Die beiden letzten Sonntage richteten Fragen an uns Christen. Am 1. Sonntag war es die Frage, ob wir auf das hören, was Mose - 10 Gebote - und die Propheten - beispielsweise Micha 6,8: Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott. - verkündet haben. Am 2. Sonntag nach Trinitatis stand die Frage im Raum, ob wir Gottes Einladung auch annehmen und ihr folgen. Wer diese Fragen ehrlich beantwortet, wird sicher eingestehen, dass wir dem Anspruch Gottes nicht immer gerecht werden. Da ist es gut, wenn dann am 3. Sonntag erzählt, wir, dass Gott ein ganz großes Herz hat und sich über jeden freut, der zu ihm kommt.
Solange Jesus bei den Menschen war, konnten die von der Großherzigkeit Gottes nicht nur hören, sondern sie konnten die auch erleben, nämlich bei Jesus. Der war gerade bei denen zu finden, die sonst nicht beachtet wurden, bei "allerlei Zöllnern und Sündern", wie es gleich zu Beginn des Evangeliums des heutigen Sonntags heißt. Dieses steht bei Lukas 15, 1-3.11b-32.
Die einen, die "Zöllner und Sünder", freute es natürlich, dass sie bei Jesus eine Heimat fanden, dass sie von ihm hörten und bei ihm als Sohn Gottes das auch erlebten: Gott lässt keinen Menschen fallen, wenn der zu ihm kommen will. Gott nimmt uns an, Gott vergibt uns unsere Schuld, und Gott schenkt uns einen neuen Anfang, damit wir auch anderen Menschen einen neuen Anfang schenken können.
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Die anderen, die frommen Juden, die täglich beteten, die in den Tempel zum Gottesdienst gingen, die von ihrem Einkommen den tatsächlich den 10% als Spenden abgaben, die auch noch den Bettlern, Kranken und Lahmen gaben, weil Gott dies so wollte, die waren gar nicht begeistert, wenn sie Jesus, den Sohn Gottes, bei den "Zöllnern und Sündern" sahen. Warum war er nicht bei ihnen, die sie Gott doch nahe standen? Wozu dienten dann all die frommen Werke, wenn auch die anderen letztendlich bei Gott ankommen. Jesus bekam diese Stimmung natürlich mit und versuchte mit einer Geschichte, auch die Frommen wieder an sich zu binden. In der Bibel trägt die Geschichte oft den Titel "Der verlorene Sohn". Ich wähle diesmal eine andere Überschrift.
"Ein Mensch hatte zwei Söhne", so begann Jesus seine Geschichte. Mit diesen Söhnen lebte der Mensch zusammen und bewirtschaftete den Hof, den später der ältere Sohn erben würde, so sah es das Gesetz des Mose vor. Dafür musste sich dieser Sohn aber auch um Vater und Mutter kümmern, wenn diese beiden alt wurden und der Hilfe und Pflege bedurften. Gott sei Dank, so weit war es aber noch nicht.
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Eines Tages fasste der jüngere Sohn sich ein Herz und ging auf seinen Vater zu. Er bat um den Erbteil, der ihm zustand. Jetzt, wo er noch relativ jung und unternehmungslustig war, wollte er in die Welt ziehen, um sein Leben aufzubauen. Hier zu Hause auf dem Hof war nur für einen der Söhne Platz, das wusste er, dass wussten aber auch sein Vater und sein Bruder. Und so teilte der Vater seinen Besitz. Das, was jedem zustand, das bekamen die beiden Söhne auch. Der jüngere blieb noch eine Zeit. Er bereitete die Abreise vor. Und dann machte er sich auf den Weg. Er würde seinen Weg ganz bestimmt finden.
Doch wenn man jung ist, hat man es nicht einfach. Erst mal in die große Stadt, weit weg von zu Hause, möglichst noch ins Ausland. Man will ja schließlich selbstständig sein. Und außerdem findet man da schnell neue Freunde, vor allem, wenn man Geld hat. "Ey, Alter, komm, gib einen aus!" - "Noch einen, auf einem Bein steht man nicht." - "Bist doch nen echter Kerl, verträgst du nichts?"
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So ging das eine ganze Zeit. Und alle hatten miteinander viel Spaß. Aber dann ist das Geld aufgebraucht. Und es war Schluss mit lustig! So schnell er junge Mann seine Freunde gefunden hatte, so schnell war er sie auch wieder los und stand auf der Straße. In der Bibel heißt es dazu: Er hatte sein Erbteil durchgebracht mit Prassen.
