019. II.4.1.7 Haushaltsmäßige Überwachung sowie EU-Verordnung 2011/0276 (COD)

II.4.1.7 Haushaltsmäßige Überwachung sowie EU-Verordnung 2011/0276 (COD)

-Die hier in Abschnitt II.4.1.7 geltend gemachten Punkte sind auch dann entscheidungserheblich, wenn das Bundesverfassungsgericht die beiden Verordnungsentwürfe zur haushaltsmäßigen Überwachung bereits aus formalen Gründen untersagen sollte, weil man intergouvernementale Verträge, selbst soweit diese wirksam einen Raum der erweiterten Zusammenarbeit begründen würden, kein EU-Sekundärrecht stützen kann. Denn dann wäre damit zu rechnen, dass man stattdessen schnellst-möglich die gleichen Inhalte einfach in neue intergouvernementale Verträge packen würde oder nach wenigen EU-primärrechtlichen Änderungen erneut als EU-Verordnungen initiieren würde. Die Schaffung von Rechtsklarheit, ob und, wenn ja, was an haushaltsmäßiger Überwachung mit dem Grundgesetz überhaupt vereinbar ist, ist aber bereits jetzt erforderlich, auch im Sinne der Beklagten.

-Es ist entscheidungserheblich und rechtsfortbildend, ob die EU-Verordnung 2011/385 (COD) für Deutschland zusammen mit der Zustimmung zum Fiskalpakt, an dessen Art. 5 Abs. 2 sie anknüpft, (bzw. zusammen mit Art. 136 Abs. 3 AEUV), sowie die an Art. 136 Abs. 3 AEUV anknüpfende EU-Verordnung 2011/0276 (COD) als verfassungswidrig zu verwerfen sind, weil über Erwägungsgründe 3+7 sowie Art. 6 Abs. 1+5 EU-Verordnung 2011/385 (COD) bzw. über Art. 21 EU-Verordnung 2011/0276 (COD) die wichtigsten EU-Fördermittel für IWF-artig strenge Auflagen konditionalisiert würden, sowie über die Sanktionen zu Lasten der Fördermittel für die Länder bei Nichterfüllung von Auflagen aus dieser EU-Verordnung zur haushaltsmäßigen Überwachung ein in Art. 37 GG nicht vorgesehener de-facto Bundeszwang der EU-Kommission auf das Abstimmungsverhalten der Länder im Bundesrat und auf die Entscheidungen der Landesregierungen und Landtage aus-geübt würde, und das auch noch wesentlich tiefgreifender und sanktionsbewehrter als bei dem in Art. 37 GG zu Gunsten der deutschen Bundesebene normierten Bundeszwang. Und das auch noch zusätzlich zum Kontrollverlust der Bundesländer bzgl. des Verlustes jeglicher wirksamer Dienstaufsicht der Länder über Behörden und Gerichte (durch das Ungleichgewichtsverfahren und durch Art. 3 Abs. 2 Fiskalpakt). Beides ist eine offensichtlich drastische Machtverschiebung zu Gunsten der EU-Kommission bzw. zu Gunsten der privaten Behörden- und Gerichtsbetreiber und zu Lasten des Volkes, der Landesparlamente und der Landesregierungen. Und es ist entscheidungserheblich und rechtsfortbildend, ob und inwieweit die Schaffung dieser Zwangsmöglichkeiten vereinbar ist mit dem Föderalismus (Art. 20 Abs. 1 GG), mit der Demokratie (Art. 20 Abs. 1+2 GG), mit dem grundrechtsgleichen Wahlrecht (Art. 38 GG), mit der Rechtsstaatlichkeit (Art. 1 Abs. 2+3 GG, Art. 20 Abs. 2+3 GG), mit der Souveränität (Art. 20 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 UNO-Charta) und mit dem Staatsauftrag europäische Integration (Art. 23 GG). Siehe auch Abschnitt X.4 dieser Verfassungsbeschwerden.

