3. Konnektivismus

Vertiefung des Themenbereichs

"Connectivism: A Learning Theory for the Digital Age", by George Siemens (licensed under a Creative Commons License CC-BY-NC-SA)

Mit dem Begriff Konnektivismus wird eine Kombination aus der Chaos-, der Netzwerk-, der Komplexitäts- und der Selbstorganisationstheorie bezeichnet. Lernprozesse passieren in einem undurchsichtigen Umfeld sich ändernder Hauptbestandteile – das Individuum hat keine vollständige Kontrolle darüber.

Einleitung

Behaviorismus, Kognitivismus und Konstruktivismus sind die drei großen Lerntheorien, auf die für die Erstellung von Lernumgebungen am häufigsten zurückgegriffen wird. All diese Theorien entstammen jedoch einer Zeit, in der das Lernen noch nicht von der Technologie beeinflusst wurde. Im Verlauf der letzten zwanzig Jahre hat Technologie unser Leben und dessen Ablauf sowie die Kommunikation und letztlich auch wie wir lernen komplett neu organisiert. Das Lernen benötigt nun also Theorien, welche in ihren Hauptprinzipien und Prozessen den aktuellen sozialen Umfeldern und Umgebungen Rechnung tragen. Vaill hebt hervor, dass "das Lernen eine neue Art des Seins darstellen muss – eine sich stets weiterentwickelnde Menge an Einstellungen und Handlungen sowohl von Individuen, als auch von Gruppen, um stets mit den überraschenden, neuen, wirren, penetranten und immer wiederkehrenden Ereignissen in der Welt Schritt zu halten..." (1996:42; übersetzt von F.L.).

Vor nur etwa 40 Jahren haben Lernende häufig die für sie notwendige Schulbildung abgeschlossen und sind in eine berufliche Karriere eingestiegen, die sie dann häufig ihr ganzes Leben lang verfolgt haben. Die Informationsentwicklung war langsam. Die Lebensdauer von Wissen wurde in Dekaden gemessen. Heute haben sich diese grundlegenden Prinzipien verändert. Wissen wächst nun exponentiell. In sehr vielen wissenschaftlichen Feldern wird das Wissen nun in Monaten und Jahren bemessen. Gonzales (2004) beschreibt die Herausforderung von immer schneller überkommenem Wissen folgendermaßen:

"Eines der überzeugendsten Argumente ist das Schrumpfen der Halbwertszeit von Wissen. Dies beschreibt die Zeitspanne zwischen dem Gewinn von neuem Wissen über etwas und dem Zeitpunkt, ab dem dieses Wissen obsolet, also unnütz, wird. Die Hälfte des zivilisatorischen Wissens von heute war vor 10 Jahren noch nicht bekannt. DIE Menge des Wissens in der Welt hat sich in den vergangenen 10 Jahren verdoppelt und wird sich nun der "American Society of Training and Documentation (ASTD)" zufolge alle 18 Monate weiter verdoppeln. Um der immer geringer werdenden Halbwertszeit von Wissen etwas entgegenzusetzen, mussten sich die Organisationen neue Methoden überlegen, um effektiv zu lehren" (übersetzt von F.L.).

Einige der wichtigsten Lerntrends sind:

    • Lernende werden im Laufe ihres Lebens in ganz unterschiedlichen, möglicherweise nicht zusammenhängenden Arbeitsfeldern arbeiten.

    • Das informelle Lernen nimmt einen wichtigen Aspekt unserer Lernerfahrung ein. Die formelle (Aus-)Bildung stellt nicht mehr länger den Hauptanteil des Lernens dar. Wissensaneignung passiert in einer ganzen Reihe von neuen Wegen – sowohl durch Übungsgruppen, Netzwerke von Professionellen, und auch ganz einfach durch das Bearbeiten von Aufgaben an der Arbeitsstelle.

    • Das Lernen ist ein unabgeschlossener, lebenslanger Prozess. Es ist nicht mehr vom Arbeitsleben zu trennen, in vielen Situationen ist es sogar ein- und dasselbe.

    • Die Nutzung von Technologien verändert unser Gehirn. Die Werkzeuge, die wir nutzen, verändern unsere Art zu denken.

    • Organisationen und Individuen sind lernende Organismen. Die Forschung im Bereich des Wissensmanagements unterstreicht die Notwendigkeit für eine Theorie, welche die Verbindungen zwischen Organisationen und Individuen beschreibt.

