078. XIII. Erkennbare und mutmaßliche Ziele hinter Art. 136 Abs. 3 AEUV sowie hinter EFSF-Rahmenvertrag, ESM-Vertrag und Fiskalpakt und die Frage der Verhältnismäßigkeit

XIII. Erkennbare und mutmaßliche Ziele hinter Art. 136 Abs. 3 AEUV sowie hinter EFSF-Rahmenvertrag, ESM-Vertrag und Fiskalpakt und die Frage der Verhältnismäßigkeit

Die Abschnitte III. bis VI.1. und XII. widmen sich vorwiegend Sachverhaltsfragen, die Abschnitte IX. und X. den Eingriffen in Grundrechte, grundrechtsgleiche Rechte, universelle Menschenrechte, Strukturprinzipien und den Staatsauftrag europäische Integration. Dem gegenüber betrachtet dieser Abschnitt die hinter Art. 136 Abs. 3 AEUV bzw. EFSF-Rahmenvertrag, ESM und Fiskalpakt erkennbaren und zu vermutenden Ziele und betrachtet diese im Lichte der Verhältnismäßigkeit. Alle Eingriffe in Grundrechte, grundrechtsgleiche Rechte und universelle Menschenrechte müssen verhältnismäßig sein. Das bedeutet, dass der Eingriff für ein politisches Ziel vorgesehen ist, welches nicht an sich schon verfassungswidrig ist. Der Eingriff muss außerdem geeignet sein zur Erreichung des Ziels. Er muss erforderlich sein, also das Ziel nicht schon durch mildere Eingriffe erreichbar sein. Und das Verhältnis zwischen angestrebtem Ziel und dem Ausmaß des Eingriffs muss angemessen sein. Der Wesensgehalt eines Grundrechts darf nicht angetastet werden (Art. 19 Abs. 2 GG, Rn. 216+217 Lissabonurteil); das gleiche gilt nach Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin ebenso zumindest für die grundrechtsgleichen Rechte (Abschnitt VII.5 dieser Verfassungsbeschwerden).

Diese Anforderungen sind kumulativ. Insbesondere in den Abschnitten IX., X. und XI. wird bereits ausführlich auf die Eingriffe eingegangen, sodass daran die Verletzungen der Wesensgehalte er-sichtlich werden. Bereits durch die Verletzung der Wesensgehalte sind die Eingriffe materiell-rechtlich zu untersagen, selbst in den Bereichen, wo eine Verhältnismäßigkeit besteht, da die Verhältnismäßigkeit nur dazu berechtigt, bis an die Grenze des Wesensgehalts vorzudringen, aber nicht dar-über hinaus. In diesem Abschnitt wird darüber hinaus auf die Frage der Legitimität der Ziele sowie auf die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit eingegangen, wobei sich das Gesamtbild zur Angemessenheit in der Zusammenschau mit den übrigen Teilen dieser Verfassungsbeschwerden ergibt.

Die Beschwerdeführerin möchte auf das deutlichste betonen, dass Abschnitt XIII. dieser Verfassungsbeschwerden nicht isoliert zu betrachten ist. Die Eingriffe sind derart weitgehend, und das Vorgehen gegenüber der Öffentlichkeit in diesem Zusammenhang derart intransparent, und überdies droht ein Überrolltwerden durch eu-sekundärrechtliche Akte notfalls auch ohne die Blankett-Ermächtigung des Art. 136 Abs. 3 AEUV bzw. ohne den Fiskalpakt, dass die Volksabstimmungen in dem in den Abschnitten III.8, III.10 und III.17 dieser Verfassungsbeschwerden genannten Umfang unentbehrlich sind. Abschnitt XIII. soll die Situation in keiner Weise verharmlosen, wohl aber dem Umstand Rechnung tragen, dass ein Teil der mit Art. 136 Abs. 3 AEUV bzw. mit EFSF-Rahmenvertrag, ESM und Fiskalpakt verfolgten Ziele durchaus legitim ist und mit anderen, milderen Eingriffen (Merkmal der Erforderlichkeit) durchaus verfolgt werden dürfte – aber nicht mit diesen.

XIII.1 Ziel dauerhafter Euro-Rettungsschirm

Das erste offizielle Ziel von 136 Abs. 3 AEUV sowie des ESM ist die Ablösung von EFSM und EFSF durch einen ständigen Krisenmechanismus (Nr. 1 der Schlussfolgerungen des Europäischen Rats vom 16./17. 12.2010, Abs. 2+3 der Erwägungsgründe zur Initiierung des Art. 136 Abs. 3 AEUV), den ESM, zu ersetzen.

EFSM und EFSF sind bisher bis zum 30.06.2013 zeitlich begrenzt, abgesehen von der noch verbleibenden Abwicklung der bis dahin ausgegebenen Notfallkredite incl. deren Rückzahlung, und abgesehen von der Möglichkeit der EFSF, selbst ohne jegliches weitere Zustimmungsgesetz über ihre eigene zeitliche Verlängerung (Art. 11 Abs. 2 EFSF-Rahmenvertrag), über dies Ausweitung ihres Instrumentariums (Art. 5 Abs. 3 EFSF-Rahmenvertrag) und über die beliebige Änderung des eigenen Rahmenvertrags (Art. 10 Abs. 5 lit. c EFSF-Rahmenvertrrag).

Würde es wirklich um eine echte Stabilisierung des Euro gehen, z. B. hinsichtlich des Wechselkurses (siehe Abschnitt XI.9 dieser Verfassungsbeschwerden), so wäre dies dem Grunde nach ein zulässiges Ziel. Aber dafür wäre die freiwillige Koordinierung der Wirtschaftspolitik (Art. 121 AEUV), ohne jegliche sanktionsbewehrten Auflagen oder Empfehlungen, das richtige Mittel. Ein starker Wechselkurs ist gut für die europäischen Sparer und verbilligt Importe, ein schwacher Wechselkurs stärkt die Exportwirtschaft. Die Erreichung eines besonders starken oder eines besonders schwachen Wechselkurses des Euro ist also kein Ziel mit derart überwiegenden Vorteilen, dass dies die Auferzwingung einer bestimmten Wirtschaftspolitik gegenüber den Staaten der Eurozone rechtfertigen könnte. Derart tiefe Eingriffe, in die Macht der mitgliedsstaatlichen Parlamente, sind für den Eurowechselkurs also weder erforderlich noch angemessen.

Eines dauerhaften Euro-Rettungsschirm für die Geldwertstabilität bedarf es nicht. Hierfür genügt es, dass die EZB zuallererst der Geldwertstabilität verpflichtet ist (Art. 282 Abs. 2 AEUV).

Wenn das Ziel wäre, künftige Spekulationsblasen und Finanzkrisen zu vermeiden, so bräuchte es dafür keinen Euro-Rettungsschirm, sondern Instrumente zur Verlangsamung bzw. Entmutigung der Spekulation, zur Stärkung der Realwirtschaft auf Kosten der völlig überdimensionierten Finanzwirtschaft und für an der Realwirtschaft orientierten Höchstgrenzen der Geldschöpfung (siehe Abschnitt XI.3 dieser Verfassungsbeschwerden).

Solche wirklich stabilisierenden Ziele verfolgt der Euro-Rettungsschirm aber gerade nicht.

Unter seinen Zielen sind, wie in den entsprechenden weiteren Teilen von Abschnitt XIII. dargestellt, mehrere illegitime Ziele, sodass die unbefristete Fortsetzung eines bereits verfassungswidrigen Euro-Rettungsschirms nur ebenfalls verfassungswidrig sein kann. Bereits ein illegitimes Ziel würde dafür genügen, dass der Euro-Rettungsschirm aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht mehr unverändert fortgeführt werden dürfte, jedenfalls nicht mit deutscher Beteiligung daran. Je länger Deutschland beim Euro-Rettungsschirm dabei ist, desto größer die Gefahr, dass Deutschland dadurch nicht nur bankrott wird, sondern sogar selbst zum Ziel iwf-artig strenger Auflagen wird. Das StabMechG und die Zustimmung zum ESM sind daher zu untersagen.

Die Illegitimität eines dauerhaften Euro-Rettungsschirms erstreckt sich nicht nur auf den ESM, sondern ebenso auf die EFSF, zumal deren geänderter Rahmenvertrag in Art. 10 Abs. 5 lit. c nun die Ermächtigung der EFSF enthält, selbst über ihre eigene zeitliche Verlängerung entscheiden zu können.

Darüber hinaus wird längst zugegeben, dass der „Euro-Rettungsschirm“gar nicht zum Ziel hat, den Euro zu retten.

Der ehemalige EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark hat zugegeben, dass es in Wirklichkeit um Bankenrettung geht (Abschnitt XI.13 dieser Verfassungsbeschwerden).

Der Goldman-Sachs-Mitarbeiter Alan Brazil empfiehlt die Spekulation gegen den Euro, da dieser durch weitere Rettungspakete deutlich geschwächt werde (Abschnitt IV.10 dieser Verfassungsbeschwerden).

Und Prof. Dr. Häde, welcher die Bundesregierung juristisch vertreten hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 30.11.2011 zu einer Organklage der Bundestagsfraktion von Bündnis90/die Grünen, in welcher es vor allem um die Durchsetzung von mehr Transparenz rund um den ESM zugunsten des Bundestags ging, argumentiert, dass es beim Euro-Rettungsschirm überhaupt nicht um die Rettung Griechenlands, sondern um die des Finanzsektors geht.

XIII.2 Ziel Staateninsolvenzverfahren

Das zweite offizielle Ziel des Art. 136 Abs. 3 AEUV ist laut den Erwägungsgründen der Initiierung von Art. 136 Abs. 3 AEUV die Schaffung einer Grundlage für das Staateninsolvenzverfahrens innerhalb des ESM (Abs. 2 der Erwägungsgründe). Ein Staateninsolvenzverfahren ist nach dem Waldenfels-Urteil bereits als Ziel illegitim (Abschnitt IV.6.7 dieser Verfassungsbeschwerden), da es zu sehr in die Souveränität (Art. 20 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 UNO-Charta) und die als Strukturprinzip unantastbare (Rn. 216+217 des Lissabonurteils) Demokratie (Art. 20 Abs. 1+2 GG) eingreift, und weil ein Staatsbankrott nach dem Waldenfels-Urteil mit Blick auf die Erfüllung der staatlichen Aufgaben in der Zukunft und nicht mit Blick auf die Abrechnung mit der Vergangenheit zu bewältigen ist.

Ein zulässiges Ziel wäre allenfalls ein begrenztes und souveränitätsschonendes Staatenvergleichsverfahren, welches dann aber aus Gründen der Rechtsklarheit auch als Staatenvergleichsverfahren benannt werden müsste, und vom jeweils betroffenen Schuldnerstaat dann einfachgesetzlich, nicht völkerrechtlich, geregelt werden darf. Ein solches wird von Art. 136 Abs. 3 AEUV aber offensichtlich nicht angestrebt. Nach dem Waldenfels-Urteil ist der Gesetzgeber zuständig für die Regeln seiner eigenen Entschuldung, wobei das Bundesverfassungsgericht, wenn es dazu angerufen wird, überprüft, ob der Gesetzgeber innerhalb des ihm dafür zustehenden Entscheidungsspielraums geblieben ist, oder inwieweit seine Entscheidungen zu korrigieren sind. Auch ein Staatenvergleichsverfahren müsste aber immer so ausgestaltet sein, dass das Letztentscheidungsrecht des Bundesverfassungsgerichts für Deutschland auch formell gesichert wäre. Und es müsste so beschaffen sein, dass es keinen Insolvenzverwalter gäbe, sondern nur einen Mediator, wie dies auch dem wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums vorschwebt (siehe Abschnitt IV.6.8.2 dieser Verfassungsbeschwerden). Völkerrechtlich / intergouvernemental könnte man höchstens vorgeben, dass alle teilnehmenden Staaten ein einfachgesetzliche Regeln einführen für ein Staatenvergleichsverfahren, aber nicht, wie dieses zu beschaffen sein hätte.

Selbst wenn ein Staateninsolvenzverfahren als Ziel zulässig wäre, wäre der europäische Finanzierungsmechanismus dafür nicht geeignet. Das zeigt sich in nicht zu überbietender Deutlichkeit daran, dass mit der Strenge eine IWF-artige Strenge gemeint ist. Das impliziert auch Auflagen wie den Ausverkauf der Nahrungsmittelnotreserven und die Marginalisierung des Gesundheitswesens und der Rente (Abschnitte IV.5.2, IV.5.5 und IV.5.13 dieser Verfassungsbeschwerden), welche wohl nur mit einem pathologischen Mangel an Mitgefühl erklärbar sind (Abschnitt XII.8 dieser Verfassungsbeschwerden). Damit lässt sich weder ein fairer Ausgleich zwischen Schuldnern und Gläubigern noch auch nur zwischen den Gläubigern herstellen, noch nicht einmal die Vertretung der Interessen der Gläubiger, welche ein Interesse daran haben, die Arbeitskraft der Einwohner der Schuldnerländer zu erhalten und erforderlichenfalls zu stärken, damit diese möglichst viel von den Schulden abarbeiten können.

Der ESM-Vertrag wäre für ein Staateninsolvenzverfahren auch nicht erforderlich. Es würde eine klar auf ein solches Verfahren begrenzte einfachgesetzliche Regelung mit klaren Zuständigkeitsregelungen genügen.

Eine Angemessenheit eines Staateninsolvenzverfahrens kann es nicht geben. Da nach dem Waldenfels-Urteil bereits das Ziel illegitim ist, ist jeder dafür erfolgende Eingriff in Grundrechte, grundrechtsgleiche Rechte und universelle Menschenrechte unangemessen.

XIII.3 Ziel Bankenrettung

Das Strukturprinzip Demokratie (Rn. 216+217 des Lissabonurteils) ist unantastbar. Demnach muss auch genug Spielraum bleiben, dass andere Wahlergebnisse sich auch auswirken in merklichen Änderungen bzgl. der Frage, welche Teile der Wirtschaft und der Bevölkerung besonders gegenüber Risiken abgesichert und subventioniert werden, und welche anderen Teile der Wirtschaft und der Bevölkerung das zu bezahlen haben. Damit ist auch die Bankenrettung an sich ein zulässiges politisches Ziel.

Abs. 2 der Erwägungsgründe zur Initiierung des Art. 136 Abs. 3 AEUV betont, der ESM sei notwen-dig für den Umgang mit Risiken für die „Finanzstabilität“, wie sie im Jahr 2010 aufgetreten sind (Abschnitt III.1.1 dieser Verfassungsbeschwerden). Und die Vereinbarung vom 24./25.03.2011 schließlich enthüllt, dass mit „Finanzstabilität“ die Stärkung des Finanzsektors gemeint ist (Abschnitt III.15 dieser Verfassungsbeschwerden). Die Stärkung des Finanzsektors, darunter vor allem der Banken (als Hauptgläubiger der Staaten) ist also das Hauptziel des ESM und auch eines der Hauptziele des Art. 136 Abs. 3 AEUV.

Geeignet für die Bankenrettung sind EFS, Fiskalpakt und ESM insoweit, wie man mit diesen die finanzielle Situation von Banken stärken will. Insbesondere die Beispiele Irland (Abschnitt XI.4 dieser Verfassungsbeschwerden) und Griechenland (Abschnitt XI.5 dieser Verfassungsbeschwerden) zeigen, dass der Euro-Rettungsschirm und die diesem ähnelnde Griechenlandhilfe der Bankenrettung dienen. Bei Griechenland handelt es sich um die Rettung von Banken in deren Eigenschaft als bisherige Gläubiger Griechenlands, und bei Irland geht es um die Rettung von Banken in deren Eigenschaft als Gläubiger dreier irischer Großbanken, für deren Rettung Irland wiederum im Rahmen seiner völlig überdimensionierten Bankenrettungsinstitution NAMA bürgt.

Ebenfalls zur Absicherung von Banken geeignet ist die Schaffung von präventiven Bankenrettungsfonds auf nationaler Ebene, in welche vor allem die Banken, aber beim Start auch der jeweilige Staat einbezahlt. Geeignet für die Bankenrettung ist auch, dass die Steuerzahler der jeweils übrigen Staaten der Eurozone bei EFSF und ESM für die Notfallkredite bürgen bzw. haften, denn die Kreditgeber der EFSF und des ESM sind auch wiederum in erster Linie Banken, die ihre Forderungen auch möglichst abgesichert haben wollen.

Geeignet zur Bankenrettung sind schließlich auch Kreditauflagen, welche möglichst viel aus den Schuldnerländern an Arbeit und Kapital herausholen, und genau darum zugleich auch darauf achten, die Arbeitskraft der Einwohner der Schuldnerländer zu erhalten.

Auch das Vorhaben, im Staateninsolvenzverfahren des ESM die Auflagen gegenüber den Schuldnerstaaten durch die Gläubiger machen zu lassen, ist im Sinne der Bankenrettung, da Banken in der Regel die Mehrheit der Forderungen gegenüber den Staaten halten; damit hätten es die Banken in der Hand, durch gezielte Auflagen dafür zu sorgen, dass den Schuldnerländern und deren Einwohnern genau noch die Dinge bleiben würden, die sie bräuchten zur Abarbeitung der Schulden.

Ungeeignet an EFSF, ESM, Fiskalpakt und EU-Verordnung 2011/385 (COD) für die Bankenrettung ist die Verpflichtung auf die IWF-artige Strenge. Denn diese impliziert die völlige Ignorierung der Grund- und Menschenrechte der Einwohner der Schuldnerstaaten. Auflagen wie der Ausverkauf von Nahrungsmittelnotreserven (Abschnitt IV.5.2 dieser Verfassungsbeschwerden) und die Marginalisierung des Gesundheitswesens (Abschnitt IV.5.5 dieser Verfassungsbeschwerden) sind dazu angetan, die Arbeitskraft der Einwohner der Schuldnerländer und damit auch die Rückzahlung der Kredite an die Banken erheblich zu schädigen.

Geeignet zur Bankenrettung ist auch die Reduzierung der Sozialversicherung auf eine Grundversorgung über die linear-degressive Anrechnung von steuerfinanzierten Zuschüssen für den Übergang auf ein Mehrsäulenmodell in der Sozialversicherung und über die Einbeziehung der Sozialversicherung (Abschnitte V.4 und V.15 dieser Verfassungsbeschwerden) in die rigorose Schuldentragfähigkeitsanalyse (IV.6.2.4 und IV.6.2.5 dieser Verfassungsbeschwerden), weil so Ersparnisse der Sozialversicherung, insbesondere aus der Rentenversicherung, frei werden für Darlehen zur Bankenrettung (Abschnitt XI.4 dieser Verfassungsbeschwerden). Geeignet für die Bankenrettung ist auch das Ungleichgewichtsverfahren, mit welchem alle beliebigen bisher nicht handelbaren Güter exportierbar gemacht werden könnten (siehe Abschnitte V.5, V.7, V.11 und V.19 dieser Verfassungsbeschwerden), denn damit würden in erheblichem Maße Privatisierungserlöse erzielt, welche wiederum in die Bankenrettung fließen könnten. Ungeeignet für die Bankenrettung wären die Ausweitung der Sanktionen bzgl. Stabilitäts- und Wachstumspakt und bzgl. Einführung des Ungleichgewichtsverfahrens hingegen, soweit es die durch die EU-Kommission zu erwartenden sanktionsbewehrten Empfehlungen zur Erzwingung der Gentechnik in der Landwirtschaft (Abschnitt V.13 dieser Verfassungsbeschwerden) und die Instrumentalisierung selbst der Agrarsubventionen für die Santionsbewehrung der Empfehlungen der Kommission sowie der Troika bei EFSF und ESM (Abschnitte VI.1.3, VI.1.4, VI.2.1 und IX.10 dieser Verfassungsbeschwerden) betrifft, denn beides gefährdet die gesunde Ernährung der Einwohner der Schuldnerstaaten und damit deren Fähigkeit, die Staatsschulden abzuarbeiten.

Erforderlich zur Bankenrettung sind EFSF, ESM und Fiskalpakt bei weitem nicht. Es würde dafür eine wesentlich zurückhaltendere Regelung genügen. Und die Prüfung der Erforderlichkeit ist noch zu unterscheiden von der Angemessenheit. Der Begriff der „Finanzstabilität“, also im Sinne der Stabilität der Finanzmärkte, bedeutet, wie die Beispiele des Euro-Rettungsschirm sowie Irlands und Griechenlands (Abschnitte XI.4 und XI.5 dieser Verfassungsbeschwerden) zeigen, das finanzielle Einstehen der Steuerzahler der Euro-Staaten mit noch keinen akuten Liquiditätsproblemen für wackelige Forderungen von Banken gegenüber Staaten der Eurozone und staatliche Zuschüsse für präventive Bankenrettungsfonds auf nationaler Ebene. Außerdem geht es, wie das Beispiel der NAMA in Irland zeigt, um das Einstehen der Steuerzahler der übrigen Euro-Mitgliedsländer für die Bankenrettungsfonds von Staaten der Eurozone, welche von ihrem Umfang her von den jeweiligen Staaten überhaupt nicht getragen werden können, auch soweit solche nationalen Bankenrettungsfonds für Forderungsausfälle von Banken gegenüber anderen als staatlichen Schuldnern aufkommen, wie z. B. bei der NAMA vor allem für britische, deutsche und amerikanische Banken in deren Eigenschaft als Gläubiger dreier maroder irischer Großbanken, welche in ihrer Summe für Irland „too big to save“ sind. Auch wenn bereits die „Finanzstabilität“ damit wie ein Fass ohne Boden erscheint, würde für diese trotzdem eine primärrechtliche Regelung genügen, welche die Staaten verpflichten würde, sämtliche Banken mit Sitz in der Eurozone, oder die in der Eurozone tätig sind, bis max. zu einer bestimmten Summe, einem bestimmten Promillesatz des BIP o. ä., abzusichern gegenüber bestimmten Risiken. Es wäre dafür in keiner Weise erforderlich, den Staaten vorzuschreiben, in welcher Weise sie die Mittel dafür aufzubringen hätten. Aus Sicht der Erforderlichkeit müsste es den Staaten offen stehen, z. B. durch hohe Steuern auf Vermögen und Gewinne oder auch durch Steuern, welche vor allem Banken treffen, die Mittel für die akute und präventive Bankenrettung aufzubringen. Oder auch durch präventive Bankenrettungsfonds mit entsprechend höheren Beiträgen, in welche allein die Banken einzahlen würden. Die Verpflichtung auf eine IWF- artige Strenge (Erwägungsgründe 2+3+6, Art. 3 und 12 ESM-Vertrag, Erwägungsgrund 3 und Art. 6 Abs. 1 EU-Verordnung 2011/385 (COD)) für alle Finanzhilfen hingegen gibt die Richtung vor, die Mittel für die Bankenrettung über Sozialabbau und Privatisierungen zu erwirtschaften. Der IWF fordert zwar von den meisten Staaten eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, aber zumeist nur, um damit eine von ihm ebenfalls regelmäßig geforderte Senkung der Ertragsteuern auszugleichen. Es wäre auch völlig unnötig, überhaupt Mechanismen zu schaffen, in denen überhaupt irgendjemand, geschweige denn ungewählte wie der IWF und die privaten Gläubiger oder wahlaktsmäßig drei Stufen vom Volk entfernte wie die EU-Kommission, zusätzlich zu den finanziellen Verpflichtungen zur Bankenrettung noch irgendwelche verbindlichen Auflagen oder Empfehlungen machen zu lassen, geschweige denn, die Macht über noch die EU-Agrarsubventionen und damit die bäuerliche Landwirtschaft gleichsam wie ein Pfand zur Erzwingung solcher Empfehlungen zu geben. Würden die Staaten der Eurozone wirklich funktionierende Mechanismen einrichten (Abschnitt XI.3 dieser Verfassungsbeschwerden) zur Verhinderung neuer Spekulationsblasen, zur Begrenzung der Geldschöpfung oder zur Umverteilung von Finanz- an Realwirtschaft, würde dies erheblich das Risiko neuer Finanzkrisen sowie die wahrscheinliche Größe neuer Finanzkrisen verringern und damit auch den wahrscheinlichen Geldbedarf von Banken im Falle neuer Finanzkrisen.

Die Schaffung einer gemeinsamen EU-primärrechtlichen Grundlage bzw. sekundärrtechtlicher bzw. intergouvernementaler Grundlagen zur Bankenrettung ist, ebenso wie sämtliche darauf gestützten Bankenrettungsmechanismen, zumindest soweit es finanzielle Beiträge der deutschen Steuerzahler incl. der Beschwerdeführerin angeht, jedoch in keiner Weise angemessen. Das liegt daran, dass es auch noch andere, noch systemrelevantere, Bereiche als Banken gibt, für welche noch genug Mittel übrig bleiben müssen, wie z. B. Familien, Gesundheitswesen und natürliche Lebensgrundlagen (Abschnitt XI.2 dieser Verfassungsbeschwerde). Das verfassungs- und menschenrechtlich zulässige Maß wird bereits durch die deutsche Bankenrettungsinstitution Soffin mit ihren bis zu 480,- Mrd. € bereits bei Soffin I ausgeschöpft, sodass jede zusätzliche Beteiligung Deutschlands darüber hinaus verfassungswidrig ist, und umso mehr iwf-artig strenge Mechanismen, welche sich auch selbst ihren Höchstbetrag erhöhen können.

