Gehe über Los...
Für die heute, an den Hebeln der Welt sitzenden Patrizier, scheint diese dem bekannten Brettspiel Monopoly recht ähnlich zu sein. Wird dem einfachen Plebejer auf Schritt und Tritt penibel auf die Finger geschaut, ob dieser sich auch peinlich genau an die Regeln hält, so scheint die andere Seite die Gerichtsbarkeit in Händen zu halten. Gehe nicht in den Arrest, sondern über Los, beziehe deine Apanagen und erfreue dich deines Lebens.
So oder so ähnlich kann man sich heute die Diplomatische Immunität vorstellen. Einst ein Schutz für Repräsentanten in einem fremden Land, nicht für politische Spielchen missbraucht zu werden, gilt es heute als Freibrief für allerhand dubiose Machenschaften. Der Grundsatz für den Diplomaten hat sich freilich nicht geändert, jedoch wurde die Auslegung selbigen „erweitert“. Es geht freilich nicht darum, eine Geschwindigkeitsübertretung begangen zu haben. Jedoch weigern sich die meisten Diplomatenausweisbesitzer sogar bei diesen Bagatellen, ihre zu Recht erhaltenen Tickets zu begleichen. Andererseits, in manchen Fällen muss man von wahrer Kriminalität sprechen, welche man durch die diplomatische Immunität einfach unter den Teppich kehrt, oder vielmehr kehren lässt.
Man ist durchaus gewillt, solchen Personen, einen etwas größeren Spielraum einzuräumen, aber wenn man sich unter diesem Deckmantel förmlich alles erlauben darf, ohne Repressalien befürchten zu müssen, ist es eine wortwörtliche Aushöhlung des Gesetzes. Es widerspricht allen moralischen und gesetzlichen Regeln. Das wahrscheinlich schlimmste, was einem Diplomaten widerfahren kann, ist die Abberufung, während ein einfacher Mensch mit harten Strafen zu rechnen hat. Selbst bei kleineren Vergehen, wird der Delinquent in Justitia's Waagschale geworfen, die offenkundig über tatsächliche optische Probleme zu verfügen scheint.
Natürlich dürfen sich seit langem auch Politiker über diese Sonderbehandlung erfreuen, was zunehmend für Kopfschütteln sorgt. Ist es nicht so, daß man von einem, vermeintlich vom Volk gewählten Politiker erwarten muß, daß er sich gesetzestreu für das Volk und das Land einsetzt? Wenn ich dieser Aufgabe nachkomme, für die ich mich scheinbar qualifiziert habe, sollte es doch möglich sein, nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen. Das schaffen auch hunderte Millionen von einfachen Bürgern. Und dies, obwohl sie in keinem geschützten oder abgegrenzten Raum leben, so wie es eben hohe Politiker tun. Und gleichzeitig scheint es wohl doch hin und wieder möglich zu sein, eine Diplomatische Immunität zu verlieren. Vor allem, wenn sie eine Regierungspartei erwischt fühlt. Genau dann werden alle Möglichkeiten ausgeschöpft, den investigativen Maulkorb auszupacken.
In der Bundesrepublik Deutschland sind etwa 2800 diplomatische Fahrzeuge registriert. Der Exekutive ist es jedoch untersagt, Amtshandlungen zu vollziehen, selbst wenn diese vorsätzlich oder auch aus Unvorsichtigkeit einen Unfall verursachen. So gewesen im Jahre 2017. Ein saudischer Diplomat parkte sein Fahrzeug im absoluten Halteverbot, öffnete unvermittelt die Fahrzeugtür, worauf ein Fahrradfahrer mit selbiger kollidierte. Er stürzte dabei so unglücklich, daß er in Folge an den Verletzungen verstarb. Der Verschulder konnte nicht dafür belangt werden, obwohl die Schuldfrage eindeutig war. Dies bestätigte auch der Pressesprecher der Berliner Polizei.
Zitat: Natürlich wird der Sachverhalt aufgeschrieben, aber es ist eben so, gegen einen Diplomaten dürfen keine polizeilichen Maßnahmen durchgeführt werden. Es darf kein Alkoholtest veranlasst werden, er darf nicht mitgenommen werden.
All das verbietet sich von vorn herein. Auf die Schwierigkeit der Schuldfrage, entgegnet der Pressesprecher, daß diese im Zweifel ungeklärt bleibe.
Ich möchte dem Diplomaten natürlich keine böse Absicht unterstellen, da diese gewiß nicht vorlag, aber eben durch die Gewohnheit, sich über Gesetze hinwegsetzen zu können, kam es erst zu diesem traurigen Vorfall.
Sind diese Bevorzugungen wirklich noch zu vertreten?
