051. VI Instrumentalisierung der EU-Fördermittel und haushaltspolitische Überwachung
VI Instrumentalisierung der EU-Fördermittel und haushaltspolitische Überwachung
VI.1. Instrumentalisierung der EU-Fördermittel
Der gesamte Abschnitt VI.1 dieser Verfassungsbeschwerden ist in dem Lichte zu betrachten, dass die iwf-artig strenge Instrumentalisierung der EU-Fördermittel nun für alle auf Art. 121, 126 oder 148 AEUV gestützten Empfehlungen (also incl. Stabilitäts- und Wachstumspakt, und Ungleichgewichtsverfahren über Erwägungsgründe 3+7 und Art. 6 Abs. 1+5 von EU-Verordnung 385/2011 (COD) (Abschnitt VI.2.1 dieser Verfassungsbeschwerden) und über Art. 21 von EU-Verordnung 2011/0276 (COD) laufen soll, offensichtlich ultra-vires zum Fiskalpakt und zum ESM-Vertrag (ohne die Blankett-Ermächtigung des Art. 136 Abs. 3 AEUV). Die Instrumentalisierung von EU-Fördermitteln würde bzgl. ESM und EFSF allein auf Art. 19 ESM-Vertrag und auf Art. 5 Abs. 3 EFSF-Rahmenvertrag passen, wobei allerdings EU-sekundärrechtliche Instrumente wie EU-Verordnungen, darunter die des Six Pack (Abschnitte V.3 bis V.7 dieser Verfassungsbeschwerden), der haushaltspolitischen Überwachung (Abschnitt VI.2 dieser Verfassungsbeschwerden) und zu den EU-Fördermitteln nicht wirksam auf intergouvernementale Verträge wie Fiskalpakt, ESM oder EFSF-Rahmenvertrag gestützt werden können.
VI.1.1 die WIFO-Studie und die Instrumentalisierung der EU-Kohäsions- und Strukturmittel
Dieser Abschnitt unternimmt den Nachweis, dass die Blankett-Ermächtigung des Art. 136 Abs. 3 AEUV nicht nur für den europäischen Finanzierungsmechanismus und für die Umgestaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und zur Einführung des Ungleichgewichtsverfahrens zur Errichtung der EU-Wirtschaftsregierung mitsamt Ermöglichung der Allkäuflichkeit gedacht ist, sondern auch für die Umgestaltung der EU-Kohäsions- und Strukturpolitik im Sinne der EU-Wirtschaftsregierung.
Das Papier „Funktionsfähigkeit und Stabilität des Euro-Raumes“ aus Mai 2010 des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) ist im Auftrag von EU-Regionalkommissar Johannes Hahn erstellt worden. Es diente offenbar als die entscheidende Vorlage weiter Teile der am 29. 09.2010 veröffentlichten Verordnungsentwürfe der EU-Kommission zur Errichtung der EU-Wirtschaftsregierung. Die EU-Kommission musste die Vorschläge aus dem Gutachten nur noch in rechtsförmige Formulierungen bringen.
Es ist ein Gutachten, welches für die Kommission erstellt worden ist, und es zeigt entscheidende Übereinstimmungen mit den Entwürfen vom 29.09.2010.
Ausweislich S. 34+35 des Gutachtens wusste die Arbeitsgruppe beim WIFO-Institut zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ihres Gutachtens im Mai 2010 längst, dass eine Änderung des Art. 136 AEUV geplant war zur Durchsetzung der EU-Wirtschaftsregierung und der Koordinierung und Überwachung der Haushaltspolitik (dazu siehe Abschnitt VI.2 dieser Verfassungsbeschwerden) der Mitgliedsstaaten. Die allgemeine Öffentlichkeit erfuhr davon erst kurzfristig im Dezember 2010, bevor die Initiierung der Vertragsänderung im Europäischen Rat am 16./17. 12.2010 beschlossen wurde. Was sich allerdings geändert hat im Vergleich zum Kenntnis- stand der WIFO-Mitarbeiter von Mai 2010, ist, dass Art. 136 Abs. 3 AEUV anders formuliert wurde, und dass es der Öffentlichkeit verkauft wurde als Grundlage allein für den ESM.
So sagt das Gutachten auf S. 34+35:
„Für De Grauwe (2010) liegt das entscheidende Manko der Eurozone im Fehlen einer politischen Integration, die mit einer zentralen Verantwortung für die Wirtschaftspolitik verbunden wäre. Die Kommission arbeitet daher an Vorschlägen zur schrittweisen Verwirklichung einer Art "Wirtschaftsregierung", über die die Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft besser koordiniert werden kann. Die Basis hierfür liefern die neuen Bestimmungen des Art 136 AEUV. Dort sind für die Mitglieder der Eurozone Maßnahmen vorgesehen, um "die Koordinierung und Überwachung ihrer Haushaltsdisziplin zu verstärken". Dies soll Kriseninterventionen gestatten, doch sollen sie für die Mitglieder möglichst unattraktiv sein.“
Zu Prof. Dr. De Grauwe siehe auch Abschnitt XI.21 dieser Verfassungsbeschwerden.
Nicht nur die Öffentlichkeit ist erst im Dezember 2010 über die geplante Änderung des Art. 136 AEUV informiert worden. Selbst die Regierungschefs, soweit nicht vielleicht ein Bruchteil von ihnen in mögliche Absprachen eingeweiht gewesen sein sollte, hat den vorgeschlagenen Text für den neuen Absatz von Art. 136 AEUV erst extrem kurzfristig zu Gesicht bekommen, sodass in den meisten Mitgliedsstaaten für eine sorgfältige rechtliche Prüfung keine Zeit mehr geblieben sein dürfte. Laut der Erklärung der Eurogruppe vom 28.11.2010 sollte der Textentwurf für die Änderung des Art. 136 AEUV dem Europäischen Rat auf dessen (aus Sicht vom 28.11.2010) nächsten Sitzung
von Herman van Rompuy, dem Vorsitzenden des Europäischen Rats, persönlich vorgestellt werden – und nicht eher. Also erst am 16.12.2010, auf der Sitzung, wo sie dem Entwurf auch direkt zugestimmt haben.
