073. XI. Verfassungswidrige Spekulationsförderung und Bankenrettung

XI. Verfassungswidrige Spekulationsförderung und Bankenrettung

XI.1 Das Übermaß an Spekulationsförderung

Das demokratische Prinzip nimmt unter den Strukturprinzipien eine besondere Stellung ein. Die anderen drei Strukturprinzipien sind zwar ebenfalls unantastbar, die Demokratie ist jedoch bereits vorverfassungsrechtlich. Aus dieser Sicht und auch aus der Bedeutung des zwar nicht unantastbaren, aber immerhin noch unveräußerlichen (Art. 1 Abs. 2 GG), grundrechtsgleichen Wahlrechts (Art. 38 GG) lässt sich argumentieren, dass für das bundesdeutsche Parlament ein erheblicher Spielraum besteht auf der Ausgabenseite des Staatshaushalts. Dieser ist aber auch nicht grenzenlos, sondern wird begrenzt z. B. durch das Eigentumsrecht (Art. 14 GG) und auch durch das grundrechtsgleiche Wahlrecht, soweit es die verbleibenden Entscheidungmöglichkeiten in späteren Legislaturperioden betrifft.

Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG), welche die wesentlichste Rechtsgrundlage im Grundgesetz dafür ist, dass der Staat in das Eigentum der Einwohner eingreifen darf, um seine Aufgaben zu finanzieren, hat quantitative und qualitative Grenzen. Es darf nicht alles erdenkliche, zumindest nicht alles erdenkliche in unbeschränktem Ausmaß, aus Steuermitteln gefördert werden.

Die Förderung der Spekulation wird von der Mehrheit der Bevölkerung meist nicht, zumindest nicht in erster Linie, als ein originär soziales Anliegen empfunden. Im Gegenteil wird die Spekulation, am deutlichsten sichtbar vielleicht, soweit sie auf dem Lebensmittel- und auf dem Wohnungsmarkt in ihren Auswirkungen sichtbar wird, als oft eher als der vollen Verwirklichung gerade sozialer universeller Menschenrechte wie der auf Nahrung und auf Wohnung (Art. 11 UNO-Sozialpakt) entgegenlaufend erfahren.

Auch wenn das Recht, überhaupt zu spekulieren, sicherlich aus dem Recht auf Eigentum (Art. 14 GG) und der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) folgt, so sind der Spekulation aber ebenso offensichtlich zum Schutz der sozialen Menschenrechte Grenzen zu ziehen, insbesondere auch insoweit, wie es um die Förderung der Spekulation aus Steuermitteln geht.

Die Beschwerdeführerin ist der Rechtsauffassung, dass für den Schutz ihres Menschenrechts auf Eigentum (in ihrer Eigenschaft als Steuerzahlerin und Unternehmerin), soweit es um die Verwendung von Steuermitteln für der Verwirklichung sozialer Menschenrechte offensichtlich zuwider laufende Subventionen geht, besonders strenge Maßstäbe anzulegen sind, in welcher Höhe solche Zwecke aus Steuermitteln gefördert werden dürfen. Art. 14 Abs. 2 GG normiert die Sozialpflichtigkeit des Eigentums als eine Begrenzung des Eigentumsrechts vor allem der Steuerzahler und gerade keine Beitragspflicht zu Mechanismen, die der Bereicherung Einzelner oder kleiner elitärer Minderheiten dienen.

Das Zustimmungsgesetz zum ESM und das StabMechG sowie die EU-Verordnung 2011/385 (COD) (Abschnitt VI.2.1 dieser Verfassungsbeschwerden) haben geradezu eine Einladung dafür geschaffen, gegen die Währungen von Euro-Mitgliedsstaaten zu spekulieren.

Spekulierende hätten darauf zählen können, für alle Finanzhilfen im Namen „der Stabilität des Euro-Währungsgebietes“ insgesamt eine primärrechtliche Grundlage zu haben. Dass die Voraussetzungen für die Aktivierung auf Art. 136 Abs. 3 AEUV aufbauender Mechanismen vom Europäischen Rat als bereits gegeben angesehen und die Aktivierung bzw. die Bestätigung der meisten auf Art. 136 Abs. 3 AEUV aufbauenden EU-sekundärrechtlichen Mechanismen nur noch eine Formsache wäre, wird belegt durch Abs. 3 der Erwägungsgründe der Initiierung des Art. 136 Abs. 3 AEUV, wonach aus Sicht des Europäischen Rates sogar die Voraussetzungen für die Schaffung des ständigen Staateninsolvenzverfahrensmechanismus des ESM als dem vermutlich einschneidendsten Mechanismus, übertroffen höchstens noch vom Ungleichgewichtsmechanismus im Rahmen des Umbaus der Stabilitäts- und Wachstumspaktes zur Errichtung der EU-Wirtschaftsregierung, bereits als gegeben angesehen werden. Ohne Art. 136 Abs. 3 AEUV haben der europäische Finanzierungsmechanismus nun keine EU-primärrechtlich Anbindung, der EFSF-Rahmenvertrag für Deutschland keine Zustimmungrund die Sanktionierbarkeit der Auflagen der EU-Verordnung 2011/385 (COD) (Abschnitt VI.2.1 dieser Verfassungsbeschwerden) keine völkerrechtliche Grundlage.

Zum Umfang der bisher schon vorgesehenen Finanzhilfen an Eurostaaten, damit diese ihre bisherigen Gläubiger weiter bezahlen können, siehe Abschnitt XI.2 dieser Verfassungsbeschwerden.

Da die Ermächtigung des Art. 136 Abs. 3 AEUV so blankettartig formuliert ist, könnten nach Inkrafttreten des Art. 136 Abs. 3 AEUV ständig neue Mechanismen mit Finanzhilfen auf sekundär-rechtlicher Ebene hinzugefügt werden.