Die Angemessenheit scheitert im Hinblick auf die Existenz auch anderer systemrelevanter Bereiche der Gesellschaft vor allem am Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG, Abschnitt IX.3 dieser Verfassungsbeschwerden), am Grundrecht auf Eigentum (Art. 14 GG, Abschnitt IX.6 dieser Verfassungsbeschwerden), am Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG, Abschnitt X.3 dieser Verfassungsbeschwerden), am universellen Menschenrecht auf soziale Sicherheit (Art. 9 UNO-Sozialpakt, Abschnitt IX.9 dieser Verfassungsbeschwerden) und an der Unteilbarkeit der universellen Menschenrechte (Ab- schnitt XI.14 dieser Verfassungsbeschwerden).

XIII.4 Ziel rückwirkende Rechtsgrundlage für EFSF, Ungleichgewichtsverfahren und rückwirkende Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes

In diesem Abschnitt wird die Frage der Legitimität und der Verhältnismäßigkeit der für Art. 136 Abs. 3 AEUV bzw. den Fiskalpakt beabsichtigten völkerrechtlichen Rückwirkung behandelt, erst einmal losgelöst von der Frage, um was für eine Regelung es inhaltlich geht. Die Beschwerdeführerin möchte betonen, dass die Erfordernisse der Legitimität eines legislativen Ziels und der Verhältnismäßigkeit (Geeignetheit, Erforderlichkeit, Angemessenheit) stets zu prüfen ist, und die Frage der Wirksamkeit einer völkerrechtlichen Rückwirkung nicht stattdessen, sondern zusätzlich zu prüfen ist, soweit eine solche Rückwirkung angestrebt wird.

Das Ziel einer völkerrechtlichen Rückwirkung an sich ist grundsätzlich legitim, solange dies rechts-staatlich geschieht. Dabei ist der völkerrechtliche Vertrauensschutz von besonderem Gewicht. Vollkommen zurecht erlaubt die WVRK die Rückwirkung völkerrechtlicher Vereinbarungen nur insoweit, wie dies ausdrücklich schriftlich von den Vertragsparteien vereinbart und auch von deren Parlamenten mit ratifiziert wird (Abschnitt III.9 dieser Verfassungsbeschwerden). Würde man völkerrechtliche Rückwirkungen ohne ausdrückliche schriftliche Fixierung der Rückwirkung in dem jeweiligen Vertrag zulassen, so könnten vor allem die nationalen Parlamente mit Leichtigkeit über die Tragweite der Vereinbarungen getäuscht und ihre Zustimmung so erschlichen werden. Auch die Zustimmung eines Teils der Regierungen könnte so erschlichen werden. Dass eine völkerrechtliche Rückwirkung niemals stillschweigend oder mündlich wirksam werden kann, ist bereits Teil der Prüfung der Legitimität der Rückwirkung, noch vor der Prüfung der Verhältnismäßigkeit. Das gilt in besonderem Maße auch für Deutschland, wo die Rechtsstaatlichkeit aus verfassungsrechtlicher Sicht unantastbar ist (Rn. 216+217 des Lissabonurteils).

Da eine völkerrechtliche Rückwirkung für EFSF-Rahmenvertrag, Ungleichgewichtsverfahren und Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes weder in Art. 136 Abs. 3 AEUV noch wenigstens in den Erwägungsgründen zu dessen Initiierung und auch nicht im Fiskalpakt oder im EFSF-Rahmenvertrag erwähnt ist, sind diese offensichtlich nicht geeignet, eine völkerrechtliche Rückwirkung zu begründen. Dass der EFSM und der EFSF in Nr. 1 der Schlussfolgerungen des Europäischen Rats zum Gipfel vom 16./17.12.2010 erwähnt sind, also zu dem gleichen Gipfel, auf welchem auch Art. 136 Abs. 3 AEUV initiiert wurde, vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern. Ebenso verhielte es sich, wenn in den Erwägungsgründen zur Initiierung von Art. 136 Abs. 3 AEUV EFSM und EFSF erwähnt würden. Eine Erwähnung der Mechanismen, für welche man rückwirkend eine primärrechtliche Grundlage schaffen will reicht nicht, wenn nicht gleichzeitig die gewünschte Rückwirkung dort formuliert wird. Aus Gründen der Vollständigkeit sei noch ergänzt, dass auch die Formulierung einer Rückwirkung in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rats nicht genügt hätte, weil diese nicht zur Initiierung von Art. 136 Abs. 3 AEUV gehören.

Dass für Art. 136 Abs. 3 AEUV auch eine Rückwirkung beabsichtigt ist, zeigt sich bereits daran, dass EFSM und EFSF bereits in Betrieb sind, ohne hinreichende primärrechtliche Grundlage, vor allem, was die Transportierung von IWF-artigen Auflagen mit EU-sekundärrechtlichem Rang und die Einbindung des IWF in den EFSM mit einer nur primärrechtlich abgesicherten Organen der EU zukommenden Machtfülle angeht. Entsprechendes gilt für das Ausleihen von EZB und EU-Kommission bei der EFSF ohne zuvor wirksam begründeten Raum der erweiterten Zusammenarbeit (Abschnitt III.20 dieser Verfassungsbeschwerden) und ohne wirksame deutsche Zustimmung zum EFSF-Rahmenvertrag.

Selbst eine ausdrückliche Formulierung einer beabsichtigten völkerrechtlichen Rückwirkung im Zustimmungsgesetz zu Art. 136 Abs. 3 AEUV oder zum Fiskalpakt bzw. im StabMechG könnte den Mangel nicht beheben, da dies allenfalls eine Überrumpelung von Bundestag und Bundesrat verhindern könnte. Bereits verfassungsrechtlich würde dies nicht ausreichen, da die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland eben nicht nur unverletzlich, sondern unantastbar ist. Selbst wenn dies verfassungsrechtlich genügen würde, wäre völkerrechtlich dadurch keine Heilung gegeben, weil durch Klarstellungen in einem deutschen Zustimmungsgesetz die Täuschung der Parlamente der übrigen Mitgliedsstaaten, welche nur die völkerrechtliche Vereinbarung und das jeweilige Zustimmungsgesetz ihres Landes zu Gesicht bekämen, nicht verhindern würde. Und die WVRK will gerade die Rechtsstaatlichkeit zu Gunsten aller betroffenen nationalen Parlamente sichern.

Das Merkmal der Erforderlichkeit ist erfüllt, soweit für Ungleichgewichtsverfahren, Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und EFSF bereits Handlungen und Vorschriften ohne hinreichende primärrechtliche Grundlagen bzw. ohne Zustimmung zum EFSF-Rahmenvertrag

geschaffen wurden. Für die EFSF ist das Merkmal der Erforderlichkeit darüber hinaus erfüllt, weil das StabMechG kein Zustimmungsgesetz zur Errichtung der EFSF sein sollte. Denn die EFSF wurde, anders als der über eine EU-Verordnung (und damit mit Zustimmung wenigstens des Europaparlaments) geschaffene EFSM, auf intergouvernementale Weise errichtet, aber ohne offiziell dazu ein Zustimmungsgesetz zu machen, und damit bisher ganz ohne parlamentarische Zustimmung. Und ohne Art. 136 Abs. 3 AEUV gibt es auch kein Zustimmungsgesetz zu diesem, welches man etwa in eine konkludente Zustimmung auch zum EFSF-Rahmenvertrag deuten könnte, falls so etwas rechtsstaatlich überhaupt möglich ist.

Die Angemessenheit für eine völkerrechtliche Rückwirkung zum Nachschieben einer primärrechtlichen Grundlage von Ungleichgewichtsverfahren, Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und EFSF ist in keiner Weise gegeben. Eine völkerrechtliche Rückwirkung bedeutet, selbst wenn die betroffenen Regierungen und nationalen Parlamente diese alle wollten, und sie rechtsklar ausdrücklich vereinbart würde, immer auch einen geringeren Vertrauensschutz gegenüber der Bevölkerung. Je tiefer der Eingriff in Grund- und Menschenrechte ist, desto stärker müssen die Gründe sein, die eine solche Rückwirkung rechtfertigen, und desto mehr müssen sie überwiegen im Vergleich zu den Argumenten gegen eine solche Rückwirkung. Dass hier gerade keine Angemessenheit gegeben ist, zeigt sich am deutlichsten, an dem Unterfangen, eine Grundlage nachzuschieben für die Transportierung IWF-artiger (also sämtliche Grund- und Menschenrechte der Einwohner der Schuldnerstaaten ignorierender) Auflagen und Empfehlungen mit EU-sekundärrechtlichem Rang.

XIII.5 Ziel IWF-artige Strenge

Erwägungsgründe 2+3+6, Art. 3 und Art. 12 ESM-Vertrag sowie Erwägungsgrund 3 und Art. 6 Abs. 1 von EU-Verordnung 201/385 (COD) bestimmen als Muss-Vorschrift „strenge“ Auflagen für alle Finanzhilfen und die Präambel des EFSF-Rahmenvertrags eine Strenge wie bei den Auflagen gegenüber Griechenland. Damit ist nach der Präambel des EFSF-Rahmenvertrags, den Schlussfolgerungen des Ecofin-Rats vom 10.05.2010, nach der Erklärung der Eurogruppe vom 28.11.2010, Nr. 49 des Berichts der Task Force vom 21.10.2010 (Abschnitt III.14 dieser Verfassungsbeschwerden) und nach Nr. 17+24 der Stellungnahme zum Euro-Gipfel vom 26.10.2011 (Abschnitt III.23 dieser Verfassungsbeschwerden) eine IWF-artige Strenge gemeint (siehe insbesondere Abschnitt III.4 dieser Verfassungsbeschwerden) im Sinne einer der IWF-Praxis (nicht der IWF-Satzung) entsprechenden Strenge.

Während ESM und EFSF-Rahmenvertrag eine solche Strenge intergouvernemental normieren wollen mit der Absicht der späteren Supranationalisierung des ESM zu EU-Primärrecht, will die haushaltsmäßige Überwachung diese mit eu-sekundärrechtlichem Rang und Art. 136 Abs. 3 AEUV direkt mit EU-primärrechtlichem Rang.

Wie insbesondere in Abschnitt IV.5 dieser Verfassungsbeschwerden gezeigt, bedeutet eine IWF-Artigkeit die Ignorierung sämtlicher Grund- und Menschenrechte der Einwohner der Schuldnerstaaten.

Die Verpflichtung auf eine IWF-artige Strenge ist mit dem Grundgesetz unvereinbar, da laut Rn. 216+217 des Lissabonurteils die Grundrechte und Strukturprinzipien das höchste in Deutschland geltennde Recht sind, wobei Menschenwürde und Strukturprinzipien gar nicht und die übrigen Grundrechte von ihrem Wesensgehalt (Art. 19 Abs. 2 GG) her nicht angetastet werden dürfen.

Außerdem ist auch die Unverletzlichkeit und Unveräußerlichkeit der universellen Menschenrechte (Art. 1 Abs. 2 GG) als Teil des unter dem Schutz der Ewigkeitsgarantie (Art 79 Abs. 3 GG) stehen- den Art. 1 GG und als Teil der unantastbaren Rechtsstaatlichkeit ebenfalls unantastbar (Abschnitt VII.12 dieser Verfassungsbeschwerden); die universellen Menschenrechte selbst sind für Deutschland natürlich nicht unantastbar, wohl aber deren Unverletzlichkeit (Wesensgehaltsgarantie) und Unveräußerlichkeit (Pflicht zur Anwendung, Verbot der Kündigung und Herabstufung) als solche.

Damit ist die IWF-artige Strenge im Sinne einer der IWF-Praxis entsprechenden Strenge bereits als politisches Ziel illegitim.

Geeignet ist eine intergouvernementale oder EU-rechtliche Verpflichtung auf eine solche Strenge lediglich faktisch, eine IWF-artige Strenge durchzusetzen, was jedoch mit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und der Rechtsstaatlichkeit (Art. 1 Abs. 2+3 GG, Art. 20 Abs. 2+3 GG), die beide unter dem Schutz der Ewigkeitsgarantie stehen, kollidieren würde.

Die der IWF-Praxis entsprechende Strenge im Sinne der völligen Ignorierung der Grund- und Menschenrechte der Einwohner der Schuldnerstaaten ist ein derart tiefer Eingriff, dass es, welche legitimen Motive man sonst auch immer haben mag, immer schonendere Alternativen gibt im Ver- gleich zur völligen Ignorierung. Eine Erforderlichkeit kann also nicht gegeben sein.

