasse ein eigenes iPad, das sie zu jeder Zeit in der Schule benutzen dürfen. In meinem Deutschunterricht lesen alle AchtklässlerInnen das Buch Tschick von Wolfgang Herrndorf ein Meisterwerk der Jugendliteratur."

Im Zusammenhang mit diesem Literaturprojekt wurden die AchtklässlerInnen gefordert, ein Handbuch über das Lesen von Literatur in Form eines Lesetagebuchs zu erstellen. Dieses wurde mithilfe der Book Creator-App zusammengefügt, die auf den iPads installiert wurde. Zusätzlich hatten sie natürlich die Freiheit, weitere Apps ihrer Wahl zu nutzen. Sprachaufnahmen, Graphiken, selbst erstelltes Videomaterial und Gedichte wurden in die eBooks aufgenommen, indem Screenshots oder Hyperlinks zu Vimeo oder anderen Videoplattformen im Internet integriert wurden.

Max Stoller, by Blachura & Spanka

Die Lesetagebücher der SchülerInnen können mit Portfolios verglichen werden, die den individuellen Schreibverlauf der SchülerInnen visualisieren und ihren Arbeitsablauf spiegeln. Die Lese-, Sprach- und Hörfähigkeiten sowie der Umgang mit verschiedenen Textsorten und natürlich die Sprachreflexion selbst bezeichnen die Kernkompetenzen des Unterrichtsfaches Deutsch. Durch den Gebrauch von Videos (z.B. Rollenspiele), Audioaufnahmen, Bildern oder Zeitungsartikeln kann das Lesetagebuch als ganzheitliches Konzept verstanden werden, das ein breites Spektrum verschiedenster Grundkompetenzen abdeckt. Außerdem ist es von Vorteil, dass es den Lernenden das Verständnis des Romans Tschick erleichtert. Um dieses Ziel zu erreichen, haben die Lernenden die Möglichkeit, aus einer großen Vielzahl von Materialien und Aufgaben auszuwählen, die mit dem Roman in Verbindung stehen. Diese werden ihnen in einem iTunes U-Kurs zur Verfügung gestellt.

Obwohl die AchtklässlerInnen sowohl optionale als auch obligatorische Aufgaben hatten, durften sie ihre Tätigkeiten selbst auswählen und auch bis zu einem gewissen Grad entscheiden, wann und wie sie diese erledigten. Diese Aufgaben wurden unter Berücksichtigung der Erkenntnisse kognitive und konstruktivistischer Lerntheorien erstellt. Um schülerInnenzentrierte Materialien und Aufgaben zu konzipieren, nutzte ich bereits etablierte handlungs- und produktionsorientierte Techniken, die wichtige Grundlagen der modernen Fremdsprachenlehrmethodik bilden. Zusätzlich wurde Günter Waldmanns didaktischer Ansatz der kreativen Textrekonstruktion – eine meiner Lieblingsmethoden – übernommen. Diese eignet sich besonders für die Arbeit an lyrischen Texten.

Während manche Aufgaben und Tätigkeiten nur in Kleingruppen durchgeführt werden konnten, war die Art der Bearbeitung den Lernenden freigestellt. Die eingesetzte Technologie ermöglichte es den Lernenden, auch außerhalb des Klassenzimmers an ihren Projekten zu arbeiten, was von ihnen sehr geschätzt wurde.

Die SchülerInnen wurden ermutigt, selbst nach Materialien zu suchen, aber auch von der Lehrkraft durch bereitgestellte Texte, Videos und Hyperlinks unterstützt. So wurde ihre Arbeit, nachdem sie sich mit der App für die Zusammenstellung des eBooks vertraut gemacht hatten, zunehmend selbständiger. Während des Kurses wurde ich als Lehrer langsam zum Coach und Peer.

Während des Projektes gab es eine Feedbackphase, die in Form eines Museumsgangs durchgeführt wurde. Hier hatte die Lehrkraft die Möglichkeit, den SchülerInnen in mündlicher oder schriftlicher Form Feedback zu erteilen. Die Benotung des Projektes wurde in Teilen durch "förderndes Beurteilen" ersetzt. Das bedeutet, dass es den Lehrkräften möglich war, den SchülerInnen verbales Feedback zu geben und ihnen so dabei zu helfen, ihre Texte zu optimieren. Dieses Feedback wurde aufgenommen und stand den Lernenden somit als Sprachnachricht jederzeit zur Verfügung.

