VII. Grundrechtecharta

VII. die Mängel der EU-Grundrechtecharta

Dieser Abschnitt dient der Erläuterung anhand der EU-Grundrechtecharta, warum nicht nur der Vorrang der Grundrechte und Strukturprinzipien, sondern auch der grundrechtsgleichen Rechte und der universellen Menschenrechte vor dem EU-Recht, hilfsweise zumindest vor dem EU-Sekundärrecht, unverzichtbar ist.

Dieser Abschnitt wendet sich nicht gegen die EU-Grundrechtecharta als solche, sondern verdeutlicht allein, dass die EU-Grundrechtecharta in ihrer Schutzwirkung so schwach ist, dass sie den Schutz durch die Grundrechte, grundrechtsgleichen Rechte und Strukturprinzipien des GG sowie durch die universellen Menschenrechte der Vereinten Nationen in keiner Weise ersetzen kann.

Die EU-Grundrechtecharta bietet aus folgenden, sämtlich in deren Art. 52 liegenden, Gründen die in den folgenden Abschnitten des Teils VII. dieser Verfassungsbeschwerden genauer dargelegt werden keinen dem GG vergleichbaren Grundrechtsschutz im Sinne des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG:

---Die Grundrechte der EU-Grundrechtecharta werden unterhalb des EU-Primärrechts, gerade noch oberhalb des EU-Sekundärrechts, eingeordnet (Art. 52 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta).

---Das Menschenrecht auf Leben aus der EU-Grundrechtecharta hat die riesige Lücke, dass es zulässt, undefinierte “Aufrührer” zu töten (Art. 52 Abs. 3 EU-Grundrechtecharta, Art. 2 Abs. 2 EMRK).

---Das Menschenrecht auf Leben aus der EU-Grundrechtecharta hat die Lücke, dass es die Wiedereinführung der Todesstrafe ab undefinierter “unmittelbarer Kriegsgefahr” zulässt (Art. 52 Abs. 3+7 EU-Grundrechtecharta, Art. 2 Abs. 2 EMRK in der Fassung des 6. Zusatzprotokolls zur EMRK).

---Alle sozialen Grundrechte der EU-Grundrechtecharta sind unverbindliche “Kann”- Vorschriften (Art. 52 Abs. 5 EU-Grundrechtecharta).

---Darüber hinaus werden die Grundrechte aus der EU-Grundrechtecharta auf Datenschutz (Art. 8), soziale Sicherheit (Art. 34), Gesundheit (Art. 35), Umweltschutz (Art. 37) und Verbraucherschutz (Art. 38) durch Umdefinition im AEUV weichgespült (Art. 52 Abs. 2 EU-Grundrechtrechtecharta, Art. 9, 11, 12 und 16 AEUV, Art. 39 EUV).

---Ein erheblicher Teil der sozialen Grundrechte wird dadurch, dass er unter dem Vorbehalt der nationalen Gepflogenheiten gestellt wird, unverbindlich gemacht, da die Grundrechte aus den nationalen Verfassungen gerade nicht auf die EU-Ebene durchgreifen, sondern durch die EU-Grundrechtecharta abgegolten werden (Art. 52 Abs. 6 EU-Grundrechtecharta, Erklärung 1 zum “Vertrag von Lissabon”).

Der Beschwerdeführerin ist aus mehreren Urteilen, so auch aus dem ersten Lissabon- Urteil, die einschränkende Auslegung von EU-Primärrecht bekannt, also im Ergebnis das Verbot bestimmter nach dem Wortlaut des EU- Rechts möglicher, aber mit dem Grundgesetz unvereinbarer Auslegungen. Durch die Einschränkung der zulässigen Auslegungsmöglichkeiten kann dann oft vermieden werden, gleich das Inkrafttreten der gesamten internationalen Vereinbarung scheitern zu lassen.

Die Beschwerdeführerin ist der Rechtsauffassung, dass aber keine das EU- Recht ausdehnende und die Lücken der EU-Grundrechtecharta schließende oder deren Mängel heilende Rechtsprechung der nationalen Gerichte geben kann. Die Mängel der EU-Grundrechtecharta können nur durch Änderung von deren Art. 52 (und der Erläuterungen des EU-Konvents dazu) geheilt werden.

Angesichts der äußerst schwachen Schutzwirkung der EU-Grundrechtecharta kann daher der Aussage aus der gutachterlichen Stellungnahme von Herrn Prof. Dr. Bogdandy vom 26.08.2009 für die Europaausschüsse von Bundestag und Bundesrat, “eine Prüfung am Maßstab der EU-Grundrechte” sei “zukunftsweisender”, nur aufs deutlichste entgegengetreten werden. Nach Rn. 175 des ersten Lissabon-Urteils trägt der Bundestag “mit anderen Worten nicht nur eine abstrakte ,Gewährleistungsverantwortung' für das hoheitliche Handeln anderer Herrschaftsverbände, sondern die konkrete Verantwortung für das Handeln des Staatsverbandes”. Die Verantwortung des Bundestags geht über die der außerparlamentarischen Opposition und die der Presse hinaus, ist nicht allein auf die Sicherstellung diskursiver Entfaltung begrenzt, sondern umfasst auch die Verantwortbarkeit der auf Grund der Integrationsermächtigungen treffbaren Entscheidungen.

Die Beschwerdeführerin würde bei Ratifizierung des “Vertrags von Lissabon” ohne vorherige Verankerung einer verpflichtenden Verfassungsidentitätsprüfung durch den Bundestag und, soweit Länderzuständigkeiten berührt sind, auch durch den Bundesrat, welche außer den Grundrechten und Strukturprinzipien des Grundgesetzes auch die grundrechtsgleichen Rechte und die universellen Menschenrechte beinhalten müsste, selbst, gegenwärtig (sofort) und unmittelbar (ohne weiteren Rechtsakt) in ihren Grundrechten, grundrechtsgleichen Rechten und universellen Menschenrechten verletzt, weil diese dann formell-rechtlich vor dem EU-Recht nicht hinreichend geschützt wären, auch nicht durch die viel zu schwache EU-Grundrechtecharta. Zugleich wäre solch eine schutzlose Situation eine Entleerung des grundrechtsgleichen Wahlrechts aus Art. 38 GG, weil die demokratisch legitimierte Politik kein Mandat zum Eingriff in die nur dem Volk zur Disposition stehende Verfassungsidentität hat (Rn. 218 des ersten Lissabon-Urteils); das darf auch nicht durch Wegschauen oder diesbzgl. Untätigkeit der Bundestagsabgeordneten umgangen werden können.