Eine Angemessenheit scheitert bereits an der völligen Illegitimität einer IWF-artigen Strenge.

XIII.6 Ziel Mit-Herrschaft IWF und private Gläubiger

Sämtliche hoheitliche Macht in Deutschland muss vom Wahlakt abgeleitet sein. Die demokratische Legitimationskette muss ununterbrochen sein. Die Mit-Herrschaft Ungewählter in Deutschland wäre unvereinbar insbesondere mit dem grundrechtsgleichen Wahlrecht (Art. 38 GG, Abschnitt IX.8 dieser Verfassungsbeschwerden) und der Demokratie (Art. 20 Abs. 1+2 GG, Abschnitt X.1 dieser Verfassungsbeschwerden).

In besonderem Maße gilt dies gegenüber dem IWF angesichts dessen grund- und menschenrechtsverachtender Strenge (siehe insbesondere Abschnitte IV.5 und XIII.5 dieser Verfassungsbeschwerden). Aber auch die Mit-Herrschaft der privaten Gläubiger wäre in besonderem Maße verfassungswidrig, da in Deutschland die Identität der einzelnen Gläubiger des Staates und die von diesen gehaltenen Forderungen wie ein Staatsgeheimnis gehütet werden, das Volk als Souverän im Falle der Mit-Herrschaft der privaten Gläubiger also noch nicht einmal wüsste, von wem es beherrscht wird.

Geeignet wären Art. 136 Abs. 3 AEUV, Erwägungsgründe 11+12 und Art. 12 ESM-Vertrag sowie Art. 9 Fiskalpakt zusammen mit den in den Abschnitten V.5 und V.7 dieser Verfassungsbeschwerden erörterten EU-Verordnungen zum Ungleichgewichtsverfahren in höchstem Maße.

Erforderlich ist die Mit-Herrschaft des IWF nicht. Deutschland muss sich als IWF-Mitglied regelmäßig den Artikel-IV-Konsultationen unterziehen, zu welchen der IWF unverbindliche finanz- und wirtschaftspolitische Empfehlungen macht. Darüber hinaus erfreut sich der IWF eines ausgezeichneten Zugangs zu Massenmedien, mehr als die meisten anderen internationalen Organisaitonen. Er kann also auch jederzeit gegenüber der Weltpresse deutlich vernehmbar seine Meinung zu Deutschland kund tun.

Die privaten Gläubiger haben ebenfalls zahlreiche Möglichkeiten. Sie können sich über Verbände, Parteien und Petitionen für ihre Rechte einsetzen. Da Deutschland vor allem im Inland verschuldet ist, bietet es sich für die privaten Gläubiger Deutschlands geradezu an, sich mit ihren Interessen ganz transparent als Kandidaten der Bundestagswahl zu stellen.

Angemessen kann die Mit-Herrschaft von IWF und privaten Gläubigern nicht sein, da bereits das Ziel illegitim ist.

XIII.7 Ziel haushaltmäßige Überwachung

Soweit es nur um die Verpflichtung zur Diskussion zwischen den Staaten der Eurozone unter bloßer Moderation der EU-Kommission gehen würde, wie Art. 136 Abs. 1+2 AEUV dies heute schon ermöglichen, handelt es sich um ein legitimes politisches Ziel. Das wäre, abgesehen davon, dass die EU mangels Volk natürlich kein Staat ist, genauso legitim wie der bereits in Deutschland existierende Stabilitätsrat aus den Finanzministern des Bundes und der Länder, der ohne jegliche Zwangsinstrumente auskommt, und welcher das Potential hat, einen erheblichen positiven Beitrag zur Stabilität der öffentlichen Haushalte in Deutschland zu leisten dadurch, dass neue positive Entwicklungen sich schneller in ganz Deutschland durchsetzen können. Ein verstärkter und formalisierter Erfahrungsaustausch zwischen den Bundesfinanzministern der Staaten der Eurozone dient zugleich auch dem Staatsauftrag europäische Integration (Art. 23 GG).

Die beiden an Art. 5 Abs. 2 Fiskalpakt anknüpfenden EU-Verordnungen zur haushaltsmäßigen Überwachung (Abschnitt VI.2 dieser Verfassungsbeschwerden) dienen jedoch ganz anderen Zielen. Sie sind bereits deshalb nicht illegitim, weil sie nicht dem produktiven Erfahrungsaustausch dienen, sondern dazu, dass die EU-Kommission den Staaten etwas aufzwingt, was noch nicht einmal zur Stabilisierung der öffentlichen Haushalte geeignet sein muss, weil sie das Recht der mitgliedsstaatlichen Regierungen zur Einbringung der Staatshaushalte und zur Haushaltsführung innerhalb des vom Parlament genehmigten Rahmens marginalisieren und durch ihren Zwang selbst das Haushaltsrecht des Parlaments (vgl. Abschnitt XI.20 dieser Verfassungsbeschwerden) in erheblichem Umfang entleeren.

Für eine gegenseitige haushaltsmäßige Überwachung der Mitgliedsstaaten, um voneinander zu lernen, sind die beiden Verordnungen völlig ungeeignet. Für das völlig illegitime Ziel, die Haushalte der Mitgliedsstaaten in erheblichem Umfang unter die Kontrolle der Kommission zu bringen, sind sie hingegen in erheblichem Maße geeignet.

Das sieht man bei EU-Verordnung 2011/0386 (COD) an deren Art. 6 i. V. m. Art. 9 Abs. 1, wonach die Kommission an den Haushaltsentwürfen über von ihr allein zu beschließende beliebige sanktionsbewehrte Meinungen beliebige Änderungen an den Haushaltsentwürfen fordern könnte. Ebenso sieht man es an Art. 5, nach welchem die Kommission unmittelbar beliebig in die Haushaltsentwürfe eingreifen könnte, und wonach sie bei Missfallen eines ganzen Entwurfs direkt einen komplett neuen anfordern könnte.

Auch EU-Verordnung 2011/385 (COD) ist in höchstem Maße geeignet, der EU-Kommission weit- gehende Macht über die mitgliedsstaatlichen Haushalte zu geben. Denn die Kommission könnte über Erwägungsgründe 3+7 sowie Art. 6 Abs. 1+5 der Verordnung zu sämtlichen auf Grundlage von Art. 121, 126 und 148 gemachten Empfehlungen IWF-artig streng verschärfte Auflagen machen und dabei die in Erwägungsgrund 7 genannten EU-Fördermittel faktisch als Pfand dafür nehmen.

Erforderlich sind die beiden Verordnungen für ein gegenseitiges Lernen der Staaten der Eurozone in der Haushaltspolitik bereits auf Grund ihres unnötigen Zwangscharakters nicht, wohl aber, wenn das Ziel die Kontrolle der EU-Kommission über die Haushalte der Mitgliedsstaaten ist, denn über diese beiden Verordnungen ginge es erheblich schneller und mit erheblich weniger Mitentscheidungsrechten selbst des Ministerrats als über das schon drastische Ungleichgewichtsverfahren.

Angemessen können die beiden EU-Verordnungen zur haushaltsmäßigen Überwachung in keiner Weise sein, da sie für eine formalisierte Diskussion zur Haushaltsführung zwischen den Mitgliedsstaaten nicht erforderlich sind, und weil das andere Ziel, der EU-Kommission die Macht über die mitgliedsstaatlichen Haushalte zu geben, bereits illegitim ist.

XIII.8 Ziel EU-Wirtschaftsregierung

Da die EU kein eigenes Volk hat, ist sie kein Staat im existentiellen Sinne und ist damit auch nicht legitimiert, eine eigene Regierung wie bei einem Staat zu bekommen. Der Begriff der „EU-Wirtschaftsregierung“ steht außerdem für ein Übergewicht der Macht der Exekutive zu Lasten der Legislative. Das ist mit der auf eine Balance zwischen den staatlichen Gewalten ausgerichteten Gewaltenverschränkung als dem innerhalb des Grundgesetzes gewichtigsten Teil des Strukturprinzips Rechtsstaatlichkeit (Abschnitt X.2 dieser Verfassungsbeschwerden) unvereinbar.

Bereits die Schaffung eines Übergewichts der Exekutive gegenüber der Legislative ist ein illegitimes politisches Ziel ebenso wie die Schaffung einer Regierung für eine Organisation, die kein Staat ist, und kann daher keinerlei Eingriffe in Grund- und Menschenrechte legitimieren.

Wie in den Abschnitten V. und VI.1. dieser Verfassungsbeschwerden ausführlichst beschrieben, kann die EU-Kommission im Defizitverfahren für das Defizitkriterium des Stabilitäts- und Wachstumspaktes bereits heute den Staaten bußgeldbewehrte Empfehlungen machen. Das will man nun, gestützt auf Art. 3, Art. 4, Art. 5 Abs. 1, Art. 7 und Art. 9 Fiskalpakt, ausweiten auf das Gesamtschuldenkriterium und die präventive Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und auf die neu einzuführenden Ungleichgewichtsverfahren, für welche die EU-Kommission die Indikatoren festlegen könnte, die darüber entscheiden würden, wann ein Staat ins Ungleichgewichts-verfahren müsste. Und durch die Instrumentalisierung der EU-Fördermittel über Erwägungsgründe 3+7 und Art. 6 Abs. 1+5 von EU-Verordnung 2011/385 (COD) sowie über Art. 21 von EU-Verordnung 2011/0276 (COD) will man die Sanktionsmöglichkeiten weit über die in Art. 126 Abs. 11 AEUV bisher vorgesehenen Instrumente ausweiten.

Das ist eine massive Ausweitung der Macht der Kommission, die nationalen Parlamente sanktionsbewehrt zu einer bestimmten Gesetzgebung zu zwingen, würde also zu einem massiven Übergewicht der Exekutive gegenüber der Legislative führen. Das insbesondere auch, weil diese Mechanismen über sanktionsbewehrte Empfehlungen funktionieren würden, bei welchen die Entscheidungen allein über Kommission und Ministerrat laufen und damit auch ohne das Europaparlament, welches lediglich bei der Verschärfung der dafür sekundärrechtlich erforderlichen EU-Verordnungen mit entscheiden könnte.

Darüber hinaus würde die EU-Wirtschaftsregierung eine dramatische Machtverschiebung von den Mitgliedsstaaten hin zur EU bedeuten. Denn die sanktionsbewehrten Empfehlungen kämen von der EU-Kommission. Über sie würde zwar im Ministerrat entschieden, wobei der Ministerrat allerdings jede Abweichung von den Empfehlungsentwürfen gegenüber dem Europäischen Rat schriftlich zu begründen hätte, sodass er sich diese Mühe wohl nur in besonders krassen Fällen machen würde. Der Europäische Rat würde mit dem Euro-Plus-Pakt (Abschnitt III.15 dieser Verfassungsbeschwerden) zwar Themen für die Ungleichgewichtsverfahren vorgeben, die Kommission wäre je- doch in keiner Weise dazu verpflichtet, ihre sanktionsbewehrten Empfehlungen auch in die vom Europäischen Rat gewünschte Richtung zu machen. Sie wäre nicht verpflichtet, alle vom Europäischen Rat im Pakt für den Euro behandelten Themen für ihre sanktionsbewehrten Empfehlungen aufzugreifen, und sie wäre auch nicht explizit auf diese Themen begrenzt, könnte vielmehr gerade bei den Ungleichgewichtsverfahren insbesondere zu allen beliebigen Fragen der Wirtschafts-, Finanz- und Lohnpolitik, gerade auch für alle Bereiche, welche der EU primärrechtlich gerade nicht explizit übertragen worden sind, beliebige sanktionsbewehrte Empfehlungen machen.

Innerhalb des Systems der Gewaltenverschränkung muss es bis zu einem gewissen Maß möglich sein, dass Wahlentscheidungen auch Folgen haben bzgl. legislativer Entscheidungen dahingehend, die Gewichte zwischen Legislative, Judikative und Exekutive und zwischen der nationalstaatlichen und der europäischen Ebene in die eine oder andere Richtung zu verschieben, aber in nur in Maßen. Das Gleichgewicht muss gewahrt bleiben. Aber eine thematisch blankettartig ausweitende Verschiebung, wie es das Konzept der EU-Wirtschaftsregierung und darunter insbesondere das Ungleichgewichtsverfahren will, ist bereits als legislatives Ziel illegitim. Darüber hinaus verlangt die hohe Zahl der bereits an die EU übertragenen Kompetenzen, dass, wenn es überhaupt noch weitere Übertragungen gibt, diese jedenfalls alle rechtsklar und für die Parlamentarier und das Volk überschaubar eingegrenzt sein müssen.