Da wir seit 2014 eBooks erstellen, hat sich die Qualität in Bezug auf Aufgabenstellungen und eingesetzte Sozialformen sichtlich verändert. Um herauszufinden, wie ein Lesetagebuch auf die beste Art und Weise erstellt werden kann, haben wir stets an den Parametern gearbeitet. Im ersten Jahr des Projektes bildete das Erstellen eines solchen Lesetagebuches die einzige projektorientierte Einheit. Jedoch ermutigten uns die Erfahrungen, diese Lernmethode – mit allen Vor- und Nachteilen – in den regulären Unterricht mit einzubeziehen. Eine solche Einheit umfasst meist eine Zeitspanne von vier bis sechs Wochen und beinhaltet, wenn möglich, Schulferien, da die Erfahrung gezeigt hat, dass viele SchülerInnen eine größere Kreativität beim Erstellen ihrer eBooks zeigen, wenn sie genug Zeit und Freizeit haben.

Die eBooks unserer SchülerInnen wurden aufgrund von Urheberrechts- und Lizenzproblemen noch nicht im iBook Store veröffentlicht. Da sich viele SchülerInnen der rechtlichen Probleme nicht bewusst waren, wurde das Thema ausführlich im Unterricht besprochen. Die Veröffentlichung der eBooks war jedoch auch nicht mein Hauptziel, da die Lesetagebücher eher als Portfolios dienten, die im Gegensatz zu Sachbüchern eine Orientierung am Prozess anstelle am Produkt aufweisen.

Die SchülerInnen reagierten auf unterschiedlichste Weise auf dieses Projekt. Die meisten entwickelten während der Veröffentlichung ihrer eBooks zunehmend mehr Eigenmotivation – allerdings wurden ihnen auch klar, dass sie, im Gegensatz zum regulären Deutschunterricht, auch wesentlich mehr Zeit, Fleiß und Energie investieren mussten. Den Eltern gefiel das Projekt ebenfalls gut, da ihre Kinder sehr stolz auf das fertige Produkt waren und auch die Kollegen/Kolleginnen von den guten Ergebnissen positiv überrascht waren.

Das Erstellen eines Lesetagebuchs in Form eines eBooks kann nicht mit dem Erstellen eines eBooks verglichen werden, das sich beispielsweise mit der Geschichte des Jazz beschäftigt. Während der Fokus des letzteren klar auf der Veröffentlichung im iTunes Store liegt, ist ersteres nicht für die externe Nutzung gedacht, da es stark prozessorientiert ist. Die Lernenden integrieren all ihre Materialien, Ergebnisse, Gedanken und Assoziationen in ein solch multimediales eBook. Dadurch bietet sich ihnen die Gelegenheit, ihren Text mit Graphiken, Hyperlinks, Videosequenzen, anderen Textfragmenten, Tonaufnahmen und Interviews zu versehen. Ihre kognitiven Fertigkeiten und ihr Literaturverständnis werden ebenfalls angeregt. Die schwierige Aufgabe der "Interpretation" wird somit von den Lernenden intuitiv bearbeitet. Zusätzlich werden Gedanken- und Assoziationsnetzwerke gesponnen, die den Bezug zur Realität herstellen.

Das didaktische Konzept wird dann durch Theorien über den Schreibvorgang verstärkt. Wenn SchülerInnen Texte über Bücher und Literatur bewusst verfassen, erreichen sie die Stufe des "epistemischen" oder "erkenntnisbildenden" Schreibens im "Schreibentwicklungsmodell" nach Bereiter (1980). Nach seinem Stufenmodell trägt das Zusammenstellen eines Portfolios zu einer Verbesserung der Schreibfertigkeiten auf jeder der fünf Stufen bei.

Natürlich muss ein Zustand mentaler Ermüdung auf jeden Fall vermieden werden. Auf die Einführung der Book Creator-App reagierten manchen SchülerInnen eher ablehnend. Das kann an einer Reihe von Gründen liegen, wie z.B. der fehlenden Benutzerfreundlichkeit sowie dem eingeschränkten editorischen Potenzial. Allerdings ist die Fertigung eines eBooks mit Programmen wie iBook-Author nicht nur zu komplex für viele SchülerInnen, sondern erfordert außerdem einen Mac, Laptop oder Computer. Diese sind oftmals jedoch nicht ausreichend vorhanden.

Eine weitere Einschränkung des eBook-Projektes ist die "Copy-and-Paste-Mentalität" vieler SchülerInnen. Zur Vermeidung von Urheberrechtsverletzungen müssen die Ergebnisse der Lernenden mit e-Plagiatssoftwares überprüft werden. Meine nächste eBook-Projekteinheit wird wesentlich offener gestaltet sein und die SchülerInnen werden bereits zuvor mit guten Übungsbeispielen vertraut gemacht, die ihnen bei der Erstellung eines guten eBooks helfen können. Außerdem werden die Kriterien der Notengebung in Zusammenarbeit mit den SchülerInnen erstellt. Für mich ist das Lehren ein Prozess kontinuierlicher Weiterentwicklung.