VII.1 Die Erläuterungen des EU-Konvents

Die Erläuterungen des EU-Konvents würden durch Art. 6 EUV ausdrücklich verbindlich gemacht für die Auslegung der EU-Grundrechtecharta. In der amtlichen Veröffentlichung der EU-Grundrechtecharta (siehe Anlage) wird von der Präambel und von Art. 52 Abs. 7 aus auf diese Erläuterrungen verwiesen, sodass auch die Erläuterungen des Konvents, nach lex specialis, für eine vom Wortlaut der EU-Grundrechtecharta abweichende Auslegung der EU-Grundrechte sorgen würde.

VII.2: Zu niedriger Rang und Aufweichung der EU-Grundrechte

Art. 52 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta bestimmt, dass die Ausübung der durch die EU-Grundrechtecharta anerkannten Rechte, die in den Verträgen (AEUV und EUV) geregelt sind, auszuüben sind entsprechend den in den Verträgen bestimmten Bedingungen und Grenzen.

Daraus folgt erstens, dass sämtliche EU-Grundrechte nur innerhalb der von AEUV und EUV gezogenenGrenzen anwendbar sind. Sie stehen damit vom Rang unterhalb von AEUV und EUV, obwohl die EU-Grundrechtecharta, in welcher sie stehen, nach Art. 6 Abs. 1 S. 3 EUV durch den “Vertrag von Lissabon” gleichrangig mit dem EU-Primärrecht würde. Als Folge würden selbst für sich allein harmlos aussehende Vorschriften wie die Verpflichtung auf die Wettbewerbsfähigkeit (Art. 151 AEUV) oder die EU-weite Vereinheitlichung des geistigen Eigentums (Art. 118 AEUV) eine menschenrechtsgefährdende Qualität erhalten, wenn man sich nur einmal vergegenwärtigt, dass sie durch Art. 52 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta selbst über den EU-Grundrechten auf Leben, auf Menschenwürde und auf Religionsfreiheit stehen würden. Die EU-Grundrechte würden überhaupt nur Schutz bieten gegenüber dem EU-Sekundärrecht, soweit jeweils das EU-Primärrecht dem jeweils nicht entgegenstehen würde. Auch gegenüber der GASP und gegenüber der Solidaritätsklausel (Art. 222 AEUV) haben die eigenen Grundrechte der EU keine richtige Schutzwirkung.

Bereits an dieser Stelle wird deutlich, dass nur Grund- und Menschenrechte außerhalb des EU-Rechts dem EU-Primärrecht die notwendigen Grenzen setzen können. Und das geht auch nur mit solchen Rechtsquellen, die selbst einen entsprechend hohen Ranganspruch haben, also aus den nationalen Verfassungen, welche auf Grund der Souveränität der Staaten (Art. 1 Abs. 2 UNO- Charta) stets der Ausgangspunkt für die Betrachtung der Rangfolge der Rechtsordnungen für den jeweiligen Staat sind, und aus den universellen Menschenrechten, welche vom Rang direkt unterhalb der UNO-Charta stehen (Art. 28 AEMR, Art. 29 AEMR, Art. 1 Nr. 3 UNO-Charta, Art. 103 UNO-Charta).

Aus Artikel 52 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta folgt zweitens aber auch, dass die EU-Grundrechte, welche zusätzlich noch im AEUV oder im EUV stehen, nicht die Tragweite und Verbindlichkeit haben, welcher aus dem Wortlaut in der EU-Grundrechtecharta folgt, sondern die, welche im AEUV oder im EUV für sie steht (siehe auch Erläuterungen des EU-Konvents zu Art. 52 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta). Während die soziale Sicherheit von der EU nach dem Wortlaut von Art. 34 Abs. 1 EU-Grundrechtecharta anerkannt und geachtet wird, ist sie nach Art. 9 AEUV tatsächlich nur in Betracht zu ziehen.

Entsprechendes macht Art. 9 AEUV mit dem Recht auf Gesundheit aus Art. 35 EU-Grundrechtecharta und mit dem Recht auf Bildung aus Art. 14 EU-Grundrechtecharta. Während die EU nach dem Wortlaut von Art. 38 EU-Grundrechtecharta ein hohes Verbraucherschutzniveau sicherstellt, soll sie es nach Art. 12 AEUV tatsächlich lediglich in Betracht ziehen.

Art. 8 EU-Grundrechtecharta normiert ein Grundrecht auf Datenschutz, welches primärtextlich weder im Grundgesetz noch in den universellen Menschenrechten ausdrücklich formuliert ist. Es steht allerdings auch in Art. 16 AEUV, welcher wiederum auf Art. 39 EUV verweist, demzufolge der Ministerrat der EU den Datenschutz abweichend von Art. 16 AEUV und damit auch abweichend von der in Art. 8 AEUV formulierten Reichweite regeln kann.

VII.3 Aufrührertötung

Nach Art. 52 Abs. 3 EU-Grundrechtecharta sind deren Grundrechte, also auch das Recht auf Leben aus Art. 2 der EU-Grundrechtecharta, auszulegen wie die entsprechenden Bestimmungen der EMRK. Das bedeutet, dass die EMRK über die EU-Grundrechtecharta insoweit gestellt würde, wie es Grundrechte gibt, mit denen sich beide befassen. Das Recht auf Leben wäre auf EU-Ebene also nach der EMRK auszulegen. Sowohl Art. 2 EMRK als auch die Erläuterungen des EU-Konvents sehen die Tötung von Menschen nicht als Verletzung des Menschenrechts auf Leben an, wenn diese unbedingt erforderlich sei zur “rechtmäßigen Niederschlagung” eines “Aufruhrs” oder “Aufstands”. Die EMRK weist auch heute noch, in ihrer aktuellsten Fassung, diese Lücke beim Schutz des Lebens auf.

Die Lücke in Art. 2 EMRK ist bisher in Europa ohne praktische Auswirkung geblieben, da Art. 27 WVRK die Tür öffnet allein für den Vorrang von Deutschland ratifizierter Verträge vor den einfachen Gesetzen in Deutschland, nicht aber vor dem Grundgesetz selbst.

Weiterhin ist die Schutzlücke in der EMRK ohne Auswirkung geblieben, da die EMRK den Vorranganspruch der AEMR laut deren Art. 28 dahingehend, das jeder Mensch berechtigt sei auf eine soziale und internationale Ordnung, in welcher die UNO-Menschenrechte voll verwirklicht werden können, nie in Frage gestellt hat. Des weiteren hat das Bundesverfassungsgericht im Urteil zum EU-Haftbefehl, in welchem es die Rechtslage ohne den in Deutschland bisher nicht in Kraft getretenen “Vertrag von Lissabon” zu beurteilen hatte, den Vorrang des Grundgesetzes vor der EMRK ausdrücklich festgestellt (2 BvR 2236/04, Nr. II.1 der Entscheidungsgründe).

Die mangelnde Definition des “Aufständischen” und des “Aufrührers” ist mit der zu einem Rechtsstaat gehörenden Rechtssicherheit und Rechtsklarheit (Art. 20 Abs. 3 GG) unvereinbar, umso mehr, wenn es um Leben und Tod geht. Da die Erläuterungen des Konvents “Aufstand” und “Aufruhr” aufzählen, sind “Aufrührer” in diesem Sinne offensichtlich nicht mit “Aufständischen” gleichzusetzen. Die Beschwerdeführerin stellt sich unter einem Aufständischen jemanden vor, der mit Anwendung physischer Gewalt versucht, eine Rechtsordnung oder eine Regierung zu stürzen. Unter einem “Aufrührer” könnte man nun mangels Definition nicht nur jemanden verstehen, der politisch motivierte Gewalt anwendet ohne das bewusste Ziel eines Umsturzes, sondern auch bereits jemanden, der friedlich und ohne verbale Aggression deutliche Kritik äußert.

Die mangelnde Definition des Wortes “Aufruhr” gefährdet nicht nur das Lebensrecht nach Art. 2 Abs. 2 GG, sondern auch das Verbot der Diskriminierung auf Grund politischer Weltanschauung nach Art. 3 GG, den Schutz der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, der Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, des Zensurverbots nach Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG und der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG.

Außerdem verletzt die Aufrührertötung die Menschenwürde (Art. 1 GG), welche mit dem Lebensrecht eng verbunden ist. Es ist Menschen, die sich friedlich versammeln oder ihre Meinung äußern, oder die einfach nur als Passanten Zeuge von Ausschreitungen werden, nicht zuzumuten, einfach zur Niederschlagung eines Aufruhrs getötet zu werden, denn das würde nicht nur ihr Lebensrecht, sondern auch ihre Subjektivität und damit ihre Menschenwürde verkennen (BVerfG-Urteil vom 15.02.2006 zum Luftsicherheitsgesetz, Az. 1 BvR 357/05).

Die Beschwerdeführerin sieht durch die mangelnde “Aufrührer”-Definition insbesondere auch solche Menschen gefährdet, deren höchste Treue dem Grundgesetz und der der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des GG sowie den zum “ius cogens” gehörenden Menschenrechten der UNO gilt, und welche deren Vorrang vor dem EU-Recht vertreten, schützen und im Alltag leben. Der “Vertrag von Lissabon” würde die Tür öffnen, grundgesetztreue Menschen zu “Aufrührern” im Sinne der Erläuterungen des EU-Konvents bzw. von Art. 2 EMRK zu erklären, selbst wenn niemand im Konvent die Ermöglichung solcher Entrechtung beabsichtigt haben mag.

Die mangelnde Definition des Wortes “Aufruhr” gefährdet die Säulen “Recht auf parlamentarische Opposition”, “Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft” und “Menschenrechte” (§4 Abs. 2 c, f und g BVerfSchG) der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Ebenfalls bedenklich im Sinne der verfassungsmäßig geschützten Rechtsklarheit (Art. 20 Abs. 3 GG) ist das Wort “rechtmäßig” in Zusammenhang mit der gewaltsamen Niederschlagung von “Aufstand” und “Aufruhr”, da dort nicht geregelt wird, auf welche Art von Recht sich das Wort “rechtmäßig” bezieht. Es bleibt offen, ob die Erläuterungen des Konvents für die Niederschlagung eine zusätzliche einfachgesetzliche Rechtsgrundlage für erforderlich halten, ob die Erläuterungen selbst solch eine Grundlage darstellen wollen, oder ob es gar ermöglicht werden soll, durch die praktische Anwendung Gewohnheitsrecht bzgl. der Niederschlagung von Aufstand und Aufruhr zu schaffen.

Im ersten Lissabon-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht den Vorrang der Grundrechte des GG vor dem EU-Recht bestätigt. Damit steht das Recht auf Leben aus Art. 2 Abs. 2 GG klar weiterhin oberhalb des EU-Rechts und auch oberhalb der EMRK. Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG lässt jedoch Ausnahmen vom Lebensrecht auf einfachgesetzlicher Ebene zu, die Aufrührertötung würde jedoch gegen den Wesensgehalt des Lebensrechts verstoßen, und, zumal sie Unschuldige treffen würde, auch gegen die Menschenwürde.

Um die Verhinderung der Aufrührtötung auch durchzusetzen, bedarf es darüber hinaus aber auch einer hinreichenden formell-rechtlichen Absicherung auf der einfach-gesetzlichen Ebene, wie in Abschnitt

IV.1.4 dieser Verfassungsbeschwerden beschrieben.

Die Beschwerdeführerin würde bei Ratifizierung des “Vertrags von Lissabon” ohne vorherige Schaffung hinreichender einfachgesetzlicher Schutzmechanismen in den Begleitgesetzen insoweit selbst, unmittelbar (ohne weitere Rechtsakte) und gegenwärtig (sofort) betroffen, wie der Schutz ihrer Grundrechte auf Menschenwürde (Art. 1 GG), auf Leben (Art. 2 Abs. 2 GG), auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) und ihre grundrechtsgleichen Rechte auf den gesetzlichen Richter und das Verbot von Ausnahmegerichten (Art. 101 GG) und auf Grundrechte der Angeklagten (Art. 103 GG) durch mangelnden einfachgesetzlichen Schutz vor Aufrührertötung und Todesstrafe über die Begleitgesetze gegenüber dem EU-Recht zur Disposition gestellt würden.

VII.4 Todesstrafe

Die Todesstrafe ist in Deutschland bisher durch Art. 2 Abs. 2 GG i. V. m. Art. 102 unter allen Umständen verboten. Da Deutschland dieses Verbot einmal eingeführt und den UNO-Zivilpakt ratifiziert hat, ist deren Wiedereinführung gem. Art. 6 Zivilpakt untersagt. Zusätzlich verboten ist die Todesstrafe in Deutschland durch Art. 2 EMRK seit deren Fassung vom Stand des 13. Zusatzprotokolls.

Die Erläuterungen des EU-Konvents als Teil des EU-Rechts würden hingegen Art. 2 EMRK vom Stand des 6. Zusatzprotokolls über Grundgesetz, UNO-Recht und auch über die aktuelle EMRK erheben. Diese Erläuterungen wären verbindlich, da die Bezugnahme auf sie in der amtlich veröffentlichten Fassung der EU-Grundrechtecharta wieder enthalten ist.

Beim Stand des 6. Zusatzprotokolls erlaubte die EMRK die Möglichkeit der Todesstrafe noch in Zeiten von Krieg und von unmittelbarer Kriegsgefahr. Mangels Definition von “Krieg” innerhalb der Erläuterungen des Konvents bleibt offen, ob z. B. die bestehende deutsche Beteiligung an Einsätzen wie ISAF und OEF in Afghanistan, nach Inkrafttreten des “Vertrags von Lissabon” als Erfüllung des Tatbestandsmerkmals “Krieg” für die Möglichkeit der Wiedereinführung der Todesstrafe zu deuten wären.

Noch schwieriger wäre die Abgrenzung bzgl. “unmittelbarer Kriegsgefahr”. Die Beschwerdeführerin befürchtet, dass bereits die Unterstützung des Terrorismus oder eine von der EU-Ebene als aggressiv empfundene Aufrüstung durch Nicht-EU-Staaten als “unmittelbare Kriegsgefahr” ausgelegt werden könnte.

Am 18.12.2007 beschloss die UNO-Vollversammlung eine Resolution zur weltweiten Abschaffung der Todesstrafe. Das Auswärtige Amt vertrat hierzu in einer Pressemitteilung die Rechtsauffassung, die Resolution sei völkerrechtlich zwar nicht bindend, sie begründe aber eine politische Verpflichtung für alle UNO-Mitgliedsstaaten, bereits gefällte Todesurteile nicht zu vollstrecken. Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier erklärte dazu am 20.12.2007 in Berlin:

http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Infoservice/Presse/Meldungen/2007/071220-GVVNResolutionTodesstrafe.html

„Die europäische Initiative zur Aussetzung der Todesstrafe wurde im Juni unter deutscher Präsidentschaft auf den Weg gebracht. Ich freue mich sehr, dass sie eine so breite Unterstützung erfahren hat. Dies ist ein wichtiger Erfolg für die EU, die seit Jahren aktiv für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe eintritt. Die Todesstrafe ist eine grausame und unmenschliche Strafe und mit der Menschenwürde nicht vereinbar. Unser Ziel bleibt daher ihre endgültige Abschaffung. Die jetzt verabschiedete Resolution und die breite Unterstützung im Kreis der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen gibt den weltweiten Bemühungen zur endgültigen Abschaffung der Todesstrafe weiteren Auftrieb.“

Diesen Argumenten gegen die Todesstrafe schließt sich die Beschwerdeführerin an. Die Erläuterungen des EU-Konvents zum Menschenrecht auf Leben sind mit Art. 1, Art. 2 Abs. 2, Art. 102, Art. 79 Abs. 3 GG und Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG unvereinbar.

Im ersten Lissabon-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht den Vorrang der Grundrechte des GG vor dem EU-Recht bestätigt. Damit steht das Recht auf Leben aus Art. 2 Abs. 2 GG klar weiterhin oberhalb des EU-Rechts und auch oberhalb der EMRK. Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG lässt jedoch Ausnahmen vom Lebensrecht auf einfachgesetzlicher Ebene zu, die Todesstrafe würde jedoch gegen den Wesensgehalt des Lebensrechts verstoßen, und auch gegen die Menschenwürde.

Um die Verhinderung der Wiedereinführung der Todesstrafe auch durchzusetzen, bedarf es darüber hinaus aber auch einer hinreichenden formell-rechtlichen Absicherung auf der einfachgesetzlichen Ebene, wie in Abschnitt IV.1.4 dieser Verfassungsbeschwerden beschrieben.

Die Beschwerdeführerin würde bei Ratifizierung des “Vertrags von Lissabon” ohne vorherige Schaffung hinreichender einfachgesetzlicher Schutzmechanismen in den Begleitgesetzen insoweit selbst, unmittelbar (ohne weitere Rechtsakte) und gegenwärtig (sofort) betroffen, wie der Schutz ihrer Grundrechte auf Menschenwürde (Art. 1 GG), auf Leben (Art. 2 Abs. 2 GG), auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) und ihre grundrechtsgleichen Rechte auf den gesetzlichen Richter und das Verbot von Ausnahmegerichten (Art. 101 GG) und auf Grundrechte der Angeklagen (Art. 103 GG) durch mangelnden einfachgesetzlichen Schutz vor Aufrührertötung und Todesstrafe über die Begleitgesetze gegenüber dem EU-Recht zur Disposition gestellt würden.

VII.5 Mehrfache Unverbindlichmachung der sozialen Menschenrechte

Art. 52 Abs. 5 der EU-Grundrechtecharta (bzw. Art. II-112 Abs. 5 EU-Verfassungsentwurf) macht die Bestimmungen der Charta, in welchen “Grundsätze” festgelegt sind, zu unverbindlichen “Kann”-Vorschriften. Nach den Erläuterungen des EU-Konvents zu Art. 52 Abs. 5 EU-Grundrechtecharta müssen diese weder von der EU eingehalten werden, noch sind sie subjektiv einklagbar.

Dies betrifft laut den Erläuterungen des Konvents insbesondere die sozialen Rechte wie Art. 25 (Rechte älterer Menschen), Art. 26 (Integration von Menschen mit Behinderung) und Art. 37 (Umweltschutz). Die Beschwerdeführerin ist der Rechtsauffassung, dass Art. 52 Abs. 5 alle sozialen Grundrechte der EU unverbindlich macht, darunter alle im Abschnitt “Solidarität” (Art. 27 bis 38).

Darüber hinaus ist ein großer Teil der sozialen Menschenrechte der EU-Grundrechtecharta noch einmal zusätzlich unverbindlich dadurch, dass sie unter den “Vorbehalt der nationalen Gepflogenheiten” gestellt wurden; mit diesem Vorbehalt, welchem gem. Art. 52 Abs. 6 EUGrundrechtecharta “in vollem Umfang Rechnung zu tragen” ist, ist nicht gemeint, das in den nationalen Verfassungen der Mitgliedsstaaten bzgl. verschiedener Menschenrechte unterschiedliche Schutzniveau in seiner Unterschiedlichkeit auf die EU-Ebene zu transponieren, denn der “Vertrag von Lissabon” zielt ja gerade auf den absoluten Vorrang des EU-Rechts. Hinzu kommt, dass Erklärung 1 zum “Vertrag von Lissabon” die Menschenrechte aus den mitgliedsstaatlichen Verfassungen gegenüber der EU-Ebene abgilt, indem sie postuliert, dass die EU-Grundrechtecharta die Menschenrechte aus den mitgliedsstaatlichen Verfassungen sichtbarer mache. In der Grundrechtecharta stehen nun aber auch viele Rechte, die sich in vielen mitgliedsstaatlichen Verfassungen nicht finden. Die EU-Grundrechtecharta gibt weder alle, noch die Schnittmenge, noch die häufigsten Grundrechte der mitgliedsstaatlichen Verfassungen wieder. Wenn in Erklärung 1 zum “Vertrag von Lissabon” trotzdem von “sichtbar machen” die Rede ist, kann das nur eine Abgeltungswirkung meinen. Dass keine Transponierung der Grundrechte aus den mitgliedsstaatlichen Verfassungen auf die EU-Ebene gemeint sein kann, ergibt sich auch aus dem Urteil zu “Van Gend & Loos”, in welchem der EUGH ausdrücklich festgestellt hat, dass es nicht in seine Kompetenz fällt, die Verfassungen der Mitgliedsstaaten auszulegen.

Die EU-Grundrechtecharta enthält Grundrechte wie das auf Gesundheitsschutz (Art. 35), welche durch Art. 52 Abs. 5 und Art. 52 Abs. 6 i. V. m. dem Vorbehalt der nationalen Gepflogenheiten gleich doppelt unverbindlich gemacht sind. Und wenn es nicht schon doppelt unverbindlich wäre, so würde es noch über Art. 52 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta i. V. m. Art. 9 AEUV aufgeweicht.

Die Beschwerdeführerin wäre bei Ratifizierung des “Vertrags von Lissabon” ohne vorherige Absicherung der Verfassungsidentitätskontrolle als Pflicht der Abgeordneten selbst, gegenwärtig und unmittelbar in ihren Grundrechten, grundrechtsgleichen Rechten und universellen Menschenrechten verletzt, zumal die Schutzwirkung der EU-Grundrechtecharta, wie oben dargestellt, äußerst schwach ist. Selbst wenn das Bundesverfassungsgericht außer dem Vorrang der Grundrechte und Struktur-prinzipien auch den der grundrechtsgleichen Rechte und der universellen Menschenrechte vor dem EU-Recht bestätigen wird, ist nur dann der vom Grundgesetz normierte Schutz gesichert, wenn die Abgeordneten zur Verfassungsidentitätskontrolle verpflichtet sind.

Darüber hinaus würde der Sinn von Art. 38 GG verkannt, wenn nicht sichergestellt würde, dass die Bundestagsabgeordneten wenigstens die wichtigsten ihrer Aufgaben zum Schutz der gem. Art. 79 Abs. 3 GG höchstrangigen Rechte des Volkes, für welche sie über das grundrechtsgleiche Wahlrecht vom Volk delegiert sind, in diskursiver Entfaltung (Leitsatz 3 des ersten Lissabon- Urteils) auch wahrnehmen.

VIII. Zuständigkeit für die Jurisdiktion zu den universellen Menschenrechten

Dieser Abschnitt zeigt auf, dass die universellen Menschenrechte der Vereinten Nationen vor den nationalen Gerichten einklagbar sind, und dass für deren Schutzfunktion gegenüber dem EU-Recht die Bekräftigung im IntVG ihrer Einklagbarkeit als Grenzen gegenüber der Umsetzung des EU- Rechts auf nationaler Ebene erforderlich ist.

Parteien vor dem internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen können nach Art. 34 von dessen Satzung nur Staaten sein. Nach Art. 36 sind Entscheidungen des internationalen Uno-Gerichtshofs zur Auslegung der Menschenrechtsverträge zwar möglich, aber nur insoweit, wie darüber Auslegungsstreitigkeiten zwischen Staaten bestehen. Einen Gerichtshof, welcher einzelnen Menschen zum Schutz ihrer Menschenrechte offen stünde, haben die Vereinten Nationen nicht.