In dem Papier der Arbeitsgruppe wird beklagt, dass die Nicht-Befolgung von Empfehlungen der EU-Kommission oft nicht zu Konsequenzen führe (S. 4). Das ist auch richtig, denn im EU-Primärrecht ist das Instrument der Empfehlung nur verbindlich in Zusammenhang mit einem Verfahren bei einem übermäßigen Defizit (Art. 126 AEUV, Protokoll 12 zu den Verträgen der EU) von mehr als 3% des BIP, ansonsten unverbindlich (Art. 288 S. 7 AEUV). Und die EU-Kommission, inspiriert vom dem Gutachten, will Empfehlungen nun de-facto verbindlich machen auch für Empfehlungen in Zusammenhang mit dem Gesamtschuldenkriterium, mit der präventiven Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und mit Verfahren zur Verringerung volkswirtschaftlicher Ungleichheiten zwischen den Euro-Mitgliedsstaaten.
Laut Tz. 4 der Executive Summary der Studie will die Arbeitsgruppe Sanktionen bei Nichterfüllung der aus Sicht der EU wachstumsfördernden Ziele wie z. B. Forschungs- und Bildungsziele. Die EU- Kommission hat sich von der Gentechniklobby instrumentalisieren lassen, Druck für deren Subventionierung aus Forschungsmitteln zu machen (siehe „Plants for the Future“ etc.). Bei den Empfehlungen gegenüber Griechenland hat die Kommission verlangt, mehr Biotechnologie zuzulassen - ein klarer Machtmissbrauch, denn es wirkt der Erfüllung des Defizitkriteriums massiv entgegen, wenn man der Bevölkerung gesundheitsgefährdende Nahrung aufdrängt und so deren Arbeitsleistung und das BIP senkt. Ausgerechnet in Griechenland, dessen Bevölkerung sich in Europa am meisten gegen den Anbau genmanipulierter Pflanzen wehrt. Der bisherige Stabilitäts- und Wachstumspakt (Art. 126 AEUV) macht Empfehlungen der EU-Kommission ausschließlich in Zusammenhang mit der Überschreitung des Defizitkriteriums von 3% des BIP sanktionsbewehrt und damit verbindlich. Und auch dank des WIFO-Instituts wird die EU-Kommission künftig noch kohärenter und unerbittlicher daran denken, über „Empfehlungen“ die Steuerzahler der Eurostaaten noch mehr für Gentechniksubventionen zu schröpfen. Dann können sie zugleich noch weniger ihre Schulden abbauen und kommen noch weniger von den Auflagen der Kommission los.
Die Studie empfiehlt auf S. 5, auch die Überschreitung des Schuldenstandskriteriums (60% des BIP) mit Sanktionen zu versehen. Genau das hat die EU-Kommission in ihren Vorschlägen vom 29. 09.2010 getan. So bekommt man auch das G 8 – Mitglied Italien unter Kontrolle, welches die höchste Schuldenquote in der EU hat, aber ohne die Errichtung der EU-Wirtschaftsregierung durch- aus das Potential hat, sein Defizit auf unter 3% zu verringern.
Das Papier schlägt der EU-Kommission vor, auch einen Mechanismus bzgl wirtschaftlicher Ungleichgewichte zwischen den Eurostaaten „abseits von Defiziten“ einzurichten. Dafür postuliert es auf S. 5, die „Probleme in Defizitländern von heute“ seien „in der Mehrzahl der Länder nicht Folge von überhöhten, vor der Krise sichtbaren Defiziten (besonders nicht in Portugal, Spanien, Irland), sondern von mangelnder Wettbewerbsfähigkeit des produzierenden Sektors, die in sinken-den Anteilen des exportfähigen Sektors und dann in Leistungsbilanzdefiziten mündeten.“
Die Beschwerdeführerin sieht den Grund für die Verletzung der Maastricht-Kriterien eher in der übermäßigen Bankenrettung, wobei gerade auch das ebenfalls in diesen Verfassungsbeschwerden (darunter vor allem in den Abschnitt IV.6.8, V.17, XI.4, XI.5 XI.9, XI.10 und XI.11) zitierte Gut-achten des wissenschaftlichen Beirats des deutschen Bundeswirtschaftsministeriums und zahlreiche taz-Artikel insbesondere zu Irland das Übermaß der Bankenrettung eindrucksvoll belegen. Irland ist erst durch ein völlig überdimensioniertes nationales Bankenrettungspaket mit Staatsbürgschaften ähnlich der deutschen Soffin in Defizitprobleme, noch nicht einmal in akute Liquiditätsprobleme, geraten. Und die Anwendung des Rettungsschirms auf Irland will das Land gleich zwingen, 35,- Mrd. € von 85,- Mrd. € gleich wieder auszugeben für akute und für präventive Bankenrettung. Einzig und allein die Bankenrettung bringt Irland in die Gefahr eines Staatsbankrotts. Aber die Arbeitsgruppe sekundiert, der EU-Kommission stattdessen bei deren Machterlangung als EU-Wirtschaftsregierung und deren Überhöhung der Wettbewerbsfähigkeit.
Die Hinzufügung des Mechanismus bzgl. der „wirtschaftlichen Ungleichgewichte“ (in der Studie auch „Divergenzen“ oder „Disparitäten“ genannt) zusätzlich zum Stabilitäts- und Wachstumspakt ist der zentrale Punkt in dem Plan zur Errichtung der EU-Wirtschaftsregierung. Auf S. 5 spricht das Papier von der Einrichtung eines „Frühwarnsystems“ bzgl. dieser Ungleichgewichte. Und in Tz. 3 der Executive Summary verlangt es die Verbindung des „Frühwarnsystems“ mit Sanktionen. Genau diesen Vorschlägen ist die EU- Kommission in ihren Verordnungsentwürfen gefolgt.
Das Papier schlägt auf S. 5 auch direkt eine ganze Reihe von Indikatoren vor, mit denen man nach Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin alle Staaten der Eurozone in Ungleichgewichtsverfahren zwingen könnte:
„Wettbewerbsindikatoren, Inflationsdifferentiale, relative Lohnstückkosten, Leistungsbilanz, Outputgap, Immobilienpreise, Differenzen Binnenkonjunktur/exportorientierte Sektoren, öffentlicher Konsum, Veränderung der zyklischen Defizite.“
Auf S. 6 sagt die Studie:
„Zu überlegen wäre auch, ob man nicht das Verhängen und den Vollzug von Sanktionen
stärker von der politischen Ebene wegverlagern soll.“ Das stellt man sich dort so vor, „dass mit einer Feststellung der Voraussetzungen durch die Kommission Sanktionen automatisch eintreten und vom EuGH verfolgt werden sollten. (Sinn, 2010)“
Genau das hat die EU-Kommission aufgegriffen und konkretisiert in ihren Verordnungsentwürfen mit der umgekehrten Abstimmung.
