Reformvertrags-Erlebnisse in Wien oder
Versuch eines Bürgers von einem Volksvertreter eine zufriedenstellende Antwort zu erhalten.
Im Bezirksparteisekretariat frage ich nach dem Namen eines Nationalratsabgeordneten, mit dem ich über die EU-Verfassung sprechen könnte. Der Beamte nennt mir Namen und Telephonnummer. Die Telephonnummer ist falsch, die richtige erfrage ich im Parlamentsklub.
Die Sekretärin des Abgeordneten gibt mir einen Termin: 11 Uhr 30 im Parlament. Pünktlich treffe ich den Abgeordneten.Er erklärt mir, dass er jetzt keine Zeit hätte, aber wahrscheinlich in einer Viertelstunde zurückkäme. Es vergeht eine Viertel-, eine halbe Stunde. Nach einer Stunde kommt er und versucht mich stehend, direkt beim Haupteingang abzufertigen.
"Aber können wir nicht in's Buffet gehen?" "Ja, natürlich, gehen Sie durch die Schleuse, hinauf in's Buffet, ich komme nach".
Ich warte im Buffet, der Abgeordnete kommt nicht. Nach einer halben Stunde gehe ich zurück durch die Schleuse zur Rezeption. Man telephoniert. "Der Abgeordnete schickt einen Mitarbeiter", erfahre ich. Der Mitarbeiter kommt und geht mit mir durch die Schleuse hinauf in's Buffet. Er weist mir einen Tisch zu und verschwindet, Ich bestelle Kuchen und Kaffee. Nach einer weiteren Viertelstunde kommt der Abgeordnete.
"Herr Abgeordneter, die EU-Verfassung wurde von Frankreich und Holland abgelehnt. Wieso will man sie den Völkern jetzt aufzwingen?" "Ohne den Reformvertrag kann man die 27 Staaten nicht führen!" "Es heißt, EU-Recht geht vor nationales Recht. Das bedeutet doch, dass das ein wesentlicher Eingriff in unsere Verfassung ist. Da muss es doch eine Volksabstimmung geben!"
"Die Volksabstimmung erübrigt sich. Bei der Volksabstimmung im Jahr 1994 wurde implizit auch über die Verfassung abgestimmt!"
"Aber damals hat doch kein Mensch von einer EU-Verfassung gesprochen!“ Keine Antwort.
Mit dem mulmigen Gefühl, dass dem Abgeordneten scheinbar die Volksabstimmungen in Frankreich und Holland egal sind, verlasse ich das Parlament.
Eben sagt ein Fachmann im Radio, dass der EU-Reformvertrag nur von Rechtsexperten gelesen werden kann. Und so etwas will man über die Köpfe der Völker beschließen?
Observator
Wien, im Oktober 2007