Das Berichtswesen der Staaten gegenüber der UNO zur Umsetzung von deren Menschenrechtsverträgen und die Möglichkeit von gemeinnützigen Organisationen, ihre Kritikpunkte dazu vor den zuständigen Uno-Ausschüssen vorzutragen, sowie auch die Individualbeschwerdeverfahren zu den UNO- Menschenrechtsverträgen, sind von großer Bedeutung für die öffentliche Diskussion. Der Einsatz der Bundesregierung für ein Individualbeschwerdeverfahren zugunsten aller Menschenrechte des Uno-Sozialpaktes (FIAN-Magazin 1/2008) ist ein wichtiger Schritt für die öffentliche Meinungsbildungund von besonderer Bedeutung als Zeichen gegen alle Versuche zur Spaltung der Menschenrechte.

Dies kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass Berichtswesen und Individualbeschwerdeverfahren mit Gerichtsverfahren, welche zu verbindlichen Urteilen führen, nicht vergleichbar sind. Die Ergebnisse von Individualbeschwerdeverfahren können von Bedeutung sein für die Auslegung der UNO- Menschenrechte durch die Gerichte der Mitgliedsstaaten, binden diese aber nach Auffassung der Beschwerdeführerin nicht, zumal sie nicht den Rang für die Auslegung haben wie die Allgemeinen Kommentare des Wirtschafts- und Sozialrats der UNO.

Der EUGH der Europäischen Union und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte des Europarats können keine Zuständigkeit für die Menschenrechte der Uno entfalten, weil die EU und der Europarat mangels eigenen Staatsvolks keine Staaten sind und damit gem. Art. 4 UNO-Charta keine Mitglieder der Uno sein können.

Das Bundesverfassungsgericht ist zuständig für die Frage, welche Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind, und welche unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugen. Jedes Gericht in Deutschland, hat hierzu das Bundesverfassungsgericht gem. Art. 100 Abs. 2 GG anzurufen, soweit dies für ein Gerichtsverfahren rechtserheblich ist.

Die universellen Menschenrechte sind Teil des zwingenden Völkerrechts, des “ius cogens” (Art. 53 WVRK, Rn. 279-282 des Urteils des EU-Gerichts 1. Instanz zu T-306/01, Gutachten des internationalen Gerichtshofs “Advisory Opinion of the International Court of Justice of 8 July 1996, The Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Reports 1996”). Das ergibt sich zugleich aus ihrem Rang direkt unterhalb der Uno-Charta (Art. 103 Uno-Charta, Art. 1 Nr. 3 Uno-Charta, Art. 28 AEMR, Art. 29 Nr. 3 AEMR). Durch ihre Eigenschaft als “ius cogens” gehören die universellen Menschenrechte zu den “allgemeinen Regeln des Völkerrechts” i. S. v. Art. 25 GG und sind daher direkt in Deutschland unmittelbar anwendbar und damit auch vor Gericht einklagbar.

Die universellen Menschenrechte, die als Ziel bereits bei Verabschiedung der UNO-Charta in deren Art. 1 Nr. 3 AEMR angelegt gewesen und mit der AEMR dann materiell-rechtlich von ihrem Inhalt und ihrem Ranganspruch erstmals konkretisiert worden sind, machen gemeinsam mit der UNO- Charta den universellen Grund für die Verfassung der Deutschen aus, der durch positives Recht nicht veränderbar sein soll (Rn. 218 des ersten Lissabon-Urteils). Die im Jahr vor der Verkündung des Grundgesetzes beschlossenen universellen Menschenrechte haben der Verfassungsidentität, der Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes zu Grunde gelegen. Ihr Ranganspruch ist über Art. 1 Abs. 2 GG abgesichert, und Art. 1 Abs. 2 GG wiederum ist durch Art. 79 Abs. 3 GG vor jeder Aufweichung geschützt. Sie machen den Kern der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG aus.

Die universellen Menschenrechte gehören, wie in Abschnitt V.7 dieser Verfassungsbeschwerden aus einer evolutionstheoretischen und aus einer katholischen Sichtweise heraus aufgezeigt, auch zu den kulturellen Vorverständnissen, für die nach Leitsatz 3 des ersten Lissabon-Urteils in besonderem Maße Raum bleiben muss.

Art. 8 AEMR bestimmt:

“Jeder Mensch hat Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz vor den zuständigen innerstaatlichen Gerichten gegen alle Handlungen, die seine ihm nach der Verfassung oder nach dem Gesetz zustehenden Grundrechte verletzen.”

Da Menschenrechte auf nationaler Ebene üblicherweise mit Verfassungsrang und nicht einfachgesetzlich normiert werden, können mit den “nach dem Gesetz zustehenden Grundrechten” nur Menschenrechte aus internationaler Rechtsquelle gemeint sein, welche durch Zustimmungsgesetze für die innerstaatliche Rechtsanwendung verbindlich gemacht worden sind. Die universellen Menschenrechte sind damit durch Art. 8 AEMR auf nationaler Ebene einklagbar.

Die Einklagbarkeit der universellen Menschenrechte ergibt sich aber auch aus Art. 19 GG. Art. 19 Abs. 4 GG normiert ein formell-rechtliches Grundrecht auf wirksamen Rechtsschutz vor den zuständigen innerstaatlichen Gerichten für jeden, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird. Da Art. 19 Abs. 4 GG keine explizite Einschränkung macht, besteht danach auch Rechtsschutz vor den innerstaatlichen Gerichten bzgl. der Uno-Menschenrechte, soweit es um deren Verletzungen durch die öffentliche Gewalt, also durch Legislative, Exekutive oder Judikative geht.

