3.1.1 Was wir bereits wissen

Die allgemeine Idee des Flipped Classroom besteht darin, dass die Lernenden sich im Voraus eigenständig auf den Unterricht vorbereiten. Dies geschieht meist, indem sie zu Hause kurze Videos schauen (und kann dadurch im eigenen Tempo der Lernenden erfolgen). Auf diese Weise kann die Zeit in der Klasse effektiver für die aktive Teilnahme durch Übungen, Projektarbeit, Diskussionen usw. genutzt werden.

Phasenvergleich zwischen „normaler“ Veranstaltung und Flipped Classroom (Oliver Tacke, flickr.com). https://bit.ly/39Q0Xo8

Im traditionellen Modell des Unterrichts ist der/die ErzieherIn der/die primäre InformationsübermittlerIn. Die Hauptaufgabe der SchülerInnen besteht darin, Aktivitäten und Aufgaben, die von der Lehrkraft entworfen wurden, zu bewältigen.

Traditioneller Unterricht besteht darin, dass die Lehrkraft das Unterrichtsgespräch ermöglicht. Beim Flipped Classroom konzentriert sich die Lehrkraft auf einen lernerzentrierten Ansatz; hier wird die Unterrichtszeit damit verbracht, Themen tiefer zu erforschen. Wenn die Lernenden auf sich allein gestellt sind und sich nicht im Klassenzimmer befinden, werden Online-Inhalte zur Erleichterung des Lernens verwendet.

Eigene Darstellung, 2017

Vorteile des Flipped Classroom Modells

Tempo

Lernen findet im Unterricht statt, wenn die SchülerInnen Möglichkeit erhalten, durch ihre individuelle Lerngeschwindigkeit Fortschritte zu erzielen. Im traditionellen Unterricht kann dies schwer zu erreichen sein. Meistens findet das Unterrichtsgespräch eher langsam statt, was dazu führen kann, dass sich die leistungsfähigeren Kinder schneller langweilen. Für andere kann die Geschwindigkeit zu schnell sein, besonders für diejenigen, die akademisch wenig erfolgreich sind. Diese Lernenden tendieren dazu, sich zu langweilen oder das Lernen aufzugeben.

Motivation

Wir wissen auch, dass Motivation der Schlüssel dafür ist, dass Lernende Zeit und Energie investieren, die sie zum Lernen benötigen.

Die Wahrnehmung der Lernenden zum Flipped Classroom: Neue Methoden zur Steigerung der Interaktion und des aktiven Lernens in der Wirtschaft

Struktur

Der Lernprozess erfordert eine gewisse Struktur, welche die Kinder bei der Bewältigung bzw. Lösung von Aufgaben unterstützt, die zur Aufnahme und Verarbeitung neuen Wissens wichtig ist. Nur wenige Lernende haben Fähigkeiten zur Selbstregulation des Lernverhaltens entwickelt, um ihren Lernprozess vollständig planen und strukturieren zu können.

Grundlage

Einige Lernende können als akademisch gefährdet eingestuft werden und profitieren von einem Gerüstansatz und Lernwerkzeugen zur Selbstregulation. Fähigkeiten zur Selbstregulation in Verbindung mit einer aktiven Lernumgebung, wie etwa der Flipped Classroom, scheinen für akademisch gefährdete SchülerInnen positive Auswirkungen zu haben.

Zusätzliche (freiwillige) Lektüre: The Synergistic Effects of Self-Regulation Tools and the Flipped Classroom

Obwohl die Lernenden in ihrem eigenen Tempo viel freier arbeiten können, sollte die Lehrkraft eine gewisse Orientierung geben. Sie könnten eine Aufgabenliste erstellen, auf der das Datum für die erledigte Aufgabe angegeben wird und Möglichkeiten der Überprüfung zur Verfügung stehen. Sie sollten die Lernenden auch dazu ermutigen, so vorzugehen, dass sie nur wenige Aufgaben gleichzeitig erledigen. Es ist bekannt, dass Multitasking nicht sehr gut funktioniert. Wenn möglich, kann es auch Prüfstellen geben, mit deren Hilfe die Lernenden Rückmeldung zu ihren erledigten Aufgaben bekommen. Dies könnte zum Beispiel in Form eines kurzen Quizzes, Multiple-Choice-Aufgaben oder interaktiven Präsentationen mit Fragen erfolgen, die beantwortet werden müssen, bevor der/die Lernende zum Nächsten übergehen kann.

Grundlegender Ablauf beim Lernen mit dem Flipped Classroom Modell

Grundlegend wird das Flipped Classroom Modell in drei Phasen unterschieden (1. Selbstlernphase, 2. Präsenzphase und der 3. Nachbearbeitungsphase). Um diese Phasen in ein pädagogisches Handlungsmuster zu überführen, haben wir hierfür ein sechsstufiges Modell zur Durchführung entwickelt. Dieses Phasen-Modell kann individuell verkürzt oder sogar erweitert werden.

