Chefsache

Kaum zur Tür herein, stellte Albrecht die Heizung auf warm, schaltete noch ein paar Lichter an und zog die Rollläden hoch. Während er eine Zeitkarte anstempelte, sah er den Stapel Briefe durch, welcher durch den Schlitz an der Tür geworfen worden war.

Kuala-Lumpur; Wien; Budapest; Friedrichshafen - das Übliche.

Er ging in das Büro und legte den Stapel Briefe auf den großen, braunschwarzen Schreibtisch ordentlich hin, griff sich die Zeitung vom Tisch und setzte sich auf seinen Stuhl am Schreibtisch gegenüber.

'Aha - diese Aktie hat etwas an Wert verloren, bei jener aber ist er etwas gestiegen.' - Er machte jeweils ein Plus oder ein Minus bei den Werten, welche ihn interessiert hatten.

Da ging auf einmal knarrend die Tür auf und ein alter, aber rüstiger Herr trat herein, grau am Bart und mit dunkler Kleidung. "Albrecht!", der Alte setzte sich auf seinen Stuhl, schaute herüber und in einem befehlenden Ton sprach er weiter: "Gib mir die Zeitung. Du hast allerhand zu tun. Die Buchkonten sind in Ordnung zu bringen, hör jetzt auf zu lesen!".

Albrecht stand auf, lächelte und antwortete: "Guten Morgen, Herr Kramer, hier ist die Zeitung. Ich habe einen Blick auf die Aktienwerte geworfen. Die Kurse steigen, vor allem Ibiza."

"Ibiza?", mürrisch runzelte Kramer die Stirn, "Warum ausgerechnet Ibiza. Albrecht, du führst doch was im Schilde?"

"Na ja, Herr Kramer, ich habe gedacht, sie können gut und gerne auch einmal zwei Wochen Urlaub vertragen. Außerdem kriege ich den Laden in der Zeit auch alleine hin."

Nachdenklich, aber unnachgiebig in seiner Haltung zückte Kramer einen Bleistift, strich Ibiza, das Albrecht in Druckbuchstaben unter den Aktienindex geschrieben hatte mit einem Strich durch und schrieb darunter den Namen Albrecht und versah ihn mit einem Minuszeichen. Er reichte Albrecht die Zeitung wieder rüber, der nach kurzem Hinsehen die Zeitung ohne Kommentar auf einen Stapel Papier legte und den Anschaltknopf seiner Schreibmaschine anstellte.

Er kramte die Arbeit, welche er für heute vorbereitet hatte aus der Ablage, machte sich kurze Notizen und begann nun Formulare auszufüllen. "Frohes Schaffen, Chef."

Kramer erwiderte seine Aufmerksamkeit mit einem Anspannen der Mundwinkel und etwas gebleckten Zähnen. Er goss sich jetzt einen warmen Tee ein und rührte einen Löffel Zucker darunter.

Albrecht schrieb ohne größere Pausen zu machen. Blatt für Blatt wurde der Sollstapel kleiner, bis das letzte Blatt ausgearbeitet war.

"So, Chef, ich mache jetzt Pause. Soll ich Kaffee kochen oder bleiben sie bei Tee?" Freundlich sah Kramer zu Albrecht zurück und nickte.

"Also gut,Tee!" Albrecht goss Wasser in den Schnellkocher, rühte eine Tasse Kaffee an und goss den Rest in die Teekanne. "Ach ja, Schwarzen oder Grünen?" "Grünen!", sprach da der.

'Gut', dachte sich Albrecht, 'dann bleibt der Rest Milch für mich übrig.' Er stellte den Tee zum Ziehen auf den Tisch für den Versand und lehnte sich, die Kaffeetasse in der Hand haltend, in den bequemen Bürostuhl.

"Sie können rauchen, Albrecht", bot der Chef an, sehr zu Albrechts Gefallen.

Rauchend nahm er nun die Zeitung wieder zur Hand, beachtete aber nicht die Headliner, sondern sah sich vor allem die Bilder an.

Ein kranker Präsident macht keine gute Figur, dachte er und blätterte weiter an der Reproduktion einer Landschaft vorbei, las dann den Informationsteil für kulturell Interessierte.

Ein hübsches Bild eines Solisten mit Bratsche und ein Gemälde eines hiesigen Künstlers weckten sein Interesse nicht gar so sehr.

Ausrauchend faltete er die Zeitung wieder zusammen und reichte sie seinem Chef.

Als er sich wieder an die Arbeit machte, fing das Faxgerät damit an, einen Höllenlärm zu machen.

Albrecht stand auf und riss das Blatt ab, das gerade angekommen war.

"Oh, Herr Kramer, wir haben ein Angebot bekommen."

Der Alte sah den Schrieb kurz durch und legte ihn dann auf die Ablage. Er hob den Hörer vom Telefon und wählte, ließ sich mit einem Herrn Hofstätter verbinden, mit dem er eine kurze Absprache hielt und legte dann den Hörer wieder auf.

"Okay!", war alles, was er jetzt sagte. Albrecht holte aus einem Ordner eine Vorlage und füllte sie mit den richtigen Angaben aus. Herr Kramer spitzte jetzt seinen Bleistift und zeichnete Kringel auf ein unbeschriebenes Blatt, legte es aber bald wieder beiseite und rückte ein paar Bücher richtig in die Reihe.

"Endlich hat es geklappt, Albrecht!"

Als Albrecht seine restliche Arbeit beendet hatte, richtete er wieder die Neue für den nächsten Tag vor und goss sich etwas Sprudel in sein Glas. Auch seinem Chef reichte er eines herüber.

Er zog seine Stempelkarte durch den Apparat und lehnte sich wieder bequem in den Stuhl.

"Hat es sich gelohnt?", fragte er ungezwungen und spielte dabei mit irgendwas in den Fingern.

Der Chef richtete sich in dem Stuhl auf und schaute ihn lächelnd an:

"Ibiza!"