Schemen - Visionen - Gespenster


Wer hätte nicht schon davon gehört und zumindest ein paar Augenblicke darüber nachgedacht: Gespenster! Angeblich halten sie sich besonders in alten Gebäuden auf, in halb verfallenen Villen oder romantischen Schlössern und Burgen, vielleicht auch auf einsamen Wegen. Doch das dürfte wohl auf alle Fälle eine Vorstellung sein, die ihren Ursprung in der Gruselgeschichtenliteratur hat. Gespenster, wenn es sie gibt, kämen gewiß in allen gesellschaftlichen Schichten vor, sie wären schwerlich ein Privileg, resp. eine Besonderheit, des Adels und des Großbürgertums, es gäbe sie auch auf Bauernhöfen und in kleinen Hütten, in Mietskasernen ebenso, oder in Industrieruinen - warum nicht auch auf Parkplätzen, Bahnhöfen oder an Bushaltestellen? Doch solche Schauplätze würden sich selbstverständlich weniger gut für romantische Gruselgeschichten eignen. Gibt es aber Schemen wirklich? Und falls ja, welcher Natur könnten sie sein, woher könnten sie kommen und was könnten sie bedeuten? Gäbe es eine schlüssige Erklärung für sie? Das wäre wohl durchaus möglich – anders freilich, als in Gruselgeschichten meistens dargestellt; auch nicht genauso, wie z.B. Swedenborg es definiert – aber, in gewisser Weise, mag es sie schon geben.

Der deutsche Ausdruck Gespenst ist verwand mit dem Wort Gespinst; es handelt sich um etwas, das sich zusammenspinnt, quasi verdichtet. Damit verbindet es sich mit der zweiten Bezeichnung die dafür, in den germanischen Sprachen gängig ist: Geist, im Englischen, Ghost. Beide Ausdrücke gemeinsam bilden den Kern dessen, was sich tatsächlich vorzustellen wäre: Etwas, das sich durch Verdichtung von Geist zu einem wahrnehmbaren Gebilde zusammenspinnt. In der Sprache steckt eine natürliche Weisheit, gebildet durch viele Generationen, Wissen – oder ein ahnendes sich Erinnern aus verkümmerten Kenntnissen. Nehmen wir dies also ernst. Im Grunde gibt es nichts, was es grundsätzlich nicht gibt – wenn eine derart tief verwurzelte Annahme dessen besteht. Ähnlich, wie die Märchen um Drachen und Seeschlangen wohl nicht hätten entstehen können ohne eine Urerinnerung an letzte Dinosaurier, um ein Beispiel aus einem anderen Gebiet zu nennen. Als Gespenster – Ghosts – gelten mehr oder weniger stark materialisierte Wiedererscheinungen von verstorbenen Menschen. Meistens, so heißt es, ist deren Stofflichkeit nur schwach, oft kaum vorhanden, mitunter besteht ihre optische Erkennbarkeit nur in selbstsuggerierter Einbildung – oder aber, vielleicht richtiger – in Bildern, welche bloß in den Gedanken empfangen werden. Falls es solche also gäbe – mit was hätten wir es dabei zu tun? Auf alle Fälle mit keinen Wesen, welche der Mensch zu fürchten hätte. Sie möchten unheimlich erscheinen, doch sich schädlich auszuwirken vermöchten sie nicht. Doch sie „geisterten“ umher. Was also - wenn es sie gibt – Gespenster? Die Antwort, die sich anbietet, ist auch in einigen Schriften vorhanden, die uns aus eigenem Material bekannt sind; sie lautet folgendermaßen, und dies fußt nun natürlich auf unseren Glaubensgrundlagen: Wenn der Mensch nach seinem Erdendasein verstirbt, gelangt er in eine jenseitige Welt, die seiner Eigenschwingung zum Zeitpunkt des Sterbens gemäß ist. Eine lichte Eigenschwingung bedeutet die jenseitige Wiedergeburt in einer lichten, angenehmen jenseitigen Welt, von der aus der Heimweg in das Reich Gottes nicht mehr schwer fällt. Wir alle sind ja kleine „gefallene Engel“, die einstens aus dem lichten Reich Gottes auszogen und dabei ihr Bewußtsein verloren.