Auf S. 8 empfiehlt die Studie der Kommission, sich über das Ungleichgewichtsverfahren Macht bzgl. der Finanz- und der Lohnpolitik an Land zu ziehen:
„Ein wichtiger Ansatzpunkt für die Beseitigung der Ungleichgewichte liegt also in einer
stärkeren Beobachtung und gegebenenfalls Koordination der Lohnentwicklung und einer
differenzierten Budgetpolitik im Euroraum.“
Und, welch Wunder, will die EU-Kommission wie in den Teilen des Abschnitts V. dieser Verfassungsbeschwerden bgzl. der Ungleichgewichtsverfahren dargelegt, nun über das Ungleichgewichtsverfahren ausdrücklich in all den Bereichen der Wirtschafts-, Finanz- und Lohnpolitik der Mitgliedsstaaten, welche der EU in ihrem Primärrecht gerade nicht ausdrücklich übertragen wurden, beliebig Entscheidungsbefugnisse an sich ziehen können.
Auf S. 9 gibt die Studie sogar der Kommission einen Tip, im Namen der Inflationsbekämpfung im Rahmen der Verringerung der makroökonomischen Ungleichgewichte die Lohnerhöhungen in der Eurozone so zu begrenzen, dass dadurch 2% Inflation nicht überschritten werden:
„Beobachtung von Disparitäten in den relativen Lohnstückkosten zwischen den Ländern und Empfehlung, sie in der nationalen oder tarifpartnerlichen Lohnfestsetzung zu beachten, bzw. durch produktivitätssteigernde Maßnahmen am Auseinanderdriften zu hindern. Eventuell sollten nationale Inflationsziele individuell je nach Situation in den jeweiligen Ländern gesetzt werden, jedenfalls Höchstgrenzen für den Preisanstieg und das Vermeiden in die Nähe von Deflation zu kommen. Im Durchschnitt des Euroraums sollte das Inflationsziel der EZB weiter bei 2% liegen.“
Der gleiche Vorschlag wird in anderen Worten auf S. 19 der Studie wiederholt.
Und bereits auf S. 4 hat die Studie ja bedauert, dass Empfehlungen oft nicht befolgt würden, weshalb die EU-Kommission sie ja nun in allen Bereichen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, und eben gerade auch bzgl. der Ungleichgewichtsverfahren, des eigentlichen Kernstücks der Errichtung der halb-diktatorischen EU-Wirtschaftsregierung, verbindlich haben will – ganz im Gegensatz zum Grundsatz in Art. 288 S. 7 AEUV.
Hinsichtlich des angestrebten Ungleichgewichtsverfahrens nimmt die Studie Bezug auf die Europa 2020 – Strategie. Siehe hierzu Abschnitt V.16 dieser Verfassungsbeschwerden.
In Absatz 13 auf S. 8 äußert sich die Studie zum IWF:
„Es gibt erfolgreiche Konsolidierungen sowohl von Budgetdefiziten als auch von Außenhandels-Defiziten. Die Größe der wirtschaftlichen Herausforderung ist für eine Konsolidierung sogar hilf-reich, allerdings ist auch die Einsicht in die Notwendigkeit der Konsolidierung eine Voraussetzung, ebenso eine als gerecht empfundene Verteilung der Sanierungslast. Finanzhilfen etwa des Währungsfonds oder Abwertungen der Währung sind in fast allen erfolgreichen Fällen ein wichtiger Bestandteil der Konsolidierung, hilfreich ist ein dynamisches Umfeld anderer Länder (dieses ist heute im Weltmaßstab gegeben, weniger innerhalb der europäischen Länder). Ausgabenseitige Sanierungen sind in der Regel erfolgreicher, wichtig ist aber auch, die Nachfrageeffekte sowohl bei Ausgabenkürzungen als auch auf der Einnahmenseite zu berücksichtigen. Empfehlenswert ist eine Aktivkomponente zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, zur Vergrößerung des exportfähigen Sektors, zur Nutzung von neuen Technologien (Umwelt, Energie). Ein Stillstand der Zukunftsinvestitionen ist keine gute Voraussetzung für den Sanierungserfolg und das dafür nötige Wachstum.“
Eine Mitwirkung des IWF ist bei den Entwürfen der EU-Kommission zur Neufassung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zwecks Errichtung der EU-Wirtschaftsregierung nicht vorgesehen, anders als beim europäischen Finanzierungsmechanismus. Die Bezugnahme auf den IWF scheint hier eher als Ermunterung gedacht, bzgl. des Ungleichgewichtsverfahrens genauso rücksichtslos zu sein wie der IWF bzgl. der Haushaltskonsolidierung. Der IWF hat noch in keinem Land der Welt aus der Sicht der Einwohner der Schuldnerstaaten für „eine als gerecht empfundene Verteilung der Sanierungslast“ gesorgt. Er hat eher für den Druck gesorgt, dass man sich über die Frage des Gerechtigkeitsgefühls der Einwohner de facto hinwegsetzen konnte.
Damit spricht eine Vielzahl von Indizien dafür, dass die EU-Kommission ihr Konzept zur Änderung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zwecks Errichtung der EU-Wirtschaftsregierung von der für die EU-Kommission erstellten WIFO-Studie aus Mai 2010 abgeschaut hat.
Zu den Vorstellungen des IWF zur Instrumentalisierung der EU-Fördermittel siehe Abschnitt VI.1.3 dieser Verfassungsbeschwerden. Diese Verfassungsbeschwerden zeigt in den Abschnitten VI.2.1.+ VI.3 auf, dass diese Instrumentalisierung tatsächlich geplant ist.
In Nr. 6 auf S. 1 und in Abs. 19 auf S. 10 spricht sich die WIFO-Studie gegen den Ansatz (der deutschen Bundesregierung) aus, die Kohäsions- und Strukturmittel für Sanktionen zu nutzen.
