025. Überhöhung der Strenge / Warum wird gegen Zustimmungsgesetze geklagt?

025. Überhöhung der Strenge / Warum wird gegen Zustimmungsgesetze geklagt?

III.4 Überhöhung der Strenge

Satz 2 des Art. 136 Abs. 3 AEUV würde die der IWF-Praxis entsprechende Strenge für alle Auflagen zu Finanzhilfen im Namen der Stabilität des Euro-Währungsgebiets als Ganzes im EU-Primärrecht verankern.

Die iwf-artige (der Praxis, nicht der Satzung des IWF entsprechende) Strenge ist nun enthalten in den Erwägungsgründen 2+3+6 sowie Art. 3 und Art. 12 des ESM-Vertrags (Abschnitt IV.6.2.5 dieser Verfassungsbeschwerden) und ebenso in den Erwägungsgründen 3+7 sowie Art. 6 Abs. 1+5 von EU-Verordnung 2011/385 (COD) (Abschnitt VI.2.1 dieser Verfassungsbeschwerden). Außer-dem wird in der Präambel der EFSF eine Strenge wie bei den Auflagen gegenüber Griechenland verlangt. Diese haben inzwischen in 2012, anders als noch im Mai 2010, auch längst eine iwf-artige Strenge erreicht, gut erkennbar an den vielen hungernden Griechen.

Dass eine IWF-artige Strenge gewollt ist für den europäischen Finanzierungsmechanismus und für die Instrumentalisierung der EU-Fördermittel, wird auch bewiesen durch die Stellungnahme des Ecofin-Rats vom 10.05.2010, Nr. 49 des Berichts der Task Force vom 21.10.2010 (Abschnitt III.14 dieser Verfassungsbeschwerden), sowie Nr. 17+24 der Stellungnahme zum Gipfel vom 26.10.2011 (Abschnitt III.23 dieser Verfassungsbeschwerden).

Wie in den Abschnitten V.1 und IV.6.2.5 dieser Verfassungsbeschwerden anhand von Erwägungsgrund 7 Fiskalpakt und Art. 36 ESM-Vertrag gezeigt, und wie sich auch aus Vorwort und Nachwort der Schlußfolgerungen zum Gipfel vom 09.12.2011 ergibt, ist die spätere Supranationalisierung von ESM und Fiskalpakt geplant; und auch Art. 136 Abs. 3 AEUV ist nur bzgl. Großbritannien aufgeschoben. Es droht also weiterhin eine Verpflichtung mit eu-primärrechtlichem Rang auf eine IWF-artige Strenge.

Einer solchen EU-primärrechtlichen Verpflichtung wäre nur durch die Grundrechte, grundrechtsgleichen Rechte, Strukturprinzipien und Staatsaufträge (Friedensgebot und europäische Integration) des Grundgesetzes Grenzen gesetzt.

Wie in Abschnitt VII.13 dieser Verfassungsbeschwerden genauer erläutert, würden auch die EU-Grundrechte dem Art. 136 Abs. 3 AEUV, einem supranationalisierten ESM und einem suprantionalisierten Fiskalpakt keine Grenzen setzen, sondern umgekehrt, weil nach Art. 52 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta die EU-Grundrechte unterhalb des gesamten EU-Primärrechts stehen. Hinzu kommt, dass die sozialen Grundrechte der EU-Grundrechtecharta auch noch alle unverbindliche Kann-Vorschriften sind (Art. 52 Abs. 5 + 6 EU-Grundrechtecharta, Erläuterungen des EU-Konvents zu Art. 52 Abs. 5 EU-Grundrechtecharta).

Den Auflagen selbst, wenn sie mit EU-sekundärrechtlichem Rang transportiert würden, würden auch der Rest des Grundgesetzes sowie die universellen Menschenrechte Grenzen setzen, wozu dies bzgl. der universellen Menschenrechte noch der Bestätigung des Bundesverfassungsgerichts bedürfte, da dieses Rangverhältnis im Lissabonurteil noch nicht explizit geklärt wurde. Siehe hierzu auch Abschnitte IV.4 und VII.1 dieser Verfassungsbeschwerden.

