Das Wissenskapital der Nationen

Warum sind die Menschen in Ostasien etwa neunmal so wohlhabend wie ihre Großeltern, die Menschen in Lateinamerika aber nur zweieinhalbmal? Anhand der Daten internationaler Schülerleistungstests hat meine Forschung mit Eric Hanushek gezeigt, dass die Kompetenzen der Menschen – die wir aufsummiert kurz als „Wissenskapital“ der Nationen bezeichnen – ein entscheidender Faktor für das langfristige Wachstum von Volkswirtschaften sind. So können Unterschiede in den Kompetenzen der Bevölkerung sowohl das ostasiatische Wirtschaftswunder als auch das langsame Wachstum Lateinamerikas statistisch gesehen vollständig erklären. Auch Wachstumsunterschiede zwischen den entwickelten Ländern lassen sich mit Unterschieden im Wissenskapital weitgehend erklären. 

Mit einem einfachen Modell, das neben den Bildungsleistungen lediglich das Ausgangsniveau des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf einbezieht, lassen sich über drei Viertel der internationalen Unterschiede im langfristigen Wirtschaftswachstum erklären; ohne Berücksichtigung der Bildungsleistungen sind es nur ein Viertel. Die Größe des Effektes ist beträchtlich: Würde ein Land seine Bildungsleistungen um 25 PISA-Punkte verbessern – was etwa Deutschland und Polen im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts gelungen ist – so würde sich sein jährliches Wachstum langfristig um rund einen halben Prozentpunkt erhöhen. Über fünfzig Jahre gerechnet entspräche das einem Anstieg im Pro-Kopf-Einkommen um mehr als einem Viertel. Im Gegensatz zu den Bildungsleistungen tragen Unterschiede in der Bildungsdauer nicht zur Erklärung der Wachstumsunterschiede bei. Wirtschaftspolitik, die langfristigen Wohlstand sichern will, sollte sich daher auf die Qualität der Schulen konzentrieren. 

Die großen Wachstumseffekte der Bildungsleistungen bedeuten im Umkehrschluss, dass unzureichende Bildungsleistungen eine Gesellschaft teuer zu stehen kommen. Anhand des Zusammenhangs zwischen Bildungsleistungen und Wirtschaftswachstum lassen sich Projektionen über die zukünftigen Wachstumspfade mit gegebenen und verbesserten Bildungsleistungen durchführen. Die so berechneten Folgekosten unzureichender Bildung durch entgangenes Wirtschaftswachstum sind gewaltig: Zum Beispiel kommen die Projektionen für Deutschland zu dem Ergebnis, dass sich langfristig (über den Lebenszeitraum eines heute geborenen Kindes gerechnet) rund 14 Billion Euro an zusätzlichem Bruttoinlandprodukt erzielen ließe, wenn die Bildungsleistungen um 25 PISA-Punkte gesteigert würden. Das entspricht einem Anstieg des abdiskontierten Bruttoinlandprodukts über dieselbe Zeitspanne um 7,3%. 


Zeitungsartikel und Blogbeiträge: 

Der Wohlstand in Deutschland kann langfristig nur von der Ressource Mensch kommen. Makronom, 24.11.2022

Messen ist wichtig: Internationale Bildungstests und Wirtschaftswachstum (with E.A. Hanushek). international-education.blog, 1.10.2019

Wissen und Wohlstand der Nationen. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.5.2015, p. 16

Bildung schafft Wohlstand. Neue Zürcher Zeitung, 21.10.2015, p. 29 

Hier erfahren Sie mehr über meine Forschung zu diesem Thema. 

Ausführlich berichten wir unsere Ergebnisse zum Wissenskapital der Nationen in unserem Buch: 

The Knowledge Capital of Nations: Education and the Economics of Growth (with E.A. Hanushek). Cambridge, MA: MIT Press, 2015 [video]

Einen nicht-technischen Überblick gebe ich in: 

Das Wissenskapital der Nationen: Gute Bildung als Wachstumsmotor. Wirtschaftsdienst 97 (special issue): 38-42, 2017 

The Political Economy of ILSAs in Education: The Role of Knowledge Capital in Economic Growth (with E.A. Hanushek). In: T. Nilsen, A. Stancel-Piątak, J.-E. Gustafsson (eds.), International Handbook of Comparative Large-Scale Studies in Education, Cham: Springer, 27-53, 2022

Education and Economic Growth (with E.A. Hanushek). In: Oxford Research Encyclopedia of Economics and Finance. Oxford: Oxford University Press, 2021

Education, Knowledge Capital, and Economic Growth (with E.A. Hanushek). In: S. Bradley, C. Green (eds.), The Economics of Education: A Comprehensive Overview, Second Edition, London: Academic Press/Elsevier, 171-182, 2020 

Bildungserträge (with F. Kugler). In: O. Köller, M. Hasselhorn, F.W. Hesse, K. Maaz, J. Schrader, H. Solga, C.K. Spieß, K. Zimmer (eds.), Das Bildungswesen in Deutschland: Bestand und Potenziale, Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt / UTB, 231-261, 2019

Meine wichtigsten wissenschaftlichen Artikel zum Thema sind: 

Knowledge Capital, Growth, and the East Asian Miracle (with E.A. Hanushek). Science 351 (6271): 344-345, 2016 

Knowledge Capital and Aggregate Income Differences: Development Accounting for US States (with E.A. Hanushek and J. Ruhose). American Economic Journal: Macroeconomics 9 (4): 184-224, 2017

Do Better Schools Lead to More Growth? Cognitive Skills, Economic Outcomes, and Causation (with E.A. Hanushek). Journal of Economic Growth 17 (4): 267-321, 2012

The Role of Cognitive Skills in Economic Development (with E.A. Hanushek). Journal of Economic Literature 46 (3): 607-668, 2008 


Mein Vortrag zum "Wissenskapital der Nationen" zur Eröffnung des WIB in Wuppertal 2014:

Mein Vortrag zum "Wissenskapital der Nationen" beim Deutschland-Dialog des Bankenverbands:

Ein Überblicksvortrag über das "Wissenskapital der Nationen" bei der Czech Academy of Sciences in Prag:

Meine Keynote zum "Wissenskapital der Nationen" beim Competence Day 2015 der Wirtschaftsuniversität Wien: 

Mein Beitrag zur Growth Commission der London School of Economics (ab Minute 44):

Ein großartiges Video zu unserem Buch "Endangering Prosperity", in dem Dashton die Bedeutung der Zahl 32 erklärt: