Wenn es darum geht, den Sinn des Trinitatisfestes zu verstehen, dann gehört dieser Tag zu den schwierigsten im kirchlichen Kalender. An diesem Sonntag nach Pfingsten vergegenwärtigen sich die Christen die Vorstellung des Dreinigen Gottes, Gott Vater, Gott Sohn, Gott Heiliger Geist. Doch bevor ich darauf eingehe, will ich die Geschichte aus dem Johannesevangelium (3,1-8) nacherzählen, die für diesen Sonntag als Evangelium ausgewählt ist.
Jesus hatte auch unter den Pharisäern, die ihm eigentlich feindlich gegenüberstanden, Freunde und Bewunderer. Zu diesen gehörte auch Nikodemus. Der wird an drei weiteren Stellen im Johannesevangelium als ein Anhänger oder zumindest als ein Sympathisant von Jesus beschrieben (vgl. Joh 7,50 und Joh 19,39).
Offensichtlich kam es bei der Mehrzahl der Pharisäer nicht gut an, wenn man die Nähe des Galiläers Jesus aufsuchte. Deshalb ging Nikodemus auch in der Nacht zu ihm. Er war fasziniert von dem, was Jesus sagte und wollte mit ihm ins Gespräch kommen: "Meister, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm." (alle als wörtliche Rede gekennzeichneten Sätze stammen aus der Lutherübersetzung)
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Die Antwort, die Jesus ihm gibt, wird den Pharisäer nicht zufrieden gestellt haben: "Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen."
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Zwischen beiden entspinnt sich ein Gespräch, wo Frage und Antwort, Antwort und Frage hin und her gehen, ohne dass Nikodemus - und wohl auch nicht der heutige Leser - alles verstanden hat. Nikodemus versteht den Satz von der "neuen Geburt" wortwörtlich und fragt Jesus: "Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden?" So hatte Jesus das natürlich nicht gemeint. Er hatte nach dem Johannesevangelium die Taufe und das Geschenk des Heiligen Geistes in der Taufe im Blick: "Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. ..." Und dann grenzt Jesus die Geburt nach dem Fleisch von der nach dem Geist voneinander ab. "Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren ist, das ist Geist."
Offensichtlich ist Jesus schon klar, dass dieser Gedankengang nicht so ohne weiteres zu verstehen ist. Zu Nikodemus gewandt sagt er: "Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von neuem geboren werden." Und Jesus fügt dann noch hinzu: "Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist." Diese Formulierungen erinnern stark an die Pfingstgeschichte, wo der Geist Gottes im Brausen des Windes mit Feuerzungen über die Jünger kommt.
Und Nikodemus? Hat er alles verstanden? Ist er zufrieden? Er wird noch lange über das nachdenken müssen, was er gerade gehört hat. Aber seine Faszination für den Galiläer lässt ihn nicht mehr los. Später wird er ihn verteidigen, als für die übrigen Pharisäer längst schon klar war: "Aus Galiläa steht kein Prophet auf." (vgl. Joh 7,50ff). Und als Jesus von einem anderen Mitglied des Hohen Rates der Juden, von Josef aus Arimatia beerdigt wurde, war Nikodemus auch zur Stelle (Joh 19,39).
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