Opferstockpredigt

Frei nach Meister Eckhart

“Opferstock Predigt”

Nolite timere eos, qui corpus occidunt, animam autem occidere non possunt. (Matt. X., 28)

Du sollst nicht jene fürchten, welche den Körper töten werden, denn die Seele werden sie nicht richten können.

‘Fürchtet nicht jene, welche euch, leiblich gesehen, töten möchten’; Geist tötet nicht Geist. Geist gibt demselben das Leben. Was euch zu töten versucht, das ist Blut und Fleisch. Was aus Fleisch und Blut beschaffen ist, das stirbt gemeinsam. Das Edelste am Menschen ist wohl sein Blut. So wird es wohl sein. Aber auch das Ärgste am Menschen ist sein Blut, wenn es schlecht beschaffen ist. Siegt das Blut über das Fleisch, so bleibt der Mensch demütig, geduldig und keusch. Er hat dann immer alle Tugend aufrecht erhalten. Siegt aber Fleisch über Blut, so wird ein Mensch hochtrabend, zornig und unkeusch. Dann wird er auch keine Tugend mehr an sich aufzeigen. Gelobt werde da der Heilige Johannes. Ich kann diesen kaum besser loben, als Gott ihn schon gelobt hat.

Nun passt auf. Ich möchte jetzt etwas sagen, das noch niemals ausgesprochen worden ist. Als Gott den Himmel, die Erde und die Tiere erschaffen hat, da hat es keinen Getreuen für ihn gegeben, er hat nichts zu bewirken gehabt und er hat auch kein Werk verrichtet. Da hat Gott den Gedanken entwickelt, sich ein Ebenbild zu schaffen. Das zu schöpfen ist eine einfache Aufgabe: Das kann man drehen und wenden (?) wie man möchte. Aber das, was ich mache, das mache ich selbst und mit mir selbst alleine und präge der Sache dabei mein Siegel auf. ‘Ein Gleicher soll gemacht werden’. Weder der Vater noch der Sohn noch der heilige Geist alleine schaffen das. Eher: Die Summe der drei als Einheit durch die Dreifaltigkeit bilden einen gleichen. Als Gott den Menschen geschaffen hat, da ist dieser in seiner Seele zu dessen Ebenbild geworden. Das ist er als ein wirkendes, aber auch immerwährendes Werk geworden. Diese Verrichtung ist so bedeutend gewesen, dass nichts anderes als die Seele dadurch entstanden ist. Und die Seele ist nichts anderes als Gottes Werk. Die Natur Gottes, das Wesen Gottes und seine Göttlichkeit sind so darin emaniert, dass es des Menschen Aufgabe geworden ist, seelisch gesehen, aktiv zu sein. Das sei von Gott gesegnet, ja es sei gesegnet von Gott! Weil Gott durch die Seele wirkt, schätzt er dieses Werk so sehr. Was Dir nun Deine Seele sei, daran wirkt noch immer das Göttliche. Dieses Werk Gottes ist so bedeutend, dass es nichts anderes ist als Dein Lebenshauch, und dieser Lebenshauch unterscheidet sich nicht von dem Gottes. Gott wohnt sich selbst bei und auch seiner Natur. Durch den Odem, weil Gott diesen gespendet hat, macht er das wahr, weil er das wahr gemacht hat, hat er alles geschaffen.

Ich möchte jetzt etwas sagen, das ich noch niemals ausgesprochen habe. Gott genießt das Göttliche selbst durch seinen eigentlichen Geschmack. In der Art, wie Gott Dich geschaffen hat, hat er auch alle Tiere geschaffen. Mit der gleichen Freude, mit der Gott Dich geschaffen hat, hat er auch alle Tiere geschaffen, weniger als Tiere, eher so: Tiere als Ebenbild seiner selbst. In der Art wie er das alles geschaffen hat, ist auch alles das geblieben.

Jetzt gebt gut Acht. Alle Lebewesen richten sich danach in höchster Vollendung. Jetzt bitte ich euch aber, dass ihr bei der ewigen Wahrheit und bei der immerwährenden Wahrheit und auch bei meiner Seele etwas vernehmen werdet. Ich möchte jetzt etwas sagen, das noch niemals von mir ausgesprochen worden ist. Gott und seine Göttlichkeit sind so unterschiedlich wie der Himmel und die Erde. Ich sage mir folgendes: Der innerliche Teil und der sich veräußernde Teil des Menschen sind ebenfalls unterschiedlich wie Himmel und Erde. Gott besitzt viele Gebiete da oben im Himmel. Gott wirkt da über Gedeihen und Vergehen.

