EG 954.65 21. Sonntag nach Trinitatis
Dem Evangelium dieses Sonntags nähern wir uns vielleicht am einfachsten über den Wochenspruch. Der steht beim Apostel Paulus im Brief an die Römer: "Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem." (Röm 12, 21) Das Anliegen, das sich in diesem Satz spiegelt, nämlich die Welt zum Guten zu verändern, dieses Anliegen hat Jesus auch in der so genannten Bergpredigt vorgetragen. Bei Matthäus sind in den Kapiteln 5 bis 7 verschiedene Jesusworte zusammengetragen worden, die alle darauf zielen, dass Leben miteinander positiv zu gestalten. Es lohnt sich wirklich, diese Kapitel einmal in einer Bibel nachzuschlagen und mit Bedacht zu lesen.
Auge um Auge, Zahn um Zahn.
Im Evangelium für den 21. Sonntag nach Trinitatis geht es ums Vergelten und um die Feindesliebe. Jesus erinnert seine Zuhörer an einen Rechtssatz aus dem Alten Testament. Da heißt es: »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« (2.Mose 21,24) Im Zusammenhang des Alten Testaments war dieses Satz ein ganz großer Fortschritt, regelte er doch die Wiedergutmachung im Schadensfall. Diese sollte dem Schaden angemessen sein, während zuvor kein Maß angelegt werden musste. Da konnten Menschen, die die Macht dazu hatten, andere, die ihnen einen kleinen Schaden zugefügt hatten, durch die Forderung nach Wiedergutmachung in den Ruin, in die Sklaverei oder sogar in den Tod treiben. Da ist dann eine Wiedergutmachung nach dem Verhältnis »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« schon ein echter Fortschritt. Doch wenn es nicht, wie wir das heute sagen, zu einem Täter-Opfer-Ausgleich kommt, schafft auch eine solche Wiedergutmachung keinen echten Frieden. Deshalb geht Jesus einen neuen Weg. "Setzt dem Bösen nichts entgegen", so sagt er seinen Zuhörern. "Sei dabei nicht feige und renn weg. Überrasche vielmehr deinen Gegner mit einer unerwarteten Reaktion, so dass er über sein Verhalten ins Nachdenken kommt."
Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.
Und Jesus bringt gleich ein Beispiel, das den Juden wohl nur zu vertraut ist, wenn sie daran denken, wie sie manches Mal von den römischen Besatzern schikaniert werden, als ob sie überhaupt keine Menschen wären. "Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar", sagt Jesus.
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Mal im Ernst, wer würde das denn machen, auch noch die andere Backe hinhalten. Der erste Reflex ist doch: Ich haue zurück. Aber dann sollte man einen Moment nachdenken. Das Bild macht es überdeutlich: Der Geschlagene hätte überhaupt keine Chance, sich gegen den römischen Soldaten zur Wehr zu setzen. Der zieht sein Schwert - und schon ist der andere schachmatt. Wenn es denn dabei bleibt und der Soldat nicht zusticht, weil er ja von dem anderen, der zurückschlägt, bedroht wurde. Kein Vorgesetzter hätte auch nur einen Moment über so eine Tötung nachgedacht. Und wenn der Geschlagene nun tatsächlich auch die andere Wange hinhält? Was passiert dann? Der Soldat kann wieder zuschlagen. Er kann aber auch darüber ins Nachdenken kommen, was die Gewalt eigentlich bringt.
Wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel.
Das nächste Beispiel Jesu kommt aus der Gerichtswelt. Vermutlich wurden Menschen verklagt, wenn sie ihre Schulden nicht bezahlen konnten. Dann sollten sie als Ersatz den "Rock" geben, damit der verkauft und der Erlös auf die Schulden angerechnet werden konnte. Der Mantel, der nachts auch als Decke gegen die Kälte verwendet wurde, durfte nicht gepfändet werden. Das steht schon unter dem Stichwort "Rechtsschutz für Schwache" im Alten Testament: "Wenn du den Mantel deines Nächsten zum Pfande nimmst, sollst du ihn wiedergeben, ehe die Sonne untergeht, denn sein Mantel ist seine einzige Decke für seinen Leib; worin soll er sonst schlafen?" (2. Mose 22,25-26) Wenn Jesus jetzt sagt, dass man in einer solchen Rechtsstreitigkeit neben dem Rock auch den Mantel geben soll, dann soll dies dem Kläger die Schäbigkeit seines Antrags vor Augen halten. Einem, der schon am Rand der wirtschaftlichen Existenz steht, soll auch noch das "letzte Hemd" genommen werden.
Wenn dich jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei.
Dieses Beispiel hat wieder etwas mit der römischen Besatzungsmacht in Palästina zu tun. Die Soldaten hatten das Recht, einen Juden zu zwingen, dass er sie zu ihrem Ziel führte oder dass er ihr Gepäck trug. Das machte natürlich niemand gern. Und wenn es möglich war, suchte man bestimmt das Weite, wenn römische Soldaten sich näherten.
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Wieder setzt Jesus auf den Überraschungseffekt: Geh einfach zwei Meilen mit, tu mehr, als der Soldat verlangen darf. Es ist wie beim Schlag auf die Wange. Entweder nimmt der Soldat das Verhalten des Juden einfach hin. Er hat ja was davon. Mal sehn, was der nächste macht. Oder er denkt über sein Handeln nach. Kann er seine Sachen nicht selbst tragen? Kann er nicht höflich nach dem Weg fragen? Vielleicht kommt der andere ja freiwillig ein Stück mit, so dass er sich wieder zurecht finden kann.
Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der etwas von dir borgen will.
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Von der Feindesliebe
43 Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Du sollst deinen Nächsten lieben« (3.Mose 19,18) und deinen Feind hassen. 44 Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, 45 damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. 46 Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? 47 Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden? 48 Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.
Ralf Krüger - Lizenz (CC BY-SA 3.0)