3.2.1 Was wissen wir bereits?

Dieses Kapitel liefert Ihnen einen Überblick über den "Learners as Designers"-Ansatz, bei dem Lernende EntwicklerInnen sein dürfen.

Lernende entwickeln eBooks – eine Methode für intensives Lernen

Die pädagogischen Diskussionen zum Mobilen Lernen (Clark & Luckin 2013; Clarke & Svanaes 2015; Gordon 2013) und die rasche Verbreitung von Smartphones und Tablets (Feierabend, Plankenhorn & Rathgeb 2016) der letzten Jahre haben zu einer intensiven Diskussion darüber geführt, ob mobile Technologien in Schulen nützlich sein bzw. wie sie dort auf passende Art und Weise eingesetzt werden können (Haßler, Major & Hennessy 2016).

Im Laufe dieser Debatte hat sich erneut herausgestellt, dass die bloße Einführung von Technologien nicht unbedingt automatisch das Lernen verbessert. Im Gegenteil, jede Form der Technik braucht ihr eigenes spezifisches pädagogisches Konzept, das auf sinnstiftende und angemessene Weise sowohl an das Schulsystem als auch an den eigentlichen Unterricht angepasst werden muss.

In ihrer Metastudie zur Nutzung von Tablets an Schulen konnten Haßler et al. belegen, dass die Bereitstellung mobiler Geräte einen relevanten Faktor für positive Lernergebnisse darstellt. In der Mehrheit der untersuchten Studien sind positive Lernerfolge zu verzeichnen und die Beschaffenheit der Tablets scheint ein bedeutsamer Faktor hierfür zu sein (Haßler et al. 2016: 154).

Außerdem zeigen mehrere Studien, die sich mit der Nutzung von Tablets in Schulen beschäftigen (Breiter, Aufenanger, Averbeck, Welling & Wedjelek 2013; Burden, Hopkins, Male, Martin & Trala 2012; State Government, Victoria 2011), dass diese Geräte eindeutig Potenzial besitzen und sich die Nutzung von Tablets nicht nur positiv auf die Schülermotivation und ihre Unterrichtsbeteiligung auswirkt (Furió, Juan, Seguí & Vivó 2015), sondern auch den Unterricht selbst grundlegend verändert. Eine Neudefinierung der Lehrer- bzw. Schülerrollen ist unvermeidlich. Des Weiteren erfordert die Nutzung von Tablets eine Neudefinierung der Lernumgebung und bringt Herausforderungen mit sich, insbesondere in Bezug auf die technologische Infrastruktur und den Internetzugang. Es wurden verschiedene Modellkonzeptionen entwickelt, um spezielle Ausstattungen, weitere Möglichkeiten, die korrekte Nutzung sowie den Mehrwert für den Lernprozess aufzuzeigen. In diesem Zusammenhang werden im PAC-Modell von Kearney, Burden und Rai (2015) Personalisierung, Authentizität und Zusammenarbeit als die drei zentralen Merkmale mobiler Geräte definiert, die das Lernen weiterentwickeln und verbessern können.

Das SAMR-Modell von Puentedura (Cardullo, Wilson & Zygouris-Coe 2015) geht davon aus, dass die Möglichkeiten digitaler Werkzeuge denen analoger Werkzeuge überlegen sind. Sein Phasenmodell stellt anschaulich dar, dass digitale Werkzeuge sowohl zu Substitution (Ersatz) und Augmentation (Ergänzung/Erweiterung), als auch zu Modifizierung und sogar zu einer Neudefinierung des Unterrichts führen können, wodurch der Lernprozess verstärkt wird. Letzteres entspricht der komplexesten und aufwändigsten Stufe der Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand in Blooms Taxonomie sowie der Ausdifferenzierung von Krathwohl (Krathwohl & Anderson 2010).

Mithilfe der Nutzung mobiler Geräte gestaltet sich die Erstellung neuer Inhalte, im Vergleich zum analogen Zeitalter, einfacher denn je. Auf Metaebene läuft außerdem eine eine allgemeine Diskussion zum besseren Verständnis digitaler Technologien. Somit entstehen neue Definitionen, in denen Tablets hauptsächlich als Werkzeuge zur Produktion, Reflexion und Kommunikation angesehen werden, was der Wahrnehmung als bloßer Ersatz für analoge Hilfsmittel, wie Schulbücher, Arbeitsblätter und Notizblöcke, eindeutig widerspricht. Daraus lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass zwei unterschiedliche Auffassungen die Nutzung von Tablets beeinflussen und die Frage "Was kann ich mit diesen Geräten erstellen?" im Widerspruch zu der Frage "Welche App brauche ich für mein Fach?" steht.