Das Wort „streng“ impliziert besonders tief in die Rechte der Einwohner des jeweiligen Staates der Eurozone eingreifende Auflagen. Auch verschuldete Staaten haben die Pflicht, die Menschenrechte ihrer Einwohner zu achten, zu schützen und zu gewährleisten, wobei zumindest schützen und gewährleisten Geld kostet, egal ob es um soziale oder bürgerliche Menschenrechte geht. Bereits bei strengen Auflagen zur Kürzung der Staatsausgaben der jeweils betroffenen Staaten der Eurozone kann es dem Staat verunmöglicht werden, seinen menschenrechtlichen Schutz- und Gewährleistungspflichten nachzukommen. Eine IWF-artige Strenge bedeutet, dass die Auflagen auch noch nicht einmal auf die Frage der Quantität der Ausgabenkürzungen beschränkt sind, noch nicht einmal, dass die Auflagen die Liquidität des betroffenen Staates fördern oder zur Senkung seiner Gesamt- oder Neuverschuldung beitragen müssten.

Die IWF-artige Strenge der Auflagen würde sich nicht einmal explizit beschränken auf die Strenge des Inhalts der Auflagen, sondern könnte auch interpretiert werden als eine Generalermächtigung zu jeglicher Art von Strenge, soweit dies mit Art. 4 EUV und den verfassungsmäßigen Strukturen bzw. Verfassungsidentitäten der Staaten der Eurozone gerade noch vereinbar wäre, zur Durchsetzung der Auflagen. Siehe hierzu auch Abschnitt XII.9 dieser Verfassungsbeschwerden.

Wie streng die Auflagen zumindest innerhalb des europäischen Finanzierungsmechanismus würden, zeigt die Involvierung des IWF in alle 3 Stufen von diesem. Die Mitarbeiter des IWF genießen nach dessen Satzung, also nach dem IWF-Primärrecht, straf- und haftungsrechtliche Immunität. Ob diese Immunität auch so weit reicht, wie sie ihre Kompetenzen überschreiten, braucht an dieser Stelle nicht geklärt zu werden. Sie hat jedenfalls maßgeblich zu einer Tradition des IWF beigetragen, bei seinen Auflagen auf keinerlei Menschenrechte der Einwohner der Schuldnerstaaten Rücksicht zu nehmen, weder auf die aus nationalen Verfassungen, noch auf die der Vereinten Nationen oder von regionalen Organisationen wie der EU oder der Afrikanischen Union – außer da, wo ihm Verfassungsgerichte Grenzen setzen, wie dies in Lettland und Rumänien zugunsten der Rentner geschehen ist. Und das, obwohl IWF- Recht vom Rang ganz normales Völkerrecht ist, also unter-halb aller nationalen Verfassungen, der UNO-Charta, der universellen Menschenrechte und des nicht auf die GASP bezogenen Teils des EU-Rechts steht.

Wie im Abschnitt IV.6.2 dieser Verfassungsbeschwerden zum Staateninsolvenzverfahren genauer erläutert wird, sollen im Staateninsolvenzverfahren auch noch die Auflagen für einen teilweisen Schuldenerlass gegenüber den Staaten durch die Versammlung von deren privaten Gläubigern erfolgen, und zwar mit einer Strenge, die in vollständiger Übereinstimmung mit der Praxis des IWF ist, in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht (incl. UNO-Charta, universellen Menschenrechten und IWF-Satzung) aber nur insoweit, wie das mit der Praxis, also mit dem tatsächlichen Verhalten des IWF, vereinbar ist. Die privaten Gläubiger sollen also im Staateninsolvenzverfahren IWF-artig strenge Auflagen machen, ohne jegliche Rücksicht auf das Völkerrecht, lediglich orientiert am tatsächlichen Verhalten des IWF, welches sich jederzeit willkürlich ändern kann. Das ist ein Sturmangriff auf das Menschenrechtssystem der Vereinten Nationen.

Zahlreiche Beispiele von schwersten Menschenrechtsverletzungen durch Auflagen aus der Praxis des IWF werden in Abschnitt IV.5 dieser Verfassungsbeschwerden dargelegt zum Nachweis, was IWF-artige Auflagen wirklich bedeuten. Zur Positionierung der eigenen Leute des IWF in Zentralbanken und politischen Spitzenpositionen siehe Abschnitt IV.11, zur Unterstützung von Großbanken durch den IWF auf Kosten der Staaten siehe Abschnitt XI.21 dieser Verfassungsbeschwerden.