Die Studie will jedoch laut Abs. 20 + 21 S. 11 die Kohäsionsmittel, also die EU-Gelder zur Förderung strukturschwacher Regionen „stärker für die Verbesserung der strukturellen Wettbewerbsfähigkeit und zum Ausbau eines exportfähigen Sektors“ und nicht mehr primär zum „Ausgleich von Lebensverhältnissen“ oder zum „Ausgleich von Einkommensunterschieden“.
Die Kohäsionsmittel sollen also daran geknüpft werden, dass die Regionen die Empfehlungen der Kommission zur Verringerung der wirtschaftlichen Ungleichgewichte befolgen.
Auf S. 24 erteilt die WIFO-Studie den bisherigen sozialen Zielen des Kohäsionsfonds eine klare Absage:
„Das Ziel eines Abbaus von Disparitäten ist damit (etwa gegenüber einem Ziel der Wachstumsmaximierung auf EU-Ebene) keineswegs obsolet, sofern es Unterschiede in den Produktivitäten und nicht etwa Maßnahmen zum Ausgleich der Lebensverhältnisse bzw. der Einkommen zum Inhalt hat.“
Auf S. 16 denkt die WIFO-Studie darüber hinaus an, die „Mittelvergabe unter bestimmten Konditionen, die sich auf Strukturmaßnahmen beziehen.“
Das Wort „Strukturmaßnahmen“ dürfte inhaltlich etwa dem Wort „Strukturreformen“ in Zusammenhang mit der Bußgeldbewehrung der präventiven Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspaktes entsprechen (siehe Abschnitt V.15 dieser Verfassungsbeschwerden). Das dürfte also vor allem die Marginalisierung der sozialen Sicherungssysteme auf Länderebene sowie den Ausverkauf der Behörden auf Länderebene betreffen, was ein noch größeres Gewicht als auf Bundesebene hat, da in Deutschland, soweit nichts anderes ausdrücklich bestimmt ist, die Verwaltung Ländersache ist, und die Bundesländer dadurch weit mehr Beschäftigte in der Verwaltung haben als der Bund.
Die WIFO-Studie empfiehlt also, die EU-Kohäsionspolitik so umzugestalten, dass die Kommission direkt auch den Bundesländern Auflagen machen kann bzgl. der Verringerung der wirtschaftlichen Ungleichgewichte und bzgl. der Stärkung der Exportfähigkeit – allerdings mit dem Unterschied zum geplanten Ungleichgewichtsverfahren gegenüber der nationalen Ebene der Eurostaaten ohne ausdrückliches Ziel der Exportierbarmachung bisher unveräußerlicher Güter. Und bei den Kohäsionsmitteln will man nicht mit Bußgeldern arbeiten, sondern die Auszahlung der Kohäsions- und Strukturmittel von der Erfüllung der Auflagen abhängig machen.
Damit könnte die EU-Kommission an den Regierungen der Mitgliedsstaaten vorbei als EU-Wirt- schaftsregierung direkt gegenüber den Bundesländern der EU-Mitgliedsstaaten bzw. der Euro-Mit- gliedsstaaten auftreten. Siehe auch Abschnitt X.4 dieser Verfassungsbeschwerden.
Die Verbindung der von der Studie empfohlenen Neuregelung der EU-Kohäsions- und Strukturpolitik zu Art. 136 Abs. 3 S. 1 AEUV zeigt sich auf S. 26+27:
„Allerdings zeigt sich gerade in der derzeitigen Wirtschaftskrise, dass die EU durch schwerwiegende strukturelle Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit der Länder geprägt ist, die auf Sicht den Bestand der Währungsunion gefährden könnten.“
Und bei den Kohäsions- und Strukturmitteln handelt es sich offensichtlich um Finanzhilfen i. S. v. Art. 136 Abs. 3 S. 2 AEUV.
Dazu, wie man nun tatsächlich aus den Empfehlungen der Wirtschaftsregierung iwf-artig strenge Auflagen machen und dafür EU-Fördermittel über EU-Verordnung 2011/ 385 (COD) instrumentalisieren will, siehe Abschnitt VI.2.1 dieser Verfassungsbeschwerden, sowie über EU-Verordnung 2011/0276 (COD), siehe Abschnitt VI.3 dieser Verfassungsbeschwerden.
VI.1.2 die deutsche Bundesregierung, zwei Bundestagsfraktionen und die Instrumentalisierung der Kohäsions- und Strukturpolitik
In ihrer Regierungerklärung vom 19.05.2010 sagte die deutsche Bundeskanzlerin zu der Arbeitsgruppe der Finanzminister unter Leitung von Herrmann van Rompuy (siehe auch Abschnitt III.14 dieser Verfassungsbeschwerden):
„Ich messe daher der Gruppe der Finanzminister unter dem Vorsitz von Präsident Van Rompuy große Bedeutung zu. Bundesminister Schäuble wird bereits am Freitag, bei der ersten Sitzung der Gruppe, umfangreiche deutsche Vorschläge unterbreiten. Notwendig sind aus Sicht der Bundesregierung unter anderem folgende Maßnahmen: eine schnellere und straffere Anwendung von Sanktionen gegen Euro-Mitgliedstaaten, die ihren Verpflichtungen zur Senkung des Defizits nicht nachkommen. Zu diesen Sanktionen zählt zum Beispiel, Strukturmittel aus dem EU-Haushalt einzubehalten. Notwendig sind auch zusätzliche Konsolidierungsanstrengungen von Mitgliedstaaten mit hohen Schuldenständen; denn diese bergen besondere Risiken für die Krisenanfälligkeit. Notwendig ist ein vorübergehender Entzug des Stimmrechts von notorischen Defizitsündern, und vor allem notwendig ist die Entwicklung eines Verfahrens für eine geordnete staatliche Insolvenz. Damit würden wir einen wichtigen Anreiz für die Euro-Mitgliedstaaten schaffen, ihre Haushalte in Ordnung zu halten.“
Hier wird der Zusammenhang zwischen der EU-Wirtschaftsregierung und der Neugestaltung der EU-Kohäsions- und Strukturpolitik besonders deutlich. „Strukturmittel aus dem EU-Haushalt“ sollen als Sanktion einbehalten werden können in Zusammenhang mit der Änderung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zur Errichtung der EU-Wirtschaftsregierung. Der Ansatz der Bundesregierung, Sanktionen in Zusammenhang mit dem Stabiltäts- und Wachstumspakt auch nicht nur als Bußgelder, sondern auch durch Kürzungen von Fördermitteln aus dem EU-Strukturfonds zu verhängen, muss schon deutlich vor der Rede vom 19.05.2010 im Gespräch gewesen sein, da das WIFO-Gutachten von Mai 2010 darauf reagiert hat.