Die Auswirkung für die alten Gläubiger ist, dass ein höherer Teil ihrer Forderungen gegenüber den Eurostaaten mit akuten Liquiditätsproblemen von den Steuerzahlern der Eurostaaten ohne akute Liquiditätsprobleme zurückgezahlt werden, dass also die anderen Eurostaaten die bisherigen Investoren als Gläubiger ablösen. Dadurch lohnt es sich für Spekulierende gerade erst, Staatsanleihen zu kaufen, deren Rückzahlung zweifelhaft scheint. Wer einem Staat einen Kredit gibt, hat zwei Interessen: den Darlehensbetrag zurückzuerhalten und zusätzlich möglichst hohe Zinsen zu bekommen. Je geringer der Prozentsatz des Darlehensbetrags ist, den ein Darlehensgeber voraussichtlich wieder zurückerhalten wird, desto höher ist der Zinssatz, den ein Staat anbieten muss, um das Darlehen zu bekommen. Je näher also die Zahlungsunfähigkeit eines Staates gegenüber seinen Darlehensgebern rückt, desto mehr wird der Staat neue Darlehensgeber auch mit noch so hohen Zinsen nicht mehr locken können. Je gewisser die Zahlungseinstellung eines Staates gegenüber seinen Darlehensgebern wird, desto uninteressanter wird es auch, auf eine solche Zahlungseinstellung zu spekulieren. Wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit klar wird, dass ein souveräner Staat (Art. 2 Abs. 1 UNO-Charta) die Zahlung bald einstellen wird, und man auf das Ob einer solchen Zahlungseinstellung wetten wollte, würde man auch kaum noch jemanden finden, der bei solch einer Wette mit seinem Geld dagegen halten wollte. Die Spekulation bzgl. der Zahlungsunfähigkeit des betreffenden Staates würde also schnell nachlassen.

Der europäische Finanzierungsmechanismus gibt der Spekulation neues Futter mit die Vorstellungskraft der Alltagswelt um ein Vielfaches übersteigenden Beträgen. Mit dem neuen Art. 136 Abs. 3 AEUV würde es sich wieder lohnen, gegen Währungen zu spekulieren, herauszufordern, welche Zinssatzerhöhungen man noch aus dem verschuldeten Staat herauskitzeln könnte, wenn ja die Steuerzahler der jeweils anderen Euro-Mitgliedsstaaten den wahrscheinlichsten prozentualen Ausfall der Darlehensforderung nach unten drücken würden.

Welch einen quantitativen Einfluss bereits ohne ein solch gigantisches Subventionierungsinstrument die Spekulation heute auf die Einschätzung der größten Finanzmarktteilnehmer bzgl. der Kreditwürdigkeit von Staaten haben kann, lässt z. B. S. 2 der Begründung auf S. 5 des Gesetzentwurfs des StabMechG (Drucksache 17/1685) erahnen, wonach “sich in einigen Mitgliedstaaten die Finanzierungsbedingungen in kürzester Zeit in einer Weise verschlechtert haben, die sich nicht durch Fundamentaldaten erklären lässt.”

Der europäische Finanzierungsmechanismus, darunter betragsmäßig vor allem der Euro-Stabilisierungsmechanismus und das Staateninsolvenzverfahren des ESM, ist ein gigantischer Spekulationsförderungsmechanismus. Denn die nahende Zahlungseinstellung, und sei sie auch nur vorübergehend, würde jeweils dazu führen, wieder neue bis zu dreistellige Milliardenbeträge de facto für die Stärkung der Spekulation gegen die Euro-Mitgliedsstaaten zu geben, wodurch dann bald für den nächsten Staat die Zinsen so steigen würden, dass seine Zahlungsfähigkeit gefährdet wäre, und so weiter.

Bereits dadurch, dass es sich um einen sich selbst verstärkenden Mechanismus handelt, ist die Beschwerdeführerin der Rechtsauffassung, dass dieser Mechanismus, gerade auch aus Respekt vor dem Staatsauftrag europäische Integration (Art. 23 GG) ebenso wie mit Respekt auf die souveräne Staatlichkeit Deutschlands (Art. 20 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 UNO-Charta), nicht in dieser Form und erst recht nicht mit einer zugleich blankettartigen Ermächtigung gefördert werden darf. Nur die vollständige Ablehnung der deutschen Zustimmung zu ESM und Fiskalpakt sowie des geänderten StabMechG durch ein Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts wird durchsetzen, dass seriöse und im Primärrecht hinreichend eingegrenzte Mechanismen zur Stabilisierung der Eurozone, die einen solchen Namen verdienen, gesucht und gefunden werden müssen, anstelle der hier vorliegenden Blankett-Ermächtigung für Spekulationsförderungsmechanismen mit sich selbst verstärkendem Mechanismus, die nur vorgeben, Mechanismen zur Stabilisierung des Euros zu sein.

Art. 122 Abs. 2 AEUV ist schließlich auch keine hinreichende Rechtsgrundlage innerhalb des EU- Rechts für Maßnahmen, deren Konditionen weit mehr schaden, als die eigentlichen Maßnahmen helfen können. Denn was dem betroffenen Staat mehr schadet als hilft, ist im Saldo keine Hilfsmaßnahme mehr und kann daher auch nicht auf Art. 122 Abs. 2 AEUV gestützt werden.

Art. 136 Abs. 3 AEUV hätte im Gegensatz zu Art. 122 Abs. 2 AEUV die Strenge der Auflagen im Sinne einer IWF-typischen Strenge primärrechtlich verankern und damit erstmals eine primärrechtliche Grundlage für Mechanismen geschaffen, deren Auflagen weit mehr zerstören würden, als die Finanzhilfen den Schuldnerstaaten jemals vorübergehende Erleichterung bringen würden. Die gleiche -typische Strenge ist ohne Art. 136 Abs. 3 AEUV nun in den Erwägungsgründen 2+3 ESM-Vertrag und in Erwägungsgrund 3 i. V. m. Art. 6 Abs. 1 von EU-Verordnung 2011/385 (COD) enthalten.

XI.2 Das Übermass an offener und verdeckter Bankenrettung

Erst wurde in Deutschland ein Bankenrettungsfonds (Soffin) mit dreistelligen Milliardenbürgschaften von insgesamt bis zu 480,- Mrd. € geschaffen. Dann wurden 60,- Milliarden € durch das Gesetz zu Drucksache 17/1544 zur Verfügung gestellt für die Gläubiger Griechenlands, darunter in erheblichem Maße wieder Banken. Dann der EFSM. Dann der Euro-Stabilisierungsmechanismus, für welchen das StabMechG (Drucksache 17/1685) zumindest die Ermächtigung für deutsche Staatsbürgschaften von bis zu rund 211,0459 Mrd. € gibt.

Unter den Auflagen, welche Griechenland vom IWF (bzw. von der Troika) erhalten hat in Zusammenhang mit den 110,- Milliarden €, ist die, 10,- Milliarden € in einen griechischen Bankenrettungsfonds einzuzahlen.