Die Ausweitung der Sanktionsbewehrung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, die Einführung des Ungleichgewichtsverfahrens und die Ausweitung der Sanktionen auf die Instrumentalisierung der EU-Fördermittel sind in höchstem Maße dazu geeignet, die Macht der EU auf Kosten der Mitgliedsstaaten und die Macht Exekutive auf Kosten der Legislative auszuweiten.

Betrachtet man die genannten Machtverschiebungen als das eigentliche Ziel, und nicht die Dinge, zu deren Durchsetzung man diese haben will, so könnte man durchaus zu dem Schluss kommen, dass dafür drastische Mittel erforderlich wären wie der Fiskalpakt und die in den Abschnitten V.3 bis V.7 und VI.2 dieser Verfassungsbeschwerden beschriebenen EU-Verordnungen. Würde man rechtsklar in das Primärrecht hinein schreiben, dass die Kommission mindestens zu allen Fragen der Wirtschafts- , Finanz- und Lohnpolitik den Mitgliedsstaaten sanktionsbewehrte Empfehlungen machen dürfe, dass sie Sozialversicherung und Kündigungsschutz marginalisieren und beliebig in die Haushaltsentwürfe der Mitgliedsstaaten eingreifen können, würde wahrscheinlich ein Aufschrei durch die nationalen Parlamente gehen ob des Ausmaßes von deren Entmachtung und zugleich des Ausmaßes der Aushöhlung des grundrechtsgleichen Wahlrechts.

Angemessen kann eine EU-Wirtschaftsregierung in keiner Weise sein, weil, wie oben gezeigt, bereits die Schaffung eines Übergewichts der EU gegenüber der nationalen Ebene und der Exekutive gegenüber der Legislative illegitime Ziele sind, welche damit zu keinerlei Eingriffen in Grund- und Menschenrechte berechtigen, darunter besonders betroffen das grundrechtsgleiche Wahlrecht (Art. 38 GG, siehe auch Abschnitt IX.8 dieser Verfassungsbeschwerden).

In besonderem Maße nicht erforderlich und damit auch unangemessen sind die umgekehrte Abstimmung bzgl. der Bußgelder und die Stimmrechtsaussetzung (Abschnitte V.4 und V.5 dieser Verfassungsbeschwerden), weil diese Instrumente auf der formellen Ebene in besonderem Maße zusätzlich das Gleichgewicht zwischen EU und Mitgliedsstaaten zu Lasten der Mitgliedsstaaten verschieben würden. Abgesehen davon, dass die Schaffung einer EU-Wirtschaftsregierung im Sinne einer Zerstörung des Gleichgewichts der Gewaltenverschränkung und im Sinne des Gleichgewichts zwischen der autonomen EU und den souveränen Mitgliedsstaaten an sich schon illegitim ist.

XIII.9 Ziel Verbesserung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes

Die Mitgliedsstaaten der Eurozone dazu zu bringen, ihre Neuverschuldung und ihre Gesamtverschuldung auf das nach dem Stabilitäts- und Wachstumspakt zulässige Maß von 3% bzw. 60% des BIP zu bringen, ist ein legitimes gesetzgeberisches Ziel. Auch die Bemessung dieser Prozentgrenzen am BIP ist zulässig, da das BIP einer der entscheidenden Indikatoren für die Fähigkeit und die Bereitschaft der Bevölkerung zur Abarbeitung der Staatsschulden ist. Auch das Ziel, die Mitgliedsstaaten der Eurozone bereits zu einer vorbeugenden Haushaltspolitik mit max. einem Defizit von 0,5% des BIP zu bewegen, durch welche diese deutlich unter den Grenzen nach Art. 126 Abs. 2 AEUV bleiben, ist ein legitimes politisches Ziel.

Eine Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes kann darüber hinaus, wenn sie auf eine verfassungskonforme und menschenrechtsverträgliche Weise geschieht, auch entscheidend dazu beitragen, die Mitgliedsstaaten der Eurozone zum Ausstieg aus ihren vollkommen überdimensionierten und gleichheitswidrigen (Abschnitte IX.3 und XI. dieser Verfassungsbeschwerden) Bankenrettungsmechanismen incl. des europäischen Finanzierungsmechanismus zu bewegen.

Die Bußgeldbewehrung ist geeignet, die Einhaltung der präventiven, der Defizit- und der Gesamtschuldenkomponente durchzusetzen. Geeignet ist insbesondere auch, dass den Staaten der Eurozone ein Anpassungspfad ermöglicht wird, also eine Vereinbarung, in welchen Schritten sie wieder die Einhaltung der im Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehenen Prozentgrenzen zu erreichen haben. Das betrifft die rein betragsmäßige Interpretation des Begriffs „Anpassungspfad“.

Ungeeignet ist hingegen, dass die Kommission im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes die Gelegenheit hat, alle beliebigen von ihr ersonnenen Empfehlungen mit der Bußgeldbewehrung zu koppeln. Dass sie dies missbräuchlich zu Gunsten der Gentechnikwirtschaft nutzt, beweist das Verhalten der Kommission im Defizitverfahren Griechenlands (Abschnitt V.13 dieser Verfassungsbeschwerden). Dort zwingt sie Griechenland die Zulassung der Genmanipulation in der Landwirtschaft auf, trotz deren Gesundheitsgefahren (Abschnitt IX.10 und IX.11 dieser Verfassungsbeschwerden), welche dazu angetan sind, die Gesundheit und damit die Arbeitskraft der griechischen Bevölkerung zu schädigen, und infolge dessen auch das griechische BIP und die griechische Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu schädigen. Die Möglichkeit, die Bußgeldbewehrung nicht nur an die Einhaltung des Defizitkriteriums, sondern auch an die Einhaltung der Empfehlungen (Art. 126 Abs. 7+9+11 AEUV) zu koppeln, war von Anfang an geradezu eine Einladung, Inter- essen der Kommission durchzusetzen, welche weder das BIP erhöhen noch die Neu- oder Gesamtverschuldung senken. Im Rahmen dieser Verfassungsbeschwerden kann die Sanktionsbewehrung der Empfehlungen im Rahmen des Defizitverfahrens nicht gekippt werden, zumal Art. 109 GG daran mit einfach-grundgesetzlichem Rang daran anknüpft (Abschnitt V.20 dieser Verfassungsbeschwerden), wohl aber diesem Grenzen gesetzt und jegliche Ausweitung der für Stabilität und Wachstum bereits ungeeigneten Sanktionsbewehrung von Empfehlungen der Kommission unterbunden werden. Die Ungeeignetheit der Verknüpfung von Empfehlungen der Kommission mit der Bußgeldbewehrung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zeigt sich auch in der Feststellung des wissenschaftlichen Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums (Abschnitt V.17 dieser Verfassungsbeschwerden), dass es bisher (Stand November 2010) noch zu keiner einzigen Verhängung eines Bußgeldes nach Art. 126 Abs. 11 AEUV gekommen sei; die Beschwerdeführerin hält es für den mit Abstand wahrscheinlichsten Sachverhalt, dass das daher kommt, dass man das Defizitverfahren stattdessen dazu genutzt hat, andere politische Ziele durchzusetzen, wie eben z. B. den Griechen, die Genmanipulation in ihrer Landwirtschaft aufzuzwingen. Die Einbeziehung der Empfehlungen in die Bußgeldbewehrung ist also eher eine Bremse gegenüber der Einhaltung des Defizitkriteriums !

Da die Bußgeldbewehrung der Empfehlungen bereits ungeeignet ist, kann sie damit auch nicht erforderlich oder angemessen sein.

Ungeeignet ist auch die Nicht-Anrechnung von Einnahmeerhöhungen im Defizitverfahren des Stabilitäts- und Wachstumspaktes (Art. 3 Abs. 1 lit. b Fiskalpakt), weil die Staaten dadurch dazu verleitet werden, auf diese entscheidende Möglichkeit zur Erreichung eines ausgeglichenen Haushalts zu verzichten. Es zeigt zugleich, dass es dem Fiskalpakt gar nicht um einen ausgeglichenen Haushalt geht, sondern um möglichst viel Macht der Kommission über sanktionsbewehrte Empfehlungen.

Erforderlich scheint eine Ausweitung der Bußgeldbewehrung auf das Gesamtschuldenkriterium dem Grunde nach. Eine Ausweitung der Bußgeldbewehrung auf die präventive Komponente scheint zumindest zu einem Zeitpunkt, in welchem alle Staaten der Eurozone bis auf Estland ein Defizit über 3% aufweisen, und selbst Estland eines über 0,5% hat, nicht erforderlich. Bis auf weiteres genügen das Defizit- und das Gesamtschuldenkriterium für einen angemessenen Schuldenabbau. Insbesondere ist ein schockartiges Vorgehen nicht dazu geeignet, den Stabilitäts- und Wachstumspakt auf eine grundgesetzkonforme Weise zu erfüllen, sondern eher dazu, den großflächigen Ausverkauf auch der Behörden bis hin zur (zwar nicht de jure, aber de facto) Entstaatlichung (Abschnitt VIII. dieser Verfassungsbeschwerden) durchzusetzen. Mit einer Bußgeldbewehrung der präventiven Komponente ist auch deshalb Vorsicht geboten, weil deren Prozentgrenze, anders als bei Gesamtschulden- und Defizitkriterium (Art. 1 von Protokoll 12 zu den Verträgen der EU), nicht primärrechtlich geregelt ist, sondern nur in der EU-Verordnung 1466/97, sodass der Prozentsatz der präventiven Komponente jederzeit ohne Zustimmung des Bundestags verschärft werden könnte, wenn erst einmal der Fiskalpakt durch wäre. Selbst wenn die Einführung einer Bußgeldbewehrung auch für die präventive Komponente erforderlich wäre, dann müssten sich auch die primärrechtlichen Grundlagen dazu im Rahmen des dafür erforderlichen halten. Das würde bedeuten eine Ergänzung von Art. 126 Abs. 2 AEUV um die präventive Komponente, die Festlegung einer Prozentgrenze für die präventive Komponente in Art. 1 von Protokoll 12 und die Aufnahme in Art. 126 Abs. 11 AEUV, bei gleichzeitiger Herausnahme der für einen echten Stabilitäts- und Wachstumspakt kontraproduktiven Bezugnahme der Bußgeldbewehrung auf die Empfehlungen der Kommission aus Art. 126 Abs. 11 AEUV. Und die Ausweitung des Drucks zum Umstieg auf ein Mehrsäulensystem in der Sozialversicherung auch noch auf die präventive Komponente müsste unterbunden werden, weil die Reduzierung der solidarischen Sozialversicherung auf eine Mindestversorgung ein Rückschritt i. S. v. Art. 2 UNO-Sozialpakt ist, was zu Verletzungen der Menschenrechte auf soziale Sicherheit incl. Sozialversicherung (Art. 9 UNO-Sozialpakt) und auf Gesundheit (Art. 12 UNO-Sozialpakt) führt (Abschnitte IX.9 und IX.11 dieser Verfassungsbeschwerden), ohne dass es zur Reduzierung von Neu- und Gesamtverschuldung erforderlich wäre, Rückschritte bei der sozialen Sicherheit vorzunehmen. Dafür ist erst recht die Instrumentalisierbarkeit der gesamten Exekutive und Judikative der Mitgliedsstaaten (Art. 3 Fiskalpakt) nicht erforderlich.

Erforderlich ist auch nur ein Defizitverfahren bei Überschreitung des Defizit- und / oder des Gesamtschuldenkriteriums, nicht kumulativ mit betragsmäßig doppelter Bußgeldbewehrung. Ein Staat trägt mit ein und denselben Maßnahmen zur Verbesserung bzgl. beider Kriterien bei. Eine betragsmäßig doppelte Bußgeldbewehrung wäre daher ein unnötig tiefer Eingriff.

Ob die in EU-Verordnung 1467/97 festgelegte Höhe der Bußgelder erforderlich ist, oder ob bereits niedrigere Bußgelder genug Druck ausüben würden zur Durchsetzung der Einhaltung der Grenzen nach Art. 1 von Protokoll 12, kann die Beschwerdeführerin nicht einschätzen. Zumindest scheint die Höhe noch zumutbar, solange sie nur einmal pro Jahr in einem einheitlichen Defizitverfahren für Defizit- und Gesamtschuldenkriterium festgesetzt werden und in keiner Weise kumulativ. Eine Einbeziehung der präventiven Komponente ist zum derzeitigen Zeitpunkt, in welchem die meisten Staaten der Eurozone die Erfüllung des Defizitkriteriums noch nicht erreicht haben, offensichtlich nicht erforderlich.

