Das ungelesene Buch

25.1.1998 Komposition

Aquarell, Komposition

Manche Leute sagen, dass es darauf ankäme, das Buch zu einem Film vorher zu lesen, ehe man sich den Film dazu anschaut. Das kann ich nur begrüßen. Mitunter gibt es aber gar keinen Film zum Buch. Dann ist es ideal gewesen. Filme sind doch nur Momentaufnahmen einer Gegenwart, welche nur sehr bedingt etwas mit dem Thema eines Buches zu tun haben kann. Und ein Buch ist ja auch eigentlich nichts gewesen, das man sich einfach so nehmen, lesen und verstehen kann. Da bedarf es mannigfacher Momente jenes geheimnisvollen Vorgangs, den man gemeinhin als Verständnis für die Sache bezeichnen wird können.

Doch verstehen wird man alleine nur das, auf das man bereits vorbereitet ist. Es gelte also das bereits Gelesene auch aufzubereiten. Das aber ist ein Vorgang, der alleine nur mit Vorstellungskraft geleistet werden kann. Doch da sind die Bücher doch in der Regel schon am Ende ihrer Worte angelangt. Ein solcher Umgang mit einem Buch führt mich zu einer Auseinandersetzung mit dem Lesen selbst.

Demgegenüber ist das ungelesene Buch eines, mit welchem ich mich bisher erst oberflächlich befasst habe. Es wird von mir dennoch als vorhanden wahrgenommen. Es hat eine bestimmte Ausstattung. Es besteht aus Papier und Einband sowie dem Umschlag um diesen und verkörpert das Werk vieler Menschen. Es weist Merkmale des Designs, der Handwerkskunst eines Buchdruckers, die Drucktechnik etwa an sich auf. Es verkörpert darüber hinaus noch etwas Weiteres. Das sei etwas, das unserer Phantasie erst den wahren Grund dazu geben wird, um bei uns aufzukommen und aufzukeimen.

Mit wie viel Liebe zum Werk wird solch ein Buch hergestellt. Welche Freude wird es unter die Leute bringen können. Es wird geschenkt und zuweilen auch wieder weitergegeben. Es wird ins Regal gestellt und ziert von da an mit einer gewissen Leuchtkraft das Haus.

Man trägt seinen Namen in den Rücken des Buches ein und schreibt sich vielleicht auch noch auf, woher es stammt. Man schaut es und liest es auch kurz an. Es wird manchmal jemandem als Geschenk gewidmet und zuweilen als Präsent versendet. Es wird eingepackt und dann wieder ausgepackt. Es wird dabei stets geachtet und gewürdigt als das, was es ist. Ja, wer selbst ein gutes Buch besitzt, der darf sich seines guten Geschmackes wegen rühmen lassen.

Und doch ist solch ein Buch mehr als nur dieser profane Gegenstand aus Papier. Es dient zur Erbauung und nicht etwa der Angeberei. Es ist auch eine Möglichkeit geworden, um das richtige Sehen zu erlernen. Schließlich muss man Bücher in geordneter Weise lesen, um ihren Sinn verstehen zu können.

Aber kann man nicht bei vielen Büchern vorwegnehmen, was sie eigentlich zu klären versuchen? Ja, wird man solche Bücher noch lesen, wenn diese von etwas handeln, das man bereits ausreichend gut verstehen kann?

Manches Buch langweilt sehr, weil alles an ihm bereits bekannt geworden ist. Ist es dann auch noch schlecht geschrieben, wird es uns sogar verstören können. Das ist so, wenn man selbst etwas anderes gewohnt ist.

Ein Buch, und sei es vom Thema her auch noch so einfach in seiner Art, ist eine Eintrittskarte in ein Diesseits ohne vorkommende Außenreize, ohne Ablenkungen, ohne Verluste jedweder Art. Das Lesen eines solchen Buches geht einher mit dem Versuch in eine tiefer gehende Versenkung zu fallen. Jene Auseinandersetzung mit dem geschriebenen Wort ist eine Freude für den Sprachbegabten.

Die ungelesenen Bücher sind derweil die wahren Schätze eines Literaten, welche er sich aufbewahrt, um sie am dafür geeigneten Tag dann schließlich doch zu lesen. Es sind Bücher, welche er dazu bevorratet. Es bleibt abzuwarten, wann er diesen seine Aufwartung machen wird. Wenn er sich endlich ausreichend auf diese Sache vorbereitet haben wird, dann wird er sie sogleich leisten wollen und auch können. Dann sind seine Kräfte gänzlich dazu ausgereift. Es wird das eigene Wohnzimmer somit zu einem lauschigen Plätzchen.