Und Irland wurde verpflichtet, von den 85,- Mrd. €, welche es sich von EU, IWF, einzelnen EU-Mitgliedsstaaten sowie aus seiner Rentenversicherung leiht, direkt 10,- Mrd. € wieder für die akute Bankenrettung und 25,- Mrd. € für einen präventiven irischen Bankenrettungsfonds auszugeben. Damit wird Irland verpflichtet, rund 41,18 % der Notfallkredite direkt wieder zu verschenken, also durch den europäischen Finanzierungsmechanismus, zum Zwecke akuter und auch noch präventiver Bankenrettung, dem eigenen Staatsbankrott einen großen Schritt näher gebracht. Durch die Bankenrettung droht Irland zu einem der ersten Versuchsopfer für das Staateninsolvenzverfahren des ESM der Eurozone zu werden.

Die Summe all dieser Beträge bzw. Deutschlands Anteil daran ist offensichtlich unverhältnismäßig und damit auch den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) verletzend hoch im Vergleich zum Schuldenanstieg, den Deutschland in den Jahren direkt nach der deutschen Wiedervereinigung auf sich genommen hat, um das Zusammenwachsen Deutschlands wirtschaftlich und bzgl. der Angleichung der Lebensverhältnisse zu fördern. Die Bedeutung der deutschen Einheit für die Mütter und Väter des Grundgesetzes lässt sich heute noch am Wortlaut des Art. 146 GG erkennen sowie an den Wort-lauten, welche die Präambel und Art. 23 GG vor der deutschen Wiedervereinigung gehabt haben. Laut dem Lissabonurteil ist die europäische Integration ein Staatsauftrag, welcher sogar gleichrangig mit dem Friedensgebot aus Art. 1 Abs. 2 GG ist. Dieser Staatsauftrag gründet sich maßgeblich auf der Neufassung von Art. 23 GG aus dem Jahr 1992. Wenn aber die europäische Einigung 1992 in den Rang eines Staatsauftrags gehoben worden ist, so ist die deutsche Wiedervereinigung zuvor auch ein Staatsauftrag gewesen. Nur für einen Staatsauftrag oder für noch höherrangigere Teile des GG, namentlich für Grundrechte und Strukturprinzipien (sowie nach Rechtsauffasung der Beschwerdeführerin auch für grundrechtsgleiche Rechte, abgeleitete Grundrechte und vielleicht noch für die freiheitlich-demokratische Grundordnung) darf man soviel Geld ausgeben, nicht aber für die Bankenrettung. Für die Bankenrettung lässt sich schließlich auch nicht geltend machen, dass sie ja gemeinsam im Rahmen der EU unternommen werden solle, und dass sie sich daher auf den Staatsauftrag europäische Integration aus Art. 23 GG stützen könnte. Denn genau die hier vorliegende Bankenrettung schadet ja gerade den Einwohnern der verschuldeten Euro-Mitgliedsländer. Die europäische Integration nach Art. 23 GG ist kein Selbstzweck, sondern ihr Sinn ist gerade, die Verständigung und die Solidarität zwischen den europäischen Völkern zu fördern, und nicht die Solidarität mit denen, welche gegen die Staaten, in denen die europäischen Völker leben, spekulieren, und die im Rahmen des ESM sogar noch, ohne vom Volk gewählt zu sein, mittels Auflagen für den teil-weisen Schuldenerlass in diese mit hinein regieren und legislieren wollen. Nur die Ausgerichtetheit auf die Völkerverständigung zwischen den europäischen Völkern kann es erklären, dass nach dem Lissabonurteil die europäische Integration, die weder in Art. 1 noch in Art. 20 GG steht, genau gleichrangig ist mit dem Friedensgebot aus Art. 1 Abs. 2 GG.

Darum ist es grundgesetzwidrig, für die Bankenrettung auch nur annähernd gleich viel auszugeben oder zu bürgen wie für die deutsche Wiedervereinigung, geschweige denn, für ein betragsmäßig Vielfaches davon, was nicht einmal mehr genug Geld in Deutschland belassen würde, um die Verwirklichung der Grundrechte und Strukturprinzipien aufrecht zu erhalten.

Um ein Gefühl dafür zu bekommen, um wieviel Geld zur Bankenrettung es hier geht, und was man an anderer Stelle noch wesentlich völkerfreundschaftsfördernder damit bewirken kann, sei zum Vergleich angeführt, dass Brasilien im Jahr 2005 insgesamt etwa 44 Millionen schwerst unterernährte Menschen und einen Gesamtschuldenstand von 242,- Milliarden € gehabt hat.

Darüber hinaus haben die deutschen Bundestagsabgeordneten durch Art. 1 Abs. 2 S. 2 UNO-Zivilpakt und durch Art. 1 Abs. 2 S. 2 Uno-Sozialpakt (jeweils in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1+2 GG, Art. 25 GG und Art. 38 GG) auch das Recht und die Pflicht, über das kollektive Menschenrecht des deutschen Volkes auf seine Existenzmittel zu wachen. Zu den Existenzmitteln gehört nach Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin mindestens alles, was zur Erfüllung des Wesensgehalts der universellen Menschenrechte erforderlich ist. Dafür müssen noch genügend Mittel verbleiben. Zu den Existenzmitteln der Völker gehören nach Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin aber auch die Mittel, welche notwendig sind, damit sich ein Volk auch als Volk organisieren kann, im Falle Deutschlands, da die Deutschen nun einmal einen Staat und ein Grundgesetz haben, auch hinreichende Mittel, um ihren Staat und ihre verfassungsmäßige Ordnung zu erhalten.

In einer Legislaturperiode dürfen nicht so hohe Bürgschaftsverpflichtungen aufgenommen werden, dass die folgende Bundestagswahl in ihrer Bedeutung dadurch entleert würde, dass in der folgenden Legislaturperiode nicht mehr genügend Mittel zur Sicherung der Existenzmittel des deutschen Volkes zur Verfügung stehen würden.

Die Beschwerdeführerin ist der Rechtsauffassung, dass durch dieses quantitative Ausmaß der Bankenrettung der Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) in besonders schwerem Maße verletzt wird, da noch systemrelevanteren Gruppen keine Stabilisierungsmittel in auch nur annähernd vergleichbarem Umfang zukommen:

1. Trotz des besonderen Schutzes der Familie (Art. 6 GG) fehlt ein entsprechender Familienrettungsfonds, welcher dafür sorgen könnte, dass genug Nachwuchs zur Stabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung und des Staatshaushalts geboren wird.