Die geplante Verwendung der Bußgeldeinnahmen aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt zur Einzahlung in den ESM ist insoweit geeignet zur Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, als sie im Vergleich zur Verteilung auf die übrigen Staaten der Eurozone einen möglichen Beuteeffekt verhindert. Gleichzeitig ist sie jedoch insoweit ungeeignet, als das Geld dann in einen weiteren Bankenrettungsmechanismus fließen und damit die Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstums-paktes erschweren würde.

Eine Verbesserung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes würde beinhalten eine Änderung von Art. 126 Abs. 11 AEUV dergestalt, dass die Gesamtschuldenkomponente in die Bußgeldbewehrung hinein käme, und jegliche Anknüpfung der Bußgeldbewehrung an die Nichterfüllung von Empfehlungen gestrichen würde – rechtsklar und ohne jegliche Blanketteartigkeit.

Vollkommen unnötig ist die Ausweitung der Sanktionen auf die Instrumentalisierung von Struktur- und Kohäsionsmitteln oder gar aller Fördermittel der EU (Abschnitt VI.1. + VI.2.1 dieser Verfassungsbeschwerden). Denn diese Instrumentalisierung ist ja gerade vorgesehen zur Durchsetzung der Empfehlungen der Kommission, welche wie oben dargestellt, für die Erfüllung von Defizit- und Gesamtschuldenkriterium kontraproduktiv sind. In ganz besonderem Maße unangemessen ist die vom IWF am 22.10.2010 vorgeschlagene und in Erwägungsgrund 7 + Art. 6 Abs. 1+5 von EU-Verordnung 2011/385 (COD) aufgenommene Instrumentalisierung sogar der EU-Agrarmittel (Abschnitt VI.1.3 dieser Verfassungsbeschwerden), weil dies der Kommission die Macht geben würde, durch gezielt unzumutbare Empfehlungen die Voraussetzungen zu schaffen für eine Einbehaltung der Agrarmittel zwecks gezielter Ruinierung der bäuerlichen Landwirtschaft in dem jeweiligen Staat der Eurozone (Abschnitt IX.12 dieser Verfassungsbeschwerden). Angesichts der bereits auf Kosten der Griechen bewiesenen übergroßen Nähe der Kommission zur Gentechniklobby bei gleichzeitiger Existenz milderer Mittel kann eine Insturmentalisierung insbesondere der Agrarmittel weder erforderlich noch angemessen sein.

Außerdem ist die Instrumentalisierung der EU-Fördermittel und jeweilige Beeinträchtigung des jeweiligen Förderzwecks nicht erforderlich, denn wenn die heutigen Bußgelder zu niedrig sein sollten, könnte man stattdessen die Bußgelder erhöhen.

Wenn Staaten der Eurozone sich der Zahlung einer verzinslichen Einlage, die dann zur Umwandlung in ein Bußgeld bereit stünden, verweigern würden, ließe sich die Einlage auch erreichen durch Aufrechnung der Bußgeldforderung der EU mit Zahlungsansprüchen, welche die jeweiligen Mitgliedsstaaten an die EU haben. Dafür ist es nicht erforderlich, Fördermittel einzubehalten, welche nicht den Staaten, sondern anderen Personen, wie z. B. den Landwirten, zustehen. Für eine solche Aufrechnungsmöglichkeit braucht es keinerlei Instrumentalisierung von EU-Fördermitteln. Außerdem ist es ziemlich unangemessen, wenn man einen finanziellen Anspruch gegen jemanden durchsetzen will (wie die EU bzgl. der Bußgelder gegenüber den Mitgliedsstaaten der Eurozone), dann stattdessen Ansprüche, welche Dritte gegen einen haben (hier z. B. die Landwirte gegenüber der EU) zu verweigern. Die Betroffenheit der Beschwerdeführerin liegt hier als Lebensmittelverbraucherin (Abschnitt IX.10 dieser Verfassungsbeschwerden).

Dass es bei der Instrumentalisierung der Fördermittel um die Durchsetzung der Empfehlungen und nicht um die Verringerung der Neu- oder Gesamtverschuldung geht, hat der Gipfel der Eurozone vom 21.07.2011 gezeigt (Abschnitt III.22 dieser Verfassungsbeschwerden). In der Gipfelerklärung ist der Vorrang der Bankenrettung („Finanzstabilität“) vor dem Stabilitäts- und Wachstumspakt („Konvergenz“) formuliert. Und man will nun die EU-Fördermittel auch noch mit den Auflagen des ESM verbinden, nicht nur mit denen aus Stabilitäts- und Wachstumspakt und Ungleichgewichtsverfahren.

Angemessen zur Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ist allein die Einbeziehung des Gesamtschuldenkriteriums (und vielleicht später einmal der präventiven Komponente) in die Bußgeldbewehrung bei gleichzeitiger Herausnahme jeglicher Anknüpfungspunkte der Bußgelder an die Empfehlungen der Kommission. Angemessen ist allein eine entsprechende rechtsklare Änderung von Art. 126 Abs. 11 AEUV. Insbesondere Art. 3 und Art. 8 Fiskalpakt, aber auch die in den Abschnitten V.3, V.4 und V.6 sowie VI.2.1 dieser Verfassungsbeschwerden erörterten EU-Verordnungen sind dazu weder geeignet noch erforderlich und damit auch nicht angemessen. Nur die vollständige Ablehnung der Zustimmung zum Fiskalpakt und die Ablehnung der im vorigen Satz genannten EU-Verordnungen sowie die in den Abschnitten III.8, III.10 und III.17 dieser Verfas-sungsbeschwerden erläuterten Volksabstimmungen können eine wirkliche Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ermöglichen.

XIII.10 Ziel Verringerung wirtschaftlicher Ungleichgewichte

Die Europäische Union ist ein besonders enger Staatenverbund mit besonders vielen gemeinschaftlich ausgeübten Kompetenzen, darunter ein gemeinsamer Binnenmarkt aller EU-Mitglieder und die gemeinsame Währung Euro von immerhin 17 der 27 EU-Mitglieder. Vor diesem Hintergrund ist die Verringerung größerer volkswirtschaftlicher Ungleichgewichte zwischen den Mitgliedsstaaten insbesondere der Eurozone ein legitimes politisches Ziel. Da die EU aber kein Staat ist, sondern nur ein Staatenverbund, und weil die wirtschaftlichen Ressourcen der Mitgliedsstaaten darüber hinaus höchst unterschiedlich sind, darf die Annäherung der volkswirtschaftlichen Kenngrößen nicht so weit gehen, wie dies innerhalb eines Staates maximal zulässig wäre.

Die Schaffung gemeinsamer primärrechtlicher Grundlagen ist geeignet für die Verringerung volkswirtschaftlicher Ungleichgewichte.

Eine Blankett-Ermächtigung wie die des Art. 9 Fiskalpakt, welche alle beliebigen Mechanismen im Namen der Verringerung makroökonomischer Ungleichgewichte umfassen würde, ist dafür jedoch nicht erforderlich. Auch eine ausdrückliche primärrechtliche Ermächtigung zur Schaffung eines Ungleichgewichtsverfahrens würde das erforderliche Maß bei weitem übersteigen. Selbst eine primärrechtliche oder intergouvernementale Festlegung der Indikatoren, an welchen die Ungleichgewichte zu messen wären, würde das erforderliche Maß übersteigen, wenn damit nicht zugleich auch eine klar begrenzte Ermächtigung der Kompetenzen, welche man daraufhin der EU-Ebene geben will, einher ginge. Erforderlich könnte allenfalls die Übertragung primärrechtlich genau benannter wirtschaftspolitischer Kompetenzen auf die EU sein.

Eines der wesentlichen Ziele der Ungleichgewichtsverfahren ist aus Sicht der Kommission, dieser die Macht zu sanktionsbewehrten Empfehlungen für alle beliebigen Gebiete der Lohn-, Finanz- und Wirtschaftspolitik zu geben (Abschnitte V.5 und V.7 dieser Verfassungsbeschwerden). Das ist auch gar nicht geeignet zur Verringerung der volkswirtschaftlichen Unterschiede, da die Kommission in keiner Weise dazu verpflichtet wäre, ihre Macht in Richtung einer Angleichung der betreffenden volkswirtschaftlichen Kenngrößen zu nutzen. Darüber hinaus ist das Haushaltsrecht, also insbesondere die Entscheidung über die Gesamthöhe der Staatsausgaben und deren grobe Verteilung auf die einzelnen Ministerien, traditionell eines der wichtigsten Rechte der nationalen Parlamente (Abschnitt XI.20 dieser Verfassungsbeschwerden).

Das Hauptargument, welches für die Einführung der Ungleichgewichtsverfahren vorgebracht wird, ist die Verringerung von Unterschieden bei der Wettbewerbsfähigkeit.

Wollte man eine Verringerung der Ungleichgewichte bei der Steuerpolitik, so böte sich z. B. eine EU-Richtlinie zur Festlegung von Mindeststeuersätzen bei der Körperschaftsteuer oder von Mindestsätzen für den Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer an. Das würde auch den ruinösen durch die Kapitalverkehrsfreiheit geförderten Steuerdumpingwettbewerb beenden und den Staaten der EU oder der Eurozone helfen, ihren Verpflichtungen aus Art. 126 Abs. 2 AEUV zur Senkung von Defizit und Gesamtschulden nachzukommen. Auch die Festlegung über EU-Richtlinien

gemeinsamer Höchstgrenzen für die Unternehmenssubventionierung und mehr gemeinsamer Mindestvorschriften für den Umweltschutz könnten Ungleichgewichte bei der Wettbewerbsfähigkeit verringern.

Eine Kompetenz der EU, den Anstieg der Löhne zu begrenzen, ist nicht ersichtlich. Für eine grenzüberschreitende Annäherung der Löhne dürfte allein schon die Kombination aus Binnenmarkt, gemeinsamer Währung und ab 01.04.2011 gestiegener Arbeitnehmerfreizügigkeit sorgen.

Ein Mechanismus, welcher es der Kommission erlaubt, jedem Mitgliedsstaat andere Empfehlungen zu machen, überschreitet also klar das erforderliche Maß. Es genügt die Schaffung von Kompetenzen für EU-Richtlinien zur Harmonisierung primärrechtlich genau zu benennender und hinreichend eingegrenzter Bereiche.

Insbesondere ist es zur Verringerung volkswirtschaftlicher Ungleichgewichte auch nicht erforderlich, der Kommission über das Ungleichgewichtsverfahren die Kompetenz zu geben, beliebige bisher nicht handelbare Güter zu handelbaren zu machen, denn das bedeutet die Ermächtigung, alle beliebigen bisher unveräußerlichen, staatlichen oder zwar privatwirtschaftlich, aber eben üblicherweise nicht grenzüberschreitend erbrachten, Güter und Dienstleistungen nach eigenem Gutdünken dem grenzüberschreitenden Wettbewerb zu öffnen (siehe Abschnitte V.11 und V.19 dieser Verfassungsbeschwerden).

Das richtige Mittel im Sinne einer Gleichbehandlung der Mitgliedsstaaten und gleichzeitig des Schutzes der Verfassungen bzw. Verfassungsidentitäten der Mitgliedsstaaten ist auch hier, für die Abgrenzung zwischen kostenfrei und bezahlbar, zwischen staatlich und privat und zwischen grenzüberschreitend oder nicht grenzüberschreitend erbringbar, das Instrument der EU-Richtlinie, basierend auf hinreichend eingegrenzten primärrechtlichen Kompetenzen dafür.

Das Instrument der EU-Richtlinie stellt auf EU-Ebene die Mitentscheidung des Europaparlaments sicher und auf nationaler Ebene bei den Umsetzungsgesetzen die auch faktische Macht der nationalen Parlamente, die Richtlinien genau insoweit umzusetzen, wie dies insbesondere mit ihren Verfassungen bzw. Verfassungsidentitäten, aber auch mit den universellen Menschenrechten, vereinbar ist.

Da mit der EU-Richtlinie ein wesentlich demokratie- und menschenrechtsschonenderes Instrument zur Verfügung steht, ist das Instrument der sanktionsbewehrten Empfehlung zur Verringerung volkswirtschaftlicher Unterschiede, auch soweit es die Angleichung der Wettbewerbsfähigkeit angeht, offensichtlich nicht erforderlich.

Auch nicht erforderlich ist, das in zum EU-Sekundärrecht gehörenden EU-Verordnungen enthaltene Ungleichgewichtsverfahren zwecks Umgehung der für das EU-Primärrecht vorgeschriebenen Änderungsverfahren über einen intergouvernementalen Vertrag zu regeln. Denn bei Schaffung rechtsklarer und das angemessene Maß nicht überschreitender primärrechtlicher Ermächtigungen ließe sich bestimmt die Zustimmung aller EU-Mitgliedsstaaten erreichen.