Die Schlussfolgerungen der Wirtschafts- und Finanzminister im Ministerrat (Ecofin) vom 10.05. 2010 (Az. SN 2564/1/10) zeigen unmissverständlich, dass für den neuen Stabilisierungsmechanismus die Kreditauflagen von einer Strenge und Rücksichtslosigkeit sein sollen, wie es bei IWF-Auflagen üblich ist.

http://www.bundesregierung.de/Content/DE/__Anlagen/2010/20100510beschluesseeurolaenderfinanzminister,property=publicationFile.pdf

Die Schlussfolgerungen vom 10.05.2010 und Nr. 17 der Stellungnahme zum Euro-Gipfel vom 26.10.2011 (Abschnitt III.23 dieser Verfassungsbeschwerden) bezogen sich auf den europäischen Finanzierungsmechanismus.

Nr. 49 des Berichts der Task Force vom 21.10.2010 fordert für den ESM sogar sehr strenge Aufla-gen. Die Erklärung der Eurogruppe vom 28.11.2010 und Nr. 15 der Schlussfolgerungen zum Euro-Gipfel vom 09.12.2011 verlangen die Beteiligung des Privatsektors beim ESM wie entsprechend der Praxis des IWF, was bedeutet die Beinhaltung der Wiener Initiative, und dass auch die Auflagen der privaten Gläubiger im Rahmen des ESM IWF-artig streng sein müssten.

Würde für ESM, EFSF-Rahmenvertrag, Fiskalpakt und die an diese anknüpfenden EU-Verordnungen (Abschnitte V.3 – V.7 und VI.2 dieser Verfassungsbeschwerden) die Strenge der Auflagen unter den Vorbehalt der vom jeweiligen Staat ratifizierten universellen Menschenrechte gestellt, so wäre der Vorrang der universellen Menschenrechte gesichert, und wäre zugleich gesichert, dass die Kreditauflagen so streng sein könnten, wie das mit den universellen Menschenrechten und deren Unteilbarkeit vereinbar ist. Aber genau das wird hier nicht getan, sondern der Wunsch der europäischen Regierungschefs, den Euro zu stabilisieren, dazu benutzt, eine EU-primärrechtliche Grundlage zu schaffen zum Angriff auf den Vorrang der universellen Menschenrechte vor dem IWF-Recht und der IWF-Willkür.

III.5 Warum die Verfasssungsbeschwerden gegen diese Zustimmungsgesetze und nicht erst gegen die EU-Verordnungen, welche darauf aufbauen sollen, eingelegt wurden

Grundsätzlich ist die Verfassungsbeschwerde als Rechtsmittel gegen Rechtsakte innerhalb des deut-schen Rechts gegeben. Da Änderungen des Primärrechts der EU wie jeder anderen internationalen Organisation, welcher Deutschland angehört, auch eines Zustimmungsgesetzes bedürfen (Art. 59 Abs. 2 GG), ist formell-rechtlich tauglicher Angriffsgegenstand in dem Fall offensichtlich das Zustimmungsgesetz.

Auch im Falle des Lissabonvertrags, welcher in die Verträge der EU Blankett-Ermächtigungen (u. a. Art. 352 AEUV, Art. 48 Abs. 6 EUV) eingebaut hat, welche durch die Methode der Vorgabe der verfassungskonformen Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht wieder entschärft werden konnten, war das Zustimmungsgesetz der richtige Angriffsgegenstand, nicht erst die sekundärrechtlichen Regelungen, welche auf Grundlage der Blankett-Ermächtigungen sonst erlassen worden wären. Darum sind offensichtlich hier die Zustimmungsgesetze zum ESM, zu Art. 136 Abs. 3 AEUV und zum Fiskalpakt sowie das StabMechG formell-rechtlich zulässige Angriffsgegenstände.

Zum Vorgehen bei sekundärrechtlichen Vorschriften trotz fehlender primärrechtlicher Grundlage

siehe Abschnitt II.7 dieser Verfassungsbeschwerden.

Zur Frage rückwirkenden Völkerrechts siehe Abschnitt III.9 dieser Verfassungsbeschwerden.