2. Trotz des Menschenrechts auf Nahrung (Art. 11 UNO-Sozialpakt) fehlt ein Rettungsfonds für die bäuerliche Landwirtschaft) zur Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung in dieser Wirtschaftskrise.

3. Trotz des Menschenrechts auf das für den jeweiligen Menschen erreichbare Höchstmaß an geistiger und körperlicher Gesundheit (Art. 12 UNO-Sozialpakt) fehlt ein Ärzte-, Psychologen- und Pflegerettungsfonds in dieser Wirtschaftskrise.

4. Trotz des Erfordernisses, die Funktionsfähigkeit und die Souveränität des Staates unabhängig von wirtschaftlichen Partikularinteressen zu erhalten, fehlt ein Beamtenrettungsfonds.

5. Trotz der Staatsziels Umweltschutz (Art. 20a GG) fehlt ein Wald- und Meeresrettungsfonds zur Sicherung der Sauerstoffressourcen, der Artenvielfalt und des Grundwassers.

Der Beschwerdeführerin geht es hier nicht darum, noch fünf weitere gigantische Rettungsfonds einzuklagen, wofür zum Teil auch ihre eigene, unmittelbare und gegenwärtige Betroffenheit fraglich wäre, sondern zu beweisen, dass durch das Ausmaß der Bankenrettung der Gleichheitsgrundsatz verletzt ist, und zwar in Zusammenhang insbesondere mit dem grundrechtsgleichen Wahlrecht (Art. 38 GG) und der verbleibenden finanziellen Möglichkeiten der von ihr gewählten Bundestagsabgeordneten, die außer überdimensionierten Banken sonst noch systemrelevanten Bereiche der Gesellschaft, des Staates und der natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen.

Bei der betragsmäßigen Begrenzung der menschenrechtlich zulässigen Staatsbürgschaften ist außerdem zu berücksichtigen, dass auf Grund der Unteilbarkeit der Menschenrechte dem Menschenrecht der Gläubiger auf Eigentum nicht mehr Raum gegeben werden darf als den Menschenrechten der Einwohner der Schuldnerländer. Die Unteilbarkeit der Menschenrechte zwingt dazu, einen für alle Seiten würdevollen Kompromiss zu finden, durch welchen die Wesensgehalte aller Menschenrechte so wenig wie möglich beeinträchtigt werden. Das gilt auch bei kostspieligen Menschenrechten wie z. B. für das Menschenrecht auf das für den jeweiligen Menschen erreichbare Höchstmaß an Gesundheit (Art. 12 UNO-Sozialpakt) und das auf Sicherheit (Art. 9 Abs. 1 S. 1 UNO-Zivilpakt) (jeweils in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1+2 GG, Art. 25 GG und Art. 38 GG).

Die Verletzung der oben genannten Rechte wird jeweils ausdrücklich auch in Verbindung mit Art. 38 GG geltend gemacht, insbesondere auch, soweit es die Möglichkeit der Bundesabgeordneten betrifft, diese Rechte zu schützen.

XI.3 Alternativen zur Spekulationsförderung und zum Übermaß der Bankenrettung

Dieser Abschnitt dieser Verfassungsbeschwerden dient der Beweisführung, dass es in der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise durchaus Alternativen dazu gibt, die Spekulation gegen die Euro- Mitgliedsstaaten mit dreistelligen Milliardenbeträgen zu füttern. Der Beschwerdeführerin ist dabei bewusst, dass auch Wirtschaftswissenschaftler Menschen sind, und dass alles menschliche Denken in seiner Fähigkeit, Entwicklungen vorauszuahnen, begrenzt ist. Aus diesem Grunde zeigt die Beschwerdeführerin hier mehrere Möglichkeiten auf, welche von Menschen unterschiedlichster Weltanschauung vertreten werden. Diese Vielfalt möge als Beweis dazu dienen, dass es der Beschwerdeführerin fern liegt, sich in irgendeiner Weise von den Scheuklappen einer einzigen Weltanschauung begrenzen zu lassen, noch gar für eine einzige zu werben. Im Gegenteil wäre es ein Zeichen von Unwissenschaftlichkeit und gesteigerter Weltanschaulichkeit, wenn man von vornherein einen bestimmten wirtschaftlichen Ansatz als den einzig denken-dürfbaren Ansatz, gleichsam einem willkürlich gesetzten Axiom, ungeprüft übernehmen wollte.

Aus diesem, und nur aus diesem Grunde, erwähnt die Beschwerdeführerin in diesem Abschnitt ihrer Verfassungsbeschwerden mehrere ordnungspolitisch wirksame, zum Teil auch gerade in der öffentlichen Debatte deutlich wahrnehmbare, Ansätze, den Geldzufluss in die Spekulation zu begrenzen. Auch in die verfassungsrechtliche Überprüfung eines Ansatzes zur Euro-Stabilisierung darf sich nicht ungeprüft und unbewusst eine Grundannahme einschleichen, dass dieser schon deshalb dem Grunde nach in einer bestimmten Form hingenommen werden müsste, weil er der einzige denkbare wäre. Die Nummerierung der Beispiele dient lediglich der Übersichtlichkeit, nicht als Ausdruck einer Rangfolge oder Gewichtung:

1. Eine Möglichkeit, der Spekulation Geld zu entziehen, wäre EU-weit verbindlich in einer Richtlinie festzulegen, Spekulationseinkünfte und Einkünfte aus Kapitalvermögen bei der Einkommensteuer genauso hoch zu besteuern, wie die Einkünfte aus selbständiger und aus nichtselbständiger Arbeit in dem jeweiligen Land der Einkommensteuer unterworfen werden. Dann würde wieder mehr Geld in die Realwirtschaft fließen.

2. Der Wirtschaftswissenschaftler Dr. Alexander Rüstow, der in der Weimarer Republik einen hohe Position in der Kartellverwaltung hatte, wollte die Systemrelevanz und die wirtschaftliche Macht von Firmen vor allem durch Entflechtung und durch eine hohe Erbschafts- und Schenkungssteuer, durch deren Aufkommen jedem Einwohner Deutschlands ein Startkapital zur Verfügung gestellt werden sollte, verhindern bzw. beseitigen. Das würde in der aktuellen Wirtschaftskrise dazu führen, dass gar keine Bank mehr gerettet zu werden bräuchte, und dass erheblich mehr Kapital in die Realwirtschaft und den Konsum fließen würde, sodass dramatisch weniger Kapital überhaupt noch für die Spekulation zur Verfügung stünde (Rede von Dr. Andreas Rüstow in Dresden aus dem Jahr 1932, in 2001 im Rahmen der “Reihe zweite Aufklärung” des Walter-Eucken-Archivs über den LIT-Verlag veröffentlicht).

3. Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer würde jede einzelne Transaktion, darunter auch den Verkauf von Darlehensforderungen, besteuern. Das bedeutet, dass jeder Verkaufsvorgang belastet würde. Das würde die Spekulation in der Weise lenken, dass versucht würde, einen möglichst hohen Gewinn mit möglichst wenig Verkaufsvorgängen zu erzielen, und würde so die Geschwindigkeit der Spekulation verringern. Je höher die Finanztransaktionssteuer wäre, desto höher müsste der prognostizierte Gewinn sein, damit überhaupt noch spekuliert würde. Eine solche Steuer würde langfristiger orientierte Investitionen am Kapitalmarkt stärken.

4. Die Tobin-Steuer belastet den Währungsumtausch. Die Höhe der Tobinsteuer bestimmt, wie groß ein Wechselkursunterschied sein muss, damit sich Währungsspekulation noch lohnt. Das verlangsamt die Währungsspekulation und verringert ihr Volumen. Hinsichtlich der Abwehr von Spekulationen gegen die Zahlungsfähigkeit von Euro-Mitgliedsländern würde sie zumindest die Spekulierenden von außerhalb des Euro-Gebiets bremsen, könnte also ein Teil der Lösung, aber nicht die gesamte Lösung, sein.

5.Die Menge des durch die Banken schöpfbaren Geldes, d. h. des durch die Banken von der Zentralbank ausleihbaren Geldes, ließe sich begrenzen durch eine Warenkorbbindung für die Menge des Geldes, welches die Banken in einem bestimmten Zeitraum von Zentralbank leihen können. Dabei würde sich dieser Höchstbetrag daran orientieren, für welche Güter des Warenkorbs auf dem Markt des jeweiligen Landes oder Währungsgebiets eine Über- oder Unterversorgung vorläge. Durch eine sinnvolle Auswahl der Güter in dem Warenkorb ließen sich so der Realwirtschaft Impulse hinsichtlich der betreffenden Güter verleihen. Ansätze für Modelle von Warenkorbbindungen von Währungen finden sich z. B. in den Werken “Grundsätze der Wirtschaftspolitik” von Walter Eucken und “Die Wachstumsfalle” von Prof. Dr. Hans-Christoph Binswanger.

6.In seinem Buch „Die Chancen der Globalisierung“schlägt der ehemalige Chefökonom und stellvertrtende Vorsitzende der Weltbank Joseph Stiglitz auf S. 286 ff. einen internationalen Schuldengerichtshof vor, welcher über die Streichung illegitimer Schulden entscheiden solle. Das könnte laut Stiglitz z. B. die Streichung von Schulden umfassen, welche unter diktatorischen, völkermörderischen oder anderen repressiven und damit „illegitimen Regimen“ aufgenommen worden sind, zumindest soweit es sich um Kredite für Waffenkäufe o. ä. handelt. Dabei ist es laut Stiglitz erforderlich, die Beweislast für die Kreditverwendung den Kreditgebern aufzuerlegen.

Da das Menschenrecht der Gläubiger auf Eigentum nur ein Menschenrecht unter vielen ist, und weil es mit den Menschenrechten der Einwohner der Schuldnerländer auf Grund der Unteilbarkeit der Menschenrechte abzuwägen ist mit einem Zwang zum Kompromiss, welcher aus der Unteilbarkeit der Menschenrechte erwächst, wäre es unwissenschaftlich, einfach als Axiom zu setzen, dass Staatsschulden unter allen Umständen vollständig bedient werden müssten.

Auf der anderen Seite ist zugunsten der Gläubiger zu bedenken, dass sie das Darlehen oft in gutem Glauben gegeben haben in der Annahme, der Schuldnerstaat sei ohne Verletzung von Menschenrechten seiner Einwohner in der Lage, es vollständig und mit Zinsen zurückzuzahlen.

Daher hält es die Beschwerdeführerin für erforderlich, aufzuzeigen, dass es in der Welt der Rechtsstaaten und der grundrechtlichen Absicherung des Eigentums durchaus Alternativen gibt zur vollständigen Rückzahlung der Staatsschulden, von denen im Folgenden einige aufgezeigt werden:

1. Auf Grund der Unteilbarkeit der Menschenrechte und der Souveränität der Staaten muss ein Maß gefunden werden, in welchem Umfang der jeweilige Staat seine Schulden zurückzahlen muss. Dabei wird einerseits zu betrachten sein, wieviel der Staat von seinen Einwohnern steuerlich abschöpfen kann, ohne deren Menschenrechte zu verletzen. Auf der anderen Seite wird auch zwischen verschiedenen Gläubigern zu differenzieren sein, in welchem Ausmaß die jeweiligen Gläubiger für ihr eigenes Leben in Würde auf die pünktliche Bedienung ihrer Forderungen angewiesen sind. Auch muss dem Schuldnerstaat noch genug bleiben, um seine eigene Souveränität (Art. 2 Abs. 1 UNO-Charta) und Funktionsfähigkeit zu erhalten, sowie um die kollektiven Menschenrechte des Volkes auf politische Selbstbestimmung und auf die Existenzmittel sicherzustellen (Art. 1 Abs. 1 S. 1 + Abs. 2 S. 2 UNO-Zivilpakt, Art. 1 Abs. 1 S. 1 + Abs. 2 S. 2 UNO-Sozialpakt). Außer der Beschwerdeführerin denkt auch der ecuadorianische Ökonom Alberto Acosta zumindest insoweit in diese Richtung, wie er betont, dass der Schuldendienst in einem Rechtsstaat zumindest die Menschenwürde nicht beeinträchtigen darf, bei staatlichen Schulden ebenso-wenig wie bei privaten Schulden (taz-Interview vom 17.05.2010 “Die griechische Tragödie nut-zen”).