    • Viele der Prozesse, die in früheren Lern- und Bildungstheorien beschrieben wurden, können nun entweder durch Technologie ersetzt oder dadurch unterstützt werden.

    • Das Wissen über Sachverhalte und Abläufe wird mehr und mehr durch Kenntnisse darüber abgelöst, wo das Wissen zu finden ist.

Hintergründe

Driscoll (2000) beschreibt das Lernen als "eine anhaltende Veränderung der menschlichen Leistung oder des Leistungspotentiala[...][,die] aus der Erfahrung und Interaktion des Lerners mit der Welt resultiert" (S.11; übersetzt von F.L.). Diese Definition beinhaltet viele der Attribute, die gemeinhin dem Behaviorismus, Kognitivismus und Konstruktivismus zugerechnet werden. Genauer beschreibt sie das Lernen als eine bleibende Änderung der emotionalen, mentalen und physiologischen Dispositionen durch die Auseinandersetzung mit Erfahrungen und Interaktionen mit anderen Menschen.

Driscoll (2000: 14-17) untersucht die Komplexität dieser neuen Definition des Lernens. Die Debatte fokussiert insbesondere:

    • Valide Wissensquellen – Geschieht ein Wissenszuwachs durch Erfahrungen mit der Welt? Ist dieser Prozess angeboren? Lernen wir diese Art der Aneignung durch das Nachdenken und Überlegen?

    • Der Inhalt des Wissens – Ist Wissen überhaupt bewusst? Wird es durch menschliche Erfahrung bewusst?

    • Die abschließenden Überlegungen fokussieren drei epistemologische Traditionen in Zusammenhang mit dem Lernen: Objektivismus, Pragmatismus und Interpretivismus.

      • Der Objektivismus (ähnlich dem Behaviorismus) postuliert, dass die Realität external und objektiv ist. Wissen wird durch Erfahrung gewonnen.

      • Der Pragmativismus (ähnlich dem Kognitivismus) besagt, dass die Realität eine Interpretation ist. Daraus folgt, dass Wissen durch eine Aushandlung zwischen Erfahrung und dem Nachdenken darüber gewonnen wird.

      • Der Interpretivismus (ähnlich wie der Konstruktivismus) geht davon aus, dass Realität etwas Internales ist und Wissen darüber individuell konstruiert wird.

All diese Lern- und Bildungstheorien verbindet, dass Wissen ein Objekt (oder ein Zustand) ist, welcher entweder durch Nachdenken oder durch Erfahrung erreicht werden kann (wenn er nicht schon angeboren ist). Die Theorien des Behaviorismus, Kognitivismus und Konstruktivismus versuchen zu beschreiben, wie Menschen lernen.

Behaviorismus sagt aus, dass das Lernen weitestgehend nicht durchschaut werden kann. Es wird uns nicht möglich sein, was innerhalb der Lernenden vorgeht zu erschließen (die sogenannte "Black Box Theorie"). Gredler (2001) versteht Behaviorismus als eine Zusammesetzung von mehreren Theorien, die drei Grundaussagen über das Lernen trifft:

    • Beobachtbares Verhalten (behaviour) ist wichtiger als das Verstehen von internalen Vorgängen.

    • Verhalten sollte sich auf die einfachen Bestandteile der spezifischen Stimuli sowie die darauf folgenden Antworten konzentrieren.

    • Das Lernen beschreibt eine Veränderung des Verhaltens.

Der Kognitivismus bedient sich häufig einer Computermetapher. Das Lernen wird hierbei als Prozess der Verhandlung von Inputs beschrieben, die im Kurzzeitgedächtnis verwaltet und für das Langzeitgedächtnis kodiert werden. Cindy Buell beschreibt diesen Prozess wie folgt: "In der Theorie des Kognitivismus wird Wissen als symbolische mentale Konstruktion im Verstand des Lerners gesehen. Der Lernprozess beschreibt somit den Vorgang des Speicherns dieser symbolischen Repräsentationen" (übersetzt von F.L.).