Wenn mobile Geräte, wie in Skinners behavioristischem Ansatz (Skinner 1958), nur als "Unterrichtsmaschinen” verstanden bzw. lediglich als Verarbeitungswerkzeuge für vorgegebene Aufgabenstellungen angesehen werden, kann sich ihr Potenzial nicht entfalten und ihre Wirksamkeit läuft ins Leere. Früher oder später wird dies wiederum entweder zu einer Rückkehr zur traditionellen Konzeption eines rein instruktiven Unterrichts führen oder zum Resultat haben, dass die Vorteile dieser Geräte im Allgemeinen infrage gestellt werden. Infolgedessen würden mobile Geräte ordnungsgemäß als weitere Form moderner Technik betrachtet, die nur für begrenzte Zeit eingesetzt werden, weswegen ihnen ein ähnlich trauriges Schicksal bevorstehen würde wie dem Rechenschieber, dem Sprachlabor oder dem SmartBoard.

Im Gegensatz zu Skinners behavioristischem Konzept beschrieb Roy D. Pea den Computer als Instrument zur Neuorganisation mentaler Funktionen (Pea 1985: 167) und stellte ihn daher auf dieselbe Ebene wie andere kulturellen Fertigkeiten, z. B. das Schreiben von Texten. Er erkannte die vielfältigen Möglichkeiten in der breiten Anwendung von Computern in Schulen zur Förderung genau dieser reflexiven Prozesse bei Lernenden (vgl. ebd.: 168). Um seine Theorie mit Beispielen zu belegen, bezog er sich auf die Nutzung von Tabellen zur Lösung arithmetischer Probleme, die in den Achtzigerjahren weit verbreitet waren, sowie auf Gliederungseditoren, wie Notizblöcke und Programmiersprachen, beispielsweise InterLisp-D (Chen et al. 2008). In seinem Fazit hob er den Bedarf nach der Entwicklung von Konzeptionen zur Förderung kreativen Lernens unter Rückgriff auf Technik hervor, um SchülerInnen auf zukünftige Herausforderungen vorbereiten zu können.

Jonassen und Reeves griffen Peas Ideen auf und entwickelten das Konzept von "Lernenden als EntwicklerInnen" (Learners as designers) (Jonassen & Reeves 1996: 695), das auf der Beobachtung basiert, dass während einer Zusammenstellung diejenigen, die Expertensysteme aufbauen, ihr Wissen aufgrund des Zusammenstellungsprozesses und des Bedürfnisses nach Informationsaustausch vertiefen und reflektieren: "Der Prozess des Informationsaustauschs über den Entwicklungsprozess des Unterrichts zwang sie zur einer Reflexion ihres Wissens auf neue und bedeutungsvolle Art und Weise" (Jonassen & Reeves 1996: 695, Übersetzung von K. L. V. 04.02.2018). Wenn sie an dem Punkt der Präsentation und Visualisierung ihres derzeitigen Wissensstands und der noch zu lernenden Inhalte angekommen sind, werden ihnen die Zusammenhänge klar und sie können neue Fragestellungen entwickeln und so ihr eigenes aktives Wissen erweitern und vertiefen.

Datenbanken, Tabellen, semantische Netzwerke, Expertensysteme, Programmiersprachen für multi- und hypermediale Konstruktionssoftware, Mikrowelten und computerbasierte Konferenzsysteme, die Programmiersprache LOGO von Seymour Papert (Papert 1980) und die Mikrowelt "Karel der Roboter" sollen hier als Beispiele für kognitive Werkzeuge aufgeführt werden. Aus diesem Grund schlagen die Autoren eine Methode vor, die Lernende leiten und zur Visualisierung ihrer eigenen Wissensrepräsentationen auffordern soll (1996: 695) – mit anderen Worten, zur Schaffung von Informationsfeldern.

Computer sollten nicht passiv von Rezipienten/Rezipientinnen, sondern kreativ von Produzenten/Produzentinnen benutzt werden – eine Konzeption, mit der konstruktivistische Vorstellungen zum Lernen in die Praxis umgesetzt werden.

Mit Alan Novembers Konzept der "digitalen Lernfarm" (November 2012) werden diese Gedanken schließlich in die Tat umgesetzt. Inspiriert von Paperts Werken (Papert 1993) und bestärkt durch seine persönlichen Erfahrungen als Lehrkraft, entwickelte November ein Unterrichts- und Schulkonzept, das allen Beteiligten die gleichen Partizipationsmöglichkeiten bietet. Um den SchülerInnen besser die Relevanz ihres eigenen Lernprozesses bewusst machen zu können, hält er es für bedeutsam, sie intensiv in den Schulentwicklungsprozess, die Gestaltung des Lehrplans und die Entwicklung damit verbundener Schwierigkeiten zu involvieren und ihnen dabei Verantwortung zu übertragen bzw. ihnen eine gewisse Gestaltungsfreiheit zu lassen (vgl. November 2012: 5). Die intensive Einbindung in die Unterrichtsplanung, die Tätigkeit als TrainerInnen, MentorInnen und LehrerInnen ihrer MitschülerInnen sowie die Erstellung eigener Lernmaterialien führt nachweislich zu einem Motivationsanstieg und größerer Unterrichtsbeteiligung. Kurz gesagt, es verbessert die Lernqualität: "Sie tun mehr, sie denken mehr, sie lernen mehr" (November 2012: 6,Übersetzung von K. L. V. 04.02.2018).

