068. IX.13 Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG i. V. m. Art. 38 GG)

IX.13 Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG i. V. m. Art. 38 GG)

Art. 19 Abs. 4 GG normiert das Grundrecht auf Rechtsweggarantie für jeden, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt ist. Dieses formell-rechtliche Grundrecht gilt, mangels expliziter Einschränkungen innerhalb des Art. 19 Abs. 4 GG, für alle Rechtsansprüche, für die Grundrechte des Grundgesetzes ebenso wie für Rechte aus internationalen Verträgen, darunter vor allem der Menschenrechte der UNO, und ebenso aus einfachen Gesetzen.

Wie in Abschnitt VII.11 dieser Verfassungsbeschwerden dargelegt, besteht der Justizgewährungsanspruch aus Art. 19 Abs. 4 GG grundsätzlich vor den deutschen Gerichten. Nur insoweit, wie eine Sonderzuständigkeit internationaler Gerichte gegeben ist, ist diese maßgeblich. Der EGMR des Europarats entscheidet letztverbindlich über die EMRK, der EUGH über das EU-Recht und der IGH über Rechtsstreitigkeiten zwischen Staaten (meistens bzgl. Territorium, Unabhängigkeit oder Bodenschätzen, kaum bzgl. Menschenrechten). Damit bleibt für den größten Teil des Völkerrechts incl. der universellen Menschenrechte in Deutschland allein der Rechtsweg vor den deutschen Gerichten und, soweit es um die Frage geht, inwieweit die Zustimmung zu anderen internationalen Vereinbarungen mit den universellen Menschenrechten vereinbar ist, direkt der Weg zum Bundesverfassungsgericht.

Nach Rn. 368 des Lissabonurteils wurzelt die Rechtsweggarantie im Rechtsstaatsprinzip und ist auch vom Unionsrecht anerkannt. Dadurch, dass die Rechtsstaatlichkeit als Strukturprinzip unantastbar ist (Rn. 216+217 des Lissabonurteils), steht auch der Wesensgehalt dieses Grundrechts damit unter besonderem Schutz. Der Grund dafür, dass auch das EU-Recht das Grundrecht auf Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) respektiert und respektierieren muss, liegt nach Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin in Art. 4 EUV, wonach die EU (als Muss-Vorschrift) die grundlegenden verfassungsrechtlichen Strukturen der Mitgliedsstaaten zu respektierieren hat.

Nach S. 9 des Wernicke-Kommentars (Stand 12/1982) unterstreicht Klein die Bedeutung von Art. 19 Abs. 4 GG, indem er dieses als „formelles Hauptgrundrecht“ bezeichnet, im Vergleich zu Art. 1 Abs. 3 GG als „materiellem Hauptgrundrecht“. Ebenfalls auf S. 9 bezeichnet Wernicke die Vorschrift des Art. 19 Abs. 4 GG wegen „ihrer konsequenten Durchbildung des Rechtsstaatsgedankens“ als „gewaltigen Fortschritt“, als „Königin unter den Vorschriften“ des Grundgesetzes.

Zugleich kritisiert Wernicke den Einbau der Rechtsweggarantie ganz am Ende des Grundrechtsteils des Grundgesetzes, dieser Ort werde der Bedeutung dieses Grundrechts nicht gerecht:

„Dieser Einbau ist sogar irreführend, da er zu der falschen Auffassung führen könnte, die Anwendbarkeit der Bestimmung auf den Grundrechtsabschnitt zu beschränken.“

Art. 19 Abs. 4 GG schützt also bei weitem nicht nur die Grundrechte. Wenngleich der Wernicke- Kommentar zu diesem Grundgesetzartikel nicht weiter darauf eingeht, was noch durch Art. 19 Abs. 4 GG geschützt ist, so sind dies nach Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin vor allem die grundrechtsgleichen Rechte (Art. 93 Nr. 4a GG) und die universellen Menschenrechte (Art. 1 Abs. 2 GG, siehe hierzu vor allem auch Abschnitte VII.8, VII.9, VII.11, VII.12 und VII.14 dieser Verfassungsbeschwerden).

Art. 19 Abs. 4 GG will einen weitestgehend „lückenlosen Rechtsschutz“ (S. 16 Wernicke-Kommentar) bzgl. der Frage, vor welchen hoheitlichen Akten Art. 19 Abs. 4 GG gerichtlichen Schutz garantiert. Zur Frage, ob und inwieweit Art. 19 Abs. 4 GG einen Rest jurisdiktionsfreier Räume („justiz- lose Hoheitsakte“) zulasse, sagt Wernicke (S. 17):

„Aber auch bei diesem Problem sollte – aus denselben Gründen wie zuvor – die Justiziabilität grundsätzlich bejaht werden und jede behauptete Ausnahme – gleichviel, ob sie aus der Art und Stellung des im Einzelfall in Erscheinung tretenden Gewaltträgers oder aus der Natur des obrigkeitlichen Aktes usw. hergeleitet wird – besonders sorgfältig und engherzig geprüft werden. Durchlöcherungen des fortschrittlichen Rechtsschutzes gemäß Art. 19 IV könnten sich zudem u. U. wieder als Wegbereiter neuer Staatstyrannis erweisen.“

Die sozialen universellen Menschenrechte, und darunter hier vor allem die in Abschnitt IX.9 bis IX.11 dieser Verfassungsbeschwerden besonders zitierten Rechte auf soziale Sicherheit, auf Nahrung und auf Gesundheit haben einen deutlich größeren Schutzumfang im Vergleich zu dem, was Menschenwürde und Sozialstaatlichkeit allein für Deutschland bieten (siehe hierzu vor allem auch Abschnitte VII.7 und X.3 dieser Verfassungsbeschwerden). Der materielle Schutzumfang der sozialen Menschenrechte ist hier von besonderer Bedeutung angesichts der IWF-typischen Strenge im Sinne der völligen Ignorierung aller Grund- und Menschenrechte der Einwohner der Schuldnerländer (Art. 136 Abs. 3 S. 2 AEUV, Präambel EFSF-Rahmenvertrag, Schlussfolgerungen des Ecofin-Rats vom 10.05.2010, Nr. 49 des Berichts der Task Force vom 21.10.2010 (Abschnitt III.14 dieser Verfassungsbeschwerden), Erklärung der Eurogruppe vom 28.11.2010 und Nr. 17 der Stellungnahme zum Euro-Gipfel vom 26.10.2011 (Abschnitt III.23 dieser Verfassungsbeschwerden)) bzgl. aller an Erwägungsgründe 2+3+6, Art. 3 und Art. 12 ESM-Vertrag, Erwägungsgründe 3+7 und Art. 6 Abs. 1+5 von EU-Verordnung 2011/385 (COD) anknüpfender Auflagen (also vor allem beim gesamten europäischen Finanzierungsmechanismus und bei allen Konditionalisierungen der EU-Fördermittel incl. Agrarsubventionen und Subventionen für die Regionen). Und Art. 136 Abs. 3 S. 2 AEUV würde auch noch mit EU-primärrechtlichem Rang auf eine solche Strenge verpflichten.

Wie im Abschnitt VII.8 an einem Rechtsvergleich mit Lateinamerika gezeigt wird, folgt aus Art. 1 Abs. 2 GG die unmittelbare Anwendbarkeit der universellen Menschenrechte in Deutschland incl. deren Einklagbarkeit vor den nationalen Gerichten. In Abschnitt VII.9 wird bewiesen, dass insbesondere auch der Parlamentarische Rat und, wie die Byrnes-Rede zeigt, zumindest die amerikanischen Befreier die Bindung Deutschlands an die universellen Menschenrechte gewollt haben. Sonst wäre Art. 1 Abs. 2 GG nicht bewusst innerhalb der Verfassungsidentität einer Entwurfsfassung des ersten Absatzes der Präambel der AEMR entlehnt worden. Da die Unveräußerlichkeit der Menschenrechte „in der Welt“ Teil der unantastbaren (Rn. 216+217 des Lissabonurteils) Rechtsstaatlichkeit ist, ist auch deren Unveräußerlichkeit als solche unantastbar (Abschnitt VII.12 dieser Verfassungsbeschwerden). Würde man aus der Rechtsstaatlichkeit diese Unantastbarkeit der Unveräußerlichkeit auch der universellen Menschenrechte entfernen, dann wäre das genauso ein Verstoß gegen die Unantastbarkeit der Rechtsstaatlichkeit wie es ein Verstoß gegen die Unantastbarkeit der Demokratie wäre, würde man davon die Anwendung der Wahlen, der Abstimmungen, der Legislative, der Exekutive oder der Judikative verweigern. Und wie schließlich Abschnitt VII.11 dieser Verfassungsbeschwerden beweist, sind in Deutschland die Gerichte auf der nationalen Ebene für die Anwendung der universellen Menschenrechte verantwortlich, da Deutschland und nicht etwa die EU oder der Europarat, direkt auf die universellen Menschenrechte verpflichtet ist. Dem muss Deutschland und muss die deutsche Justiz auch formell-rechtlich gerecht werden.

Die Nichtanwendung gerade der sozialen universellen Menschenrechte, gerade jetzt, wo EFSF-Rahmenvertrag, ESM, Art. 136 Abs. 3 AEUV und Fiskalpakt den Weg frei brechen wollen zum Ausverkauf alles Sozialen, wäre mit dem nach Rn. 216 + 217 + 368 des Lissabonurteils in der unantastbaren Rechtsstaatlichkeit wurzelnden Grundrecht auf Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) unvereinbar.

Der allgemeine Kommentar Nr. 14 zum Menschenrecht auf Gesundheit (Art. 12 UNO-Sozialpakt) stellt darüber hinaus unmissverständlich klar, dass bereits bei der Aushandlung internationaler Verträge auch die universellen Menschenrechte zwingend mit zu beachten sind. Das nicht nur bei der Aushandlung zu ignorieren, sondern auch noch mit Art. 136 Abs. 3 S. 2 AEUV, Erwägungsgründe 2+3+6, Art. 3 und Art. 12 ESM-Vertrag, Erwägungsgründe 3+7 und Art. 6 Abs. 1+5 von EU-Verordnung 2011/385 (COD) Vorschriften zu initiieren, welche deren Bruch über die Verpflichtung auf die IWF-Artigkeit vorschreiben, ist eine besonders drastische Verletzung der universellen Menschenrechte (i. V. m. Art. 1 Abs. 1+2 GG, Art. 25 GG, Art. 38 GG).

Auch die Transportierung von IWF-Auflagen oder von IWF-typischen Auflagen mittels EU-sekundärrechtlichen Mechanismen ist unvereinbar mit dem Grundrecht auf Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG), weil dadurch der Vorrang der universellen Menschenrechte vor dem IWF-Recht und damit die Möglichkeit, mittels der universellen Menschenrechte der Umsetzung des IWF-Rechts bzw. der IWF-Auflagen bzw. der iwf-typischen Auflagen Grenzen zu setzen, ausgehebelt wird.

Heute hat die Satzung des IWF den Rang eines normalen internationalen Vertrags, zwar oberhalb der einfachen Gesetze (Art. 27 WVRK), aber unterhalb jeder nationalen Verfassung und unterhalb der Teile des internationalen Rechts, welche einen besonderen Ranganspruch haben.

Damit steht das IWF-Recht unterhalb der UNO-Charta (Art. 103 UNO-Charta), der universellen Menschenrechte der UNO sowie der mit diesen gleichrangigen Genfer und Haager Konventionen des hu-manitären Kriegsvölkerrechts (Art. 1 Nr. 3 UNO-Charta, Art. 28 AEMR, Rn. 279-282 des Urteils zu T-306/01 und das dort zitierte IGH-Gutachten vom 08.07.1996). Außerdem steht das IWF-Recht unterhalb zumindest des Teils des EU-Primärrechts und des EU-Sekundärrechts, welcher nicht auf die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik bezogen ist (Art. 51 EUV, Erklärung Nr. 17 zum Lissabon-Vertrag, Art. 1 EUV sowie Rn. 240 und 390 des Lissabon-Urteils).

Zum Vermeidung von Wiederholungen siehe Abschnitt IV.4.1 dieser Verfassungsbeschwerden.

Die Transportierung von IWF-Kreditauflagen mit EU-sekundärrechtlichem Rang würde jedoch mit dem Rang solchen Rechts kollidieren, welches heute klar oberhalb des IWF-Rechts steht, das aber unterhalb des EU-Sekundärrechts steht, oder dessen genaues Rangverhältnis zum EU-Sekundärrecht noch ungeklärt ist.

Davon sind hier insbesondere die universellen Menschenrechte der Vereinten Nationen und die UNO-Charta betroffen, da das Lissabonurteil das Rangverhältnis zwischen universellen Menschenrechten und EU-Sekundärrecht noch nicht explizit geklärt hat, wenngleich die Erwähnung der sozialen universellen Menschenrechte, für welche selbst bei Umsetzung des EU-Rechts nach Leitsatz 3 des Lissabonurteils noch genug Raum bleiben muss, entscheidend für den Vorrang der universellen Menschenrechte vor dem EU-Sekundärrecht spricht (Abschnitte VII.1 und VII.6 dieser Verfassungsbeschwerden).

Die Positionierung von IWF-Kreditauflagen oberhalb der universellen Menschenrechte käme einer Herabstufung dieser Rechte und damit einer nach Art. 1 Abs. 2 GG verbotenen Veräußerung von Menschenrechten, hier hinsichtlich ihres Ranges, gleich – und damit auch der Aushebelung des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG bzgl. der Einklagung der Schutzwirkung der sozialen universellen Menschenrechte gegenüber den IWF-Auflagen und IWF-typischen Auflagen.

Zur Verhinderung der Überhöhung von IWF-Kreditauflagen bzw. IWF-typischen Kreditauflagen und damit zur Verhinderung der Aushebelung der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) in Bezug auf die universellen Menschenrechte sind folgende Entscheidungen erforderlich:

-- ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, welches das StabMechG sowie die gesamte Zustimmung zu ESM, Art. 136 Abs. 3 AEUV und Fiskalpakt untersagt.

-- die Feststellung in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass Kreditauflagen des IWF (bzw. der Troika) und IWF-typische Auflagen nicht mit dem Rang des EU-Sekundärrechts transportiert werden dürfen

-- die Feststellung in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass die universellen Menschenrechte der Vereinten Nationen vorrangig vor dem EU-Sekundärrecht sind

-- die Untersagung der Zustimmung zum ESM-Vertrag, weil dieser IWF-artig strenge Auflagen mit EU-sekundärrechtlichem Rang und die Jurisdiktion darüber auch noch allein beim EUGH will

Wie in Abschnitt III.6.4 dieser Verfassungsbeschwerden ausführlicher dargestellt, hat der EUGH spätestens seit Inkrafttreten des Lissabonvertrags wegen Erklärung 1 zu den Verträgen der EU i. V. m. Art. 51 EUV keinerlei Möglichkeit mehr, aus den mitgliedsstaatlichen Verfassungen Grundrechte auf die EU-Ebene zu schöpfen, weil er nun stattdessen die EU-Grundrechtecharta hat. Und dass die EU-Gerichte über das Recht der Vereinten Nationen nur insoweit urteilen dürfen, wie die EU-Mitgliedsstaaten gemeinsam über EU-rechtliche Mechanismen ihre Verpflichtungen gegenüber den Vereinten Nationen erfüllen, aber keinen Schritt weiter, haben die Urteile des EU-Gerichts 1. Instanz zu T-306/01 und des EUGH zu C-402/05 unmissverständlich klar gestellt. Dass Art. 37 ESM-Vertrag gleichwohl dem EUGH und in keiner Weise den nationalen Verfassungsgerichten die gerichtliche Zuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten zwischen ESM-Mitgliedern oder zwischen diesen und dem ESM über die Anwendung und Auslegung des ESM-Vertrags zuordnen will, würde für diese Streitigkeiten zu Entscheidungen des EUGH führen, welche die Grundrechte aus den mitgliedsstaatlichen Verfassungen und die universellen Menschenrechte in keiner Weise berücksichtigen könnten. Das wäre insoweit eine Veräußerung dieser Rechte auf formellem Wege. Allein deshalb kann die Zustimmung zum ESM nur in vollem Umfang untersagt werden. Das gilt umso mehr, da die Organleihe des EUGH für den ESM bei einer wirksam begründeten erweiterten Zusammenarbeit rechtmäßig wäre, was aber nicht erfolgt ist (Art. 20 EUV, Art. 329 AEUV, Abschnitt III.20 dieser Verfassungsbeschwerden).

Blankett-Ermächtigungen verletzen das Grundrecht auf Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG). Bei Änderungen des Primärrechts internationaler Organisationen ist die Verfassungsbeschwerde gegeben gegen die für das Inkrafttreten der betreffenden Änderungen erforderlichen Zustimmungsgesetze. Wenn internationale Organisationen die ihnen in ihrem Primärrecht eingeräumten Befugnisse überschreiten, sich also ultra-vires-mäßig Kompetenzen anmaßen, ist wie in Abschnitt II.7 dieser Verfassungsbeschwerden dargestellt, die Verfassungsbeschwerde bzgl. der ultra-vires-Akte formal gegeben gegen deren Folge-Rechtsakte im deutschen Rechtsraum und gegen die Zustimmungsgesetze, mit denen die primärrechtlichen Grundlagen für die bisherigen ultra-vires-Akte nachgeschoben werden.

Blankett-Ermächtigungen jedoch versuchen, die Möglichkeit der Überprüfung vor dem Bundesverfassungsgericht ganz zu umgehen, indem sie es der Organisation ermöglichen, sich auf der Ebene ihres Sekundärrechts in zum Zeitpunkt des Einbaus der Blankett-Ermächtigung ins Primärrecht nicht absehbarem Ausmaß ohne neues Zustimmungsgesetz und zugleich ohne ultra-vires-Verstoß selbst neue Kompetenzen zu schaffen. Siehe hierzu auch Abschnitt III.5 dieser Verfassungsbeschwerden. Daher ist für die Beurteilung einer Blankett-Ermächtigung auch eine Prognose erforderlich, wofür man die Blankett-Ermächtigung zu nutzen beabsichtigt. Die Flexibilitätsklausel (Art. 352 AEUV) und weitere Blankett-Ermächtigungsklauseln, welche der Lissabonvertrag ins EU-Primärrecht eingebaut hat, konnten für Deutschland im Lissabonurteil noch dadurch im Wege der verfassungskonformen Interpretation vom Bundesverfassungsgericht eingefangen werden, dass jede Anwendung der vom Lissabonurteil eingebauten Blankett-Ermächtigungen jeweils wiederum einer Ratifizierung in Deutschland bedarf – gegen welche dann auch wieder die Verfassungsbeschwerde als Rechtsmittel gegeben ist (siehe Abschnitt III.2 dieser Verfassungsbeschwerden). So konnte im Wege der verfassungskonformen Interpretation das Grundrecht auf Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) gewahrt werden.

Die drastischste Blankettermächtigung ist Art. 136 Abs. 3 AEUV, womit beliebig viele EU-sekundärrechtliche (z. B. EU-Verordnungen zur Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und zur Einführung des Ungleichgewichtsverfahrens und der haushaltsmäßigen Überwachung) und (vorbei an den Grenzen von Art. 20 EUV und Art. 329 AEUV) intergouvernementale Mechanismen unter Einbindung von Organen der EU ermächtigen würde (Abschnitt III.1.1 dieser Verfassungsbeschwerden). Und alle diese Mechanismen wären in erster Linie auf die „Finanzstabilität“ verpflichtet (Stärkung der Großbanken).

Ultra-vires ist vor allem die Initiierung des Art. 136 Abs. 3 AEUV über das vereinfachte Änderungsverfahren (Art. 48 Abs. 6 EUV), welches nur für die Initiierung solcher Vorschriften zulässig ist, welche die Kompetenzen der EU in keiner Weise ausdehnen. Die Initiierung ausgerechnet einer extrem weiten Blankett-Ermächtigung ist das Gegenteil dessen, wofür Art. 48 Abs. 6 EUV zugelassen ist. Und das nach dem Spiegel-Artikel „Euro-Rettungsschirm soll halbe Billion Euro verwalten“ vom 12.02.2011 ( Abschnitt X.5 dieser Verfassungsbeschwerden) mutmaßlich auch noch, um anderen EU- Mitgliedsstaaten zu helfen, ihre Einwohner über deren Recht auf eine Volksabstimmung über die Vertragsänderung zu täuschen. Ein ultra-vires – Verstoß ist immer ein Verstoß gegen die Rechtsweggarantie, weil damit ein vom Bundesverfassungsgericht (und zuvor, damit es gar nicht erst so weit kommen muss, von Bundestag und Bundesrat) überprüfbares Zustimmungsgesetz umgangen wird.

Ultra-vires ist auch, dass man nun zusätzlich EU-Sekundärrecht, namentlich die Sanktionierbarkeit

von Ungleichgewichtsverfahren (Art. 9 Fiskalpakt) und haushaltsmäßiger Überwachung (Art. 5 Abs. 2 Fiskalpakt) sowie die Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes (Art. 3, Art. 4, Art. 5 Abs. 1 und Art. 7 Fiskalpakt), auf den Fiskalpakt stützen will, obwohl man EU-Sekundär-recht nur auf EU-primärrechtliche Ermächtigungen stützen kann und nicht auf außerhalb des EU-rechtlichen Raums befindliche intergouvernementale Verträge (Abschnitte III. 20 und V.1 dieser Verfassungsbeschwerden).

Unvereinbar mit der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) ist auch die Organleihe bei ESM, EFSF und Fiskalpakt ohne wirksame Begründung einer erweiterten Zusammenarbeit (Art. 20 EUV, Art. 329 AEUV, Abschnitt III.20 dieser Verfassungsbeschwerden). Denn die demokratisch legitimierten Bundestagsabgeordneten haben im Rahmen der Zustimmung zu Änderungen des EU-Primärrechts das Ausleihen von Organen der EU nach außerhalb des EU-rechtlichen Raums nur für den Raum der erweiterten Zusammenarbeit eingewilligt. Und sie haben dadurch, dass sie dem Art. 329 AEUV, so wie er heute existiert, zugestimmt haben, zugleich auch eingewilligt, dass das nicht durch einfache intergouvernementale Verträge unterlaufen werden darf, auch nicht für den Fall, dass die demokratisch legitimierten Abgeordneten dem im Rahmen von Zustimmungsgesetzen solcher intergouvernementaler Verträge zustimmen würden, sondern dass eine Änderung von Art. 329 AEUV nur in der für das EU-Primärrecht vorgesehenen Form geschehen darf. Die Umgehungen der EU-rechtlichen Vorschriften zur erweiterten Zusammenarbeit bergen die Gefahr, und das könnte auch so beabsichtigt sein, die Öffentlichkeit den Überblick verlieren zu lassen, und so eine verfassungsrechtliche Kontrolle zu vereiteln.

Unvereinbar mit der Rechtsweggarantie ist insbesondere auch der Versuch, auf einen intergouvernementalen Vertrag wie den Fiskalpakt EU-Sekundärrecht zu stützen. Denn EU-Sekundärrecht ist ausschließlich auf Grundlage des EU-Primärrechts und nur innerhalb des EU-rechtlichen Raums demokratisch legitimiert (Art. 288 AEUV), und es kann in Deutschland formell nicht direkt vor den nationalen Gerichten angefochten werden, sondern nur dessen Folgerechtsakte im deutschen Rechtsraum und die Zustimmungsgesetze zu dessen nachgeschobenen Grundlagen. Vor allem bei den fünf EU-Verordnungen bzgl. der Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und zur Einführung des Ungleichgewichtsverfahrens wird die Rechtsweggarantie gleich mehrfach verletzt – zum einen bei deren Beschluss ohne hinreichende primärrechtliche Grundlagen, und beim Fiskalpakt schon wieder, indem man über einen intergouvernementalen Vertrag, unter Umgehung der EU-primärrechtlichen Änderungsvorschriften, versucht, die Grundlagen nachzuschieben. Die demokratisch legitimierten Abgeordneten haben bei Zustimmung zum EU-Primärrecht konkludent auch eingewilligt haben, dass dieses selbst mit ihrer Zustimmung nicht durch intergouvernementale Verträge unterlaufen werden darf. Damit ist der Versuch, die Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, das Ungleichgewichtsverfahren und jetzt auch noch die haushaltsmäßige Überwachung auf den Fiskalpakt zu stützen (Abschnitt V.1 dieser Verfassungsbeschwerden), unvereinbar mit der Rechtsweggarantie.

Auch die Blankett-Ermächtigung des Art. 136 Abs. 3 AEUV könnte, abgesehen von der Unvereinbarkeit von Blankett-Ermächtigungen an sich mit Art. 19 Abs. 4 GG, die ultra-vires-Verstöße durch diese EU-Verordnungen nicht rückwirkend heilen, weil nur explizit im Vertragstext formulierte Rückwirkungen völkerrechtlich wirksam sind (Abschnitt III.9 dieser Verfassungsbeschwerden).

Im EU-Primärrecht ist die Zweckbindung der EU-Kohäsionsmittel nur entsprechend den Vorgaben von Art. 174 bis 178 AEUV zulässig. Das darf auch über intergouvernementale Verträge nicht unter-laufen werden, wie dies für EFSF und ESM beabsichtigt ist, um diese Mittel bei Nichterfüllung der Auflagen kürzen zu können (Art. 5 Abs. 3 EFSF-Rahmenvertrag, Art. 19 ESM-Vertrag, Abschnitt VI.1.4 dieser Verfassungsbeschwerden).

Wenn ein Staat aus der Eurozone den Empfehlungen der EU-Kommission nicht vollständig gehorchen würde, würde ihm nicht nur ein hohes Bußgeld abverlangt (siehe Abschnitte V.4 und V.5 dieser Verfassungsbeschwerden), sondern auch noch mal eben durch Kürzung bzw. Streichung der Agrarsubventionen (davon erst einmal die ELER-Mittel) für das jeweilige Land dessen bäuerliche Landwirtschaft und damit dessen konzernunabhängige Ernährungssicherung zerstört, ohne dass die Öffentlichkeit über diese Absichten informiert würde. Und dann versteckt man diese Instrumentalisierung auch noch in Erwägungsgrund 7 von EU-Verordnung 2011/385 (COD) im Vertrauen darauf, die Parlamentarier und das Volk würden Art. 31 WVRK nicht kennen.

Insbesondere die IWF-artige Strenge (Art. 136 Abs. 3 S. 2 AEUV, Präambel EFSF-Rahmenvertrag, Erwägungsgründe 2+3+6, Art. 3 und Art. 12 ESM-Vertrag, Erwägungsgrund 3 und Art. 6 Abs. 1 von EU-Verordnung 2011/385 (COD), Ecofin-Rat vom 10.05. 2010, Nr. 49 des Berichts der Task Force vom 21.10.2010, Nr. 17+24 der Stellungnahme zum Euro-Gipfel vom 26.10.2011) ist mit der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) unvereinbar.

Und wie an zahlreichen Beispielen vor allem in Abschnitt IV.5 dieser Verfassungsbeschwerden gezeigt wird, bedeutet IWF-Artigkeit bzw. die IWF-Praxis die völlige Ignorierung aller Grund- und Menschenrechte der Einwohner der Schuldnerstaaten. Das zeigt sich am deutlichsten am Ausverkauf von Nahrungsmittelnotreserven in Niger, Malawi und Äthiopien sowie an der Marginalisierung der Gesundheitssysteme bis hin zum verstärkten Ausbruch von Tuberkulose in Osteuropa und Zentralasien, Bangla Desh, Brasilien, Peru, Ruanda, Somalia und Vietnam – alles auf Grund von Auflagen des IWF. Es zeigt sich aber auch in den vom IWF durchgesetzten Ausnahmezuständen in Bangla Desh, Bolivien, Brasilien, Nigeria, Peru, Russland, Südkorea, Thailand und Venezuela sowie 2010 in Griechenland, Spanien und Rumänien, wobei der Ausnahmezustand bei Rumänien sogar im „Memorandum of Understanding“, also in der Kreditrahmenvereinbarung, festgelegt wurde. Die bürgerlichen Menschenrechte der Einwohner der Schuldnerstaaten sind durch den IWF also ebenso in Gefahr wie die sozialen, nur dass es bzgl. der sozialen offensichtlicher ist, weil eine Verpflichtung zur Ausrufung des Ausnahmezustands nur selten so klar wie im Falle Rumäniens schriftlich in öffentlich zugänglichen Dokumenten vereinbart wird.

Wie das insbesondere in Abschnitt IV.6.5 in Bezug genommene Dokument über die eigenen Vorstellungen des IWF für ein Staateninsolvenzverfahren zeigt, ist der IWF nicht vollständig menschenrechtsblind oder gar -verachtend. In Bezug auf die Gläubiger der Staaten sorgt er sich sehr wohl um deren Menschenrecht auf Eigentum und um die Gleichbehandlung zwischen den Gläubigern. Und natürlich um die Immunität seiner eigenen Mitarbeiter, welche für deren Menschenrechte auf Eigentum und auf Freizügigkeit von erheblicher Bedeutung ist.

Die Verpflichtung auf die IWF-Artigkeit der Auflagen, oder anders gesagt, deren Bindung an die IWF-Praxis, kollidiert auch dadurch mit der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG), dass die Auflagen im Rahmen des europäischen Finanzierungsmechanismus an das tatsächliche Verhalten des IWF gebunden werden, und damit vom IWF jederzeit, losgelöst von allen Verfassungen, allen Menschenrechten und Strukturprinzipien und selbst von seinem eigenen Primärrecht, jederzeit durch sein praktisches Verhalten willkürlich die Richtung der Auflagen im europäischen Finanzierungsmechanismus geändert werden könnte. Etwas jederzeit willkürlich änderbares wie die IWF-Praxis lässt sich auch mit Urteilen nicht rechtsklar eingrenzen. Zur Vermeidung von Willkür bleibt nur, das StabMechG, das ESMFinG, das Gesetz zur Änderung des BSchuWG und die Zustimmung zu Art. 136 Abs. 3 AEUV und zum ESM ganz zu untersagen.

In der „Strenge“ steckt außerdem eine blankettartige Ausweitung der Kompetenzen der EU. Denn das Wort „streng“ impliziert tiefgreifende Eingriffe in die Kompetenzen des Schuldnerlandes und somit auch in die Rechte von dessen Einwohnern. Wie am Beispiel Rumäniens (einem EU-Mitgliedsstaat außerhalb der Eurozone) gezeigt wird, machen EU-Kommission und IWF dem Land Auflagen für drastischste Kürzungen im Gesundheitswesen, obwohl das EU-Primärrecht der EU keine entsprechenden legislativen Kompetenzen für das Gesundheitswesen der Mitgliedsstaaten einräumt. In der Praxis wäre also mit der Interpretation des Wortes „streng“ nicht nur im Sinne möglichst tiefer Eingriffe in die Rechte der Einwohner des Schuldnerlandes, sondern auch im Sinne eines Umsichgreifens der Auflagen in möglichst viele Politikfelder der betroffenen Schuldnerstaaten zu rechnen. Das ist unvereinbar mit dem Grundrecht auf Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG), da die Verpflichtung auf eine iwf-artige Strenge für Kompetenzausweitungen über die EU-Ebene in beliebige Politikfelder hinein, und das ohne jegliches weiteres Zustimmungsgesetz, gegenüber welchem die Verfassungsmäßigkeit direkt vor dem Bundesverfassungsgericht überprüft werden könnte.

Die Auflagen des IWF (bzw. der Troika) beschränken sich, wie insbesondere in Abschnitt IV.5.3 dieser Verfassungsbeschwerden bewiesen, in keiner Weise auf eine irgendwie noch in ein Verhältnis zu BIP, Gesamtverschuldung oder bisheriger Neuverschuldung setzbaren gesamthaushaltsmäßigen Konsolidierungsvorgaben. Stattdessen wird in Rumänien Gesundheitspolitik gemacht (über Krankenhausschließungen, Bettenabbau und neuen Zuzahlungen), in Griechenland Verkehrspolitik (über Privatisierung von Häfen und Stillegung von Bahnnebenstrecken) und Umweltpolitik (über ein neues lascheres Waldgesetz), in Irland und Griechenland Bankenpolitik (über die Auferlegung jeweils eines neuen präventiven Bankenrettungsfonds auf nationaler Ebene). Es handelt sich um tiefste Eingriffe in legislative und exekutive Fragen aller beliebigen Politikbereiche, und das noch nicht einmal begrenzt auf darauf, wo es noch etwas einzusparen oder auszuverkaufen gibt, sondern darüber hinaus auch noch zur aufgezwungenen präventiven Bankenrettung . Solch ein weiter Machtumfang, sowohl thematisch, als auch von der Tiefe der Eingriffe in die einzelnen Bereiche, und dann auch noch in Legislative und Exekutive hinein, ist mit der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) unvereinbar. Hinzu kommt, dass es sich bei den IWF-Mitarbeitern und bei den Gläubigern um in keinerlei Weise vom Volk legitimierte Personen handelt.

Angesichts der Sorglosigkeit der Exekutive in Deutschland bzgl. der Initiierung (Art. 48 Abs. 6 EUV) des Art. 136 Abs. 3 AEUV sowie der Sorglosigkeit der Exekutive und der Legislative beim europäischen Finanzierungsmechanismus und bzgl. der EU-Wirtschaftsregierung ist es offensichtlich, dass die bisher praktizierte Gewaltenverschränkung in Deutschland nicht mehr funktioniert und zur Rettung auch des in der unantastbaren Rechtsstaatlichkeit verwurzelten Grundrechts auf Rechtsweggarantie als solches auf grundgesetzkonforme Weise geändert werden muss.

Auch wenn die Stärkung der Judikative allein schon hinsichtlich des Schutzes der Rechtsweggarantie, vor allem im Hinblick auf die Anwendung der universellen Menschenrechte geboten ist, reicht dies zum Schutz des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht aus, da der Gang nach Karlsruhe immer bis zu einem gewissen Grad nachsorgend ist und oft nur die schlimmsten Auswüchse der Grundgesetzvergessenheit eindämmen kann, insbesondere wenn wichtige Teile geplanter sekundärrechtlicher Regelungen, welche man auf eine primärrechtliche Blankett-Ermächtigung stützen will, erst nach Verkündung der Zustimmung zu einer solchen Blankett-Ermächtigung bekannt werden. Somit bleibt als grundgesetzkonformer Weg zum Schutz auch von Art. 19 Abs. 4 GG nur die Stärkung der Gewaltenverschränkung mit dem Volk (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG) selbst. Und zwar durch die verbindliche Ausweitung der Volksabstimmungen (Art. 20 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 GG) in zumindest dem Ausmaß, wie es zum Schutz auch der der Rechtsweggarantie erforderlich ist, und wie es insbesondere in den Abschnitten III.8, III.10, III.17 und X.1 dieser Verfassungsbeschwerden dargestellt ist.

Da die Rechtsstaatlichkeit ebenso unantastbar ist wie die Demokratie, muss dabei auch bei allen Volksabstimmungen die Rechtsstaatlichkeit gewahrt werden. Auch durch Volksabstimmungen dürfen die Menschenrechte incl. der Rechtsweggarantie nicht veräußert werden (Art. 1 Abs. 2 GG). Auch kann eine Volksabstimmung den Weg zur Verfassungsbeschwerde in keiner Weise verbauen, da sonst nicht nur das Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG, sondern dadurch auch der Schutz der Grund- und Menschenrechte und damit die Rechtsstaatlichkeit im materiellen Sinne, ausgehebelt werden könnte.

Das Lissabon-Urteil betont an mehreren Stellen, dass bzgl. der Kompetenzübertragung an die EU das Integrationsprogramm hinreichend bestimmt und für die deutschen Staatsorgane vorhersehbar genug sein muss, um den Verbleib ausreichender Entscheidungsrechte beim Bundestag zu sichern (Rn. 226, 236, 238, 322 und 334). Rn. 236 sagt sogar allgemeiner, nicht ausdrücklich auf die Frage von Zuständigkeitsübertragungen auf die EU begrenzt: “Eine Blankettermächtigung zur Ausübung öffentlicher Gewalt, zumal mit unmittelbarer Bindungswirkung in der innerstaatlichen Rechtsordnung, dürfen die deutschen Verfassungsorgane nicht erteilen (vgl BVerfGE 58, 1 <37>; 89, 155 <183 f., 187> )”

Mit der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) unvereinbar weite Ermächtigungen enthält auch der ESM-Vertrag, weil dieser weitgehendste Entscheidungen durch den ESM ohne erneute Zustimmung des Bundestags und (da auf Grund der weiten Ermächtigung kein ultra-vires) ohne Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht ermöglichen würden. Darunter ist die Ermächtigung für den ESM, selbst über die Erhöhung seines Kapitals zu entscheiden, was durch die leichte Aushebelbarkeit von Art. 10 Abs. 1 S. 3 ESM-Vertrag über Stimmrechtsaussetzungen ohne jegliche Zustimmung des Bundestags dazu möglich wäre. Die Möglichkeit, alle Entscheidungsbefugnisse innerhalb des ESM vom Gouverneursrat (also von den Finanzministern der Mitgliedsstaaten) in das Direktorium (Art. 5 Abs. 6 lit. m ESM-Vertrag), wo von den Finanzministern ausgewählte fachkundige Personen sitzen würden (Abschnitt IV.6.2.5 dieser Verfassungsbeschwerden), incl. selbst der Abstimmung über die Kreditauflagen durch den ESM, würde die Entscheidungen des ESM selbst der Kontrolle der nationalen Regierungen entziehen. Die Ausweitung des Instrumentariums des ESM (Art. 19 ESM-Vertrag) ohne Zustimmung des Bundestags dazu würde es z. B. ermöglichen, die EU-Fördermittel auch mit den Konditionen des ESM zu verbinden, welcher dieser den Staaten, die von ihm Finanzhilfen erhalten, gemacht hat. Auch die Verwendung des ESM zur Durchsetzung der Auflagen aus dem Ungleichgewichtsverfahren und zur Durchsetzung der Versprechungen aus der freiwilligen Koordinierung der Wirtschaftspolitik der EU-Mitgliedsstaaten (Art. 121 AEUV), darunter besonders aus dem Euro-Plus-Pakt, verstoßen gegen die Rechtsweggarantie, weil den nationalen Parlamenten bei Schaffung des ESM und bei Einführung des Euro-Plus-Paktes nicht mitgeteilt wurde, dass man sie über den ESM zur Erfüllung der Versprechungen aus dem Euro-Plus-Pakt zwingen will.

Die Ausweitung des Instrumentariums ohne erneutes Zustimmungsgesetz (Art. 19 ESM-Vertrag) und die Kapitalerhöhung ohne parlamentarische Zustimmung versuchen Art. 10 Abs. 1 S. 3 ESM-Vertrag und Art. 2 Abs. 1 + 2 des Zustimmungsgesetzes zwar zu unterbinden, was durch eine deutsche Stimmrechtsaussetzung (Art. 4 ESM-Vertrag) und die Anwendung der Selbständerungsklausel

(Art. 44 ESM-Vertrag) aber leicht zu umgehen ist (Abschnitt IV.6.2.6 dieser Verfassungsbeschwerden).

Ebenfalls blankettartig ist Art. 44 ESM-Vertrag, nach welchem der Gouverneursrat des ESM immer beim Beitritt eines weiteren Staats zum ESM alle beliebigen Vorschriften des ESM-Vertrags ändern kann, ohne Zustimmung noch irgendeines Parlaments, und bei vorheriger Übertragung dieser Aufgabe gem. Art. 5 Abs. 6 lit. m ESM-Vertrag könnten dann sogar die ungewählten ESM-Direktoren über die Änderung des ESM-Vertrags entscheiden. Sie könnten dann nach Art. 44 ESM-Vertrag natürlich auch entscheiden, Art. 44 ESM-Vertrag so zu ändern, dass sie den ESM-Vertrag fortan auch ohne weitere Voraussetzungen wie den Beitritt eines neuen Gesellschafters jederzeit ändern könnten.