Dem Konstruktivismus liegt zugrunde, dass Lernende Wissen gewinnen, in dem sie versuchen, ihre Erfahrungen zu verstehen (Driscoll 2000: 376). Im Behaviorismus und Kognitivismus wird Wissen als etwas beschrieben, das der Lerner external erhält. Die Internalisierung dieses Wissens beschreibt den Lernprozess. Im Konstruktivismus wird jedoch nicht angenommen, dass Lernende leere Objekte sind, die mit Wissen gefüllt werden können. Stattdessen geht diese Theorie davon aus, dass Lernende aktiv damit beschäftigt sind, sich den Sinn zu erschließen. Sie wählen selbst Lernobjekte aus und verfolgen diese. Konstruktivistische Zugänge räumen ein, dass echte Lernprozesse komplex und schwer greifbar sind. Lernumgebungen, welche diese "Unschärfe" simulieren und nachstellen, werden besser dabei helfen, die Lernenden auf die Unabschließbarkeit des Sinnbildungsprozesses vorzubereiten.

Grenzen des Behaviorismus, Kognitivismus und Konstruktivismus

Die meisten Lerntheorien basieren auf dem zentralen Grundsatz, dass Lernen in einer Person stattfindet. Sogar sozialkonstruktivistische Ansichten, die davon ausgehen, dass Lernen ein gesellschaftsbezogener Prozess ist, fördern den Schöpfergedanken des Individuums beim Lernen (und seiner physischen Präsenz – d.h. des Gehirns). Diese Theorien beschäftigen sich nicht mit dem Lernen, das von außen gesteuert ist (also Lernen, das technologisch abgespeichert und manipuliert wird). Außerdem gelingt es ihnen nicht zu beschreiben, wie Lernen innerhalb von Organisationen vonstattengeht.

Lerntheorien beschäftigen sich mit dem eigentlichen Lernprozess, nicht mit dem Wert des Gelernten. In einer vernetzten Welt lohnt es sich aber insbesondere, die Art der Information zu untersuchen, die wir erhalten. Das Bedürfnis, den Wert bzw. die Anerkennungswürdigkeit des Gelernten zu überprüfen, ist eine Metafähigkeit, die bereits vor Beginn des eigentlichen Lernens angewandt wird. Wenn ein Wissensdefizit herrscht, kann angenommen werden, dass dieser Prozess der Wertüberprüfung untrennbar zum Lernen dazugehört. Wenn jedoch Wissen im Überfluss vorhanden ist, wird eine schnelle Bewertung dieses Wissens zentral. Zusätzliche Schwierigkeiten ergeben sich aus dem schnellen Informationszuwachs. Wir sind in der heutigen Lebenswelt häufig gefordert zu handeln, ohne dass wir vorher etwas eigenständig gelernt haben – das heißt, wir müssen handeln, indem wir Informationen außerhalb unseres ursprünglichen Wissensbestands beziehen. Hierfür ist die Fähigkeit, Zusammenhänge und Muster erkennen und herstellen zu können eine wertvolle Kompetenz.

Wenn man herkömmliche Lerntheorien aus technologischer Sicht betrachtet, ergeben sich viele wichtige Fragen. Es ist nur natürlich, dass Theoretiker im Zuge der sich verändernden Bedingungen weiterhin versuchen, alte Theorien zu überarbeiten und weiterzuentwickeln. Ab einem gewissen Punkt jedoch haben sich die zugrundeliegenden Bedingungen in derart bedeutendem Maße verändert, dass eine weitere Modifizierung nicht mehr sinnvoll ist. Dann wird ein komplett neuer Ansatz erforderlich.

Es gilt, einige der folgenden Fragen in Bezug auf Lerntheorien und auf die Bedeutung von Entwicklungen in Technologie und neuer Wissenschaft für das Lernen (Chaos- und Netzwerktheorie) zu untersuchen:

    • Was bedeutet es für das Lernen und alte Lerntheorien, wenn Wissen nicht mehr in linearer Art und Weise erworben wird?

    • Welche Anpassungen der Lerntheorien sind notwendig, wenn die Technik viele der kognitiven Tätigkeiten übernimmt, die zuvor von den Lernenden ausgeführt wurden (Informationsspeicherung und -aktivierung)?

    • Wie gelingt es uns, im sich ständig verändernden Informationszeitalter auf dem aktuellen Stand zu bleiben?

    • Wie gehen Lerntheorien mit Momenten um, in denen es um Performanz geht, das volle Verständnis jedoch fehlt?

    • Was ist die Auswirkung von Netzwerk- und Komplexitätstheorien auf das Lernen?

    • Was ist die Auswirkung von Chaos als komplexem Prozess der Mustererkennung auf das Lernen?