Des Weiteren erkennt November einen wichtigen Vorteil in seiner Methode: die Verbreitung und Förderung der sogenannten “twenty-first century skills” (Davies, Fidler & Gorbis 2011), der notwendigen Fähigkeiten im 21. Jahrhundert, die Kreativität, Innovation, Selbstorganisation, Empathie, Kommunikation und Zusammenarbeit umfassen. Darüber hinaus werden selbstständiges und eigenständig organisiertes bzw. lebenslanges Lernen gefördert und Strategien zur Problemlösung bei problematischen Themen geübt.

Daher werden die Rollen aller Beteiligten verändert.

    • Lehrkräfte erhalten größere Freiheit, da sie Unterrichtsstunden nicht mehr ganz alleine kontrollieren und überwachen müssen und die Gelegenheit erhalten, mehr auf die individuellen Bedürfnisse eines/einer SchülerIn oder einer Lerngruppe einzugehen. Lern- und Denkprozesse werden sowohl für SchülerInnen als auch für Lehrkräfte besser sichtbar.

    • Die Eltern werden in diesen Prozess ebenfalls involviert und haben die Möglichkeit, einen umfassenden Einblick in die Tätigkeiten ihrer Kinder in der Schule zu erhalten.

    • Die Technik steht nicht im Vordergrund, sondern soll der Unterstützung und Erweiterung der Produktion der SchülerInnen und ihres Lernprozesses dienen (vgl. November 2012: 7).

In seinem Buch Who Owns the Learning? (November 2012)*, beschreibt November viele Möglichkeiten, wie SchülerInnen — als EntwicklerInnen von Tutorials, VerfasserInnen von Texten, EntdeckerInnen und weltweite Kollaborateure — aktiv lernen können.

Genau diese Art der Veränderung in der Lernstruktur wird auch im HORIZON-Report 2016 K-12 des PEW Research Institute im Kontext des Trends beschrieben, dass SchülerInnen als ProduzentInnen und nicht als KonsumentInnen angesehen werden: "Lernende entdecken den Lerngegenstand durch schöpferisches Handeln und nicht durch Konsumieren der Inhalte" (Adams Becker, Freeman, Giesinger Hall, Cummins & Yuhnke 2016:18, Übersetzung von K. L. V. 04.02.2018). Die mobilen digitalen Technologien spielen eine wichtige Rolle, wie vom HORIZON Report Higher Education of 2013 skizziert (Johnson et al. 2013: 16). Ihre Anpassungsfähigkeit an die individuellen Voraussetzungen der Lernenden wird hierbei als Kernmerkmal betrachtet, durch die eine personalisierte Lernumgebung entsteht:

“Tablets haben im Schulwesen Fuß gefasst, weil NutzerInnen reibungslos Apps und Inhalte ihrer Wahl laden können, sodass das Tablet zu einer tragbaren personalisierten Lernumgebung wird” (Johnson et al. 2013: 15, Übersetzung von K. L. V. 04.02.2018)

Tablets zeichnen sich durch ihre Nutzungsmöglichkeit als Werkzeuge zur Produktion (vgl. Johnson et al. 2013: 16) und nicht zuletzt aufgrund ihrer herausragenden Fähigkeit zur Integration in sozialen Netzwerken aus. Alle drei Eigenschaften machen sie zu sehr gut geeigneten Werkzeugen für eine individualisierte, aktive und gemeinschaftliche Arbeitsweise (vgl. ebd.).

Das Lernen mit mobilen Geräten fördert einen Übergang von einer konsumbezogenen Lernweise zur aktiven und kreativen Aneignung von Wissen, bei der KonsumentInnen zu ProduzentInnen werden, so wie es im 21. Jahrhundert unabdingbar ist (vgl. ebd.: 18). Mobile digitale Technologien haben die Erstellung von Audiodateien, ebooks, Videos, Blogs, Tweets und anderen Medien revolutioniert und vereinfacht, sodass sich SchülerInnen auf den Inhalt konzentrieren und die technischen Aspekte dahinter außer Acht lassen können.

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*Wem gehört das Lernen? Das Buch ist derzeit nicht auf Deutsch erhältlich (Stand: Februar 2018).