Eine Angemessenheit zur Verringerung der volkswirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den Mitgliedsstaaten kommt nur insoweit in Betracht, wie eine Geeignetheit und Erforderlichkeit gegeben ist, hier also nur für eine Harmonisierung primärrechtlich klar zu benennender Gebiete und nur mittels des Instruments der EU-Richtlinie. Bei der Angemessenheit ist zusätzlich noch zu berücksichtigen, dass die Eingriffe in Grundrechte, grundrechtsgleiche Rechte und Menschenrechte angemessen bleiben müssen im Verhältnis zu dem angestrebten Harmonisierungsziel, und dass keine Wesensgehalte verletzt werden dürfen, auch nicht gegen den grundrechtsgleichen Funktionsvorbehalt (Art. 33 Abs. 4 Gg, Abschnitte VIII. und IX.7 dieser Verfassungsbeschwerden).

XIII.11 Ziel Durchsetzung integrierter Leitlinien, Europa 2020, Flexicurity, Pakt für den Euro etc.

Die integrierten Leitlinien, die wirtschaftspolitische Strategie der EU (derzeit Europa 2020) und auch der Euro-Plus-Pakt (Abschnitt III.15 dieser Verfassungsbeschwerden) basieren alle auf Art. 121 AEUV und sind Teil der unverbindlichen wirtschaftlichen Koordinierung der EU. Es ist auch absolut legitim, dass auf dem in Art. 121 AEUV normierten Weg auf EU-Ebene überwacht wird, ob die Staaten die auf EU-Ebene im Rahmen der freiwilligen wirtschaftlichen Koordinierung gemachten Versprechungen freiwillig einhalten oder freiwillig nicht einhalten.

Wenn die Regierungschefs im Europäischen Rat im Rahmen des Euro-Plus-Paktes einander persönlich versprechen, bestimmte Ziele in ihrem Land innerhalb eines bestimmten Zeitraums durchzusetzen zu versuchen, ist das geeignet, die freiwillige wirtschaftliche Koordinierung zu fördern. Auch die Überwachung auf EU-Ebene, ob die Mitgliedsstaaten, namentlich vor allem deren Parlamente, die von ihren Regierungschefs gemachten Versprechen erfüllen, ist geeignet zur Förderung der freiwilligen Koordinierung. Nicht mehr geeignet zur Stärkung der freiwilligen Koordinierung ist es, wenn dann mittels sanktionsbewehrter Empfehlungen der Kommission im Stabilitäts- und Wachstumspakt und im Ungleichgewichtsverfahren und mittels Auflagen im Rahmen des ESM und von EU-Verordnung 2011/385 (COD) , diese sich von den Versprechen der Regierungschefs inspirieren lassen, die Erfüllung dieser Versprechen oder auch ganz anderer Wünsche der Kommission erzwungen werden.

Eine Sanktionsbewehrung ist für die Durchsetzung einer freiwilligen Koordinierung offensichtlich ungeeignet, da sie mit dem Merkmal der Freiwilligkeit kollidiert. Damit kann sie auch nicht erforderlich oder angemessen sein.

XIII.12 Ziel Durchsetzung der Gentechnik in der Landwirtschaft

Angesichts der bereits heute bekannten gesundheitlichen Risiken der Gentechnik in der Landwirtschaft, insbesondere was den Nahrungsbereich betrifft, kann eine einheitliche Durchsetzung der grünen Gentechnik in allen Staaten der EU oder der Eurozone kein legitimes politisches Ziel sein. Hinzu kommt die in den verschiedenen Mitgliedsstaaten unterschiedliche materiell-rechtliche Lage. In Polen z. B. gibt es ein Menschenrecht auf Gesundheit in der Verfassung, in Deutschland hingegen ausschließlich über den UNO-Sozialpakt. Darüber hinaus gibt es in einem Teil der Verfassungen Staatsziele wie Umweltschutz und Tierschutz (z. B. in Art. 20a GG), in anderem wiederum nicht. Außerdem hat das EU-Recht im Verhältnis zu den Verfassungen nicht überall den gleichen Rang. Während Art. 29 Abs. 4 Nr. 10 der irischen Verfassung ausdrücklich sämtliches EU-Recht über die irische Verfassung stellt, ist die Rangfrage im Grundgesetz und in der polnischen Verfassung jeweils wiederum anders geregelt. Die menschenrechtlichen Schutzmechanismen vor genmanipulierter Nahrung und deren Rang sind also in jedem Mitgliedsstaat anders. Daher ist die Beschwerdeführerin der Auffassung, dass bereits aus diesen Gründen EU-weite Mechanismen zur Erzwingbarkeit der Genmanipulation in der Landwirtschaft illegitim sind.

Die Schaffung von immer mehr Möglichkeiten der EU-Kommission, sanktionsbewehrte Empfehlungen zu machen, von der Ausdehnung der Bußgeldbewehrung auf Gesamtschulden- und präventiver Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspaktes bis hin zur Bußgeldbewehrung des Ungleichgewichtsverfahrens und schließlich zur Ausweitung Sanktionsmöglichkeiten zur Durchsetzung dieser Auflagen bis hin zur Instrumentalisierung der Agrarsubventionen über EU-Verordnung 2011/385 (COD) und EU-Verordnung 2011/0276 (COD) (Abschnitte VI.2.1+VI.3 dieser Verfassungsbeschwerden) dafür bedeuten zugleich eine entsprechende Ausweitung der Gelegenheiten für die Kommission, den Staaten die Gentechnik in der Landwirtschaft aufzuzwingen, so wie sie es mit Griechenland getan hat (Abschnitt V.13 dieser Verfassungsbeschwerden). Selbst die Abhängigmachung der Agrarsubventionen von der Zulassung der Genmanipulation wäre so möglich.

Die geplanten fünf Verordnungen zur Errichtung der EU-Wirtschaftsregierung (Abschnitte V.3 bis V.7 dieser Verfassungsbeschwerden) und ebenso Art. 3, Art. 4, Art. 5 Abs. 1, Art. 7 und Art. 9 Fiskalpakt, auf welche sie sich stützen würden, wären damit in höchstem Maße geeignet zur Erreichung der Durchsetzung der Gentechnik in der Landwirtschaft.

Erforderlich wären diese Mechanismen dafür jedoch nicht. Es würde eine primärrechtliche Verpflichtung zur Zulassung der Gentechnik in der Landwirtschaft genügen oder eine primärrechtliche Ermächtigung, die Mitgliedstaaten dazu zu zwingen.

Eine Angemessenheit für die Erzwingung der Genmanipulation in der Landwirtschaft liegt jedoch in keiner Weise vor. Insbesondere gibt es keinerlei gesamtgesellschaftlichen Nutzen der Genmanipulation in der Landwirtschaft, welcher die in den Abschnitten IX.8, IX.10 und IX.11 dieser Verfassungsbeschwerden dargelegten Eingriffe in das grundrechtsgleiche Wahlrecht (Art. 38 GG), in die Menschenrechte auf Nahrung und auf Gesundheit (Art. 11 und 12 UNO-Sozialpakt oder in die unantastbare Demokratie (Abschnitt X.1 dieser Verfassungsbeschwerden) in irgendeiner Weise rechtfertigen könnte. Die Nutznießer sind allein die Gentechnikkonzerne, welche für jede Wiederaussaat erneut Lizenzgebühren kassieren und zusätzliche Absatzmöglichkeiten für mehr Totalherbizide gewinnen. Diese Ziele rechtfertigen keinerlei Erzwingung der Gentechnik in der Landwirtschaft über das EU-Recht oder über einen außerhalb des EU-Primärrechts befindlichen intergouvernementalen Vertrag.

XIII.13 Ziel Mehrsäulensystem in der Sozialversicherung

Die Schaffung eines Mehrsäulensystems in der Sozialversicherung ist kein grundsätzlich illegitimes Ziel. Im Grundgesetz gibt es das Sozialstaatsprinzip und die Menschenwürde, aber keinerlei Festlegung darauf, ob die soziale Absicherung staatlich oder privatwirtschaftlich zu erfolgen hat. Selbst das universelle Menschenrecht auf soziale Sicherheit incl. Sozialversicherung (Art. 9 UNO-Sozialpakt) und ebenso der allgem. Kommentar Nr. 19 dazu (Abschnitt IX.9 dieser Verfassungsbeschwerden) geben nicht vor, ob diese staatlich oder privat zu organisieren ist. Der allgem. Kommentar Nr. 19 sagt sogar ausdrücklich, dass dies den Staaten freigestellt ist. Allerdings gilt bei den Menschenrechten des Sozialpaktes das grundsätzliche Rückschrittsverbot (Art. 2 UNO-Sozialpakt), wonach der Staat bei jedem Rückschritt die Beweislast hat, ob solch ein Rückschritt unter Berücksichtigung aller zur Verfügung stehenden Ressourcen unvermeidlich ist.

Art. 3, Art. 4, Art. 5 Abs. 1, und Art. 7 Fiskalpakt auch dazu geeignet, den Wechsel zu einem Mehrsäulensystem in der Sozialversicherung durchzusetzen. Das in erster Linie, weil die Ausweitung der Sanktionen im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes auf die Gesamtschulden- und auf die präventive Komponente den Druck zum Umstieg ausweiten würde, weil dadurch auch durch die Anreizwirkung der auf fünf Jahre befristeten linear-degressiven Nichtanrechnung der Steuerzuschüsse für solch einen Wechsel verstärkt würde (Abschnitte V.4 und V.15 dieser Verfassungsbeschwerden). Dass die Ausweitung der Sanktionsbewehrung im Rahmen des Stabililitäts- und Wachstumspaktes auch dafür gedacht ist, den Wechsel zum Mehrsäulensystem in der Sozialversicherung durchzusetzen, beweist auch Nr. 12 des Berichts der Task Force vom 21.10.2010 (Abschnitt III.14 dieser Verfassungsbeschwerden), wonach besondere Aufmerksamkeit der Auswirkung von Mehrsäulensystemen in der Rentenversicherung auf die Entwicklung von Schulden und Defizit gelegt werden solle. Und Abs. 13 der Stellungnahme der Kommission vom 15.02.2011 (Abschnitt III.19 dieser Verfassungsbeschwerden) zeigt anhand des Begriffs der „Tragfähigkeit“ (vgl. auch Abschnitt IV.6.2.4 dieser Verfassungsbeschwerden), dass die Kommission einen Schwerpunkt ihrer Arbeit als EU-Wirtschaftsregierung auf die Erzwingung des Umbaus der Sozialversicherungen der Staaten der Eurozone auf Mehrsäulensysteme legen will.

Erforderlich Art. 3, Art. 4, Art. 5 Abs. 1, und Art. 7 Fiskalpakt allerdings bei weitem nicht. Es würde eine rechtsklare primär- rechtliche Verpflichtung zu einem Umbau zu einem Mehrsäulensystem oder eine ausdrückliche Ermächtigung, solch einen Schritt EU-weit oder eurozonenweit im EU-sekundärrechtlichen Raum zu beschließen, genügen, dafür braucht es keine generelle Verschärfung des Stabililitäts- und Wachstumspaktes. Ohne primärrechtliche Ermächtigung hingegen ginge es nicht, da die EU heute keine entsprechenden expliziten primärrechtlichen Kompetenzen für die Sozialversicherung hat (Abschnitt V.8 dieser Verfassungsbeschwerden).

Es ist auch nicht erforderlich, die Parlamente hereinzulegen, indem man sich erst vom Europaparlament ultra-vires-mäßig die Verschärfung des Stabililitäts- und Wachstumspaktes, die Sanktionsbewehrung des Ungleichgewichtsverfahrens und dann von den nationalen Parlamenten den intergouvernementalen Fiskalpakt zwecks Umgehung der EU-primärrechtlichen Änderungsvorschriften durchwinken lässt, und ihnen dabei zu verschweigen, dass man darauf auch die Ausweitung des Drucks zum Wechsel zu Mehrsäulensystemen stützen will. Es wäre genauso gut möglich, den Parlamentariern offen zu sagen, dass man einen solchen Wechsel anstrebt, um eine echte Debatte zu ermöglichen, ob und wenn ja, wie das mit den verfassungsrechtlichen und menschenrechtlichen Verpflichtungen im Einklang gestaltet werden kann, insbesondere unter Einhaltung des grundsätzlichen Rückschrittsverbots (Art. 2 UNO-Sozialpakt, Art. 9 UNO-Sozialpakt, allgem. Kommentar Nr. 19).