Jetzt komme ich wieder auf meine vorherige Rede zu sprechen: Der Geschmack der Dinge ist immerzu ein Geschmack von göttlicher Bedeutung. Die Sonne wirft ihren Lichtschein über alle Geschöpfe, und während sie das tut, wird dieser Lichtschein von den Geschöpfen als Wärme verspürt, und doch hat sie niemals ihren Schein verloren.

Alle Geschöpfe tragen ihr gesamtes Leben lang das eigene Wesen an sich. Alle Geschöpfe kommen mir selbst so vor, als ob diese wohlgeformt und überlegt beschaffen sind. Ich selbst sehe in jedem Geschöpf den wahren Gott. Gebt Acht, was ihr selbst macht.

Jetzt komme ich wieder auf den innerlichen und den veräußerten Menschen von vorhin zu sprechen. Ich denke an eine Lilie auf dem Feld, ihr Aussehen mit ihrer Farbenpracht und dem Blattwerk. Aber bei der Schau dieser Pflanze verharre ich nicht. Warum tue ich das nicht? Es ist die Freude in mir, auf die es mir dabei angekommen ist. Ja, dass ich spreche, das ist mein Teil, was ich spreche ist jedoch nicht mein Teil. Alle Geschöpfe haben Anteil an mir über meine Äußerungen, meine Gestalt, mein äußerliches Wirken, wie sie auch Anteil an Wein, Brot und Fleisch gehabt haben. Aber den innerlichen Teil von mir können sie nicht genauso wahrnehmen. Sie erkennen diesen durch die Gottesgabe. Aber meine innerliche Freude erkennen sie nicht als die ihrige. Sie erkennen diese mehr als mein Wesen in seiner Beständigkeit.

Jetzt nehme ich an, dass wenn ich ein Becken mit Wasser und einem Spiegel darinnen am Grund dem Sonnenlicht aussetze, dann wirft die Sonne ihren Lichtschein darüber und verliert diesen doch nicht dadurch. Das Lichtspiel des Spiegels ist für die Sonne die Sonne selbst, und doch ist es nur ein Spiegel. So ist es auch bei Gott. Gott erscheint an der Seele mit seiner Natur, seinem Wesen und seiner Göttlichkeit und ist doch verschieden zu dieser. Das Widerspiel der Seele ist im Gedenken an Gott von Gott und sie ist dennoch eine Seele.

Ein werdender Gott also, und weil alle Geschöpfe daran partizipieren, partizipieren sie auch an ihm. Als ich auf dem Erdboden gestanden bin, auf dem Boden, am Fluss und bei der Quelle des Göttlichen, da hat mich keiner gefragt, was ich möchte und was ich dafür tue. Es hat niemanden gegeben, der das wissen hat wollen. Als ich aber da herauskam, da haben alle Geschöpfe viel geäußert und aufgezeigt. Da hat man mich gefragt: Bruder Eckhart, wann seid ihr aus dem Haus gegangen? Und auf einmal bin ich in mich zurückgekehrt. Das soll der Beweis für folgendes sein: Alle Geschöpfe sprechen im Sinne Gottes. Aber warum haben diese nicht von der Göttlichkeit gesprochen? Alles, was es gibt, gehört da dazu, und darum braucht das auch nicht besprochen zu werden. Gott ist der Wirkende. Die Göttlichkeit wirkt sich nicht aus. Sie hat auch nicht die Aufgabe, etwas zu erwirken, da sie selbst nicht einen solchen Antrieb hat. Sie achtet niemals auf etwas Erwirktes. Der Unterschied von Gott und Gottheit ist der von Wirken und nicht Wirken. Wenn ich wieder zu Gott zurückfinde, bleibe ich nicht da. So ist meine Regung viel edler als meine Äußerung. Nur ich kann für mich klar bekommen, dass alle Geschöpfe wie ich auch vernünftig beschaffen sind. Dessen werde ich mir gewahr. Wenn ich aber auf den Grund komme, auf den Boden, an den Fluss oder zur Quelle der Gottheit, dann wird mich keiner fragen, woher ich komme und wo ich gewesen sei. Da fehle ich niemandem, da verdirbt Gott an mir.

Wer diese Predigt verstanden hat, über den weiß ich mich zu erfreuen. Wäre niemand hier gewesen, so hätte ich diese dem Opferstock predigen müssen. Es gibt viele arme Leute, welche kein Einsehen haben und dann so sprechen werden: Ich möchte auf einem Stuhl sitzen, mein Brot essen und so Gott zu dienen wissen. Ich sage es bei der ewigen Wahrheit, dass solche Leute verirrt sind und nichts erreichen werden. Sie können auch nicht verhindern, dass jene, welche Gott tüchtig nachfolgen durch ihr Beispiel, gewiss etwas erreichen werden. Amen.