Art. 126 Abs. 11 AEUV enthält eine abschließende Aufzählung von Sanktionen im Rahmen eines Euro-Defizitverfahrens. Die Kürzung von EU-Kohäsions- / Strukturmittel ist darin nicht enthalten. Auch die Art. 174 bis 178 AEUV zur Kohäsionspolitik enthalten keine Ermächtigung, diese Mittel für Sanktionen im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu kürzen. Die deutschen Bundestagsabgeordneten haben explizit der Möglichkeit von Sanktionen bzgl. des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ausschließlich bzgl. der Verletzung des Defizitkriteriums zugestimmt, wie es primärrechtlich in Art. 126 Abs. 2 lit. a + Abs. 11 AEUV vorgesehen ist. Da aber, wie das Gutachten des WIFO-Instituts zeigt, Art. 136 Abs. 3 AEUV auch als Blankett-Ermächtigung für die Änderung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zur Errichtung der EU-Wirtschaftsregierung vorgesehen ist, kann davon ausgegangen werden, dass Art. 136 Abs. 3 AEUV auch als primärrechtliche Grundlage für die Kürzung von EU-Fördermitteln vorgesehen ist (i. V. m. Erwägungsgründen 3+7 und Art. 6 Abs. 1+5 EU-Verordnung 2011/385 (COD bzw. i. V. m. Art. 21 EU-Verordnung 2011/0276 (COD)).
Siehe hierzu auch Nr. 18 des Berichts der Task Force vom 21.10.2010 (Abschnitt III.14 dieser Verfassungsbeschwerden) und Abs. 7 der Schlussfolgerungen des Europäischen Rats zum Gipfel vom 11.03.2011 (Abschnitt III.13 dieser Verfassungsbeschwerden).
Dazu, wie man nun tatsächlich aus den Empfehlungen der Wirtschaftsregierung IWF-artig strenge Auflagen machen und dafür EU-Fördermittel über EU-Verordnung 385/2011 (COD) sowie über EU-Verordnung 2011/0276 (COD) instrumentalisieren will, siehe Abschnitte VI.2.1 + VI.3 dieser Verfassungsbeschwerden.
Am 22.11.2011 haben sich außerdem auch die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP für die Instrumentalisierung von Kohäsions- und Strukturmitteln und für verschärfte Konditionen bei wiederholter Nichterfüllung von Empfehlungen aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt ausgesprochen (Nr. 11 von Drucksache 17/7767). Vergleiche auch Erwägungsgründe 3+7 und Art. 6 Abs. 1+5 EU-Verordnung 2011/385 (COD), initiiert am 23.11.2011 (Abschnitt VI.2.1 dieser Verfas-sungsbeschwerden).
VI.1.3 der IWF und die Instrumentalisierung der EU-Mittel
Am 22.11.2010, nur etwa einen Monat nach dem Bericht der Task Force (siehe Abschnitt III.14 dieser Verfassungsbeschwerden) hat der IWF Empfehlungen gegenüber der Eurozone bzw. gegenüber deren Mitgliedsstaaten der Eurozone veröffentlicht mit dem Titel „Lifting Euro Area Growth: Priorities for Structural Reforms and Governance“.
Www.imf.org/external/pubs/ft/spn/2010/spn1019.pdf
Darin empfiehlt der IWF auf S. 4:
„In particular, key structural reforms need to be embedded in a stronger surveillance mechanism over fiscal and structural policies;..“
Das bedeutet, dass auch der IWF die Umfunktionierung der EU-Strukturpolitik, also der finanziellen EU-Förderpolitik gegenüber strukturschwachen Bundesländern der Mitgliedsstaaten der Eurozone will, um damit die für ihn entscheidendsten Strukturreformen durchzusetzen. Wie im folgenden in diesem Abschnitt dargestellt, ist der Begriff „Strukturreformen“ auf jeden Fall gemeint wie bei der EU-Kommission (siehe Abschnitt V.15 dieser Verfassungsbeschwerden); wahrscheinlich ist, dass es daneben auch um eine iwf-typische Stoßrichtung geht, denn bereits die Existenz der Empfehlungen des IWF vom 22.11.2010 und deren starke Bezugspunkte zur Umgestaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes beweisen, dass der IWF versucht, seine eigenen Vorstellungen auch bei der EU-Wirtschaftsregierung alias EU-Kommission unterzubringen. Außerdem nennt der IWF die Inhalte seiner Kreditauflagen auch allgemein „Strukturreformen“ oder „Strukturanpassungsmaßnahmen“. Der größte Unterschied ist, dass die Kommission erfahrungsgemäß einen größeren Schwerpunkt bei der Privatisierung auch der hoheitlichen Aufgaben und bei der Oktroyierung der Genmanipulation in der Landwirtschaft hat, während der IWF noch deutlich gründlicher ist bei der Zerstörung des Sozialen.
Der IWF will, über den Ansatz des WIFO-Gutachtens hinausgehend, nicht allein die EU-Strukturmittel auf die Erfüllung von Strukturreformen konditionieren, sondern gleich alle größeren EU-Fördermittel (S. 11 der Empfehlungen):
„Larger EU transfers conditioned on reform implementation could help.“
Den Beweis, dass der IWF die Instrumentalisierung der EU-Fördermittel zumindest auch zur Durchsetzung der Empfehlungen der EU-Kommission im Rahmen von deren Tätigkeit als halb-diktatorischer EU-Wirtschaftsregierung will, liefert folgender Satz auf S. 11:
„Incentives to foster reform efforts and comply with recommendations could be channeled through a reformed EU budget where disbursements would be closely linked to reform implementation, in line with the Commission's proposals to retool financial sanctions and use the EU budget as an in-centive scheme.“
Außerdem verlangt der IWF explizit auf S. 11, die Strukturmittel und die Agrarmittel der EU ab- hängig zu machen von der Erfüllung von Strukturreformen, welchen die Staaten der Eurozone vor- her im Rahmen von nationalen Reformplänen ihr Einverständnis zu geben hätten. Durch den Gipfel vom 24./25.03.2011 ist in der Vereinbarung über den Euro-Plus-Pakt (siehe Abschnitt III.15 dieser Verfassungsbeschwerden) öffentlich sichtbar geworden, dass die nationalen Reformpläne sich darauf beziehen, dass die am Euro-Plus-Pakt teilnehmenden Staaten berichten müssen darüber, was sie im Hinblick auf die Versprechen, die ihr Regierungschef einmal jährlich für die Erfüllung der Ziele des Euro-Plus-Paktes machen würde, bereits getan haben oder noch tun wollen. Angesichts der Verwendung des Begriffs der nationalen Reformpläne drängt sich die Frage auf, ob die Pläne für den Euro-Plus-Pakt, vielleicht damals noch unter anderem Arbeitstitel, schon im November 2010 beim IWF vorgelegen haben.
