„Bakhita“Entführt, versklavt, heilig Was würde Jesus Christus tun!

Véronique Olmi: „Bakhita“Entführt, versklavt, heilig

Die französische Schriftstellerin Véronique Olmi hat ein Buch über die Kolonialgeschichte und eine Sklavin namens Josefine Bakhita geschrieben, die später in Italien zur Ordensschwester und heilig gesprochen wurde. Ein Roman mit guten Absichten, doch er schrammt nicht nur am Kitsch vorbei.

Die französische Schriftstellerin Véronique Olmi (Hoffmann & Campe Verlag / Astrid di Crollalanza)

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Sie nannten sie Bakhita, die Glückliche. Das Mädchen, das mit sieben Jahren aus ihrem Dorf in der Nähe von Darfur von arabischen Menschenhändlern gestohlen wurde:

„'Wenn du schreist, töte ich dich!‘ Sie schleifen sie fort, wie eine tote Gazelle, sie ist nackt, wie alle Kinder ihres Dorfes.“

Bakhita wird über Berge getrieben, an Ketten gezogen, ausgepeitscht, bespuckt, in ein Loch gesperrt. Sie wird als Sklavin verkauft, muss ihren Körper hergeben, ihren Willen und ihre Erinnerungen an ihren ersten Namen und ihre Sprache.

Dieses Mädchen gab es wirklich. Als Josefine Bakhita wurde sie weltbekannt und im Jahr 2000, 53 Jahre nach ihrem Tod, von Johannes Paul II. heiliggesprochen. Die französische Schauspielerin, Dramatikerin, Bestsellerautorin Veronique Olmi beschreibt in ihrem elften Roman die 78 Lebensjahre dieser Frau. Das, was über sie bekannt ist und den Rest schmückt sie eindrucksvoll und detailliert aus.

Misshandlungen in Gefangenschaft

Die Autorin versucht dabei das Unbegreifliche zu beschreiben, das Bakhita in den Jahren ihrer Gefangenschaft erlebte. Bei Olmi muss sie mit ansehen, wie kraftlose Sklaven sterbend am Wegesrand zurückgelassen werden oder wie ein schreiendes Baby an einem Felsen totgeschlagen wird, weil die Mutter es nicht beruhigen kann.

Bakhita muss für die Kinder ihres Herren, die kaum älter sind als sie, einen Affen spielen, sie auf ihrem Rücken wie ein Pferd tragen. Deren großer Bruder vergeht sich anschließend an ihr. Vier Jahre verbringt Bakhita bei dieser Familie eines türkischen Generals, der mit ihr gerne das Lappenspiel spielt.

„Der Herr lässt sie rufen, sie eilt herbei, sie verneigt sich, sie bittet um Verzeihung, er befiehlt ihr sich aufzurichten, sie richtet sich auf, plötzlich packt er ihre sprießenden Brüste und dreht sie, als wollte er „einen Lappen auswringen“, als wollte er sie von ihr lösen, sie aus ihrem Körper reißen, sie verschwinden lassen. Sie glaubt, der Herr habe diese Folter für sie erfunden, wegen etwas, was sie getan hat, was sie darstellt.“

Bakhita spricht ein erstes „Nein“

Bakhita wird mit Narben verziert, indem man ihr Schnitte zufügt und die Wunden mit Salz füllt, bis sie ohnmächtig ist. Immer wieder kämpft sich die junge Frau aus dem nahenden Tod zurück ins Überleben, das sie hungernd, durstend und stumm schreiend wie ein Tier verbringt. Als sie 13 ist wird sie an einen Italienischen Konsul verkauft, der in seine Heimat flieht, als im Sudan Aufstände gegen die ägyptischen Besatzer beginnen. Nach langem Flehen nimmt er Bakhita mit nach Italien. Dort lässt er sie allerdings nicht frei, sondern übergibt sie einem Freund. Dessen Frau Maria Michieli behandelt Bakhita nur wenig besser. Doch die Sklavin rettet das Leben von Michielis neugeborener Tochter, und muss sich fortan um dieses Kind kümmern, das zu Bakhita nicht Mama sagen darf. Doch zum ersten Mal ist die junge Frau nicht ganz alleine.

Es passiert also viel im Leben von Bakhita, bis sie in ein Kloster aufgenommen wird. Erst dort lernt sie, Menschen ins Gesicht zu sehen, sie spricht ihr erstes Nein und entscheidet sich für einen neuen Herren: Gott, der soll sie von all ihrer Schuld freisprechen. Er ist von nun an ihr Elternersatz und Lebensinhalt.