Art. 1 der UNO-Frauenrechtskonvention definiert die Diskriminierung der Frau als jede geschlechtlich begründete Benachteiligung bzgl. der Inanspruchnahme oder Ausübung der Menschenrechte im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, staatsbürgerlichen oder jedem sonstigen Bereich. Die gesamte Konvention gehört als Menschenrechtsvertrag der Vereinten Nationen zum zwingenden Völkerrecht (“ius cogens”, Art. 53 WVRK, Rn. 279-282 des Urteils des EU-Gerichts 1. Instanz zu T-306/01, Gutachten des internationalen Gerichtshofs “Advisory Opinion of the International Court of Justice of 8 July 1996, The Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Reports 1996”).

Art. 2 lit. c Uno-Frauenrechtskonvention garantiert hierzu den Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten der UNO-Mitgliedsstaaten. Da sich das Benachteiligungsverbot der Frauenrechtskonvention nach deren Art. 3 auf die Inanspruchnahme aller Menschenrechte der Vereinten Nationen bezieht, und weil alle UNO-Menschenrechte untereinander gleichrangig sind und damit alle zum “ius cogens” gehören, ist der Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten bzgl. aller UNO- Menschenrechte gegeben. Damit hat die UNO zugleich klargestellt, dass sie nicht beabsichtigt, sich oder ihre Menschenrechte über die nationalen Verfassungsgerichte zu erheben. Über die Frauenrechtskonvention besteht, über Art. 19 Abs. 4 GG hinaus, Rechtsschutz auch bzgl. Verletzungen der UNO-Menschenrechte durch Einzelpersonen oder privatrechtliche Institutionen, da Art. 2 lit. c der Frauenrechtskonvention i. V. m. der Präambel der AEMR den Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten vor jeder Benachteiligung bei der Inanspruchnahme der UNO- Menschenrechte normiert, nicht nur auf solche durch die öffentliche Gewalt.

Da nach der Präambel der AEMR alle universellenMenschenrechte allen Einwohnern der UNO- Mitgliedsstaaten gleichermaßen zustehen, muss der formell-rechtliche Schutz nach Art. 2 lit. c der Frauenrechtskonvention vor den nationalen Gerichten für alle Menschen gelten. In den abschließenden Bemerkungen (“concluding observations”) (Az. CEDAW/C/DEU/CO/6) vom 10.02.2009 des Ausschusses der Vereinten Nationen zur Uno-Frauenrechtskonvention anlässlich des 6. deutschen Staatenberichts zur Umsetzung dieser Konvention erinnerte der Ausschuss in Tz. 11 an die Verpflichtung des Vertragsstaats zur systematischen und kontinuierlichen Umsetzung aller Bestimmungen der Frauenrechtskonvention. In diesem Zusammenhang appellierte der CEDAW-Ausschuss an Deutschland, seine abschließenden Bemerkungen “allen zuständigen Ministerien, dem Parlament und der Justiz vorzulegen, um ihre uneingeschränkte Umsetzung sicherzustellen.”

Diese Formulierung zeigt eindeutig die Rechtsauffassung auch des CEDAW-Ausschusses, dass es sich bei den universellen Menschenrechten um vor den nationalen Gerichten einklagbare Rechte handelt. In Tz. 21 äußerte sich der CEDAW-Ausschuss besorgt über die immer noch nicht hinreichende Bekanntheit der Frauenrechtskonvention in Deutschland und über deren mangelnde Anwendung auch in der Rechtsprechung Deutschlands, was auf einen mangelnden Bekanntheitsgrad bei der Justiz und den Rechtsberufen schließen lasse. Der Ausschuss forderte ausdrücklich, dass die unviversellen Menschenrechte (als Primärrecht !) mindestens so bekannt werden müssen wie das Sekundärrecht der EU. In Tz. 22 erinnerte der CEDAW-Ausschuss an die direkte Anwendbarkeit der universellen Menschenrechte und forderte die Aufnahme nicht nur der Frauenrechtskonvention, sondern auch der allgemeinen Kommentare zu dieser in die Lehrpläne u. a. des Jurastudiums und der juristischen Fortbildung in Deutschland.

Das Bundesverfassungsgericht ist damit auch zuständig für die Frage, ob Rechtsakte der EU sich in den Grenzen nicht nur des Grundgesetzes (Wesensgehalt der Grundrechte, Strukturprinzipien, grundrechtsgleiche Rechte, Staatsaufträge Frieden und europäische Einigung), sondern auch, soweit dies Deutschland betrifft, der universellen Menschenrechte und der Uno-Charta (siehe Bezugnahme auf das Recht auf Souveränität nach Art. 2 Abs. 1 UNO-Charta in der Urteilsbegründung zum EU- Haftbefehl (2 BvR 2236/04)), halten oder aus ihnen ausbrechen (analog zu Leitsatz 5 des Maastricht- Urteils BVerfG 89,155 sowie BVerfGE 75, 223).

Wie vom Bundesverfassungsgericht insbesondere in den Urteilen zu Solange-I und Solange-II für Deutschland verbindlich ausgelegt worden ist, bewirkt die Ratifizierung eines internationalen Vertrags durch eine rechtliche Ebene, dass sich die Rechtsordnung dieser Ebene für die Anwendung des Rechts aus der fremden Rechtsquelle öffnet. Dabei kann sich Deutschland nur soweit öffnen, wie es im GG zugelassen ist. Entsprechend kann die EU sich, wenn sie einen Vertrag mit einer anderen internationalen Organisation abgeschlossen hat, nur soweit für das Recht aus deren Quelle öffnen, wie dies im EU-Primärrecht zugelassen ist.

Daher haben nicht nur das Bundesverfassungsgericht die letztverbindliche Entscheidung über die Auslegung des Grundgesetzes (Art. 93 GG, Art. 100 GG) und der EUGH über die Auslegung des EU-Rechts (Art. 26 und 26b EUGH-Satzung), sondern das Bundesverfassungsgericht hat auch die Zuständigkeit zur Entscheidung darüber, in welchem Umfang internationales Recht im Hinblick auf die durch das GG gesetzten Grenzen in Deutschland umgesetzt werden darf. Entsprechend ist der EUGH dafür zuständig, in welchem Umfang internationale Verträge, denen die EU sich angeschlossen hat, im Hinblick auf die durch das EU-Primärrecht gesetzten Grenzen innerhalb des EU-Rechts umgesetzt werden dürfen.