Zum Verhältnis von Euro-Plus-Pakt, nationalen Reformplänen und deren Aufgriff über sanktionsbewehrte Empfehlungen der EU-Wirtschaftsregierung siehe auch die Abschnitte III.15, III.18 und V.7 dieser Verfassungsbeschwerden. Selbst die verfassungs- und menschenrechtlich harmlosesten Versprechen der Regierungschefs im Rahmen des Euro-Plus-Paktes würden durch die Instrumentalisierung der EU-Fördermittel und die daraus folgende Verpflichtung auf eine IWF-typische Strenge nach Art. 136 Abs. 3 S. 2 AEUV in eine die Grund- und Menschenrechte der Einwohner der betroffenen Staaten ignorierenden Richtung aufgegriffen.
Ebenfalls auf S. 11 sagt der IWF:
„EU transfers could be withheld if countries do not comply with the reform agenda.“
Das WIFO-Institut ist nicht mehr und nicht weniger als ein Wirtschaftsforschungsinstitut ohne ernsthafte Machtmittel, um Staaten oder internationale Organisationen zu irgendetwas zwingen zu können. Ganz anders der IWF mit seiner Macht über Staaten durch Kreditauflagen. Und der IWF nimmt offensichtlich sowohl den Ansatz der deutschen Bundesregierung, die Verweigerung von Strukturmitteln der EU als Sanktion für die Nichterfüllung von Empfehlungen der EU-Wirtschaftsregierung zu knüpfen, als auch den Ansatz des WIFO-Instituts, die Vergabe von EU-Struktur- und -Kohäsionsmitteln mit eigenen Konditionen zu versehen, um die EU-Kommission zur EU-Wirtschaftsregierung auch direkt gegenüber den Bundesländern zu machen, auf. Und wie es die Art des IWF ist, geht er dabei noch deutlich über die von ihm aufgegriffenen Ansätze hinaus. Er will die Möglichkeit offen halten, die EU-Fördermittel nicht nur bzgl. der Empfehlungen der EU-Wirtschaftsregierung, sondern auch bzgl. der für sich allein genommen sanktionslosen nationalen Reformpläne aus der freiwilligen Koordinierung der Wirtschaftspolitik der EU-Mitgliedsstaaten und bzgl. anderer Strukturreformen (wie z. B. aus dem europäischen Finanzierungsmechanismus) zu verbinden. Und er will, noch weitaus drastischer als die deutsche Bundesregierung und das WIFO-Institut zusammen, auch noch die riesigen Agrarmittel der EU mit solchen Konditionen verbinden. Das käme von der Wirkung fast einer Verpfändung der wirtschaftlichen Existenzen der Landwirte und damit indirekt der Versorgung vor allem mit Lebensmitteln, daneben aber auch mit Naturheilmedizin und mit Agrartreibstoffen, in den Staaten der Eurozone gleich.
Wie insbesondere bereits in den Abschnitten V. sowie VI.1.1 und VI.1.2 dieser Verfassungsbeschwerden dargestellt, will man die Konditionierung von EU-Mitteln mit der Erfüllung von Empfehlungen der EU-Wirtschaftsregierung, mit Strukturreformen aus dem europäischen Finanzierungsmechanismus oder mit der Erfüllung nach Art. 121 AEUV als unverbindlich vorgesehener nationaler Reformpläne im Rahmen des Euro-Plus-Paktes als Teil der freiwilligen Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten EU-primärrechtlich allein an die Blankett-Ermächtigung des Art. 136 Abs. 3 AEUV anknüpfen lassen und außerdem an Art. 5 Abs. 3 EFSF-Rahmenvertrag, Art. 19 ESM-Vertrag, Erwägungsgründe 3+7 und Art. 6 Abs. 1+5 von EU-Verordnung 2011/385 (COD).
Sämtliche EU-Fördermittel würden als Finanzhilfen i. S. v. Art. 136 Abs. 3 S. 2 AEUV qualifiziert werden. Auf diese Weise käme die IWF-typische Strenge (vgl. Schlussfolgerungen des Ecofin-Rats vom 10.05.2010, Erklärung der Eurogruppe vom 28.11.2010 und Nr. 17 der Stellungnahme zum Euro-Gipfel vom 26.10.2011 (Abschnitt III.23 dieser Verfassungsbeschwerden) ), also die Ignorierung sämtlicher Grund- und Menschenrechte der Einwohner der Schuldenerstaaten, damit auch bzgl. der EU-Wirtschaftsregierung zumindest insoweit zum Zuge, wie es um die Konditionalisierung der EU-Fördermittel zur Durchsetzung der Empfehlungen der EU-Wirtschaftsregierung alias EU-Kommission ginge.
Die Empfehlungen des IWF vom 22.11.2010 können auch nicht isoliert betrachtet werden, sondern
sind auch im Lichte der Äußerungen von Michael Bruno, dem damaligen Chefökonom für wirt-schaftliche Entwicklung der eng mit dem IWF zusammen arbeitenden Weltbank, aus dem Jahr 1995 zu sehen, wo er sich ausdrücklich dafür ausgesprochen hat, künstlich, z. B. durch Streichung von Hilfsgeldern, bestehende Krisen zu verschärfen, um damit mehr Reformen durchsetzen zu können.
Siehe auch Abschnitt IV.5.10 dieser Verfassungsbeschwerden.
Die Task Force empfahl in Rn. 18 ihres Berichts vom 21.10.2010 die Instrumentalisierung der EU-Fördermittel für Sanktionen im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes (siehe Abschnitt III.14 dieser Verfassungsbeschwerden).