    • Wie werden System- und Ökologietheorien in Bezug auf Lernaufgaben bei zunehmender Wahrnehmung der Verbindungen und Zusammenhänge in unterschiedlichen Wissensdomänen betrachtet?

Eine Alternativtheorie

Die Zurechnung von Technologie und der Herstellung von Verbindungen zu den Lernaktivitäten führt dazu, dass Lerntheorien ins digitale Zeitalter überführt werden. Wir können nicht länger Lernprozesse, die wir ausführen müssen, selbst erfahren und uns zu eigen machen. Wir erhalten unsere Kompetenz aus der Herstellung von Verbindungen. Karen Stephenson behauptet:

"Erfahrung wird seit Langem als der beste Wissensvermittler betrachtet. Da wir nicht alles aus Erfahrung lernen können, werden die Erfahrungen anderer Menschen, und somit andere Menschen, zu Stellvertretern für das Wissen. 'Ich speichere mein Wissen in meinen Freunden' kann als Axiom für die Ansammlung von Wissen durch die Ansammlung von Menschen gesehen werden (undatiert)."

(Übersetzung von K.L.V., 09.01.2018)

Das Chaos ist die neue Realität für Menschen, die mit Wissen arbeiten. Die ScienceWeek (2004) zitiert Nigel Calders Definition von Chaos als "kryptischer Form der Ordnung" (Übersetzung von K.L.V., 09.01.2018). Chaos ist der Zusammenbruch der Vorhersagbarkeit, für den sich Beweise in komplizierten Anordnungen finden, die sich anfänglich der Ordnung verweigern. Anders als der Konstruktivismus, der besagt, dass Lernende versuchen, ihr Verständnis durch Aufgaben zur Bedeutungskonstruktion auszubauen, geht das Chaos davon aus, dass Bedeutung bereits existiert – die Herausforderung des Lernenden besteht darin, die Muster zu erkennen, die scheinbar versteckt sind. Bedeutungskonstruktion und Verbindungsaufbau zwischen spezialisierten Lerngruppen sind hierbei wichtige Aktivitäten.

Als Wissenschaft erkennt das Chaos die Verbindung von allem zu allem. Gleick (1987) stellt fest: "Beim Wetter lässt sich dies beispielsweise in das umsetzen, was man nur halb im Scherz als Schmetterlingseffekt bezeichnet – die Vorstellung, dass ein Schmetterling, der heute die Luft in Peking bewegt, im nächsten Monat Sturmsysteme in New York verändern kann" (S. 8). Diese Analogie veranschaulicht eine reale Herausforderung: "die heikle Abhängigkeit von Eingangsvoraussetzungen" hat tiefgreifenden Einfluss auf das, was wir lernen, und auf unser Handeln, das auf unserem Lernen basiert. Entscheidungsfindung ist ein Anzeichen hierfür. Wenn die Eingangsvoraussetzungen verwendet werden, um Entscheidungen zu verändern, so ist die neue Entscheidung nicht mehr so richtig wie zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ursprünglich getroffen wurde.

(Übersetzung von K.L.V., 09.01.2018)

Luis Mateus Rocha (1998) definiert Selbstorganisation als die "spontane Bildung gut organisierter Strukturen, Muster oder Verhaltensweisen aus beliebigen Eingangsvoraussetzungen." (S. 3). Als selbstorganisierter Prozess erfordere Lernen, dass das System (personen- oder organisationsbezogene Lernsysteme) "offen in Bezug auf Information ist, das heißt, um seine eigene Interaktion mit der Umwelt bewerten zu können, muss es in der Lage sein, seine Struktur zu verändern..." (S. 4). Wiley und Edwards erkennen die Wichtigkeit der Selbstorganisation als Lernprozess an: "Jacobs argumentiert, dass Gemeinschaften sich auf eine Art und Weise organisieren, die der sozialer Insekten ähnelt: anstelle tausender Ameisen, die jeweils die Pheromonspuren der anderen durchqueren und dementsprechend deren Verhaltensweisen ändern, gehen tausende Menschen aneinander auf dem Gehweg vorbei und ändern so deren Verhaltensweisen." Selbstorganisation auf persönlicher Ebene ist ein Mikroprozess der größeren Selbstorganisationskonstrukte, die für firmenbezogene oder institutionelle Umgebungen geschaffen wurden. Die Leistung, Verbindungen zwischen Informationsquellen herzustellen und dabei nützliche Informationsmuster zu schaffen, ist zum Lernen in unserer ökonomisch ausgerichteten Wissensgesellschaft erforderlich.