Diplomatische Immunität wird nach außen hin, als „rechtlicher Schutz des Diplomaten“ dargestellt. Es klingt dabei so, als müsse man diese Person vor dem Staat schützen, als wolle ihm dieser Unwille. Liest man sich jedoch das Wiener Übereinkommen aus dem Jahre 1961, bzw. 1963 durch, wird schnell klar, daß ein Diplomat, seine Familie und selbst Botschaftsangestellte, über dem Gesetz stehend angesiedelt sind. Auch Staatschefs, ihr Gefolge, sowie ministeriales Personal genießen diese Sonderbehandlung. Selbst ein apostolischer Nuntius ist immun gegenüber dem Gesetz. Der Botschafter von Dschibuti, gab gegenüber dem Magazin „Galileo“ bekannt, daß er auch eine Bank ausrauben könnte, ohne strafrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Jedenfalls nicht unmittelbar. Erst, wenn seine Immunität aufgehoben werde, dann könnte er mit dem Gesetz in Konflikt kommen. Auch die Räumlichkeiten einer Botschaft unterliegen nicht den nationalen Statuten des Landes, in dem sich diese befindet. Alleine der Botschafter entscheidet, wem Zutritt gewährt wird und wem nicht. Selbst die Exekutive unterliegt dem Willen des beauftragten Botschafters. Wird also, -nur angenommen, eine Person in einem Botschaftsgebäude ermordet, kann der Botschafter den Zutritt zum Tatort verweigern. Ganz ohne Konsequenzen!
Wieder ist auch hier zu betonen, daß diese Immunität durchaus Sinn macht und angewandt werden soll, befindet sich ein Abgesandter auf Staatsbesuch in einem Land, wo die politische Lage nicht eindeutig scheint, um es so auszudrücken. Ein Abgesandter darf nicht Zielscheibe von Erpressung oder Drohungen werden. Tatsache ist allerdings, daß besagter Schutz nicht selten für zwielichtiges Handeln mißbraucht wird. Der Fall Jamal Khashoggi zeigt deutlich auf, welche Vorgehensweise zu befürchten ist. Selbst wenn die Ermordung Khashoggis bereits einige Jahre zurückliegt, muß man sich vor Augen führen, daß auch Folter und Mord nicht strafrechtlich verfolgt werden kann. Gerade dann, wenn diese vom Staatsoberhaupt eher gewünscht, als abgelehnt wird.
Als Botschafter eines Landes erfüllt man eine wichtige Position. Man ist Repräsentant, Vermittler und sollte auch die Fähigkeit besitzen, Wogen zu glätten. Man ist de facto der verlängerte Arm der Regierung seines Landes. Mehr eine Berufung, als Beruf. Und die Pflicht der Vorbildwirkung muß unbedingt gegeben sein. So sollte man sich einen Botschafter vorstellen dürfen. Könnte man die Frage, ob sich Botschafter korrekt verhalten, immer mit einem „Ja“ beantworten, würden diese im Alltag kaum auffallen und keinen Grund für Unmut liefern. Leider gibt es hin und wieder Verdachtsmomente, in denen Botschafter oder Botschaftsangehörige in Verbindung mit dem organisierten Verbrechen gebracht werden können. Mafiöse Strukturen, die mit Hilfe und dem Schutz durch das Heimatland agieren. Unter gewissen Umständen, kann ein Diplomat zur „Persona non grata“ erklärt werden. Aber auch hier erweist sich, daß damit eher Druck ausgeübt wird, als daß ein Problem gelöst wird. Wie etwa die Ausweisung dreier russischer Diplomaten im Februar diesen Jahres, wegen der Haltung des Kreml zu Navalny.
Immunität, wie sie sich Politiker im eigenen Land zugestehen, gehört jedoch überwiegend untersagt. Denn sie öffnet Tür und Tor jenen, die sich auf Kosten des Staates, sprich dem besteuertem Volk, bereichern und auch anderweitig Schaden zuführen können, wie man es derzeit überall miterleben muß. Die einzige Immunität, die man einem Politiker zugestehen darf ist der Schutz vor privaten Anfeindungen im Bereich seiner Tätigkeit als politisches Organ, solange die Vorwürfe nicht einwandfrei erwiesen werden können. Ein Diener des Volkes hat sich an die Gesetze zu halten, die er auch dem Volk auferlegt.
Solange das nicht der Fall ist, werden sich Politiker immer nur um ihresgleichen sorgen, um ihre Zeit nach der politischen Karriere gesichert zu haben. Gerade heute, und man muß es immer wieder in den Fokus bringen, wo Werte wie Rechtschaffenheit, kaum noch Gültigkeit haben, wäre es um so dringlicher, das Amt des Politikers neu zu strukturieren. Wer weiß, vielleicht würde es zum Selbstläufer gereichen, wenn man einen Politiker wirklich nach seiner Ehrbarkeit bewerten könnte und nicht nach dem lobbyistischen Hintergrund, der ihn an den Ministertisch gespült hat.
Insgesamt darf man sagen, daß es sehr wohl gute Gründe gibt, in definierten Bereichen, diplomatische Immunität zu gewähren. Auf der anderen Seite muß es aber anwendbare Mechanismen geben, die den Mißbrauch effektiv einschränken und bekämpfen. Es scheint ein weit verbreitetes Verhalten zu sein, anstatt des angebotenen kleinen Fingers, sich gleich des ganzen Arms zu bemächtigen.
Diese Art von Freifahrtschein begünstigt demnach nicht nur ein fragwürdiges Verhalten der Partizipanten, sondern eben auch eine "Zweiklassengesetzgebung", in der manche alles dürfen und der normale Bürger folglich nicht, was klarerweise zu Unverständnis und Argwohn führt.
In der menschlichen Natur liegt auch begraben, daß besondere Annehmlichkeiten schnell zur Gewohnheit werden, und ein „Immuner“ seinen Status schnell als „normal“ betrachten mag.
Ein Getriebe kann nur dann langlebig sein, wenn alle Zahnräder gleicher Natur sind.