Dazu, wie man nun tatsächlich aus den Empfehlungen der Wirtschaftsregierung IWF-artig strenge Auflagen machen und dafür EU-Fördermittel über EU-Verordnung 385/2011 (COD) instrumentalisieren will, siehe Abschnitt VI.2.1 dieser Verfassungsbeschwerden.
Und die Vereinbarung über die Merkmale des ESM vom 24./25.03.2011 will, dass allein der Verwaltungsrat des ESM (also die Finanzminister der Staaten der Eurozone) über die Ausweitung des Instrumentariums des ESM entscheiden könnten. Mit Errichtung des ESM und Inkrafttreten von Art. 136 Abs. 3 AEUV würde für die Instrumentalisierung aller Fördermittel der EU für den europäischen Finanzierungsmechanismus also noch nicht einmal mehr eine parlamentarische Abstimmung erfolgen (siehe Abschnitt IV.6.2.4). Siehe außerdem Abschnitt IV.6.2.5 dieser Verfassungsbeschwerden und Art. 19 ESM-Vertrag.
VI.1.4 die Instrumentalisierung der EU-Fördermittel für den ESM
Seit dem Gipfel der Eurozone vom 21.07.2011 steht nun fest, dass man Art. 19 ESM-Vertrag auch dafür einsetzen will, die EU-Fördermittel zur Durchsetzung der Auflagen aus dem ESM zu instrumentalisieren (Nr. 12 der Erklärung der Regierungschefs zum Gipfel vom 21.07.2011, Abschnitt III.22 dieser Verfassungsbeschwerden).
Zur Instrumentalisierung von EU-Fördermitteln für den ESM durch EU-Verordnung 2011/0276 (COD) siehe außerdem Abschnitt VI.3 dieser Verfassungsbeschwerden.
Das wird weiter bestätigt durch Nr. 3 der Schlussfolgerungen vom Gipfel des Europäischen Rats vom 23.10.2011 und Nr. 6 der Stellungnahme zum Euro-Gipfel vom 26.10.2011 (Abschnitt III..23 dieser Verfassungsbeschwerden).
Noch deutlicher wurde Bundeswirtschaftsminister Philpp Rösler. Er forderte laut einer Reuters-Meldung vom 09.08.2011 „die Schaffung eines Stabilitätsrates im Euro-Raum“. Dass er mit dem Begriff „Stabilitätsrat“ den ESM meint, wird deutlich in Röslers Aussage, dass der „Stabilitätsrat“ über die „Art und Weise“ der Verwendung europäischer „Strukturfondsmittel“ entscheiden können solle gegenüber Euro-Ländern, welche in „Probleme“ gerieten.
Http://de.reuters.com/articlePrint?articleId=DEBEE7780EK20110809
Mit „Problemen“ sind offenbar Liquiditätsprobleme gemeint. Und es kann nur der ESM gemeint sein, weil es Griechenlandhilfe, EFSM und EFSF schon gibt. Auch für die Ausweitung des Defizitverfahrens auf Gesamtschuldenkritierium und präventive Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und für die Einführung des neuen Ungleichgewichtsverfahrens ist keine Schaffung neuer Gremien beabsichtigt, sondern die Ausweitung der Machtbefugnisse des bestehenden Gremiums EU-Kommission und daneben auch des bereits bestehenden Gremiums EU-Ministerrat.
Wie intensiv der ESM genutzt werden soll, zeigt auch die Aussage Röslers, dass der „Stabilitätsrat“ (also der ESM) nach dem Willen der deutschen Bundesregierung „den Kern einer Stabilitätsunion in Europa“ bilden solle.
Zum Umfang der „Stabilitätsunion“ führt er außerdem aus, dass alle Staaten der Eurozone sich „künftig Wettbewerbsfähigkeitstests unterziehen“ sollten, bei welchen es u. a. um „die Flexibilität der Arbeitsmärkte“ gehe. Die „Wettbewerbsfähigkeitstests“ beziehen sich offensichtlich auf die Ungleichgewichtsverfahren (Abschnitte V.5 und V.7 dieser Verfassungsbeschwerden), die „Flexibilität der Arbeitsmärkte“ auf das „Flexicurity“ - Konzept, welches insbesondere die Lockerung des Kündigungsschutzes enthält (Abschnitte III.15 und VIII.4 dieser Verfassungsbeschwerden), welches offenbar ebenfalls mit Hilfe der Ungleichgewichtsverfahren durchgesetzt werden soll.
Mit dem Begriff „Stabilitätsunion“ ist also Gesamtheit aller Mechanismen, die man auf die Blankett-Ermächtigung des Art. 136 Abs. 3 AEUV stützen will, gemeint.
Das Wort „Stabilitätsrat“ ist außerdem dazu angetan, den falschen Eindruck zu vermitteln, es handele sich um ein grundgesetzkonformes Gremium wie das aus dem Bundesfinanzminister und den Finanzministern der Bundesländer bestehende auf Art. 109a GG und dem StabiRatG basierende Gremium, welches die Einhaltung der Schuldenbremse des Grundgesetzes durch eine verstärkte finanzpolitische Zusammenarbeit von Bund und Ländern verbessern soll, ohne dabei in irgendeiner Weise die Kompetenzen von Bundestag und Landtagen zu schmälern.
Damit ist der ESM offensichtlich nicht vergleichbar. Art. 109a GG ist keine Blankett-Ermächtigung für jeden Mechanismus, den man lediglich als „Stabilitätsrat“ bezeichnen würde, sondern allein für ein bestimmtes Gremium zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei der Einhaltung der Schuldenbremse des Grundgesetzes.
VI.1.5 Bestätigung der geplanten Instrumentalisierung der EU-Fördermittel durch die deutsche Bundeskanzlerin und den französischen Präsidenten
Der Brief der deutschen Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und Seiner Exzellenz, des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, vom 17.08.2011 an Herman van Rompuy, den Präsidenten des Europäischen Rates, bestätigt die beabsichtigte Instrumentalisierung hinsichtlich der Kohäsions- und der Strukturmittel, sagt aber nichts zu der vom IWF gewünschten Instrumentalisierung aller EU-Fördermittel incl. der Agrarmittel (Abschnitt VI.1.3 dieser Verfassungsbeschwerden).
