2014

Ötztaler Radmarathon 2014

Erfahrungsbericht von Jochen

Was sagt man über ein Rennen, das es dermaßen in sich hat,

an dem man an einem Tag auf dem Rad so viel erlebt?...

Der 31. August 2014 war ein langer Tag, für die meisten der angetretenen Fahrer sogar der längste Tag des Jahres. Eine wunderschöne Landschaft, Temperatur- und Wetterzonen aller Art gepaart mit einer grandiosen Atmosphäre machen dieses Event alljährlich zu dem sportlichen Highlight im Radsportkalender. Als Marathon der Superlative wird er von den Veranstaltern beschrieben, der „Ötztaler Radmarathon“!

Sölden, Tirol, ist Start- und Zielort der 34. Ausgabe des Ötztaler Radmarathons. Wieder vor Ort ist das Team TV Elm, 2014 in der Besetzung

Jochen, Andreas und Martin.

Der Tag vor dem Rennen präsentiert sich nass, kalt und ungemütlich. Immer wieder ziehen Schauer durchs Ötztal, die Sonne zeigt sich nicht und auch die Berge verstecken sich in den tiefhängenden Wolken. Das Wetter ist ein leidiges Thema bei dieser Veranstaltung und auch dieses Jahr wird es wieder große Teile des Rennens prägen. Der Atmosphäre in Sölden tut das keinen Abbruch. Der Ort platzt aus allen Nähten. Über 4.000 Starter aus ganz Europa tummeln sich am Tag vor dem Radmarathon auf den Straßen. Startpakete werden entgegengenommen, das Material wird Probe gefahren und die Bike Expo besucht. Ein anderes Thema als den morgigen Sonntag gibt es nicht.

Auch bekannte Gesichter wie Jan Ullrich oder der Tour de France Teufel Didi Senft machen dem Ötztaler ihre Aufwartung.

Die Wetterprognosen für den Renntag versprechen keine sommerlichen Bedingungen, von einer Kaltfront mit kräftigem Regen ist die Rede. Wann? „Gegen Mittag“, sagen die Meteorologen. Na ja, ändern kann man das Wetter ohnehin nicht, also hinnehmen wie es kommt und hoffen, solange wie möglich trocken über die Berge zu kommen.

Entsprechend bereite ich meine Ausrüstung vor. Bei der Teambesprechung am Abend wird die Marschroute festgelegt, danach heißt es warten auf den morgigen Tag und den Start, draußen schüttet es heftig.

Um 5Uhr morgens dann der erste Blick aus dem Fenster und die Erkenntnis, es ist trocken! Wunderbar! Der Himmel ist sternenklar, dementsprechend kalt ist es aber auch. Durch das noch dunkle Sölden rollen wir zur Startaufstellung. Aus allen Hotels strömen Radfahrer Richtung Hauptstraße und sorgen schon frühmorgens für eine faszinierende Kulisse.

Die Anspannung bei den 4.100 Teilnehmern ist förmlich spürbar. Um 6:45Uhr fällt der Startschuss und der Tross setzt sich in Bewegung. Endlich geht es los und das Warten hat ein Ende.

Von Sölden geht es zunächst das Ötztal hinaus nach Ötz, wo der erste Anstieg des Tages zum Kühtai beginnt. Auf der langen Bergabpassage hefte ich mich an Martins Hinterrad. Erfahren durch viele Starts beim Ötztaler Radmarathon erreichen wir schnell und sicher den Fuß des ersten Passes. Die unrhythmische und steile Bergstraße führt über 18,5km und 1.200Hm auf 2.052m. Bereits zu Beginn verlieren wir Andreas aus den Augen, noch ist das Feld geschlossen und die gesamte Breite der Straße wird genutzt.

Es geht zügig voran, ich fühle mich in den ersten Rampen sehr gut. Martin und ich schlagen ein hohes Tempo an. Trotzdem reicht unsere Geschwindigkeit nicht aus und wir werden von einer kleinen Gruppe freilaufender Pferde überholt. Gegen den Allradantrieb haben wir keine Chance und sehen die Pferde erst wieder auf der Passhöhe. Die „Treppe“ des Ötztalers, das Kühtai, ist nach 1:52h erreicht, wir liegen voll im vorgesehenen Zeitplan.

Flaschen auffüllen, möglichst viel Verpflegung greifen und verstauen, Windjacke zu und weiter geht’s. Pause ist hier nicht angesagt, das Wetter lädt auch nicht gerade da zu ein, trocken ist es zwar, aber kühl. Verpflegen ist während des Fahrens angesagt. Es geht hinab Richtung Innsbruck.

Topgeschwindigkeiten bis zu 102Km/h h werden hier erreicht, also Kopf runter und Lenker festhalten. In der Tiroler Landeshauptstadt sammeln sich viele Fahrer wieder und Martin und ich finden uns in einer großen Gruppe wieder.

Durch Innsbruck wird gebummelt, niemand fühlt sich fürs Tempo verantwortlich, trotzdem kann man die Stadtdurchfahrt nicht genießen, zu hektisch geht es zu. Vorbei am „Bergisel“ geht es auf der alten Brenner Bundesstraße Richtung Italien.

Ich blicke mich um, Innsbruck verschwindet aus dem Sichtfeld, dafür rückt die imposante Europabrücke immer näher. Kaum geht der 35km lange Anstieg auf den 1.377m hohen Passübergang nach Südtirol los, wird das Tempo schlagartig erhöht.