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Zu allem Überfluss gab es auch noch eine Hungersnot, als er so auf der Straße gelandet war. Jeder war sich selbst der Nächste. Keiner wollte einem Fremden helfen. Einer hatte dann doch Erbarmen und schickte ihm zum Schweinehüten. "Aber wehe, wenn du den Schweinen das Futter wegfrisst!"
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So weit war es nun mit ihm gekommen. Er, der Jude, er musste Schweine hüten, wo doch im 3. Buch Mose zu lesen war, dass die Schweine unreine Tiere waren (3. Mose 11,7). Es war zum Verzweifeln!
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Doch was der Junge Mann dann hinkriegte, das verdient schon Respekt. In der Bibel heißt es: "Da ging er in sich und sprach: Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die Brot in Fülle haben, und ich verderbe hier im Hunger! 18 Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich zu einem deiner Tagelöhner!"
Der junge Mann überdenkt seine ganze Situation. Er sucht die Schuld nicht bei anderen, sondern er erkennt, dass er selbst Verantwortung für sein falsches Handeln übernehmen muss. Hier in diesem fremden Land wird er nicht weiterkommen. Bestenfalls bleibt er bei den Schweinen, schlimmstenfalls geht er vor die Hunde. Ihm fällt nur einer ein, der helfen kann und der helfen wird: sein Vater. Aber als Sohn will er nicht auftreten. Das hat er selbst vergeigt. Als Knecht will er hingehen, als Bittsteller.
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Er macht sich tatsächlich auf den Weg. Mit allem hätte er gerechnet, aber nicht damit, dass ihm sein Vater entgegenkommt und ihm un den Hals fällt. Doch so leicht will er es sich nicht machen. Er will nicht da weitermachen, wo er aufgehört. Er muss aussprechen, was ihm auf dem Herzen liegt, er muss sagen, was wie eine zentnerschwere Last ihn bedrückt. Er sinkt auf die Knie:
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"Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße. ..."
Weiter kommt er nicht. Der Vater ruft die Diener: "Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße und bringt das gemästete Kalb und schlachtet's; lasst uns essen und fröhlich sein! Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden." Alle lassen sich anstecken von der großen Freude des Vaters und ein tolles Fest beginnt.
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Er wäre zu schön gewesen um wahr zu sein, wenn die Geschichte hier endete. Vater und Sohn hätten sicherlich später auch noch über die Fehler gesprochen - und man hätte sich überlegen können, wie es jetzt sinnvoll weitergehen könnte. Aber es gab Stress von einer anderen Seite. Der ältere Sohn kam von der Arbeit und war durchaus verwundert über das muntere Treiben auf dem Hof. Hatte er was verpasst? War was bei ihm nicht angekommen? Und was sollte das: Sein jüngerer Bruder, dieser Luftikus, Taugenichts, Tunichtgut, Windbeutel, dieser lockere Vogel saß da neben seinem Vater.
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Der ältere Sohn war so stinksauer, dass er sich weigerte in sein eigenes Haus zu gehen. Er hatte den Kaffee vollends auf.
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Sein Vater macht es, wie er es beim jüngeren Sohn auch gemacht hat. Er geht raus, um auch dem älteren entgegenzukommen.
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Und er hält es aus, dass sein Sohn ihm Vorhaltungen macht, selbst als er sich im Ton vergreift und seinen Vater anbrüllt: "Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten, und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre. Nun aber, da dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Hab und Gut mit Huren verprasst hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet." Nun ist es raus - das musste gesagt sein.
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Doch wie bei seinem jüngeren Sohn so lässt der Vater sich auch nicht beim älteren beirren. Fest nimmt er ihn in den Arm und antwortet mit ruhiger und freundlicher Stimme: "Mein Sohn, du bist allezeit bei mir und alles, was mein ist, das ist dein. Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden."
Ob der ältere das hören kann, ob er seinen Stolz überwindet, ob er mit ins Haus geht und seinen jüngeren Bruder begrüßt? Würde er sich etwas vergeben? Darauf könnte er sich bei seinem Vater verlassen: Was ihm selbst zusteht, wird er immer behalten. Der Vater freut sich jetzt erst einmal über die Rückkehr des anderen. Später würde man gemeinsam alles regeln. Das war früher so, warum sollte es jetzt anders sein? Ob er so oder so ähnlich gedacht hat, der ältere?
Und was dachten die frommen Juden, als Jesus ihnen diese Geschichte erzählte? Setzten sie sich zu ihm und den "Zöllnern und Sündern"?
Und wo stehen wir? Wer sind wir überhaupt in der Geschichte? Der ältere Sohn oder der jüngere, mal der eine und dann doch der andere?
Ralf Krüger - Lizenz (CC BY-SA 3.0)