(Übersetzung von K.L.V., 09.01.2018)

Netzwerke, kleine Welten, schwache Beziehungen

Ein Netzwerk kann ganz einfach als Verbindungen zwischen Einheiten definiert werden. Computernetzwerke, Stromnetze und soziale Netzwerke funktionieren alle nach dem einfachen Prinzip, dass Menschen, Gruppen, Systeme, Netzwerkknoten (Nodes) und Einheiten zur Herstellung einer zusammengehörigen Ganzheit verbunden werden können. Veränderungen innerhalb des Netzwerkes wirken sich auch dominoartig aufs Ganze aus.

Albert-László Barabási erklärt, dass "Netzwerkknoten immer um Verbindungen konkurrieren, weil Verknüpfungen das Überleben in einer vernetzten Welt verkörpern" (2002: 106; Übersetzung von K.L.V., 11.01.2018). Dieser Wettkampf wird innerhalb eines personenbezogenen Lernnetzwerks größtenteils abgeschwächt, und doch es ist die Realität, dass manchen Netzwerkknoten, also Menschen, mehr Wert eingeräumt wird als anderen. Menschen, denen es besser gelingt, eine umfangreiche Arbeitsbiographie zu erstellen, werden größeren Erfolg dabei haben, weitere Beziehungen herzustellen. In Bezug auf das Lernen bedeutet dies, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Lernkonzept verknüpft wird, davon abhängt, wie gut es im Augenblick vernetzt ist. Netzwerkknoten (z.B. Felder, Ideen, Gemeinschaften), die sich spezialisieren und Anerkennung für ihre Expertise erhalten, haben größere Chancen auf Würdigung, woraus wiederum bildlich gesprochen die "Fremdbestäubung" in Lerngruppen resultiert.

Schwache Beziehungen sind Verknüpfungen oder Brücken, die nur kurzzeitige Verbindungen zwischen Informationen erlauben. Unsere kleinen Netzwerke in der Welt setzen sich im Allgemeinen aus Menschen zusammen, deren Interessen und Wissen unseren ähnlich sind. Das Finden eines neuen Arbeitsplatzes beispielsweise geht häufig mithilfe schwacher Beziehungen vonstatten. Dieses Prinzip besitzt großen Wert für Auffassungen in Bezug auf glückliche Zufälle, Innovation und Kreativität. Aus Verbindungen zwischen ungleichen Ideen und Feldern können Neuerungen entstehen.

Konnektivismus

Konnektivismus ist die Verflechtung von Prinzipien, die von Chaos-, Netzwerk- und Komplexitäts- sowie Selbstorganisationstheorien untersucht wird. Lernen ist ein Prozess, der innerhalb undurchsichtiger Umgebungen stattfindet, in denen sich Grundbestandteile ständig verschieben – und deren Kontrolle sich dem Lernenden häufig entzieht. Gelerntes (definiert als umsetzbares Wissen) kann sich außerhalb von uns als Individuen befinden (innerhalb einer Organisation oder Datenbank) und konzentriert sich auf das Verbinden spezialisierter Informationsgruppen; und die Verbindungen, die es uns ermöglichen, mehr zu lernen, sind wichtiger als unser aktueller Wissensstand.

Konnektivismus wird durch das Verständnis gesteuert, dass Entscheidungen auf Fundamenten gegründet sind, die sich rasch ändern. Ständig werden neue Informationen erworben. Die Fähigkeit, zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen unterscheiden zu können, ist unerlässlich. Ebenso entscheidend ist die Fähigkeit, erkennen zu können, wenn neue Informationen das Fundament ändern, auf dem zuvor getroffene Entscheidungen basieren.

Prinzipien des Konnektivismus:

    • Lernen und Wissen unterliegen einer Meinungsvielfalt.

    • Lernen ist ein Prozess der Verbindung spezialisierter Netzwerkknoten oder Informationsquellen.

    • Gelerntes kann sich in nichtmenschlichen Geräten befinden.

    • Die Leistung, mehr wissen zu können, ist entscheidender als der aktuelle Wissensstand.

    • Verbindungen müssen gepflegt und erhalten werden, um kontinuierliches Lernen zu erleichtern.

    • Die Fähigkeit, Verbindungen zwischen Feldern, Ideen und Konzepten zu erkennen, ist eine Kernkompetenz.