-Es ist entscheidungserheblich und rechtsfortbildend, ob die Zustimmung zum Fiskalpakt zusammen mit der an dessen Art. 5 Abs. 2 (bzw. mit Art. 136 Abs. 3 AEUV) anknüpfenden EU-Verordnung 2011/385 (COD) wegen der Instrumentalisierung der EU-Fördermittel (Erwägungsgründe 3+7 und Art. 6 Abs. 1+5 der Verordnung) für die Durchsetzung der sanktionsbewehrten Empfehlungen aus Ungleichgewichts- und Defizitverfahren und für alle auf Art. 148 AEUV gestützten Empfehlungen deshalb zu untersagen ist, weil damit der soziale Charakter der EU-Fördermittel in sein Gegen-teil verkehrt würde, und ob dies mit dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), mit der Verpflichtung des Staatsauftrags europäische Integration (Art. 23 GG) auf ein soziales Europa sowie mit den in diesen Verfassungsbeschwerden geltend gemachten universellen Menschenrechten (Art. 9, Art. 11 und Art. 12 UNO-Sozialpakt, i. V. m. Art. 1 Abs- 1+2 GG, Art. 25 GG, Art. 38 GG) vereinbar ist. Einen derartigen Versuch zur Umkehrung des Sinns der EU-Fördermittel hat es noch nie gegeben, sodass das Bundesverfassungsgericht darüber auch noch nicht entschieden haben kann.

-Es ist entscheidungserheblich und rechtsfortbildend, ob EU-Verordnung 2011/385 (COD) als verfassungswidrig zu verwerfen ist, weil deren zentrale Inhalte (IWF-artige Strenge und Instrumentalisierung der wichtigsten EU-Fördermittel) nicht rechtsklar in Art. 6 der Verordnung aufgenommen wurden, sondern in die Erwägungsgründe 3+7, welche offensichtlich für die Vorgabe der Interpretation von Art. 6 der Verordnung gedacht sind. Und das, obwohl die WVRK, deren Art. 31 die Einbeziehung der Präambel in die Interpretation völkerrechtlicher Verträge verbindlich vorschreibt, nur für völkerrechtliche Verträge, nicht aber für das Sekundärrecht völkerrechtlicher Organisationen gilt. Selbst wenn man stattdessen eine Analogie bilden wollte dergestalt, dass eine solche Auslegungsregel auch für die Interpretation von Verfassungen und von einfachen Gesetzen gleichermaßen üblich wäre, warum also nicht auch für das Sekundärrecht völkerrechtlicher Organisationen, so wäre dem entgegenzuhalten die hohe Bedeutung des Vertrauensschutzes im völkerrechtlichen Raum, und dass hier ausgerechnet die beiden wichtigsten Punkte in die Erwägungsgründe 3+7 ausgelagert wurden.

Hinzu kommt, dass die Präambeln völkerrechtlicher Verträge überall zusammen mit den Artikeln des Vertrags veröffentlicht werden, während die Erwägungsgründe zur Initiierung von Sekundär- recht in den amtlichen Veröffentlichungen, insbesondere auch bei Verkündung des betreffenden Sekundärrechts nicht mit veröffentlicht werden, was in erheblichem Maße dazu angetan ist, die Öffentlichkeit und die Parlamente über den rechtlichen Gehalt des betreffenden Sekundärrechts zu täuschen.

Es ist entscheidungserheblich und rechtsfortbildend, ob und inwieweit die Inhalte von EU-Sekun-därrecht in die Erwägungsgründe von deren Schaffung verlagert werden dürfen, und ob die EU-Verordnung 2011/385 (COD) auf Grund dieser Verlagerung im Rahmen der Entscheidung über die vorliegende Verfassungsbeschwerde gegen den Fiskalpakt mit zu verwerfen ist wegen Verstoßes gegen die Demokratie (Art. 20 Abs. 1+2 GG), das grundrechtsgleiche Wahlrecht (Art. 38 GG), die Rechtsstaatlichkeit (Art. 1 Abs. 2+3 GG, Art. 20 Abs. 2+3 GG), Informationsfreiheit (Art. 5 GG), Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) und den Staatsauftrag europäische Integration (Art. 23 GG).

-Es ist entscheidungserheblich und rechtsfortbildend, ob EU-Verordnung 2011/385 (COD) und mit ihr die Zustimmung zum Fiskalpakt, an dessen Art. 5 Abs. 2 (und an Art. 136 Abs. 3 AEUV) sie anknüpft, zu untersagen sind, weil die Kommission über Art. 6 der Verordnung den Staaten der Eurozone, welche sich Geld woanders als bei Banken und beim europäischen Finanzierungsmechanismus zu leihen, zusätzlich IWF-artig strenge Auflagen dazu packen darf, welche bei Aushandlung der jeweiligen Darlehen nicht vereinbart worden sind. Das ist besonders gravierend, da genau diese EU-Verordnung dafür sorgen würde, dass die Staaten der Eurozone sich nirgendwo außer bei Banken mehr Geld leihen könnten, ohne dafür iwf-artig strenge Auflagen zu bekommen. Diese Frage ist entscheidend vor allem im Hinblick auf die zur Rechtsstaatlichkeit (Art. 1 Abs. 2+3 GG, Art. 20 Abs. 2+3 GG) gehörende Rechtssicherheit, aber auch bzgl. Demokratie (Art. 20 Abs. 1+2 GG), grundrechtsgleichem Wahlrecht (Art. 38 GG), die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und Staatsauftrag europäische Integration (Art. 23 GG).

