Mit dem 1. Advent beginnt eine neues Kirchenjahr. Nachdem wir am letzten Sonntag an die Menschen gedacht haben, die wir in den vergangenen Monaten beerdigen mussten, nehmen wir jetzt die neue Zeit in den Blick: In seinem Sohn Jesus Christus kommt Gott zu uns Menschen. Das ist ein Geschenk und eine Gabe und zugleich auch eine Aufgabe, die sich nicht allein auf unser eigenes Lebens bezieht, sondern die auch den Nächsten mit in den Blick nimmt.
Traditionell gehört die Geschichte vom Einzug Jesu in Jerusalem zum 1. Advent. Das mutet schon ein wenig komisch an, weil wir doch Weihnachten die Geburt des Jesuskindes feiern - und jetzt am 1. Advent ist vom erwachsenen Mann Jesus die Rede, der nach Jerusalem reitet. Ein wenig seltsam, oder? Letztendlich nicht, denn das Evangelium vom 1. Advent will uns erzählen, damit mit Jesus der König in die Welt kommt, den Gott den Menschen versprochen hat, ein König, "der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird" (Jeremia 23,5) - allerdings anders, als das Könige damals und Politiker heute machen.
Doch nun erst einmal zur Geschichte, wie sie Matthäus im 21. Kapitel in den Versen 1-11 erzählt.
Jesus ist mit seinen Freunden in der Nähe von Jerusalem angekommen. Sie sind bei der kleinen Ortschaft Betfage am Ölberg. Von hier aus schickt Jesus zwei seiner Jünger los, die sollen in das nahe gelegene Dorf gehen und einen Esel holen. Außerdem soll dort auch noch ein Jungtier sein, ein junger Esel, ein Füllen, ein Eselfohlen. Beide Tiere sollen die Jünger losbinden und mitbringen. Wenn jemand fragen sollte, was die Jünger mit den Tieren vorhätten, sollten sie sagen: "Der Herr bedarf ihrer." Dann würde keiner mehr bedenken haben.
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Matthäus erklärt den Lesern seines Evangelium, warum Jesus das tut. Beim Propheten Jesaja gäbe es eine Stelle, die vorhersagt, dass der König, den Gott schickt, auf einem Esel und auf dem Jungtier nach Jerusalem hineinreitet. So zitiert Matthäus die Bibelstelle. "Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers." (Sacharja 9,9) - Um diesen Satz zu verstehen muss man wissen, dass der Ausdruck "Tochter Zion" synonym für die Stadt "Jerusalem" gebraucht wird. Im Bibellexikon der Bibelwissenschaft.de lesen wir: "Der biblische Begriff Zion lässt sich entweder topographisch auf den Berg beziehen, auf dem Jerusalem erbaut ist, oder er meint die Stadt selbst." (http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/35902/)
Es gibt im Alten Testament aber noch eine andere Geschichte, die im Hintergrund stehen könnte. König David war alt geworden. Er lebte in Jerusalem und hatte seine Nachfolge noch nicht geregelt. Zwei Söhne wollten König werden: Adonija und Salomo. Adonija, der ältere, war etwas vorschnell, rief sich selbst zum König aus, opferte im Tempel und feierte mit seinen Getreuen ein großes Fest. Aber er hatte sich weder mit seinem Vater David noch mit anderen Familienmitgliedern abgestimmt. Und das wurde ihm zum Verhängnis.
David rief seine Getreuen zusammen: den Priester Zadok, den Propheten Nathan und Soldaten Benaja. Diese drei sollten mit den "Großen in Israel" Salomo zum König machen. Der Sohn Davids wurde auf das Maultier (!) des Königs gesetzt. Man zog zur Quelle Gihon. Dort salbte der Priester Zadok zum König. Im biblischen Bericht heißt es dann: "Und sie bliesen die Posaunen und alles Volk rief: Es lebe der König Salomo! Und alles Volk zog wieder herauf hinter ihm her, und das Volk blies mit Flöten und war sehr fröhlich, sodass die Erde von ihrem Geschrei erbebte." (1. Könige 1,39f) Die ganze Geschichte kann man im 1. Buch der Könige gleich im 1. Kapitel nachlesen.
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Mich hat die Parallele schon immer beeindruckt. Die Evangelisten erzählen, dass die Jünger, die Jesus losgeschickt hatte, die Eselin und das Jungtier zu holen, genauso vorgingen, wie Jesus es gesagt hatte.
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Bei Jesus wieder angekommen, legen die Jünger dem Esel ihre Kleider als Sattel auf und Jesus steigt auf.
Manchmal wird auf einem Bild dargestellt, dass Jesus sich auf das Muttertier und auf das junge Fohlen setzt. Das ist natürlich Blödsinn. Hier haben griechisch sprechenden Menschen das Zitat aus dem Alten Testament, das ursprünglich in hebräischer Sprache geschrieben war, nicht mehr verstanden. Beim Propheten heißt es in der Übersetzung von Martin Luther. "Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin." (Sachaja 9,9) Die Formulierung "... reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin ..." war hebräischer Sprachstil. Man drückte sich doppelt aus: Der eine "Esel" war ganz einfach einmal als Jungtier natürlich das "Füllen einer Eselin" gewesen. Für diese Ausdrucksweise gibt es in der Rhetorik den Ausdruck "Parallelismus" (s. https://de.wikipedia.org/wiki/Parallelismus_(Rhetorik)).
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Jesus setzt sich also auf den Esel und dann geht der Zug nach Jerusalem. Vielleicht kam von tatsächlich wie damals Salomo auch vom Gihon her in die Stadt. Es gibt einen Volksauflauf, Matthäus spricht von einer "sehr großen Menge". Etliche ziehen ihre Obergewänder aus und legen sie als einen Teppich aus, so dass der Esel mit seinem Reiter darüber traben kann; heute würde man sagen: der "rote Teppich" wird ausgerollt. Andere hauen Zweige von den Bäumen und breiten die vor dem Reiter aus.
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Alles gerät zu einem Riesenereignis. Die Menschen sind so begeistert, dass sie lautstark rufen: "Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!" Wen begrüßen sie da? Den sanftmütigen König, der arm auf dem Esel daher kommt? Oder den politischen Heerführer, der sich endlich an die Spitze der jüdischen Kämpfer stellt, die nur darauf zu brennen gegen die Römer zu kämpfen und die verhassten Besatzer aus dem Land zu treiben?
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Diese Fragen trieben offensichtlich auch die Menschen in Jerusalem um: "Wer ist der?" Ganz im Sinn des Zitats aus dem Propheten Sachaja gibt Matthäus seine Antwort: "Das ist Jesus, der Prophet aus Nazareth in Galiläa." - Ob die Römer das auch so gesehen haben? Als Jesus gekreuzigt wurde, ließ Pilatus das Schild mit der Aufschrift anbringen: "Jesus von Nazareth - König der Juden". Die Römer ließen sich von keinem König etwas sagen.
Ralf Krüger - Lizenz (CC BY-SA 3.0)