Meinung zu Bildungsungleichheit

Warum sehen wir nicht mehr Bildungsreformen, die versuchen, die Chancengleichheit im Bildungssystem zu erhöhen? Oftmals wird argumentiert, dass solche Reformen nicht mehrheitsfähig sind, weil das Bürgertum nur an die eigenen Kinder denkt und wenig Interesse hat, benachteiligte Kinder zu fördern. In einer Studie anhand der Daten des ifo Bildungsbarometers finden wir hingegen, dass viele Reformen, die auf größere Chancengleichheit abzielen, in der deutschen Bevölkerung deutliche Mehrheiten haben. Mehr als drei Viertel der Deutschen sprechen sich dafür aus, dass der Staat die Kindergartengebühren für alle Kinder aus einkommensschwachen Familien ab vier Jahren übernimmt. Gleiches gilt dafür, dass der Staat deutlich mehr finanzielle Mittel für Schulen mit vielen Kindern aus benachteiligten Verhältnissen zur Verfügung stellt. Auch für den Ausbau von Stipendienprogrammen, die einkommensschwache Studierende unterstützen, sprechen sich mehr als drei Viertel der Deutschen aus. Zwei Drittel der Deutschen sind dafür, dass die Aufteilung der Schülerinnen und Schüler auf Gymnasium und andere weiterführende Schularten erst nach der sechsten Klasse erfolgt. 65 Prozent sind für einen verpflichtenden Kindergarten für alle Kinder ab vier Jahren. Alle diese Reformvorschläge haben oft das Ziel, die Chancengleichheit zu erhöhen – und sie finden sehr deutliche Mehrheiten in der deutschen Bevölkerung.

Mit Hilfe von Survey-Experimenten gehen wir auch der Frage nach, ob sich die Präferenzen der Bevölkerung für bildungspolitische Maßnahmen, die auf verbesserte Chancengleichheit abzielen, ändern, wenn sie Informationen über das tatsächliche Ausmaß der Ungleichheit im Bildungssystem erhalten. Der Anteil der Bevölkerung, der die Ungleichheit von Chancen für Kinder aus unterschiedlichen sozialen Verhältnissen im deutschen Bildungssystem für ein ernsthaftes Problem hält, steigt von 55 auf 68 Prozent, wenn die Befragten über das Ausmaß bestehender Leistungsunterschiede informiert werden. Auch die Zustimmungsraten zu den bildungspolitischen Maßnahmen steigen leicht, wobei diese Effekte im Durchschnitt eher klein sind. Allerdings sind die Auswirkungen von Bedenken auf politische Präferenzen bei den Akteuren, deren Bedenken durch die Informationsbereitstellung erhöht wurden, durchaus substanziell. Auch gibt es deutliche Effekte auf die Zustimmung zu verpflichtendem Kindergartenbesuch, die weiter zunimmt, wenn die Befragten über die Wirksamkeit der Politik informiert werden. 

Weitere Befunde, dass die Deutschen Maßnahmen zur Verringerung von Ungleichheit in der Bildung unterstützen, finden sich in den ifo Bildungsbarometern 2019 und 2023


Zeitungsartikel:

Mehrheiten für gerechte Bildung. Süddeutsche Zeitung, 10.12.2018, p. 18


Hier erfahren Sie mehr über meine Forschung zu diesem Thema. 

Der wissenschaftliche Artikel zum Thema ist: 

Educational Inequality and Public Policy Preferences: Evidence from Representative Survey Experiments (with P. Lergetporer and K. Werner). Journal of Public Economics 188: 104226, 2020

Einen nicht-technischen Überblick gebe ich in: 

Public Opinion on Education Policy in Germany (with P. Lergetporer and K. Werner). In:  M.R. West, L. Woessmann (eds.), Public Opinion and the Political Economy of Education Policy around the World. Cambridge, MA: MIT Press, 205-243, 2021

Sowie in Abschnitt 4 in: 

Public Opinion and the Political Economy of Educational Reforms: A Survey (with M. Busemeyer and P. Lergetporer). European Journal of Political Economy 53: 161-185, 2018  

Die Befunde der ifo Bildungsbarometer 2019 und 2023: 

Was die Deutschen über Bildungsungleichheit denken: Ergebnisse des ifo Bildungsbarometers 2019 (with P. Lergetporer, E. Grewenig, S. Kersten, F. Kugler and K. Werner). ifo Schnelldienst 72 (17): 27-41, 2019

Was denken die Deutschen zu Chancenungleichheit im Bildungssystem? (with K. Werner, V. Freundl, F. Pfaehler, and K. Wedel). ifo Schnelldienst 76 (11): 33-39, 2023 [tweet]