2. Aus der brasilianischen Verfassung stammt das Konzept der “widerlichen Schulden”, wonach diese mit exakt dem Geldbetrag vom Staat nicht zurückgezahlt werden müssen, wie sie nach-weislich in dem betreffenden Umfang nur durch bestimmtes strafbewehrtes Verhalten (vor allem durch Korruption oder Betrug) zustande gekommen sind. In seinem Werk “Das Imperium der Schande” (Bertelsmann Verlag) erörtert Prof. Jean Ziegler z. B. auf den S. 95-98 und auf den S. 192ff., inwieweit Ruanda hinsichtlich der Schulden für Waffen aus dem Bürgerkrieg, oder in-wieweit Brasilien und Irak hinsichtlich während der Diktatur angehäufter Schulden deren Streichung verlangen können. Auch der ecuadorianische Ökonom Alberto Acosta empfiehlt die Streichung “widerlicher Schulden” im taz-Interview vom 17.05.2010 (“Die griechische Tragödie nutzen”) und betont zudem deren präventives Potential gegenüber jeglichen zukünftigen diktatorischen Machtergreifungen. Eine für das Menschenrecht der Gläubiger auf Eigentum schonendere Alternative könnte es nach Auffassung der Beschwerdeführerin sein, die widerlichen Schulden auf die an der Korruption Beteiligten bzw. deren Gesamtrechtsnachfolger übergehen zu lassen, sodass die Schuldnerstaaten entlastet wären, ohne dass die Gläubiger, soweit sie gutgläubig waren, ihre Forderungen verlieren würden. Das hätte auch eine noch weitaus größere korruptionsbe-kämpfende Wirkung als das brasilianische Original.

3. Ecuador hat, wie dessen Außenminister Ricardo Patinho auf der attac-Krisenanhörung am 15.10. 2011 berichtet hat, untersucht, zu welchem Prozentsatz die Schulden des Landes gegenüber ausländischen Banken widerlich oder illegitim seien. Danach wurde ein Zwangsumtausch gegenüber ausländischen Banken in neue Staatsanleihen mit einem hohen Abschlag durchgeführt, wobei gegen-über allen ausländischen Gläubigerbanken der gleiche durchschnittliche Abschlag verlangt und insoweit nicht nach einzelnen Banken differenziert wurde.

4. Im alttestamentarischen Israel gab es das sog. „Sabbatjahr“. In jedem siebten Jahr verjährten alle Kreditforderungen und -schulden. Dieser Siebenjahreszeitraum ist in deutlich abgeschwächter Form heute auch in der deutschen Insolvenzordnung für Firmen- und Privatinsolvenzen zu finden.

Auch unabhängige Experten des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen fordern, dass sich die Lösung der Wirtschafts-, Finanz- und Schuldenkrise innerhalb dessen bewegen muss, was die universellen Menschenrechte zulassen, und zwar mit einem besonderen Schwerpunkt auf den Schutz der Menschenrechte der verletzlichen Bevölkerungsgruppen (siehe Abschnitt XI.14 dieser Verfassungsbeschwerden).

XI.4 europäischer Finanzierungsmechanismus dient Bankenrettung – Beispiel Irland

Am 21.11.2010 hat der irische Finanzminister Brian Lenihan im irischen Sender RTE laut dem Artikel „Irland bittet um Finanzhilfe“ der taz vom 22.11.2010 bekanntgegeben, dass das Land die Unterstützung durch den europäischen Finanzierungsmechanismus suche.

Laut dem taz-Artikel „Die Kurse fallen trotz Irland-Hilfe“ vom 30.11.2010 erhält Irland Notfallkredite von 12,5 Mrd. € aus dem staatlichen Pensionsfonds, von 5,- Mrd. € aus weiteren staatlichen „Barreserven“ 22,5 Mrd. € von der EU, 22,5 Mrd. € vom IWF und 17,5 Mrd. € direkt bilateral von den anderen Euro-Mitgliedsländern – zusammen also 85,- Mrd. €. Von dem Geld gehen 10,- Mrd. € direkt in die akute Rettung irischer Banken und 25,- Mrd. € in einen nationalen präventiven Bankenrettungsfonds. Die restlichen 50,- Mrd. € sind für den laufenden Haushalt, worin natürlich auch noch Zins- und Tilgungsleistungen gegenüber den Gläubigern Irlands enthalten sind. Zusätzliche Notfallkredite erhält Irland in Höhe von 3,8 Mrd. € von Großbritannien, 598,- Mio. € von Schweden und 393,- Mio € von Dänemark; über die geplante Verwendung dieser Gelder ist der Beschwerdeführerin noch nichts bekannt.

Von den 85,- Mrd. €, welche Irland von EU, IWF und Mitgliedsländern der Eurozone erhält, sollen also 41,18 % direkt in die Bankenrettung gehen. Diese Beträge werden für Irland keinerlei Erträge erwirtschaften können, und werden niemals zurück gezahlt werden können von dem Land. Das allein beweist bereits, dass der irische Staatsbankrott nicht abgewendet werden soll, sondern dass es vor allem um die Plünderung des Landes zu Gunsten der Bankenrettung geht.

Laut dem taz-Artikel „Irland will im nächsten Jahr kräftig sparen“ vom 08.12.2010 hat das Land derzeit Schulden von 175,- Mrd. €. Im Vergleich dazu wird ihm eine Erhöhung der Schulden um 20% aufgezwungen zur Bankenrettung. Es wird also billigend in Kauf genommen, einen ohne weitere Bankenrettung noch abwendbaren Staatsbankrott herbeizuführen.

Die EU-Kommission steht dem IWF mit Auflagen zur gezielten Vertiefung der Finanzkrise offenbar in nichts nach, nur dass sie andere Schwerpunkte beim Ausverkauf der Staaten hat. In Argentinien hat eine solche Vertiefung 10 Jahre gedauert und dem einst reichsten Land Südamerikas den Hunger gebracht, bis das Volk die Regierungen reihenweise durch Massendemonstrationen gestürzt hat. Erst eine Regierung, die den Staatsbankrott erklärt und den IWF aus dem Land geworfen hat, konnte sich in Argentinien wieder halten und ist sogar wieder gewählt worden.

Dass von den 85,- Mrd. € in Irland 10,- Mrd. € in die akute und 25,- Mrd. € in die präventive Bankenrettung geflossen sind, und dass ein Teil der von den Iren selbst aufgebrachten 17,5 Mrd. € aus der irischen Rentenversicherung stammt, beweist außerdem das am 17.05.2011 veröffentlichte Hintergrundpapier des Ecofin-Rats vom 13.05.2011.

www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/en/ecofin/121983.pdf

David Begg, Generalsekretär der irischen Dachgewerkschaft, bezeichnete die Inhalte der europäischen Notfallkreditvereinbarungen für Irland als „ökonomische Massenvernichtungswaffen“. Jack O' Connor von der irischen Dienstleistungsgewerkschaft SIPTU ist der Auffassung, dass es in Wirklichkeit um die Rettung der Spitzen deutscher und französischer Banken geht. Laut einer Umfrage des Sunday Independent verlangen 57% der Iren eine Aussetzung des Schuldendienstes (taz-Artikel „Die Massenvernichtungswaffen aus Europa“ vom 29.11.2010).