    • Alle konnektivistischen Lernaktivitäten zielen auf Aktualität ab, d. h. auf korrektes Wissen, das sich auf dem neuesten Stand befindet.

    • Entscheidungsfindung an sich ist bereits ein Lernprozess. Die Wahl des Lerngegenstands und die Betrachtung der Bedeutung neuer Informationen erfolgen aus Sicht einer veränderlichen Realität. Mag eine Antwort heute noch richtig sein, so kann sie morgen aufgrund von Veränderungen im Informationsklima, die sich auf die getroffene Entscheidung auswirken, schon nicht mehr stimmen.

Konnektivismus befasst sich auch mit den Herausforderungen von Aktivitäten im Wissensmanagement, denen viele Unternehmen gegenüberstehen. Wissen, das auf einem Datenträger gespeichert ist, muss mit den richtigen Menschen im passenden Kontext verbunden werden, um als Lernen angesehen werden zu können. Behaviorismus, Kognitivismus und Konstruktivismus bieten keine Erklärungsversuche zu den Herausforderungen der Wissensorganisation bzw. der Übertragung.

Informationsfluss innerhalb einer Organisation ist ein wichtiger Bestandteil für die organisatorische Effektivität. In einer Wissensökonomie bildet der Informationsfluss das Äquivalent zum Ölrohr in der Industriewirtschaft. Die Schaffung, Erhaltung und Nutzung des Informationsflusses sollte eine der Hauptaktivitäten der Organisation sein. Wissensfluss kann mit einem tatsächlichen Fluss verglichen werden, der durch das Ökosystem eines Organismusses mäandert. In bestimmten Bereichen bündelt sich das Wasser, in anderen herrscht Wasserarmut. Die Gesundheit des "Ökosystems" des Lernorganismusses ist abhängig von einer effektiven Pflege des Informationsflusses.

Die Analyse sozialer Netzwerke bildet ein weiteres Element zum Verständnis von Modellen zum Lernen im digitalen Zeitalter. Art Kleiner (2002) untersucht Karen Stephensons "Quantentheorie des Vertrauens", die "nicht nur erklärt, wie man die kollektive kognitive Leistungsfähigkeit einer Organisation erkennt, sondern auch, wie diese sich weiterentwickeln und steigern lässt." Innerhalb sozialer Netzwerke bilden gut vernetzte Menschen, die in der Lage sind, den Wissensfluss zu unterstützen und aufrechtzuerhalten, den Mittelpunkt. Ihre gegenseitige Abhängigkeit führt zur Wirksamkeit des Wissensflusses, was ermöglicht, den Zustand von Aktivitäten im Gesamtzusammenhang zu verstehen.

(Übersetzung von K.L.V., 11.01.2018)

Den Anfangspunkt des Konnektivismus bildet das Individuum. Eigenes Wissen besteht aus einem Netzwerk, das Organisationen und Institutionen mit Informationen versorgt; diese wiederum führen Informationen ans Netzwerk zurück und stellen so dem Individuum Lernmöglichkeiten zur Verfügung. Dieser Zyklus der Wissensentwicklung (von der Person zum Netzwerk zur Organisation) ermöglicht es den Lernenden, durch die Verbindungen, die sie aufgebaut haben, in ihrem Betätigungsfeld auf dem Laufenden zu bleiben.

Landauer and Dumais (1997) beschäftigen sich mit dem Phänomen, dass "Menschen viel mehr Wissen speichern als das, was in der Information, die ihnen vorgesetzt wurde, vorhanden zu sein scheint." Sie bieten eine konnektivistische Ausrichtung, die sich "der einfachen Vorstellung [bedient], dass manche Wissensdomänen aus einer ungeheuren Anzahl an schwachen Verbindungen bestehen, die, sofern sie richtig ausgeschöpft werden, das Lernen durch einen Inferenzenbildungsprozess in hohem Maße erweitern können." In der exponentiellen Wirkung des persönlichen Lernfortschritts wird der Wert, Muster erkennen und unsere eigenen "kleinen Wissenswelten" verbinden zu können, schließlich erkennbar.