Die vorgesehene Instrumentalisierung von Kohäsions- und Strukturfonds wird bewiesen durch die Aussage:
„Zur Unterstützung notwendiger Reformen sollten die Struktur- und der Kohäsionsfonds genutzt
werden, um Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit im Euro-Währungsgebiet voranzu-treiben.“
Die beabsichtigte Instrumentalisierung für die Durchsetzung der Empfehlungen aus dem Ungleichgewichtsverfahren beweist der Satz:
„Die Fonds sollten darauf abzielen, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen und Ungleichgewichte in den Mitgliedstaaten zu verringern, die im Rahmen des Ungleichgewichteverfahrens Empfehlungen erhalten.“
Die geplante Instrumentalisierung für die Empfehlungen aus der Neuregelung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes wird bewiesen durch die Aussage:
„Zukünftig sollten Zahlungen aus den Strukturfonds und dem Kohäsionsfonds an Länder des
Euro-Währungsgebiets, die sich nicht an die Empfehlungen im Rahmen des Defizitverfahrens
halten, ausgesetzt werden.“
Und schließlich beweisen die deutsche Bundeskanzlerin und der französische Präsident auch die beabsichtigte Instrumentalisierung für die Durchsetzung der Auflagen des ESM:
„Bei Programmländern sollte die Europäische Kommission automatisch prüfen, ob das makroökonomische Anpassungsprogramm durch Struktur- und Kohäsionsfonds optimal unterstützt wird.“
Als „Programmländer“ werden solche Staaten bezeichnet, welche in den Mühlen einer der Stufen des europäischen Finanzierungsmechanismus sind.
Zur Art und Weise der Instrumentalisierung sagt der Brief:
„Diese Änderungen sollten in den neuen Struktur- und Kohäsionsfondsverordnungen umgesetzt werden, die für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen vorgeschlagen werden.“
Das wäre eine klare sekundärrechtliche Verankerung, immerhin noch mit Zustimmung des Europaparlaments, weil es ja in Verordnungen geregelt würde, als allein über einen Beschluss des ESM-Verwaltungsrats nach Art. 19 ESM-Vertrag zur Ausweitung seines Instrumentariums. Und in den Verordnungsentwürfen bzgl. der Umgestaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und bzgl.des Ungleichgewichtsverfahrens (Abschnitte V.3 bis V.7 dieser Verfassungsbeschwerden) findet sich auch kein Wort zur Instrumentalisierung der EU-Fördermittel.
Es gibt jedoch in den für die Kohäsions- und Strukturmittel maßgeblichen Artikeln 174 bis 178 AEUV sowie in dem darauf bezogenen Protokoll 28 keinerlei Rechtsgrundlage, diese Mittel für die Durchsetzung politischer Auflagen oder Empfehlungen zu instrumentalisieren (siehe auch Abschnitt VI.2 dieser Verfassungsbeschwerden).
Damit bliebe als primärrechtliche Grundlage für die Instrumentalisierung dieser Mittel allein die Blankett-Ermächtigung des Art. 136 Abs. 3 AEUV.
Der Brief sagt auch, eine Instrumentalisierung des Kohäsionsfonds sei bereits erfolgt:
„Die makroökonomische Konditionalität des Kohäsionsfonds sollte auf die Strukturfonds ausgeweitet werden.“
Wenn das so zutreffen sollte, dann wäre eine stillschweigende völkerrechtliche Rückwirkung des Art. 136 Abs. 3 AEUV (i. V. m. Art. 5 Abs. 3 EFSF-Rahmenvertrag, Art. 19 ESM-Vertrag, Erwägungsgründe 3+7 und Art. 6 Abs. 1+5 EU-Verordnung 2011/385 (COD)) also auch für die Instrumentalisierung der Kohäsionsmittel beabsichtigt.
Eine völkerrechtliche Rückwirkung, welche im jeweiligen primärrechtlichen Vertragstext nicht ausdrücklich formuliert ist, ist jedoch gem. der WVRK nichtig (vgl. Abschnitt III.9 dieser Verfassungsbeschwerden). Und sie ist unvereinbar insbesondere mit der Rechtsstaatlichkeit (Abschnitt X.2 dieser Verfassungsbeschwerden) und dem Grundrecht auf Rechtsweggarantie (Abschnitt IX.13 dieser Verfassungsbeschwerden), sowie mit der Demokratie (Abschnitt X.1 dieser Verfassungsbeschwerden) und dem grundrechtsgleichen Wahlrecht (Abschnitt IX.8 dieser Verfassungsbeschwerden).
VI.1.6 Instrumentalisierung der Strukturmittel zur Entstaatlichung auch unabhängig von Stabilitäts- und Wachstumspakt, Ungleichgewichtsverfahren und ESM
In seiner Rede vom 28.09.2011 vor dem Europaparlament hat EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso „eine groß angelegte Initiative zum Bürokratieabbau bei kofinanzierten europäischen Projekten“ versprochen. Dabei könnten „aus Strukturfondsmitteln“ „noch 15 Mrd. EUR in Griechenland ausgegeben werden. Damit kann insbesondere ein Sofortprogramm zur Unterstützung der griechischen Verwaltung aufgelegt werden, von dem auch die griechische Wirtschaft profitieren wird.“
Das ist in Zusammenhang zu sehen mit dem Vorstoß des griechischen Premierministers Papandreou zur Teilprivatisierung der griechischen Finanzverwaltung (Abschnitt IV.5.3 dieser Verfassungsbeschwerden). Primärrechtlich knüpft es an Art. 2 von Protokoll 26 zu den Verträgen der EU an (Abschnitte VII.1 und VIII.4 dieser Verfassungsbeschwerden). Die Instrumentalisierung der EU-Fördermittel ist also nicht nur zur Durchsetzung der Auflagen aus dem Ungleichgewichtsverfahren, welche ebenfalls auf den Ausverkauf auch der hoheitlichen Tätigkeiten der Mitgliedsstaaten gerichtet ist (Abschnitt V.11 dieser Verfassungsbeschwerden), sondern auch schon daneben vorgesehen. Offenbar will die EU-Kommission vollendete Tatsachen schaffen, bevor die Beamten in den EU- Mitgliedsstaaten aufwachen.
Fortsetzung: https://sites.google.com/site/euradevormwald/02-esm/052-haushaltpolitik