Nun heißt es, sich auf das Hinterrad des Vordermanns zu konzentrieren. Mit Vollgas Richtung Süden, leider nicht der Sonne hinterher, sondern eher auf der Flucht vor der hereinziehenden Kaltfront aus Norden.

Martin präsentiert sich in extrem guter Form, man sieht es ihm an, wie er in der Gruppe agiert. Andreas liegt wenige Minuten hinter uns. Auch er ist ein erfahrener Ötztaler Radmarathoni, kennt die Tücken dieser Strecke und wird sich sein Rennen gut eingeteilt haben.

Dann kurz vor dem Brenner ein erstes kleines Loch, irgendwie kein Druck mehr auf dem Pedal. Martin schaut sich um, ich kann nicht direkt folgen. Zu wenig gegessen… Mist, so ein blöder Fehler! Zum Glück ist die Brennerlabe nahe.

Nach einer kurzen Besprechung mit Martin trennen sich unsere Wege. Meine Pause wird ein paar Minuten länger, möglichst viel Kohlenhydrate und Flüssigkeit aufnehmen ist die Devise. Martin ist bereits weitergefahren, der Rennplan will eingehalten werden, er wird eine extrem starke Performance abliefern. Auch Andreas passiert mich am Brenner.

Dann geht’s kurze Zeit später auch für mich gut gestärkt weiter. Sterzing ist das Tor nach Südtirol und zum dritten Pass an diesem Tag. Der Jaufenpass, mit 2.090m Höhe, knapp 15km Länge und 1.150Hm bildet das nächste Hindernis. Hier, nach 150km, beginnt der Ötztaler Radmarathon erst so richtig. Ich fühle mich wieder gut und kann auf dem Weg Richtung Gipfel eine gute Frequenz treten. Eine gefühlte Ewigkeit zieht sich die Straße den Berg hinauf, meist durch den Wald. Es wird immer feuchter. Die letzten Kilometer liegen in den Wolken, keine Sicht, aber es ist noch trocken.

Wieder heißt es am Gipfel Flaschen und Energiespeicher auffüllen, Windjacke anziehen und sich in die schnelle und schöne Serpentinenabfahrt stürzen. Zum Glück ist die Straße trocken, denn die Abfahrt hat es in sich, macht aber richtig Spaß, man kann es krachen lassen! Ein letzter Blick ins Vinschgau, noch immer ist das Wetter okay. Ich zähle km 180 und befinde mich am Fuß des letzten Passes, des Timmelsjochs, gefürchtet wie kaum ein anderer Pass in einem Marathon, da mit 2509m Höhe das Dach der heutigen Tour. Die Schilder am Straßenrand sprechen eine eindeutige Sprache, noch 29km bis zum Gipfel, knapp 1.900Hm am Stück, nur ein Gedanke, Wahnsinn! Aber ich fühle mich richtig gut, also los!

Es beginnt direkt mit steilen Rampen hinter der Ortschaft Moos! Kurbelumdrehung um Kurbelumdrehung wird weiter Höhe gewonnen. Trinken, Gel, Treten, so in etwa sieht der kontinuierliche Ablauf aus. Dann tauchen am Horizont die Serpentinen vor dem Gipfel auf, ein imposanter Anblick. Mit zunehmender Höhe wird es kälter, auf einmal ist alles in Wolken, kaum Sicht und dann kommt er, der lang angekündigte Regen.

Egal, fast oben, die letzten Anfeuerungen kommen vom Tour Teufel Didi, der mit einem E-Bike ausgerüstet das Timmelsjoch bezwungen hat und die Teilnehmer den Berg hoch pusht, Tour de France Feeling!

Dann endlich der Gipfel, 3 Grad, starker Regen, aber es ist geschafft, da ist das Wetter nicht mehr wichtig. Mit Vollgas in die letzte Abfahrt, über den Gegenanstieg an der Mautstelle und weiter Richtung Sölden. Spüren tue ich nichts mehr, unfassbar kalt ist es, irgendwie noch ins Ziel retten sage ich mir.

Dann kommt Sölden in Sicht. Im Ort ist die Stimmung unfassbar, die letzten Meter machen Richtig Spaß, alle Last fällt ab, es ist geschafft, der Ötztaler bezwungen. 235km und 5.500Hm sind bewältigt. Im Ziel erwarten mich die beiden anderen schon.

Martin hat eine extrem starke Leistung gezeigt, bewältigte den Marathon in 9:02h, was für ihn persönliche Bestleistung bedeutet. Die 9 Stunden wollten auch dieses Jahr nicht fallen, aber so bleibt weiterhin ein Anreiz, diese Zeit zu unterbieten. Andreas ließ nicht lange auf sich warten, knapp 10min nach Martin überquerte er die Ziellinie, auch er zeigte eine grandiose Leistung. Seine Endzeit: 9:13h. Auf mich mussten sie noch etwas warten, aber dann, nach 9:45h war auch ich im Ziel.

Einfach unfassbar, dieser Marathon! Was man alles an einem Tag auf dem Rad erleben kann! Auch das Wetter tobt im Zielbereich, leider nicht vor Freude, denn es hört nicht mehr auf zu schütten. Der nächste Tag wird die Berge in einem weißen Gewand zeigen.

Der Ötztaler Radmarathon ist ein grandioses Abenteuer auf dem Rad. Er war extrem hart, hat aber enorm viel Spaß gemacht. Weitere Starts sind garantiert. J.K.