Soweit es um für Deutschland verbindliches internationales Recht solcher Organisationen geht, diefür das jeweilige Recht keinen eigenen Gerichtshof haben, ist das Bundesverfassungsgericht (analog zu Art. 100 Abs. 2 GG) auch für die Auslegung des jeweiligen internationalen Rechts selbst mit verbindlicher Wirkung für Deutschland zuständig, wobei natürlich bei der jeweiligen Organisation existierende verbindliche Auslegungsvorschriften wie die Allgemeinen Kommentare des UNO- Wirtschafts- und -Sozialrats ECOSOC mit heranzuziehen sind; dass es dadurch für das Recht z. B. der Nato, der UNO-Charta und der Uno-Menschenrechte in unterschiedlichen Staaten zu unterschiedlichen Interpretationen kommen kann, ist ein geringerer Nachteil, als wenn verbindliches, und im Falle von UNO-Charta und UNO-Menschenrechten sogar zum “ius cogens” gehörendes Recht internationaler Organisationen jeglicher Rechtsprechung entzogen wäre; in letzterem Fall wären alle Rechtsstreitigkeiten, wo es um die Anwendung z. B. von Nato-Recht, UNO-Charta, UNO-Menschenrechten oder auch des Zwei-plus-Vier-Vertrags geht, für Deutschland gerichtlich nicht klärungsfähig außer in den Fällen, wo Kläger und Beklagte beide Staaten sind, sodass eine Zuständigkeit des internationalen Gerichtshofs der UNO in Betracht käme. Dass das Bundesverfassungsgericht befugt ist, auch über Recht aus fremder Rechtsquelle für Deutschland verbindlich zu urteilen, zeigen z. B. zum Nato-Recht die Urteile zur Lagerung chemischer Waffen (BVerfG 77,170) und zum Tornado- Einsatz (2 BvE 2/07), und zur UNO-Charta die Urteile zu BVerfG 90,286 und zum Awacs-Einsatz (2 BvE 1/03).

Für Kollisionen zwischen dem Recht aus mehreren internationalen Rechtsquellen, für die Deutschland Vertragspartner ist, ist für Deutschland ebenfalls das Bundesverfassungsgericht zuständig (Art. 100 Abs. 2 GG analog), also auch z. B. für Kollisionen zwischen EU-Recht auf der einen und UNO- Charta oder Uno-Menschenrechten auf der anderen Seite.

Darüber hinaus haben der EUGH im Urteil zu C-402/05 und das EU-Gericht 1. Instanz im Urteil zu T-306/01 übereinstimmend festgestellt, dass die direkte Verpflichtung auf die UNO-Charta seitens der Mitgliedsstaaten besteht, und dass auf EU-Ebene nur insoweit bzgl. der UNO-Charta Recht gesprochen werden kann, wie es um Rechtsakte auf EU-Ebene geht, mit denen die EU-Mitglieder ihren Verpflichtungen gegenüber der UNO gemeinsam nachkommen; soweit die EU-Mitgliedsstaaten alleine ihren Verpflichtungen gegenüber der Uno nachkommen, ist also keine Jurisdiktion auf EU- Ebene gegeben. Auch das Urteil zu Az. C-402/05 bestätigt damit die Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin, dass für Deutschland für die Wahrung des Rangs des Grundgesetzes vor der UNO-Charta und gleichzeitig des Rangs der UNO-Charta vor den universellen Menschenrechten und wiederum deren Rang vor allem übrigen für Deutschland gültigen internationalen Recht, die Wahrnehmung der Jurisdiktion des Bundesverfassungsgerichts unabdingbar und unverzichtbar ist und durch nichts abgegolten werden kann.

Dem Schutz der universellen Menschenrechte wird darum nur eine Bekräftigung im IntVG gerecht, dass diese als Schranken bzgl. der Umsetzung des EU-Rechts vor den nationalen Gerichten und in letzter Instanz vor dem Bundesverfassungsgericht geltend gemacht werden können.

Die Beschwerdeführerin würde bei Ratifizierung des “Vertrags von Lissabon” ohne vorherige Änderung des IntVG zum Schutz der universellen Menschenrechte insoweit selbst, unmittelbar (ohne weitere Rechtsakte) und gegenwärtig (sofort) betroffen, wie der Schutz ihrer universellen Menschenrechte durch mangelnde einfachgesetzliche Absicherung der Einklagbarkeit ihrer universellen Menschenrechte auf nationaler Ebene auch als Grenzen gegenüber dem EU-Recht zur Disposition gestellt würde. Das ist mit der “Unveräußerlichkeit” (Art. 1 Abs. 2 GG) ihrer universellen Menschenrechte (“in der Welt”) unvereinbar, da eine mangelnde einfachgesetzliche Absicherung der Einklagbarkeit zum Schutz der UNO-Menschenrechte de-facto eine ähnliche Wirkung hätte wie eine Herabstufung oder ein vollständiger Entzug der universellen Menschenrechte. Darüber hinaus wäre ein mangelnder formell-rechtlicher Schutz der universellen Menschenrechte auch eine Entleerung des grundrechtsgleichen Wahlrechts aus Art. 38 GG, da die Verfügung über die mit Verfassungsidentitätsrang durch Art. 1 Abs. 2 GG von ihrem Rang her geschützten universellen Menschenrechte nur dem Volk zusteht. Die demokratisch legitimierte Politik hat kein Mandat, dem Volk die diesem einmal gewährten universellen Menschenrechte in deren Funktion als Schranke vor dem EU-Recht durch mangelnde einfachgesetzliche Klarstellung von deren direkter Einklagbarkeit vorzuenthalten. Das wäre zugleich auch ein Zeichen mangelnden Bewußtseins gegenüber den historischen Vorverständnissen, welche der AEMR zu den Menschenrechtsverträgen der Uno zu Grunde liegen.

Zurück zur Startseite: http://sites.google.com/site/euradevormwald