Die irische Regierung wollte gar nicht unter den „europäischen Rettungsschirm“, sie wurde dazu gedrängt. Laut dem taz-Artikel „Irland soll sich helfen lassen“ vom 18.11.2010 reichten die von Irland damals bereits aufgenommenen Kreditmittel noch bis Mitte 2011. Sie hatten nur das eine große Haushaltsrisiko, dass sie sich verpflichtet hatten, mit bis zu 350,- Mrd. € für die irischen Großbanken zu bürgen. Laut der Meldung vom 18.11.2010 wurde Irland damals vor allem von EU, IWF und Großbritannien gedrängt, den europäischen Finanzierungsmechanismus in Anspruch zu nehmen. Laut taz hatten britische Banken damals Forderungen in Richtung Irland von 148,5 Mrd. $ und deutsche Banken von 138,- Mrd. $. Bei Gesamtschulden Irlands vor Inanspruchnahme des europäischen Finanzierungsmechanismus von 175,- Mrd. € kann damit jeweils nur die Summe der Forderungen der britischen und der deutschen Banken gegenüber dem Staat Irland und gegenüber den irischen Banken gemeint gewesen sein.

Schon am 21.11.2010 gab die irische Regierung laut dem taz-Artikel „Irland bittet um Finanzhilfe“ vom 22.11.2010 nach und begab sich in die Mühlen des europäischen Finanzierungsmechanismus, obwohl sie es, vorbehaltlich der Bankenrettungslasten, überhaupt nicht nötig gehabt hätte !

Laut dem taz-Artikel „Bundesregierung rettet Banken“ vom 22.11.2010 sind die drittgrößten Gläubiger Irlands bzw. der irischen Banken (nach britischen und deutschen Banken) Banken aus den USA mit Forderungen von 68,7 Mrd. $. Das ist nicht ganz unbedeutend, weil die USA als einziges Land auf der Welt soviele Anteile am Stammkapital des IWF haben, dass sie alleine gegenüber Entscheidungen des IWF ein Veto einlegen und damit bis zu einem Grad auf die IWF-Auflagen gegenüber den Ländern der Eurozone mit Einfluss nehmen können. Unter den deutschen Gläubigern des irischen Staates und der irischen Banken nennt die taz an erster Stelle die Hypo Real Estate mit 11,- Mrd. €, gefolgt von der Landesbank Baden-Württemberg mit 400,- Mio. € und der DZ Bank mit 300,- Mio €, daneben aber auch die Deutsche Bank und die Commerzbank.

Der Artikel „Bundesregierung rettet Banken“ vom 22.11.2010 enthüllt außerdem, dass Irland nicht freiwillig den europäischen Finanzierungsmechanismus angerufen hat, und dass der Druck dazu nicht zuletzt auch aus Deutschland gekommen ist. Also hat neben EU, IWF und Großbritannien auch Deutschland die irische Souveränität und damit die unantastbare Demokratie missachtet – unvereinbar mit dem Staatsauftrag europäische Integration (Art. 23 GG), welcher auf ein Zusammenwachsen Europas im Rahmen des demokratisch und unter Achtung des Subsidiaritätsprinzips Möglichen zielt – nicht auf Unterwerfung von Euroländern unter Bankeninteressen.

Zu den von EU-Kommission und IWF verlangten Kreditauflagen gehören laut Le Monde diplomatique Steuererhöhungen, Einschnitte bei den Sozialleistungen (z. B. Streichung des Wohngeldzuschusses), die Senkung des Mindestlohnes, die Streichung tausender Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst, die Kürzung der Renten (logisch bei de-facto Umwidmung von 12,5 Mrd.€ aus der Rentenkasse), von Steuervergünstigungen und von öffentlichen Ausgaben bei Verkehr und Bildung.

Laut dem taz-Artikel „Irland will im nächsten Jahr kräftig sparen“ vom 08.12.2010 sollen der Mindestlohn um 1,- €, das Kindergeld um 10,- bis 20,- €, die Sozialhilfe um 5%, die Renten um 5 bis 9% und der Grundfreibetrag bei der Einkommensteuer von 18.000,- € auf 15.000,- € gesenkt wer-den. Damit sollen 6,- Mrd. € in 2011 gespart werden. Die taz kommt zutreffend zu dem Schluss, dass der Staatsbankrott für Irland, im Falle der Beibehaltung der irischen Bankenrettung, nicht mehr abzuwenden ist. Das beweist, dass der europäische Finanzierungsmechanismus nicht den Zweck haben kann einen irischen Staatsbankrott abzuwenden, sondern nur, seinen bisherigen Gläubigern auf Kosten der Steuerzahler in den anderen Mitgliedsstaaten noch mehr herauszuholen, vor allem durch den Griff in die Rentenversicherung und durch den Ausverkauf des öffentlichen Dienstes bis hin zur de-facto Entstaatlichung Irlands.

Der taz-Artikel „drastische Rosskur für das gebeutelte Land“ vom 25.11.2010 liefert weitere Zahlen. Der Stellenabbau im öffentlichen Dienst soll 25.000 Personen betragen. Die Mehrwertsteuer, die vor allem die armen Endverbraucher trifft, soll von 21% auf 22% erhöht werden. Auch die Studiengebühren sollen erhöht und Wassergebühren und eine Immobiliensteuer eingeführt werden. Schon vor den 35,- Mrd. € über den europäischen Finanzierungsmechanismus hatte das Land bereits 60,- Mrd. € für die Mißwirtschaft weniger irischer Großbanken bezahlt.

Der Stellenabbau im öffentlichen Dienst, der in Irland bei weitem nicht so aufgebläht ist wie in Griechenland, deutet darauf hin, dass man damit einen öffentlichen Personalmangel erzeugen will, um Irland zu zwingen, entsprechend Art. 2 von Protokoll 26 zu den Verträgen der EU, zahlreiche hoheitliche Aufgaben an privat zu vergeben. In Irland gibt es keinen Schutz einer Verfassungsidentität vor dem EU-Recht außer bzgl. der obligatischen Volksabstimmung bei Änderungen des EU- Primärrechts und vermutlich bei ultra-vires-Handeln der EU, denn Art. 29 Abs. 4 Nr. 10 der irischen Verfassung stellt sämtliches EU-Recht über die irische Verfassung. Vom irischen Staat dürfte also nur noch so viel vom totalen Ausverkauf der hoheitlichen Institutionen des Landes übrig bleiben, wie Art. 4 EUV die Macht der EU selbst zurück nimmt (also nur noch grundlegende Strukturen, öffentliche Ordnung (innere Sicherheit) und nationale Sicherheit (äußere Sicherheit)).