-Empfehlungen gem. Art. 148 AEUV zur Arbeitsmarktpolitik sind im EU-Primärrecht gem. Art. 288 AEUV als unverbindliche sekundärrechtliche Instrumente vorgesehen. Über Erwägungsgründe 3+7 und Art. 6 Abs. 1+5 von EU-Verordnung 2011/385 (COD) ist aber nun deren Verbindlichmachung vorgesehen, indem man sie in IWF-artig streng verschärften Auflagen aufgreift. Das ist offenbar als zusätzliches Instrument zur Durchsetzung des zu Europa 2020 gehörenden Konzepts „Flexicurity“ zum Aufbrechen vor allem des Kündigungsschutzes und der Flächentarifverträge gedacht (Abschnitte III.15 und V.16 dieser Verfassungsbeschwerden) – für den Fall, dass diese nicht bereits über den Euro-Plus-Pakt, die Empfehlungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und den europäischen Finanzierungsmechanismus den Staaten der Eurozone auferlegt werden. Und die (auch noch iwf-artig streng verschärfte) Verbindlichmachung im EU-Primärrecht lediglich als unverbindlich normierter Empfehlungen zur Arbeitsmarktpolitik ist vorgesehen ausgerechnet im Rahmen einer EU-Verordnung, welche selbst völlig rechtswidrig an einen intergouvernementalen Vertrag (Art. 5 Abs. 2 Fiskalpakt) (sowie an Art. 136 Abs. 3 AEUV) anknüpft. Es ist entscheidungserheblich und rechtsfortbildend, ob die Zustimmung zum Fiskalpakt (bzw. zu Art. 136 Abs. 3 AEUV) und EU-Verordnung 2011/385 (COD) wegen Verstoßes gegen die Demokratie (Art. 20 Abs. 1+2 GG), das grundrechtsgleiche Wahlrecht (Art. 38 GG), die Rechtsstaatlichkeit (Art. 1 Abs. 2+3 GG, Art. 20 Abs. 2+3 GG, hier insbesondere bzgl. Gewaltenverschränkung, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit), die Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) und Staatsauftrag europäische Integration (Art. 23 GG) zu untersagen sind.

-Es ist entscheidungserheblich und rechtsfortbildend, ob durch Art. 5 EU-Verordnung 2011/385 (COD) die Regelungen des EFSF-Rahmenvertrags ergänzt werden dürfen um die Verpflichtung auf eine rigorose Schuldentragfähigkeitsanalyse, welche im EFSF-Rahmenvertrag nicht vorgesehen ist, bei Antragstellung auf Finanzhilfen der EFSF. Solch ein Übergreifen von EU-Verordnungen in den intergouvernementalen Raum hat es noch nie gegeben, sodass es auch noch kein Urteil des Bundes-verfassungsgerichts dazu geben kann. Insbesondere ist entscheidungsbedürftig, ob die Intransparenz

mit der Rechtsstaatlichkeit (Art. 1 Abs. 2+3 GG, Art. 20 Abs. 2+3 GG) vereinbar ist, und ob das Übergreifen von EU-Verordnung 2011/385 (COD) in die EFSF eine gegen Demokratie (Art. 20 Abs. 1 GG) und grundrechtsgleiches Wahlrecht (Art. 38 GG) verstoßende Umgehung der nationalen Parlamente ist.