Unvereinbar mit der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) sind auch die Befugnisse der EFSF laut deren geändertem Rahmenvertrag, ihr eigenes Instrumentarium auszuweiten (Art. 5 Abs. 3), die Verlängerung ihrer eigenen Laufzeit zu beschließen (Art. 10 Abs. 5 lit. c) über den 30.06.2013 (Art. 11 Abs. 2) hinaus, und die Erhöhung der Gesamtsumme ( Art. 10 Abs. 5 lit. i ) der für sie zu leisten-den Bürgschaften zu beschließen. In besonderem Maße unvereinbar mit der Rechtsweggarantie ist die Möglichkeit der (Art. 10 Abs. 5 lit. c EFSF-RV) der EFSF, ihren Rahmenvertrag selbst zu ändern, ohne dafür jemals wieder die Zustimmung eines Parlaments einzuholen. Eine derartig blankettartige Kompetenz-Kompetenz ist unvereinbar mit der Rechtsstaatlichkeit. Dass diese auch im EFSF-Rahmenvertrag enthalten ist, hat offensichtlich die Funktion, den EFSF-Rahmenvertrag ohne jegliche weitere parlamentarische Zustimmung zu einem ESM umbauen zu können für den Fall, dass der Original-ESM in Karlsruhe gestoppt werden sollte. In besonderem Maße kollidieren diese Selbstermächtigungsvorschriften des EFSF-Rahmenvertrags deshalb mit der Rechtsweggarantie, weil es in Deutschland kein Zustimmungsgesetz zum EFSF-Rahmenvertrag gibt, weder zur ursprünglichen Fassung vom 07.06.2010, noch zu der in 2011 geänderten Fassung (Abschnitte IV.3.1 und IV.3.2. dieser Verfassungsbeschwerden), sondern die Zustimmung zum EFSF-Rahmenvertrag durch einfachen Beschluss gem. §3 Abs. 2 Nr. 3 StabMechG vorgesehen ist (Abschnitt II.7 dieser Verfassungsbeschwerden). Die Zustimmung zu einem internationalen Vertrag wie dem EFSF-Rahmenvertrag verstößt nicht nur gegen Art. 59 Abs. 2 GG, wo vorgeschrieben ist, dass man internationalen Verträgen nur per Zustimmungsgesetz zustimmen kann, sondern auch gegen die Rechtsweggarantie, weil eine Ermächtigung zur Zustimmung durch einfachen Beschluss es den Bundestagsabgeordneten ermöglichen würde, Änderungen des EFSF-Rahmenvertrags zuzustimmen, ohne dass potentielle Verfassungskläger dies rechtzeitig bemerken könnten.

Die Verankerung einer Verpflichtung auf IWF-artige Strenge im EU-Primärrecht über Art. 136 Abs. 3 S. 2 AEUV würde dazu führen, dass der nicht unter dem Schutz von Art. 79 Abs. 3 GG stehende Teil des Grundgesetzes und die universellen Menschenrechte gegenüber den Auflagen / sanktionsbewehrten Empfehlungen, die an Art. 136 Abs. 3 S. 2 AEUV anknüpfen, nur noch insoweit vollen Schutz bieten würden, wie entweder die Auflagen nur mit einfachem völkerrechtlichen Rang transportiert würden, oder wie das EU-Sekundärrecht unterhalb der universellen Menschenrechte steht. Das ist mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar.

Zusätzlich zu Art. 3 Abs. 2 Fiskalpakt ist der Angriff auf den Rang des GG auch über das Zustimmungsgesetz zu Art. 136 Abs. 3 AEUV vorgesehen, weil dieses die Ratifikation von Art. 136 Abs. 3 AEUV auch ohne Zweidrittelmehrheit will. Und mit Art. 136 Abs. 3 AEUV würden blankettartig auch EU-sekundärrechtliche Akte erlaubt. Wenn das EU-Sekundärrecht über Teilen des GG stehen sollte, dann käme das einer blankettartigen Umgehbarmachung von Teilen des GG ohne Zweidrittelmehrheit gleich.

Noch unvereinbarer mit Art. 19 Abs. 4 GG sind die Verschiebung des auf die EFSF anzuwendenden Rechts nach England und die Verschiebung des Gerichtsstands zum EUGH (für Streitigkeiten zwischen den Staaten) bzw. nach Luxemburg (für Streitigkeiten zwischen den Staaten und der EFSF) (Art. 16 EFSF-Rahmenvertrag, Abschnitt IV.3.2 dieser Verfassungsbeschwerden). Denn dadurch würden die Einwohner Deutschlands gegenüber der EFSF und deren Auflagen sowohl des Schutzes durch die deutschen Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte als auch des Schutzes durch das deutsche Bundesverfassungsgericht beraubt. Und sie würden für die Beurteilung des EFSF-Rechts dem Schutz der Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte des Grundgesetzes und dem Schutz der universellen Menschenrechte entzogen, und weil der EUGH keinerlei Befugnis hat, über die Verfassungen der Mitgliedsstaaten oder über universelle Menschenrechte zu urteilen (Abschnitt III.6.4 dieser Verfassungsbeschwerden). Die Unterwerfung des EFSF-Rahmenvertrags unter englisches Recht könnte höchstens dann und insoweit mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar sein, wenn sich die Auswirkungen des EFSF-Rahmenvertrags auf privatrechtliche Auswirkungen beschränken würden, und wie es um die Auslegung allein privatrechtlicher Vertragsklauseln und nicht um die Aushebelung der in Deutschland geltenden verfassungsmäßigen und menschenrechtlichen Prüfungsmaßstäbe ginge.

Das Ungleichgewichtsverfahren, welches man nun auf Art. 9 Fiskalpakt und auf Art. 136 Abs. 3 AEUV stützen will, kollidiert mit der Rechtsweggarantie durch die blankettartig beliebige Definierbarkeit der Ungleichgewichte, sodass die EU-Kommission mit Hilfe eben dieser Beliebigkeit ausnahmslos alle Staaten der Eurozone ins Ungleichgewichtsverfahren zwingen könnte, um diesen bußgeldbewehrte „Empfehlungen“ zu machen zu allen beliebigen Bereichen der Lohn-, Finanz- und Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten.

Die Blankettartigkeit des Ungleichgewichtsverfahrens zeigt sich besonders deutlich in den Begründungen der Verordnungsentwürfe zu dessen Einführung (Abschnitte V.5 und V.7 dieser Verfassungsbeschwerden sowie Abschnitt V.11 zur Allkäuflichkeit im Sinne der Exportierbarmachung aller beliebigen bisher nicht handelbaren Güter). Danach will die EU-Kommission die Macht, vor allem Staaten mit hohen Leistungsbilanzdefiziten zur Exportierbarmachung aller von der Kommission gewünschten bisher unveräußerlichen Güter zu zwingen. Und die Staaten ohne Leistungsbilanzdefizite hätten dann eben durch den bei ihnen bestehenden geringeren Grad an Allkäuflichkeit wiederum deutliche Ungleichgewichte im Vergleich zu den schon weiter ausverkauften Staaten.

Unter den Ausverkauf würde aller Voraussicht nach auch die Käuflichmachung aller Naturdienstleistungen (siehe vor allem Abschnitte V.11 und X.3 dieser Verfassungsbeschwerden) fallen. Wenn alles käuflich würde, und darauf ist das Ungleichgewichtsverfahren ausgerichtet, dann würde dies zugleich auch den realen Einfluss des demokratisch zustande gekommenen Rechts auf die Wirtschaft marginalisieren und damit auch die Rechtsweggarantie.

Am Ungleichgewichtsverfahren und an der Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sind vor allem ultra-vires die Aussetzung des Stimmrechts, die umgekehrte Abstimmung, die Ausdehnung der Bußgeldbewehrung und damit Ausdehnung der de-facto Verbindlichmachung von Empfehlungen, die Reduzierung der Sozialversicherung auf eine Mindestversorgung und die Enteignung der Privatrenten ohne ausdrückliche EU-Kompetenz dafür im Primärrecht, die Einführung der totalen Allkäuflichkeit über die Ungleichgewichtsverfahren und die Aufbrechung selbst der grundlegenden institutionsmäßigen und verfassungsmäßigen Strukturen der Mitgliedsstaaten unter offenem Bruch von Art. 4 EUV, des höchsten Artikels des EU-Primärrechts (siehe insoweit Abschnitt III.4 dieser Verfassungsbeschwerden) mittels Aufnötigung von Verfassungsänderungen (siehe Abschnitte IV.5.3 und V.1 dieser Verfassungsbeschwerden) und im Rahmen der Allkäuflichkeit durch die Ungleichgewichtsverfahren, sowie (wieder über Ungleichgewichtsverfahren) die beliebi-gen Eingriffe der Kommission in Lohnpolitik, Finanzpolitik und Wirtschaftspolitik. Als ultra-vires-Verstoß zu werten sind auch die willkürliche Definierbarkeit der Ungleichgewichte durch die EU-Kommission und die beliebige Ausdehnung der Zuständigkeiten durch Auflagen und Empfehlungen (soweit das nicht heute schon bzgl. des Defizitkriteriums möglich ist).

Art. 9 Fiskalpakt kollidiert auch mit der Rechtsweggarantie, weil dieser sich nicht hinreichend konkret auf eine Form von Ungleichgewichtsverfahren konzentriert, sondern man auf diesen immer neue Mechanismen im Namen der Verringerung makroökonomischer Ungleichgewichte stützen könnte, fast so blankettartig, nur mit anderem Vorwand wie im ersten Satz des Art. 136 Abs. 3 AEUV.

Unvereinbar mit dem Grundrecht auf Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) ist auch die Erzwingbarkeit der funktionellen Privatisierung sämtlicher hoheitlicher Aufgaben der Staaten der Eurozone im Rahmen der Ungleichgewichtsverfahren. Wenn hoheitliche Aufgaben, also Aufgaben von Exekutive, Legislative und Judikative durch Unternehmen ausgeführt werden, dann hängt die Arbeitsplatzsicherheit der Beschäftigten nicht mehr primär von ihrer Treue zum geltenden Recht, sondern von ihrer Treue zum Unternehmen ab, was die Wahrscheinlichkeit von behördlichen Entscheidungen aus Interessenkonflikten heraus entscheidend erhöht. Darüber hinaus zeigt besonders deutlich der in Abschnitt VIII.8 dieser Verfassungsbeschwerden zitierte Fall eines Jugendgefängnisses in den USA, dass die funktionelle Privatisierung die Korruption in erheblichem Maße fördert, und zwar in beide Richtungen, nicht nur innerhalb des funktionell privatisierten Bereichs und aus diesem heraus, sondern auch in diesen hinein.