Unsere Wiederverstofflichung im Irdischen und der einmalige Weg durch das Erdendasein ist notwendig, um uns unserer wieder bewußt werden zu lassen, auch wenn es an der Erinnerung an unser Engelsvorleben noch mangelt. Nur wenigen gelingt es, den „Engel in uns“ (Livia) schon hier zu erkennen. Doch mit dem irdischen Sterben verlieren wir unsere Bewußtheit nicht abermals. Wir wissen also auch nach dem Sterben ganz genau, wer wir sind. Nichts von dem Wissen um unser Erdenleben werden wir verlieren! Das Provisorium Diesseits hat der Mensch hinter sich gelassen, er ist in die Ewigkeit hinübergegangen. Wer nun aber nach seinem irdischen Sterben nicht weiß, wie es „drüben“ weitergeht, ist naturgemäß verwirrt, er oder sie findet sich zunächst einmal nicht zurecht. Darum kommen andere, vor allem Verwandte, wie Eltern und Großeltern, um den frisch verstorbenen Menschen quasi abzuholen und mit den Verhältnissen im Jenseits vertraut zu machen. In der Generalschwingungssphäre, die alles umschließt, können sich ja alle begegnen.

Da es im Jenseits aber kein Altern gibt, die Eltern und Großeltern sowie andere Verwandte also alle wie junge Menschen erscheinen, vermag nicht jeder Verstorbene sogleich zu begreifen, was ihn nunmehr umgibt. Die durch Erkenntnis erworbenen Vorkenntnisse über das Jenseits besitzt ja nicht jeder Mensch. Manche Verstorbene begreifen zunächst überhaupt nicht, daß sie gestorben sind. Besonders solche Menschen, die aufgrund eines religiösen Irrglaubens, den sie aus ihrem Erdenleben mitgebracht haben, können die Wahrheit mitunter nicht verstehen. Jene etwa, die darauf warten, reinkarniert zu werden – doch dies findet nicht statt. Also zieht es manche Verstorben an jene Plätze ihres vergangenen Erdendaseins zurück, die sie kennen, an denen sie sich geborgen fühlen. Freilich erscheint ihnen dies alles auf eine für sie unerklärliche Weise verändert, wie sie auch die ihnen dort vertrauten Menschen nun ganz anders sehen, da sie ja nur deren innere Leiber wahrnehmen können. Doch die so Herumirrenden sind sich eben noch nicht darüber im klaren, daß sie ja gestorben sind! Sie versuchen also, wohl mehr unbewußt als gezielt, so weit wie möglich wieder eine im Irdischen wirksame Stofflichkeit anzunehmen. Der Geist spinnt sich gewissermaßen einen notdürftigen Erdenkörper zusammen, sofern seine Kraft dazu ausreicht, was sicherlich immer nur für mehr oder weniger kurze Zeiträume möglich sein dürfte. Und also werden solche Verstorbenen zu Schemen. Dies wird meistens nicht sehr lange so bleiben, denn früher oder später begreifen auch solche „Schemen“, wie es um sie steht. Einige mögen dafür aber lange Zeit brauchen, das kann durchaus sein. Solche Art Gespenster kann es also durchaus geben, sie sind wohl mehr als lauter Märchen oder nur Resultat der Einbildung überspannter Erdenbewohner.

Wollen wir nun aber von dieser Sichtweise auf die Dinge zu uns selbst zurückkehren und den Begriff „Gespenster“ sinnbildlich nehmen, so müssen wir uns fragen: Haben wir nicht alle auf diese oder jene Weise „unsere Gespenster“? Geschehnisse unseres Lebens, die – umherirrenden Schemen gleich – uns nicht vollständig loslassen, ehe wir sie in uns selber überwunden haben?