Blankett-Ermächtigungen sind gleichermaßen wie ultra-vires-Verstösse Verletzungen von Demokratie (Art. 20 Abs. 1+2 GG), Rechtsstaatlichkeit (Art. 1 Abs. 2+3 GG, Art. 20 Abs. 2+3 GG) und grundrechtsgleichem Wahlrecht (Art. 38 GG). Bei Blankett-Ermächtigungen werden Kompetenzen vom Bundestag in nicht vorhersehbarem Ausmaß weggegeben. Bei ultra-vires-Verstössen hingegen nehmen sich internationale Organisationen einfach Zuständigkeiten, welche der Bundestag ihnen nie zugestanden hat. Bei beiden Situationen ist das Integrationsprogramm nicht hinreichend bestimmt, und verbleiben dem Bundestag nicht mehr genug eigene Kompetenzen. Man kann also absehbare Verfassungswidrigkeiten wegen ultra-vires nicht dadurch verhindern oder heilen, dass man stattdessen eine Blankett-Ermächtigung (wie z. B. Art. 136 Abs. 3 AEUV) ins Primärrecht einbaut.

Der größte Unterschied zwischen ultra-vires und Blankett-Ermächtigung ist, dass man bei ultra-vires entsprechend Abschnitt II.7 dieser Verfassungsbeschwerden vorgehen muss, und bei Blankett-Ermächtigungen gegen das Zustimmungsgesetz, welches dem Einbau der Blankett-Ermächtigung ins Primärrecht zustimmt.

So wie Deutschland nach dem Lissabon-Urteil ein souveräner Staat ist (Leitzsatz 1, Rn. 231), dessen Souverän weiterhin seine staatsangehörigen Bürger sind (S. 75 des Lissabon-Urteils; Art. 20 Abs. 2 GG), und daher die Grenzensetzung gegenüber dem internationalen Recht einschließlich des EU-Rechts unabdingbar ist, so darf diese Grenzensetzung auch nicht so weit gehen, die Autonomie internationaler Rechtsquellen, soweit es diese gibt, entleert wird (S. 73 der Entscheidungsgründe des Lissabon-Urteils). Die Organe der EU können auf Grund der Autonomie selbst ihr eigenes Sekundärrecht initiieren, haben aber keinerlei Befugnis, etwas an der Souveränität der Mitgliedsstaaten zu ändern.

Das Bundesverfassungsgericht kann EU-Verordnungen als solche nicht komplett kippen, sondern nur deren Anwendung für Deutschland untersagen sowie entsprechend Abschnitt III.10.5 dieser Verfassungsbeschwerden alle EU-Verordnungen für Deutschland zusätzlich einer Volksabstimmung unterwerfen.

Daraus kann sich indirekt eine Untersagung auch für die EU- / Eurostaaten ergeben, soweit für das Inkrafttreten der betreffenden Vorschriften die Zustimmung aller EU- / Eurostaaten erforderlich ist, wie z. B. bei allen Änderungen des EU- Primärrechts und bei allen Änderungen solcher Tragweite, dass sie, wenn überhaupt, nur primär-rechtlich begründet werden dürfen.

Die ultra-vires-Prüfung obliegt gem. Art. 100 Abs. 1 GG allein dem Bundesverfassungsgericht (Rn. 241 auf S. 79 des Lissabon-Urteils).

Die vom grundrechtsgleichen Wahlrecht (Art. 38 GG) gedeckte demokratische Ermächtigung im Rahmen der Bundestagswahl geht soweit, dass die Abgeordneten wirksam internationalen Verträgen zustimmen können, die sie zuvor zu lesen hinreichend Gelegenheit gehabt haben, soweit die Ermächtigungen in den jeweiligen Verträgen hinreichend begrenzt sind. Auch das autnomome Handeln der in diesen internationalen Verträgen normierten Organe internationaler Organisationen ist mit Wirkung für Deutschland formal zulässig, soweit es nicht, entsprechend Leitsatz 4 des Lissabonurteils darum geht, die Verfassungsidentität und die ultra-vires-Kontrolle zu wahren, und soweit es nicht darum geht (Art. 100 GG), den Vorrang anderen internationalen Rechts vor dem EU-Sekundärrecht für Deutschland zu wahren.

Fortsetzung: https://sites.google.com/site/euradevormwald/02-esm/026-ultravires