Außerdem wird so der Profitabilität im Verhältnis zur Durchsetzung des demokratisch legitimiert zustande gekommenen Rechts zu viel Gewicht gegeben, d. h., auch bereits außerhalb jeglicher Interessenkonflikte ein erheblicher finanzieller Anreiz zur Vernachlässigung der Rechtspflege geschaffen. Besonders unvereinbar mit Art. 19 Abs. 4 GG wäre die Privatisierung der Judikative, denn dann wäre mit Urteilen zu rechnen, bei deren Zustandekommen die eigenen Interessen des Rechtsprechungsunternehmens mit demokratisch legitimiertem Recht abgewogen würden. Es wäre durch die Privatisierung der hoheitlichen Einrichtungen des Staates im Rahmen der Ungleichgewichtsverfahren zur Exportierbachung der bisher nicht handelbaren Güter auch keine wirksame Dienstaufsicht mehr sichergestellt, sodass die meisten hoheitlichen Entscheidungen aus Interessenkonflikten heraus gar nicht mehr öffentlich bekannt würden.

Das Wort „Governance“ ist ein schillernder Begriff; jeder versteht darunter etwas anderes. In der deutschen Rechtswissenschaft wird es u. a. benutzt für die Vorstellung, hoheitliche Entscheidungen verhandelbar zu machen, also geltendes materielles Recht zur Verhandlungsbasis zu degradieren. Auf einem Markt ist es normal, dass wirtschaftlich stärkere Akteure für sich Sonderkonditionen aushandeln können. Bzgl. hoheitlicher Entscheidungen hingegen wäre es die weitgehende Legalisierung dessen, was man heutzutage als Korruption deuten würde. Da dieser Gedanke aber einmal gerade im Bereich solcher rechtswissenschaftlicher Richtungen in Deutschland, die zugleich auch die Vergabe möglichst vieler hoheitlicher Bereiche an privat anstreben, im Umlauf ist, und weil die Begründung der EU-Verordnungsentwürfe zu den wirtschaftlichen Ungleichgewichten keinerlei Ausnahme von der Exportierbarmachung bisher nicht handelbarer Güter benennt, wäre nach Inkrafttreten des Fiskalpakts auch mit der Legalisierung dessen, was man heute als Korruption deuten würde, zu rechnen. Damit könnten die demokratisch legitimierten Abgeordneten nur noch die Verhandlungsbasis für die hoheitlichen Entscheidungen der Exekutive und der Judikative festlegen. Auch vor Gericht würde dadurch Verhandlungsspielraum geschaffen, vom geltenden materiellen Recht abzuweichen. Das ist mit der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) unvereinbar.

Ebenso ein drastischer Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG ist, dass die Blankett-Ermächtigung des Art. 136 Abs. 3 AEUV bzw. der europäische Finanzierungsmechanismus und der Fiskalpakt selbst zum direkten Angriff auf die Verfassungstexte der Mitgliedsstaaten vorgesehen sind. Das beweist die Auflage von EU-Kommission, EZB und IWF gegenüber Griechenland, die griechische Verfassung zu ändern (Abschnitt IV.5.3 dieser Verfassungsbeschwerden), was unvereinbar ist mit Art. 4 EUV. Wie Leitsatz 4 des Lissabonurteils zutreffend ausführt, ist die EU nach Art. 4 EUV verpflichtet, die Verfassungsidentitäten der Mitgliedsstaaten zu achten. Und Art. 4 EUV hat als Teil des EU-Primärrechts Vorrang vor EU-Verordnungen (Griechenland-Hilfe, EFSM) und vor intergouvernementalen Verträgen (EFSF-Rahmenvertrag, ESM und Fiskalpakt). Und hier will man noch mehr, als mit den Verfassungsidentitäten unvereinbare EU-rechtliche oder intergouvernementale Vorschriften durchsetzen. Man versucht, die Staaten, offensichtlich ohne hinreichende Rechtsgrundlage, die es in der Welt souveräner (Art. 2 Abs. 1 UNO-Charta) Staaten auch nicht geben könnte, zu zwingen, die Schutzmechanismen ihrer eigenen Verfassungen zu schleifen. Beim europäischen Finanzierungsmechanismus will man das alles mit der IWF-artigen Strenge ermöglichen. Solche Übergriffe im Rahmen des europäischen Finanzierungsmechanismus wären nach Inkrafttreten des ESM ebenso auch gegenüber Deutschland zu erwarten, sobald man Deutschland erst einmal in die Mühlen des europäischen Finanzierungsmechanismus bekommen würde – oder über Erwägungsgründe 3+7 sowie Art. 6 Abs. 1+5 von EU-Verordnung 2011/385 (COD), soweit Deutschland versuchen würde, selbst dem europäischen Finanzierungsmechanismus zu entkommen, indem es sich noch anderswo als dort oder bei privaten Banken Geld leiht.

Unvereinbar mit der Rechtsweggarantie ist, dass Art. 3 Abs. 2 Fiskalpakt die Staaten verpflichten will, ihre Verfassung für sämtliche in Art. 3 Abs. 1 Fiskalpakt genannten und weitere von der Kommission gewünschte Inhalte zu öffnen, denn dabei geht es ja gerade darum, die Schutzwirkung der Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte aufzubrechen, damit man sich nicht mehr auf diese zur Abwehr sanktionsbewehrter Empfehlungen aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt berufen kann.

Denn die Entscheidung über Grundgesetzänderungen kommt nur dem Parlament (Art. 79 GG) und dem Volk selbst (Art. 20 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 GG, Abschnitt III.17 dieser Verfassungsbeschwerden) zu. Jegliche internationale Vereinbarungen gleich welchen Rangs, welche dazu angetan sind, die Bundestagsabgeordneten oder das Volk in ihrer Entscheidungsfindung bzgl. Grundgesetzänderungen unter Druck zu setzen, sind verfassungswidrig. Umso mehr verfassungswidrig ist Art. 3 Abs. 2 Fiskalpakt dadurch, dass er der Kommission auch noch ein Initiativrecht geben würde für die Formulierungen der Grundgesetzänderungen, sodass diese dadurch die Gelegenheit hätte, noch deutlich über die Inhalte von Art. 3 Abs. 1 Fiskalpakt hinaus Grundgesetzänderungen zu verlangen.

Wegen der geplanten Instrumentalisierbarkeit von Exekutive und Judikative der Mitgliedsstaaten durch die EU-Kommission zur Durchsetzung der Empfehlungen aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt ist es im Rahmen dieser Verfassungsbeschwerde nach Auffassung der Beschwerdeführerin zum Schutz der Rechtsweggarantie darüber hinaus auch erforderlich, klarzustellen, dass der Treueid der in Deutschland hoheitliche Macht ausübenden Personen in erster Linie der Verfassungsidentität gilt und nicht etwa vorgesetzten Personen, dem EU-Recht oder dem Rest des Grundgesetzes.

Aus den gleichen sowie aus den folgenden Gründen ist es unvereinbar mit der Rechtsweggarantie, dass Art. 8 Fiskalpakt auch noch die Erzwingung sämtlicher Inhalte von Art. 3 Abs. 2 Fiskalpakt durch den EUGH über Organleihe ermöglichen würde. Denn demokratisch legitimiert im EU-Primärrecht ist die Rechtsprechungsmacht des EUGH allein für den eu-rechtlichen Raum und für den Raum der erweiterten Zusammenarbeit, soweit dieser zuvor formgerecht begründet wird (Art. 20 EUV, Art. 329 AEUV, Abschnitt III.20 dieser Verfassungsbeschwerden) und sich den EUGH explizit ausleiht, aber gerade nicht in Fällen einer formell gescheiterten oder nur vorgetäuschten erweiterten Zusammenarbeit; und noch weniger darf der EUGH darüber urteilen, wie die Mitgliedsstaaten ihre Verfassungen zu ändern haben, denn der EUGH ist nur befugt, über autonomes Recht, und nicht über souveränes Recht, zu urteilen.

Unvereinbar mit der Rechtsweggarantie sind auch sämtliche Möglichkeiten von europäischem Finanzierungsmechanismus und EU-Wirtschaftsregierung für Ausnahmezustände, darunter vor allem über die Instrumentalisierung der Exekutive und Judikative über Art. 3 Abs. 2 Fiskalpakt und über die IWF-artige Strenge. Denn im Rahmen von Ausnahmezuständen liegt die faktische Möglichkeit, Interessen unter Missachtung materiellen und formellen Rechts einfach mit Gewalt durchzusetzen. Zur Vermeidung von Wiederholungen siehe Abschnitte IX.8 und XII. dieser Verfassungsbeschwerden.

Unvereinbar mit dem Grundrecht auf Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) ist auch der Verstoß gegen das grundsätzliche völkerrechtliche Rückwirkungsverbot (siehe Abschnitt III.9 dieser Verfassungsbeschwerden).

Da Art. 3, Art. 4, Art. 5 Abs. 1, Art. 7 und Art. 9 Fiskalpakt sowie Art. 136 Abs. 3 AEUV und auch der Fiskalpakt insgesamt keine ausdrückliche Rückwirkung enthalten, könnten der Fiskalpakt und Art. 136 Abs. 3 AEUV nach der WVRK auch keine rückwirkende Wirkung entfalten, und könnte er damit dem Ungleichgewichtsverfahren und der Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, soweit sie ultra-vires sind, keine Grundlage werden. Abgesehen davon, dass man selbst, wenn erst der Fiskalpakt geschaffen worden wäre, EU-Sekundärrecht nicht auf intergouvernementale Verträge stützen könnte. Trotzdem wird dieser Versuch unternommen, was eine deutliche Antwort des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz der Rechtsweggarantie erfordert. Sonst könnte die EU sich alle beliebigen Kompetenzen anmaßen und diese einfach ohne primärrechtliche Grundlage fort-setzen.