Das Gutachten „Überschuldung und Staatsinsolvenz in der Europäischen Union“ des wissenschaftlichen Beirats im Bundeswirtschaftsministerium bestätigt auf S. 2 sehr höflich, dass der Antrieb, Irland unter den Euro-Rettungsschirm zu bekommen, nicht von Irland ausging:

„Inzwischen wurde sogar öffentlich empfohlen, dass ein Land wie Irland den Rettungsschirm in Anspruch nehmen solle, und nachdem Irland zugestimmt hat, ist nicht auszuschließen, dass weitere Länder prüfen, ob sie Irlands Beispiel folgen sollten.“

Und es sagt auf S. 2:

„Zwar wurde inzwischen auch für Irland ein Hilfskreditpaket geschnürt, um die Stabilisierung des irischen Bankensystems zu erleichtern. Trotzdem kann bislang von einer Bedrohung des Bestands der Eurozone keine Rede sein.“

Das Gutachten bestätigt also, dass die Zwängung Irlands unter den europäischen Finanzierungsmechanismus nicht für die Einwohner Irlands gedacht ist, sondern für die irischen Banken. Nimmt man diese Aussage zusammen mit den Information aus dem o. g. taz-Artikel „Irland soll sich helfen lassen“, bestätigt sich, dass es vor allem um britische, deutsche und US-Banken ging.

Abschnitt „2.1.4 Der Fall Irland“ auf S. 6 des Gutachtens beleuchtet, dass die irische staatliche Bankenrettungsinstitution NAMA bis Ende 2010 (prognostiziert am 30.11.2010) irischen Banken gewerbliche Hypothekarkredite im Nennwert von 73,- Mrd. € zum Preis von 31,- Mrd. € abkaufen werde. 31,- Mrd. € sind deutlich weniger als das Gesamtvolumen von 350,- Mrd. €, welche die NAMA insgesamt max. übernehmen darf. 31,- Mrd. € bringen eine Land von der wirtschaftlichen Stärke Irlands nicht in Liquiditätsprobleme. Dazu passt auch die Aussage im taz-Artikel „Irland soll sich helfen lassen“ vom 18.11.2010, dass aus damaliger Sicht die Liquidität Irlands bis Mitte 2011 gesichert war. Ganz anders kann sich das beim Stabilitäts- und Wachstumgspakt darstellen, wenn man die Ermächtigung für die NAMA von bis zu 350,- Mrd. € nicht kameralistisch, sondern bilanziell betrachtet. Denn bei Bilanzierung muss man natürlich eine aufwandswirksame Rückstellung bilden. Dafür würde man, grob gesagt, den Rückstellungsbetrag durch Multiplikation des noch nicht ausgeschöpften Teils der 350,- Mrd. € mit der Wahrscheinlichkeit des Ausfalls dieser Beträge multiplizieren. Das könnte sich je nach Einschätzung des Ausfallrisikos bzgl. des Euro-Defizitkriteriums deutlich bemerkbar machen.

Im Abschnitt „2.2.7 Hilfen für Irland“ auf S. 15+16 des Gutachtens wird aufgezeigt, dass Irland in 2009 das Defizitkriterium (3%) mit einem Defizit von 12% des BIP deutlich überschritten, aber auch schon deutliche Einsparungen von sich aus eingeleitet sowie trotz des des hohen Defizits in 2009 eine Schuldenquote von immer noch nur 65% des BIP erreicht hatte.

So sagt das Gutachten:

„Die Hilfen für Irland lassen sich sicherlich nicht mit dem starken Konjunktureinbruch und dem Niveau der öffentlichen Verschuldung des Landes rechtfertigen.“

Und es sagt:

„Das eigentliche Problem Irlands bildet bekanntlich der fragile Zustand des Bankensystems.“

Tabelle 3 auf S. 16 des Gutachtens zeigt, dass Ende 2009 irische Banken mit 399% des BIP und andere in Irland als Staat und Banken, also Realwirtschaft, Grundeigentümer, Konsumentenkreditkunden, etc., mit 527% des BIP verschuldet waren.

Abschnitt 2.1.4 des Gutachtens erläutert dazu, dass sich die Immobilienpreise in Irland in den 1990er Jahren vervierfachten, und dass diese dann nach 2006 wieder um 40% einbrachen und weiter sinken. Offenbar haben also die irischen Banken den Grundbesitz mit zu hohen Beträgen als Sicherheit akzeptiert, ähnlich wie bei der Immobilienpreiskrise in den USA, nur vielleicht ohne Verbriefungen. Die hohe Verschuldung anderer als Staat und Banken zeigt, dass die Ausfälle der irischen Banken und damit das Ausmaß der Inanspruchnahme der NAMA noch steigen dürften, wenn Irland nicht vorher aus der NAMA aussteigt. Aber das wollen die britischen, deutschen und US-Banken nicht, die bei ihrer Kreditvergabe an die irischen Banken das Risiko der Überbewertung des irischen Grundbesitzes als Sicherheit zugleich als Risiko für ihre Kredite an die irischen Banken unterschätzt hatten.

Auch der taz-Artikel „EU genehmigt Miliardenhilfe“ vom 12.07.2011 belegt, dass der europäische Finanzierungsmechanismus in erster Linie zur Bankenrettung da ist. Denn die EU-Kommission hat Irland erlaubt, der Bank of Ireland 5,35 Mrd. € für deren „Rekapitalisierung“ zu schenken, damit diese „Stresssituationen besser bestehen“ könne.

www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=wu&dig=2011%2F12%2Fa077&cHash=d5b5962b2c

Dass die Eurozonen-weiten Bankenstresstests nur ein weiterer Anlass sind, welcher geschaffen wurde, um schon wieder mehrstellige Milliardengeschenke an Großbanken zu machen, wird in Abschnitt III.22 dieser Verfassungsbeschwerden bewiesen.

Fortsetzung: https://sites.google.com/site/euradevormwald/02-esm/074-griechenland