Das 6 Phasen-Modell nach KERBER 2018

Individuelle Vorbereitungsphase

  • Phase 1 Wissensvermittlung: In der Regel werden die Inhalte des Flipped Classroom den Lernenden als Videos zur Verfügung gestellt. Die Videos können von den Lehrenden selbst erstellt werden oder sie greifen auf vorgefertigte Videos aus dem Internet (z.B. aus der SESAM Mediathek) zurück. Einzelne Videos sollten nicht länger als ca.10 Minuten lang sein. Sollten komplexere Inhalte thematisiert werden, so werden einfach mehrere Videos á 10 Minuten verwendet. Die Videos können auch durch weitere online verfügbare Dokumente, wie z.B. PDFs oder Podcasts, ergänzt werden. Wichtig ist, die Informationsfülle so gering wie möglich zu halten.

  • Phase 2 Feedback zur Wissensvermittlung: Damit Lernende kontrollieren können, ob sie die Wissenselemente verstanden haben und entsprechend wiedergeben können, sollen nun begleitende Materialien zur Lernzielkontrolle zur Verfügung gestellt werden. Das können z.B. einfache Multiple-Choice- oder Ergänzungsaufgaben sein. Diese können idealerweise mit einfachen Editoren online erstellt und verwendet werden, wie z.B. mit LearningSnacks. Mit Playposit können solche Feedback Assessments auch direkt in die Videos eingebunden werden. Es entstehen somit interaktive Lernvideos.

  • Phase 3 Anwendung und Vertiefung: Aus dem Bereich des Digital Storytellings stammt die sog. WSQ-Methode (sprich: WISK). Die Abkürzung steht für Watch, Summarize, Questions und bezeichnet ein Verfahren, bei dem die Lernenden das Gelernte noch einmal selbstständig verschriftlichen. Dies kann in Form einer Zusammenfassung mit Fragen erfolgen oder als narrative Aufgabe, wie z.B. als Zeitungsartikel, Radio- oder Laborbericht. Diese Methode verbindet idealerweise den Flipped Classroom mit dem "Writing for Learning"-Ansatz.

Präsenzphase

  • Phase 4 Fragephase: In der Präsenzphase findet, neben einer kurzen Motivationsphase, keine inhaltliche Einführung mehr statt, es werden stattdessen nur noch Verständnisfragen geklärt. Hierzu können die Lernenden direkt Fragen an die Lehrkraft stellen – besser ist es jedoch, wenn die Lernenden in kleinen Gruppen zusammenarbeiten und sich gegenseitig beim Lösen ihrer Lernprobleme unterstützen.

  • Phase 5 Gemeinsame Aufgabenbearbeitung: Es erfolgt die analytische Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand und mit dem bereits erworbenen Wissen auf einer höheren Ebene. Hierzu sollen die Lernenden selbst oder die Lehrkraft geeignete Aufgabenstellungen finden, die es den Lernenden ermöglichen, ein mit dem Unterrichtsgegenstand verbundenes Problem zu analysieren, Muster und/oder Prinzipien zu erkennen und mögliches Transferpotenzial zu erschließen

Nachbearbeitungsphase (als Teil der Präsenzphase oder zur eigenständigen Weiterarbeit)

  • Phase 6 Reflexionsphase/Aktives Plenum: Hier haben die Lernenden Gelegenheit, die Ergebnisse ihrer Arbeit zu präsentieren und zu reflektieren. Die Moderation erfolgt idealerweise durch die Lernenden selbst und zeigt die Problemlösung der Aufgabenstellung als gemeinsamen Prozess. Anschließend können Formen der formativen oder summativen Leistungsfeststellung erfolgen.



Zusammenfassend wird Lehrkräften, die die Methode des Flipped Classroom in ihrer eigenen Klasse ausprobieren möchten, empfohlen:

    • Fordern Sie die SchülerInnen auf, ein Online-Quiz als eine Form der Lernstandsrückmeldung zu absolvieren, um sich vergewissern zu können, dass sie vorbereitet sind.

    • Halten Sie die Videos relativ kurz, um sicherzustellen, dass die SchülerInnen sie ansehen.

    • Überprüfen Sie den Kursinhalt kurz vor den Aktivitäten in der Klasse, um alle Fragen beantworten und sicherstellen zu können, dass die Mehrheit der SchülerInnen das Material gut versteht.

    • Beziehen Sie auch mehrere mediale Formen in die Online-Vorlesungen ein, um das Interesse Ihrer SchülerInnen für das Material zu wecken.