Über unzulässige völkerrechtliche Rückwirkungen könnte die EU sich alle beliebigen Kompetenzen anmaßen, wozu sie keine Ermächtigung erhalten hat, und dann, wenn es auffällt, noch schnell eine Blankett-Ermächtigung nachschieben, ohne dass es die Mehrheit der Bevölkerung merkt, und ohne einen formellen Angriffspunkt zur Erreichung einer verfassungsrechtlichen Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht. Das ist mit dem Grundrecht auf Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) unvereinbar.

Unvereinbar mit dem Grundrecht auf Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) ist auch das über das staatsanaloge Machtinsignium der eigenen Steuerhoheit (Art. 36 Abs. 5 ESM-Vertrag) und daneben auch über die beliebige Ausweitbarkeit der Geldmittel (durch einen über Stimmrechtsaussetzung leicht umgehbaren Art. 10 Abs. 1 S. 3 ESM-Vertrag) und des Instrumentariums für Finanzhilfen (Art. 19 ESM-Vertrag) durch den ESM selbst angestrebte Hineinwachsen des ESM in die Supranationalität, ohne dass diese Absicht im ESM-Vertrag selbst rechtsklar formuliert würde. Die spätere Supranationalisierung von Fiskalpakt und ESM, bzw. bei Untersagung der Zustimmung zum ESM der über die Nutzung von Art. 10 Abs. 5 lit. c EFSF-Rahmenvertrag zum Ersatz-ESM umgebauten EFSF droht außerdem sogar ganz ohne jegliche weitere vertragliche Vereinbarungen durchgesetzt zu werden, ganz einfach durch EUGH-Urteile, in welchem der EUGH feststellen würde, dass in Fiskalpakt, EFSF-Rahmenvertrag und ESM so weitreichende Vorschriften enthalten sind, dass es sich dabei also nur um bisher nur noch nicht als solches erkanntes zusätzliches EU-Primärrecht handeln könne – völlig egal, ob irgendein Parlament in Europa jemals ermächtigt hat, diesen Verträgen primärrechtlichen Rang zu geben. Wer einen solchen Übergriff des EUGH in die Befugnisse der Exekutive, der Legislative und vor allem der Völker der Mitgliedsstaaten, nicht für möglich hält, sei nur an ultra-vires-Urteile wie Costa/Enel (Az. 6/64) und Francovich erinnert.

Auch aus diesem Grund ist es bereits dem Grunde nach mit der Rechtsweggarantie unvereinbar, mit intergouvernementalen Verträgen Gegenstände zu regeln, welche im Zuständigkeitsbereich des EU-rechtlichen Raums liegen. Daher ist es zum Schutz von Art. 19 Abs. 4 GG offensichtlich geboten, im Rahmen dieser Verfassungsbeschwerden über diese beabsichtigte Supranationalisierung von ESM, EFSF und Fiskalpakt ohne jegliche weitere Zustimmungsgesetze zu entscheiden.

Ebenso unvereinbar mit der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) ist es, Staaten, die lediglich Gelder aus dem Euro-Rettungsschirm bzw. aus dessen zweiter Stufe erhalten haben, in das Staateninsolvenzverfahren der Eurozone zu zwingen (siehe Abschnitte IV.6.2.2, IV.6.2.3, IV.6.2.4 und IV.6.2.5 dieser Verfassungsbeschwerden sowie Art. 12, Art. 16 und Art. 17 ESM-Vertrag), noch dazu ohne Benennung einer ausdrücklichen Rechtsmittelmöglichkeit für die Regierung, das Parlament, das Volk oder einzelne Bürger des betroffenen Landes, dagegen.

Denn die demokratisch legitimierte Entscheidung des jeweiligen Staates wäre es jeweils nur, Kredite im Rahmen des Euro-Rettungsschirms in Anspruch zu nehmen und dafür seinen Einwohnern drakonische Auflagen des IWF (bzw. der Troika) zuzumuten. Im Staateninsolvenzverfahren wären die Auflagen zwar von ihrer Missachtung der Menschenrechte der Einwohner der Schuldnerstaaten vergleichbar wie beim Euro-Rettungsschirm, aber es wäre insoweit noch undemokratischer, als beim Euro-Rettungsschirm die Menschen wenigstens noch die Chance hätten, mitzubekommen, wer die Grausamkeiten ersonnen hat, während sie beim ESM (über Wiener Initiative und Staateninsolvenzverfahren), zumindest in Deutschland, wo die Identität der Gläubiger wie ein Staatsgeheimnis gehütet wird, noch nicht einmal erfahren würden, von wem sie de-facto diesbzgl. beherrscht würden. Es mit der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) i. V. m. dem grundrechtsgleichen Wahlrecht (Art. 38 GG) unvereinbar, wenn Staaten, noch dazu ohne jegliche explizite Rechtsmittelmöglichkeit, die Kredite von EFSM oder EFSF beantragt haben, allein auf Grund dessen gegen ihren Willen in ein Staateninsolvenzverfahren gezwungen werden können.

Unvereinbar mit der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) ist es auch, wenn Art. 6 EU-VO 2011/385 (COD) (Abschnitt VI.2.1 dieser Verfassungsbeschwerden) normiert, dass die Staaten, die sich woanders als bei Banken und beim europäischen Finanzierungsmechanismus Geld leihen, dann im Nachhinein von der EU-Kommission dafür IWF-artig strenge Auflagen erhalten.

Unvereinbar mit dem Grundrecht auf Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) ist auch Art. 12 Abs. 4 Fiskalpakt (in der Fassung des Fiskalpakt 5 vom 21.01.2012), welcher es den Regierungschefs verbietet, die Ergebnisse künftiger Euro-Gipfel aus ihrer Sicht zu verkünden, sondern dieses Recht allein dem Präsidenten der Eurogruppe (derzeit der Bilderberger Jean-Claude Juncker) gibt. Das ist aus Sicht der Demokratie bzw. des grundrechtsgleichen Wahlrechts auch keine wesentliche Änderung im Vergleich zu den ersten vier Entwurfsfassungen des Fiskalpakts, wonach dieses Recht dem Präsidenten des Euro-Gipfels (derzeit der Bilderberger Herman van Rompuy) und dem Präsidenten der EU-Kommission (derzeit der Bilderberger Jose Manuel Barroso) zustehen sollte. Vergleiche dazu auch die Stellungnahme zum Euro-Gipfel vom 26.10.2011 (Abschnitt III.23 dieser Verfassungsbeschwerden).

Unvereinbar mit der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) ist auch die Ermächtigung in §3 Abs. 2 Nr. 3 StabMechG, dass der Bundestag Änderungen der EFSF-Rahmenvereinbarung allein durch einfachen Beschluss zustimmen können soll. Das ist unvereinbar mit Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG, welcher auch zum Schutz der Rechtsweggarantie normiert, dass der Bundestag internationalen Verträgen nur in Form von Bundesgesetzen zustimmen darf. Denn Entwürfe zu Bundesgesetzen werden auf der Webseite des Bundestags veröffentlicht zusammen mit der Information, wann sie auf der Tagesordnung des Bundestags stehen, und nach Beschluss von Bundestag und Bundesrat, und wenn der Bundespräsident sie nicht dem Bundesverfassungsgericht vorlegt, werden sie ganz transparent im Bundesgesetzblatt verkündet. Einfache Beschlüsse hingegen werden insbesondere nicht im Bundesgesetzblatt sichtbar gemacht. Durch seine Bedeutung für die Rechtsweggarantie kann die Verletzung von Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG hier auch im Rahmen der Verfassungsbeschwerde (i. V. m. Art. 38 GG) gerügt werden.

Unvereinbar der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) ist auch die ab der am 23.05.2012 verkündeten Fassung in §3 Abs. 2 Nr. 2 StabMechG enthaltene Ermächtigung des Bundestags, Ausweitungen des Instrumentariums der EFSF durch einfachen Beschluss zuzustimmen. Die bereits bekannten Wünsche zur Ausweitung des Instrumentariums wie Eurobonds, Instrumentalisierung von EU-Fördermitteln zur Durchsetzung von EFSF-Auflagen und EFSF-Zahlungen direkt an Banken, haben jedoch eine solche Tragweite, dass sie, auch zur Sicherung der Rechtsweggarantie, nicht ohne rechtsklare Änderung des EFSF-Rahmenvertrags und auch nicht ohne ein rechtsklares Zustimmungsgesetz gem. Art. 59 Abs. 2 GG bewältigt werden dürfen

Unvereinbar mit Art. 19 Abs. 4 GG ist die Kappung des Rechtswegs durch die, wenngleich gem. Art. 48 WVRK unwirksame, Ratifizierung des ursprünglichen EFSF-Rahmenvertrags ohne vorherigen parlamentarischen Beschluss (Art. 59 Abs. 2 GG) eines deutschen Zustimmungsgesetzes zu diesem durch die deutsche Bundesregierung (Abschnitte IV.3.1 + IV.3.4 dieser Verfassungsbeschwerden), welche ausweislich ihrer Antwort vom 08.07.2010 auf eine Anfrage der grünen Bundestagsfraktion den EFSF-Rahmenvertrag damals rechtsirrtümlich für einen privatrechtlichen Vertrag hielt. Das lässt sich durch die Rechtsprechung eingrenzen, indem entweder die gesamte deutsche Zustimmung als nichtig beurteilt wird, oder indem dem EFSF-Rahmenvertrag und allem Handeln deutscher Vertreter in dessen Rahmen nur ein privatrechtlicher Rang beigemessen wird. Und ein etwaiger völkerrechtlicher Vertrauensschutz kann zeitlich für Deutschlands Teilnahme an der EFSF nur max. bis zum 30.06.2013 reichen (Art. 11 Abs. 3 EFSF-Rahmenvertrag). Außerdem ist nach Auffassung der Beschwerdeführerin durch die irrtümliche Ratifikation der Bundesregierung kein völkerrechtlicher Vertrauensschutz gegeben, denn die übrigen Mitgliedsstaaten hätten aus Erfahrung wissen können, dass in Deutschland nur der Bundespräsident zur Ratifikation befugt ist.

Das ESMFinG kollidiert mit Art. 19 Abs. 4 GG, weil erst durch sein Inkrafttreten das Zustimmungsgesetz zum ESM und dadurch auch der durch seine Auflagen Art. 19 Abs. 4 GG verletzende ESM in Kraft treten könnte.