Ein Roman, in dem viel geraunt wird

Wahrscheinlich ist es etwas zu viel, was in diesem Leben passiert, das die Autorin in ihrem Roman aufschreiben will, so dass es schwerfällt, wirklich Anteil an diesen Grausamkeiten zu nehmen. Olmi jagt ihrer Protagonistin und ihren Schicksalsschlägen hinterher. Ihr Schreiben ist rhythmisch, wie Atem, der im ständigen Seufzen endet. Sie lässt Vergewaltigungen merkwürdig angedeutet, schaut an Kapitelenden raunend in Bakhitas dunkle Zukunft, schreibt von Männern, die Bakhitas „Leben verändern“ werden und so ergibt sich eher eine Aufzählung ohne Hoffnung, als eine klassische Erzählung mit Entwicklung. Es tauchen so viele Figuren auf, dass Olmi gut daran tut, einzelne Abschnitte des Lebens, samt ihrer Beteiligten auf den über 400 Seiten immer mal wieder zu wiederholen.

Doch die Person der Bakhita bleibt dabei merkwürdig dünn. Man bekommt kein rechtes Bild von ihr, das unter ihre schwarze Haut reicht. Wetter und Natur scheint man in Beschreibungen näher zu kommen, als der Hauptfigur des Buches. Vielleicht weil sie nie ein Mensch sein durfte, erfährt man auch wenig über Bakhita als Mensch. Sie sei sanft und gut, hatte ihre Mutter immer gesagt. Sie ist zäh. Und schön.

Der erste Teil des Buches endet in einem dramatischen Finale. In dem Bakhita ihre Ziehtochter verlassen muss, um frei zu sein:

„Sie schlägt mit der Stirn gegen den Boden, man räumt den Saal, man bringt das kleine Mädchen hinaus, das brüllt, man bringt es weit weg, während Maria Michieli Bakhita anschreit, ‚Undankbare! Undankbare!‘, wie ein Fluch. Bakhita hört nichts mehr. Weder die Liebe noch den Hass. Weder den Abschied, noch das Urteil, jenen Satz, auf den sie seit dreizehn Jahren wartet: ‚Ich erkläre die moretta für frei.‘ Sie hört ihn nicht.“

Man hört fast den Tusch, die dramatische Musik dazu. Und man sehnt sich nach etwas Humor, Kritik, einer zweiten Ebene, irgendetwas das die Grausamkeiten einordnet. Aber man muss Plattitüden überstehen wie, man wisse nie, wohin uns das Leben führe, die Mutterliebe sei die einzige, die größte Liebe. Man seufzt laut beim Lesen.

Erst im zweiten Teil wird der Anspruch des Buches deutlicher. Hier jagt die Autorin nicht nur durch Bakhitas Pein, sondern durch die europäische Geschichte des beginnenden 19. Jahrhunderts: Kriege, Machtwechsel, Mussolini, Rassengesetze.

Bakhita beginnt ein zweites Leben als Ordensschwester

Und auch in ihrem zweiten Leben als Ordensschwester wird Bakhita nicht unbedingt frei. Denn im Glauben ist sie wieder Dienerin, ohne Willen, ohne Recht auf Nähe, Liebe, eigene Kinder und Entscheidungen. Sie kümmert sich aufopfernd um Waisen, die sie mit Wasser bespritzen, um zu schauen, ob die schwarze Farbe abgeht. Sie wird berühmt, Menschen kommen, um sie anzustarren, um sie zu malen, um sich vor ihr zu fürchten. Man schreibt ein Buch über ihre schrecklichen Erinnerungen, mit dem sie durch das Land touren muss. Zwar prüft und begafft man sie wie damals auf den Sklavenmärkten. Aber ihre Rettung, ihre Missionierung trägt zum guten Gewissen der Italiener und Katholiken bei. Bakhitas Leben hat einen Sinn.

Eine Mahnung gegen Menschenhandel

Im Februar dieses Jahres hat Papst Franziskus zuletzt an die Heilige erinnert und zum Gebet gegen Menschenhandel aufgerufen. Monate später liest man von 39 vietnamesischen Leichen in einem Kühl-LKW in England, so sieht Sklavenhandel heute aus. „Bakhita handelt von ganz aktuellen Themen.“ So wird die New York Times auf dem Buchrücken der deutschen Ausgabe des Romans zitiert. Aber was diese Themen noch sein könnten, bleibt etwas unklar. Vielleicht ist es der Rassismus, dem die schwarze Frau ausgesetzt ist. Vielleicht die Gewalt, die Frauen erleben müssen. Aber um es als einen solchen kritischen Beitrag zu heutigen Zuständen zu lesen, muss man an dem Kitsch in Sätzen wie diesem vorbei:

„Das Leben ist ein einziges Zusammentreffen, wild und voller Wunder, man lebt, man liebt und man verliert die, die man liebt, dann liebt man erneut, und es ist immer derselbe Mensch, den man in allen anderen sucht.“

So bleibt der Roman Bakhita ein Buch für Leser und Leserinnen mit Interesse an Geschichte, an Kirche und Sinn für ein bisschen Pathos. Für alle anderen ist er eher eine Qual.

Véronique Olmi: „Bakhita“

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

Hoffmann und Campe, Hamburg. 416 Seiten, 25 Euro.