Eine Angemessenheit bei einem Umstieg auf ein solches Mehrsäulensystem würde nur funktionieren nach Abschaffung aller IWF-artig strengen Mechanismen wie Griechenlandhilfe, EFSM, EFSF, ESM und EU-Verordnung 2011/385 (COD), weil die IWF-typische Strenge der entscheidende Punkt ist, welcher die Möglichkeit eines Wechsels zu einem Mehrsäulensystem ohne Rückschritte bei der sozialen Sicherheit vereiteln würde. Angemessen kann der Umstieg zu einem Mehrsäulensystem nur insoweit sein, wie die dabei entstehenden Eingriffe in Grund- und Menschenrechte in einem angemessenen Verhältnis bleiben mit dem angestrebten Ziel einer größeren privatwirtschaftlichen Organisierung der sozialen Sicherheit. Darum kommt eine Angemessenheit auch nur insoweit in Betracht, wie es durch einen solchen Umbau zu keinerlei Rückschritt kommt. Darüber hinaus ist bei der Frage der Angemessenheit zu beachten, dass nach dem allgem. Kommentar Nr. 19 zum Sozialpakt empfohlen wird, die Beiträge zur sozialen Absicherung an den Einkünften zu bemessen und die Leistungen aus der Rentenversicherung an den Beiträgen. Eine Entkoppelung der Beiträge von den Einkünften wäre ein solcher Rückschritt. Das ließe sich aber auch vermeiden, indem man die privaten Versicherungen auf eine Beitragsbemessung nach den Einkünften verpflichtet und eine Grundaltersabsicherung aus Steuermitteln sicherstellt. Bei einem Umstieg auf ein Mehrsäulensystem würde allerdings das Problem entstehen, dass private Rentenversicherungen auch insolvent werden können, sodass letztlich zur Erfüllung des grundsätzlichen Rückschrittsverbots nur bliebe, die staatlich organisierte Grundabsicherung bei der Rente hoch genug anzusetzen, damit man nicht auch noch in die Situation käme, zwischen gleichheitswidrigen staatlichen Mechanismen zur Rettung nun auch noch privater Versicherungsunternehmen oder Rückschritten bei der Rente zu wählen.

Das Vorgehen über die Blankett-Ermächtigung des Art. 3, Art. 4, Art. 5 Abs. 1, und Art. 7 Fiskalpakt sowie der an diese anknüpfenden EU-Verordnungen (Abschnitte V.3, V.4 und V.6 dieser Verfassungsbeschwerden) und darauf gestützt die Erzwingung eines Wechsels zum Mehrsäulensystem bei gleichzeitiger Verletzung des Rückschrittsverbots des UNO-Sozialpakts bzgl. der sozialen Sicherheit (Art. 2 UNO-Sozialpakt, Art. 9 UNO-Sozialpakt) ist offensichtlich unverhältnismäßig, weil nicht erforderlich und nicht angemessen, und rechtfertigt daher keinerlei Eingriff insbesondere in die sozialen Menschenrechte.

XIII.14 Ziel Erzwingung von Verfassungsänderungen bzw. rangmäßiger Absturz des Grundgesetzes

Nach Rn. 218 des Lissabonurteils sind Eingriffe in die Verfassungsidentität zugleich Übergriffe in die verfassungsgebende Gewalt des Volkes. Verfassungsänderungen sind in Deutschland nur zulässig, wenn dem sowohl 2/3 der Mitglieder des Bundestags, als auch 2/3 der Mitglieder Bundesrats zustimmen. Darüber hinaus ist es wegen der Unantastbarkeit der Demokratie (Rn. 216+217 des Lissabonurteils) und der Zugehörigkeit der Volksabstimmungen ebenso wie der Wahlen zum Kernbereich des Demokratieprinzips in Deutschland zulässig, Grundgesetzänderungen auch über Volksabstimmungen mit 2/3 – Mehrheit der Abstimmenden zu bewirken, wofür nur noch ein Ausführungsgesetz fehlt.

Nicht zulässig sind hingegen Entscheidungen über Grundgesetzänderungen durch irgendjemand anderen als Bundestag, Bundesrat oder Volk. Die Schaffung von Mechanismen zur Erzwingung von Verfassungsänderungen über Kreditauflagen (Abschnitte III.12 und IV.5.3 dieser Verfassungsbeschwerden) sind daher kein legitimes politisches Ziel. Das gilt umso mehr, als laut Rn. 28 des Hypothekensicherungsgesetzurteils (BverfGE 2,237) bereits die Umgehbarmachung des erhöhten Abstimmungsquorums für Verfassungsänderungen durch das Ermächtigungsgesetz den rangmäßigen Absturz der Weimarer Reichsverfassung ausgelöst hat, nicht erst die durch das Ermächtigungsgesetz ermöglichten weiteren Verfassungsbrüche. Sämtliche Mechanismen, welche dazu geeignet sind, Bundestag, Bundesrat oder gar das Volk zu Grundgesetzänderungen zu zwingen, sind daher illegitim, unabhängig davon, um welche Grundgesetzänderungen es sich dabei handeln würde.

Geeignet zur Erzwingung von Grundgesetzänderungen sind Art. 3 und Art. 8 Fiskalpakt in höchstem Maße, weil die Kommission außer den in Art. 3 Abs. 1 Fiskalpakt genannten Inhalten auch noch ihre eigenen Vorschläge mit dazu packen könnte, und weil sie sich zur Durchsetzung der von ihr gewünschten Grundgesetzänderungen des EUGH und der gesamten Exekutive (incl. Bundesregierung, Bundeswehr und Polizei) und der gesamten Judikative (incl. Strafjustiz und Bundesverfassungsgericht) bedienen könnte – eine Machtkonzentration, von der manch ein informeller Diktator nur träumen kann. Da Art. 3 und Art. 8 Fiskalpakt von ihrer unmittelbaren Ermächtigung her noch drastischer sind, als es das Ermächtigungsgesetz der NSDAP (für sich allein betrachtet!!!) gewesen ist, sind sie in höchstem Maße dazu geeignet, das Grundgesetz abstürzen zu lassen, unabhängig davon, was man mit einer solchen Ermächtigung anstellen will, und davon, dass im Vergleich zu den Verbrechen der Nazis jede andere Diktatur vergleichsweise harmlos wirkt.

Erforderlich ist die Erzwingung von Verfassungsänderungen nie. Es gibt immer die Möglichkeit der diskursiven Entfaltung, um zu einer wohl überlegten Entscheidung zu gelangen, und das bzgl. der einzelnen Verfassungsänderung, ob diese von den entsprechenden Mehrheiten gewollt wird oder nicht. Außerdem erscheint es der Beschwerdeführerin als absolut zumutbar, dass alle politischen Ziele eben nur insoweit umgesetzt werden können, wie es das Grundgesetz erlaubt.

Eine Angemessenheit der Erzwingung von Grundgesetzänderungen kann es nicht geben, da es bereits an der Legitimität und an der Erforderlichkeit einer solchen Erzwingung fehlt, und weil die Gefahr des rangmäßigen Absturzes darüber hinaus keinerlei Spielraum für die Angemessenheit einer solchen Erzwingbarkeit lässt. Gerade deshalb gibt es Art. 79 Abs. 3 GG und Dr. Thomas Dehler hat im Parlamentarischen Rat am 12.01.1949 nicht umsonst gesagt (Abschnitt III.17 dieser Verfassungsbeschwerden):

„Auf jeden Fall halte ich es für notwendig, daß wir eine Barriere errichten, nicht in dem Glauben, dass wir dadurch einer Revolution begegnen können, aber doch in dem Willen, einer Revolution die Maske der Legalität zu nehmen.“

Im Gegenteil macht es die bereits vorgenommene Erzwingung von Verfassungsänderungen gegen-über Griechenland und Irland erforderlich, dass das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Entscheidung über die hier vorliegenden Verfassungsbeschwerden (Abschnitt III.17) den Gesetzgeber dazu verpflichtet, jede Grundgesetzänderung einer Volksabstimmung zu unterwerfen, weil nur dadurch noch hinreichend eine Erzwingung von Grundgesetzänderungen und damit ein möglicher rangmäßiger Absturz des Grundgesetzes verhindert werden können, sowie klarzustellen, dass Grundgesetzänderungen nie unter Zwang geschehen dürfen.

XIII.15 Ziel Vermeidung eines deutschen Staatsbankrotts

Dieses Ziel ist in besonderem Maße legitim. Die Vermeidung eines Staatsbankrotts ist im Sinne des grundrechtsgleichen Wahlrechts (Art. 38 GG), damit die Bundestagsabgeordneten und damit indirekt auch die Wähler auch in künftigen Legislaturperioden noch genug zu entscheiden haben.

Solide Staatsfinanzen sind auch förderlich für die Verwirklichung des Sozialstaatsgebots und der sozialen universellen Menschenrechte.

Die Legitimität der Vermeidung eines deutschen Staatsbankrotts hat aber auch Grenzen, insbesonddere insoweit, als ein Staateninsolvenzverfahren nach dem Waldenfels-Urteil (Abschnitt IV.6.7 dieser Verfassungsbeschwerden) gerade aus Gründen der Demokratie und des Sozialstaatsgebots verfassungswidrig ist, anders als ein Staatsbankrott. Die Inkaufnahme eines Staateninsolvenzverfahrens zur Vermeidung eines Staatsbankrotts ist nie legitim.

Zur dauerhaften Vermeidung eines deutschen Staatsbankrotts ist es angesichts der absoluten Höhe der deutschen Verschuldung (Abschnitt III.7 dieser Verfassungsbeschwerden) erforderlich, die Schulden zu senken und den Zinssatz auf die deutschen Schulden niedrig zu halten.

Der EFSF-Rahmenvertrag und der ESM-Vertrag sind hierfür jedoch ungeeignet. Zum einen, weil der ESM ein Staateninsolvenzverfahren enthält. Aber der ESM ist, ebenso wie EFSM und EFSF, ein gigantisches Bankenrettungsinstrument auf Kosten gerade auch der deutschen Steuerzahler. Erst durch diese Instrumente lohnt es sich länger, auf steigende Zinsen gegenüber Staaten, die sonst längst einen souveränitätsschonenden Staatsbankrott angemeldet hätten, zu spekulieren.

Erst durch diese Mechanismen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Deutschland sich für diese selbst finanziell verausgabt, und dass auf steigende Zinsen auch für Deutschlands Staatsschulden spekuliert wird.

Art. 5 Abs. 3 EFSF-Rahmenvertrag und Art. 19 ESM-Vertrag sind darüber hinaus ungeeignet, weil darauf auch die Eurobonds gestützt würden. Da Deutschland auf Grund seines hohen BIP einen der niedrigsten Zinssätze in der ganzen Eurozone zahlt, wäre von Deutschland bei Teilnahme an der Verschuldung über Eurobonds zu zahlende Satz mit Sicherheit höher. Je höher das Volumen der gemeinsamen Verschuldung der Staaten der Eurozone über Eurobonds, desto größer wären also die Schulden, für welche Deutschland einen höheren Zinssatz zahlen müsste, und desto wahrscheinlicher würde ein deutscher Staatsbankrott.

Allenfalls die Ausweitung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes auf das Gesamtschuldenkriterium wäre der Prävention gegen einen deutschen Staatsbankrott dienlich – und auch das nur, wenn gleich-zeitig die Möglichkeit sanktionsbewehrter Empfehlungen gestrichen würde (siehe Abschnitt XIII.9 dieser Verfassungsbeschwerden). Aber das will man auch mit dem Fiskalpakt und den an diesen anknüpfenden EU-Verordnungen (Abschnitte V.3 – V.7 und VI.2 dieser Verfassungsbeschwerden) ja gerade nicht, sondern die Krise zur Durchsetzung unbeliebter Sozialkürzungen, Privatisierungen, Entmachtungen der Parlamente etc. nutzen.

Sicherlich hat auch das Vertrauen in den Euro einen Einfluss auf das Vertrauen in die deutschen Finanzen und damit auf den von Deutschland zu zahlenden Zinssatz. Das ist jedoch weitaus geringer als das Sinken des Vertrauens angesichts steigender Schulden über den europäischen Finanzierungsmechanismus und angesichts der Erwartung steigender Schuldzinsen durch Eurobonds.

Die Lösung für den Erhalt des Vertrauens in Deutschlands Finanzen liegt vielmehr darin, mit sämtlicher Bankenrettung und mit dem europäischen Finanzierungsmechanismus aufzuhören und die Stabilität der deutschen Finanzen rechtlich und in der öffentlichen Wahrnehmung von der anderer Staaten der Eurozone und noch mehr von der von Banken getrennt zu halten, anstatt, gestützt auf Art. 136 Abs. 3 AEUV, immer mehr Mechanismen einzurichten, mit welchen man sich an diesen geradezu fest kettet.

Wo keine Geeignetheit gegeben ist, liegen auch keine Erforderlichkeit und keine Angemessenheit vor.

Ende des Textes der Verfassungsklage. Zur Übersicht, siehe Link ganz oben.