Das Gesetz zur Änderung des BSchuWG ist unvereinbar mit der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG), weil die Muster-Kollektiven-Aktionsklauseln, an die es anknüpft, vor der Öffentlichkeit versteckt werden, um mögliche Verfassungskläger arglos zu halten und sie so von der Einlegung rechtzeitiger Verfassungsbeschwerden abzuhalten. Das Gesetz zur Änderung des BSchuWG kollidiert mit Art. 19 Abs. 4 GG, weil die tatsächlich bei Begebung der Staatsanleihen vereinbarten kollektiven Aktionsklauseln der Geheimhaltung vor der Öffentlichkeit unterliegen würden ebenso wie die Identität der größeren Gläubiger (§7 Abs. 5 BSchuWG). Auch die Möglichkeit der Versammlung der privaten Gläubiger (§4b Abs. 8 BSchuWG), Deutschland politische Auflagen zu machen, ist unvereinbar mit Art. 19 Abs. 4 GG. Denn die Themengebiete und die Tiefe der Eingriffe dieser Auflagen wären selbst noch im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes zur Änderung des BSchuWG in keiner Weise begrenzt oder überschaubar, sodass gerade dadurch die Rechtsweggarantie für die Einwohner Deutschlands umgangen würde.

Am schwersten würde das BSchuWG die Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) dadurch verletzen, dass es über die kollektiven Aktionsklauseln den Gerichtsstand und das anwendbare Recht beliebig auf dem Globus verschieben könnte. Auf diese Weise könnten nach Belieben die für Deutschland geltenden Grund- und Menschenrechte umgangen werden, eine offensichtliche Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG.

Darüber hinaus ist das Gesetz zur Änderung des BSchuWG unvereinbar mit Art. 19 Abs. 4 GG, weil die Gläubigerversammlung sich beliebige Entscheidungsbefugnisse gegenüber Deutschland geben könnte (§4b Abs. 1 BSchuWG), und weil der ESM Deutschland nach Inkrafttreten des ESM-Vertrags jederzeit darauf verklagen könnte, die wenigen im Gesetz zur Änderung des BSchuWG enthaltenen Notbremsen (wie z. B. §4b Abs. 7 BSchuWG) zu entfernen.

Die Beschwerdeführerin wird durch das StabMechG und würde durch die Verkündung und noch schwerer durch das Inkrafttreten des ESMFinG, des Gesetzes zur Änderung des BSchuWG sowie der Zustimmungsgesetze zum Fiskalpakt, zu Art. 136 Abs. 3 AEUV und zum ESM-Vertrag selbst, gegenwärtig und unmittelbar in ihrem Grundrecht auf die Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) verletzt.

Sie wäre als Einwohnerin und Bürgerin Deutschlands selbst betroffen durch die ultra-vires-mäßige Stützung der EU-Verordnungen zum Ungleichgewichtsverfahren (Art. 9 Fiskalpakt) und zur haushaltsmäßigen Überwachung (Art. 5 Abs. 2 Fiskalpakt) sowie zur Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes (Art. 3, Art. 4, Art. 5 Abs. 1 und Art. 7 Fiskalpakt) auf einen intergouvernementalen Vertrag wie den Fiskalpakt bzw. durch deren Stützung auf die Blankett-Ermächtigung des Art. 136 Abs. 3 AEUV – mit gravierendsten Folgen wie der Marginalisierung der Gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung sowie der entschädigungslosen Enteignung der privaten Renten- und Lebensversicherungsansprüche über den verschärften Stabilitäts- und Wachstumspakt und der totalen Kommerzialisierung aller Lebensbereiche über die Handelbarmachung sämtlicher nicht handelbarer Güter im Ungleichgewichtsverfahren, durch die Privatisierung auch der Gerichte im Rahmen der Ungleichgewichtsverfahren, durch die Verletzung des grds. völkerrechtlichen Rückwirkungsverbots, durch die Auflagen zur Grundgesetzänderung mitsamt Gefahr des Absturzes des Rangs des Grundgesetzes insbesondere über Art. 3 und Art. 8 Fiskalpakt,

durch die Blankett-Ermächtigungen vor allem im Bereich der Ungleichgewichtsverfahren, bzgl. der Inhalte der Empfehlungen beim Stabilitäts- und Wachstumspakt und der Auflagen für Kredite und teilweise Schuldenerlasse im Rahmen des europäischen Finanzierungsmechanismus, durch die Mit-Herrschaft ungewählter IWF-Mitarbeiter und ungewählter Gläubiger über Deutschland, durch die deutliche Erhöhung der Putschgefahr (darunter vor allem über Art. 3 Abs. 2 Fiskalpakt), durch die Instrumentalisierbarmachung der wichtigsten EU-Fördermittel (darunter am gravierendsten der Agrarmittel, der Kohäsions- und der Strukturmittel) für im EU-Primärrecht für diese nicht vorgesehene Zwecke (Abschnitt VI.2.1 dieser Verfassungbeschwerden), und durch die demokratiewidrige Aufzwingbarkeit eines bereits nach dem Waldenfels-Urteil demokratiewidrigen Staateninsolvenzverfahrens betroffen.

Außerdem wäre sie betroffen durch die völlige Ignorierung (über die Verpflichtung zur IWF-Artig-keit der Auflagen) der in Deutschland geltenden Grund- und Menschenrechte der Einwohner Deutschlands und durch durch die Transportierung von IWF-Auflagen und IWF-typischen Auflagen mittels EU-sekundärrechtlichem Rang. Sie wäre außerdem betroffen durch die Möglichkeit des ESM und der EFSF, sich selbst ihr Instrumentarium und ihre Geldmittel zu erhöhen, sowie durch die Kompetenz von ESM und EFSF, ihre Laufzeiten selbst zu verlängern. Und sie wäre betroffen durch die zwangsweise Auferlegbarkeit der Wiener Initiative sowie des Staateninsolvenzverfahrens gegenüber allen Staaten, die Kredite aus dem Euro-Rettungsschirm bzw. aus dessen Fortsetzung im ESM erhalten haben (Art. 12, 16 und 17 ESM-Vertrag).

Sie wäre bei Verkündung und noch schwerer bei Inkrafttreten der Zustimmungsgesetze unmittelbar (ohne weiteren vorherigen Rechtsakt) und gegenwärtig (sofort bei Verkündung bzw. Inkrafttreten) betroffen, da bereits bei Verkündung und noch schwerer bei Inkrafttreten sich die Aushebelung des Grundrechts auf Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) ereignen würde.

Die persönliche, unmittelbare und gegenwärtige Betroffenheit der Beschwerdeführerin ist auch ge- geben hinsichtlich der in den Abschnitten III.8, III.10 und III.17 geltend gemachten erforderlichen Volksabstimmungen, da insbesondere die Intransparenz um die Tragweite von Fiskalpakt, Art. 136 Abs. 3 AEUV, ESM und EFSF-Rahmenvertrag und der daran anknüpfenden EU-Verordnungen (Abschnitte V.3 bis V.7 und VI.2 dieser Verfassungsbeschwerden), das Verstecken insbesondere des ESM-Vertragstextes, der Muster-Kollektiven-Aktionsklauseln und des Fiskalpakt-Vertragstextes vor dem Volk und die in zeitlichem Zusammenhang mit der Präsentation der Verordnungsentwürfe zur Errichtung der EU-Wirtschaftsregierung sichtbar gewordene Bereitschaft der Ergreifung rechtsstaatswidriger Maßnahmen das Ausmaß der Gefährdung der Rechtsweggarantie beweisen. Die sichtbar gewordene Bereitschaft zur Ergreifung rechtsstaatswidriger Maßnahmen incl. der Stimmrechtsaussetzungen bei ESM, Stabilitäts- und Wachstumspakt und Ungleichgewichtsverfahren beweisen zusammen mit der am 28.09.2011 erfolgten Zustimmung des Europaparlaments zu den fünf EU-Verordnungen zur Errichtung der Wirtschaftsregierung die dringende Gefahr, dass man diese Mechanismen selbst bei Untersagung der Zustimmung zum Fiskalpakt, zu Art. 136 Abs. 3 AEUV, zum ESM und zum EFSF-Rahmenvertrag zumindest bzgl. Wirtschaftsregierung und EFSF einfach weiterhin anwenden sowie die EFSF einfach zum Ersatz-ESM umbauen würde. Die unmittelbare und gegenwärtige Betroffenheit bzgl. der Erforderlichkeit der geltend gemachten Volksabstimmungen ergibt sich daraus, dass es der Beschwerdeführerin nicht zumutbar wäre, auf eine reine Untersagung der Zustimmung zu EFSF-Rahmenvertrag, ESM und Fiskalpakt zu vertrauen, und dann im Falle der ultra-vires-mäßigen und durch demokratiefeindliche Maßnahmen flankierten Durchsetzung der genannten Mechanismen erneut eine derart umfangreiche Klage formulieren zu müssen. Bis das geschafft wäre, könnte längst eine offene Diktatur entstanden sein.

Auch durch die Verkündung im Bundesgesetzblatt des geänderten StabMechG ist die Beschwerdeführerin selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen. Denn §3 Abs. 2 Nr. 3 StabMechG ermächtigt den Bundestag, Änderungen des EFSF-Rahmenvertrags durch einfachen Beschluss zuzustimmen. Der geänderte EFSF-Rahmenvertrag enthält bereits so gut wie alle Grausamkeiten des ESM bis auf die Ermächtigung der privaten Gläubiger zu verbindlichen politischen Auflagen und die rigorose Schuldentragfähigkeitsanalyse (siehe Abschnitte IV.3.2 und IV.6.2.5 dieser Verfassungsbeschwerden).

Die Beschwerdeführerin macht die Verletzung des Grundrechts auf Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) i. V. m. dem grundrechtsgleichen Wahlrecht (Art. 38 GG) geltend, auch soweit es die Kompetenz der Bundestagsabgeordneten angeht, ihre Rechte zu schützen, und soweit es um die in diesen Verfassungsbeschwerden geltend gemachten Volksabstimmungen auf Bundesebene, auch zum Schutz der Gewaltenverschränkung und der Rechtsstaatlichkeit im materiellen Sinne, geht.

Fortsetzung: https://sites.google.com/site/euradevormwald/02-esm/069-demokratie