(Übersetzung von K.L.V., 11.01.2018)

Implikationen für das Lernen

Das Konzept der Konnektivismus hat Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Die vorliegende Abhandlung konzentriert sich hauptsächlich auf die Implikationen für das Lernen, doch die folgenden Bereiche sind ebenfalls betroffen:

    • Management und Führungskraft. Die zielgerichtete Verwaltung und Nutzung von Ressourcen stellt eine bedeutende Herausforderung dar. Die Erkenntnis, dass eine einzelne Person niemals alles Wissen in sich vereinen kann, erfordert eine andere Herangehensweise, um sich einen Überblick über eine Situation verschaffen zu können. Die Zusammensetzung aus bunt gemischten Teams, in denen unterschiedliche Standpunkte vertreten werden, ist ausschlaggebend, um Ideen möglichst vollständig ausloten zu können. Eine zusätzliche Herausforderung besteht in der Innovation. Die meisten revolutionären Ideen der heutigen Zeit haben einmal dem Randbereich angehört. Die Fähigkeit einer Organisation, die Wirkungen unterschiedlicher Ansichten in Bezug auf Informationen zu sammeln, zu pflegen und zu einem Ganzen zusammenzufügen, ist entscheidend für das Überleben der Wissensökonomie. Mit der Auffassung, die das System zum Lernen hat, kann außerdem die Geschwindigkeit verbessert werden, die benötigt wird, um eine Idee umzusetzen.

    • Medien, Nachrichten, Informationen. Diese Entwicklung ist bereits in vollem Gang. Organisationen der Massenmedien stehen der Herausforderung des Informationsflusses durch das Bloggen, der offen, in Echtzeit und auf zwei Kanälen erfolgt.

    • die Beziehung von personenbezogenem Wissensmanagement zu organisationsbezogenem Wissensmanagement

    • die Gestaltung von Lernumgebungen

John Seely Brown vertritt die interessante Auffassung, dass das Internet den geringen Arbeitsaufwand vieler mit dem hohen Arbeitsaufwand weniger Menschen ausgleicht. Die zentrale Voraussetzung hierfür ist, dass Verbindungen, die durch ungewöhnliche Verzweigungspunkte entstanden sind, Tätigkeiten unterstützen und verstärken, die hohen Arbeitsaufwand erfordern. Brown führt als Beispiel ein Systemprojekt des Maricopa-Community-Colleges an, das Senioren durch ein Mentorenprogramm mit Grundschulkindern in Verbindung bringt. Die Kinder "hören mehr auf diese 'Großeltern' als auf ihre eigenen Eltern, die Mentorentätigkeit entlastet die LehrerInnen ... Der geringe Arbeitsaufwand vieler – der Senioren – ergänzt den hohen Arbeitsaufwand weniger – der LehrerInnen." (2002). Diese Erweiterung des Lernens, Wissens und Verständnisses durch den Ausbau eines personellen Netzwerks ist ein Paradebeispiel dafür, wie Konnektivismus funktionieren kann.

(Übersetzung von K.L.V., 11.01.2018)

Fazit

Das Rohr ist wichtiger als der Inhalt, der sich im Rohr befindet. Unsere Fähigkeit, das zu lernen, was wir für morgen brauchen, ist wichtiger als unser heutiges Wissen. Es ist eine echte Herausforderung für jede Lerntheorie, Wissen zum Zeitpunkt der Anwendung zu aktivieren. Wenn Wissen benötigt wird, jedoch nicht bekannt ist, wird die Fähigkeit, Quellen wahrzunehmen und zu nutzen, zur zentralen Kompetenz, um die Anforderungen erfüllen zu können. Da der Wissensbestand kontinuierlich wächst und sich stetig weiterentwickelt, ist der Zugang zu der Information, die gebraucht wird, wichtiger als der aktuelle Wissensstand des Lernenden.

Konnektivismus stellt ein Lernmodell dar, das die tektonischen Verschiebungen in einer Gesellschaft berücksichtigt, in der Lernen nicht mehr länger als internale, individuelle Tätigkeit angesehen werden kann. Mit der Nutzung neuer Werkzeuge ändert sich die Arbeitsweise der Menschen. Im Bereich der Schulbildung wurden sowohl die Auswirkungen neuer Lernwerkzeuge als auch die Veränderungen in der Lernumgebung und der Bedeutung für das Lernen bisher nur sehr langsam erkannt bzw. einbezogen. Konnektivismus liefert einen Einblick in Lerntechniken und Aufgaben, die Lernende benötigen, um sich gut im digitalen Zeitalter entwickeln und zurechtfinden zu können.

Literaturverzeichnis

Barabási, A. L., (2002) Linked: The New Science of Networks, Cambridge, MA, Perseus Publishing.

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