-Es ist entscheidungserheblich und rechtsfortbildend, ob die Möglichkeit von Art. 21 Abs. 8 der EU-Verordnung 2011/0276 (COD), die Kürzungen oder Streichungen gem. Art. 21 Abs. 6 dieser EU-Verordnung bzgl. der EU-Fördermittel wegen Nichterfüllung von Empfehlungen bzw. Auflagen aus Stabilitäts- und Wachstumspakt, Ungleichgewichtsverfahren und ESM auch dann bestehen zu lassen, wenn diese Konditionen doch noch erfüllt werden, mit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG), der Rechtsstaatlichkeit (Art. 1 Abs. 2+3 GG, Art. 20 Abs. 2+3 GG) und dem grundrechtsgleichen Wahlrecht (Art. 38 GG) vereinbar ist. Dies ist insbesondere deshalb entscheidungserheblich, weil durch die beliebige Möglichkeit zum Fortbestehenlassen die Kommission faktisch die Möglichkeit hätte, für beliebige Zwecke ohne jegliche Rechtsgrundlagen weitere Auflagen im Sinne ihrer eigenen Interessen zu machen.

-Erstmals will Art. 5 Abs. 6 von EU-Verordnung 2011/0386 (COD) der EU-Kommission das Recht geben, beliebig viele Punkte direkt in den Haushaltsentwürfen der Mitgliedsstaaten zu ändern, sowie Art. 5 Abs. 5 das Recht, innerhalb von 2 Wochen ganze Haushaltsentwürfe umgehen zu lassen und neue anzufordern. Das ist weitaus mehr, als das gegenüber Vasallen übliche. Selbst Besatzungsmächte sind, wie das Beispiel Deutschlands in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zeigt, oft weitaus zurückhaltender bzgl. ihrer Eingriffe in den Haushalt. Das Haushaltsrecht ist eine der Kernaufgaben des Parlaments in Deutschland und ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 07.09.2011 im Pilotverfahren im grundrechtsgleichen Wahlrecht (Art. 38 GG) enthalten. Es ist entscheidungserheblich und rechtsfortbildend, ob durch die in dieser EU-Verordnung enthaltenen Eingriffsmöglichkeiten in die Haushaltsautonomie diese so weit leer liefe (vgl. Rn. 135 des Urteils vom 07.09.2011), dass deshalb die Zustimmung zum Fiskalpakt und EU-Verordnung 2011/0386 (COD) für Deutschland zu untersagen sind, bzw. ob diese Untersagung bereits auf Grund der direkten Eingriffsmöglichkeit des Art. 5 Abs. 6 der Verordnung unabhängig von möglichem Umfang und möglicher Tiefe des Eingriffs geboten ist wegen Verstoßes gegen das grundrechtsgleiche Wahlrecht (Art. 38 GG), die Demokratie (Art. 20 Abs. 1+2 GG) und die europäische Integration (Art. 23 GG).

-Das Rechtsinstrument der Meinung ist im EU-Primärrecht ausschließlich als ein unverbindliches vorgesehen, was auch erforderlich ist, da die Kommission sich ganz allein dieses Instruments bedienen kann, ganz ohne Zustimmung des Ministerrats oder des Europaparlaments. Art. 6 i. V. m. Art. 9 von EU-Verordnung 2011/0386 (COD) würde es nun aber in der Form verbindlich machen, dass die Staaten, welche beliebigen Meinungen der Kommission in Bezug auf ihre Haushaltsentwürfe nicht gehorchen würden, dadurch Nachteile aufgebürdet bekämen im Rahmen des Defizit- verfahrens des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Anders als bei der Empfehlung in Art. 126 AEUV findet sich keine einzige Stelle im EU-Primärrecht, welche die Verbindlichmachung einer Meinung erlauben würde. Und die Verbindlichmachung der Meinung der Kommission ist vorgesehen ausgerechnet im Rahmen einer EU-Verordnung, welche selbst völlig rechtswidrig an einen intergouvernementalen Vertrag (Art. 5 Abs. 2 Fiskalpakt) (bzw. an die Blankett-Ermächtigung des Art. 136 Abs. 3 AEUV) anknüpft. Es ist entscheidungserheblich und rechtsfortbildend, ob die Zustimmung zum Fiskalpakt und EU-Verordnung 2011/0386 (COD) wegen Verstoßes gegen gegen die Demokratie (Art. 20 Abs. 1+2 GG), das grundrechtsgleiche Wahlrecht (Art. 38 GG), die Rechtsstaatlichkeit (Art. 1 Abs. 2+3 GG, Art. 20 Abs. 2+3 GG, hier insbesondere bzgl. Gewaltenverschränkung, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit), die Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) und Staatsauftrag europäische Integration (Art. 23 GG) zu untersagen sind.

Fortsetzung: https://sites.google.com/site/euradevormwald/02-esm/020-zusammenarbeit