Das Evangelium für den 17. Sonntag ist eine merkwürdige Geschichte. Der Evangelist Matthäus erzählt im 15. Kapitel VV 21-28 von einer Begegnung Jesu mit einer Frau aus Kanaan. Die entspricht - zumindest im ersten Teil - so gar nicht unseren Vorstellungen von Jesus, der allen Menschen freundlich gesonnen ist. Die Geschichte spielte im Gebiet von Tyrus und Sidon, also nicht im israelitischen Kernland, sondern weiter im Norden, im heutigen Libanon, wo keine Juden, sondern in deren Augen Heiden wohenen. Die Frau bat Jesus um Hilfe für ihre kranke Tochter - und der antwortete ihr mit keinem Wort! Was soll das? Ein "Evangelium", eine "Gute Botschaft", ist das doch wohl nicht.
Das Motiv ist in zahlreichen Bildern (Bildnachweis am Ende) festgehalten worden. Fünf davon gebe ich hier mal wieder.
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Auf allen Bildern kniet die Frau demütig vor Jesu. Sie will etwas, sie will Hilfe für Ihre kranke Tochter. Und Jesus wendet sich ab - besonders deutlich auf dem mittleren Bild zu sehen. Er will mit der Frau nichts zu tun haben. Den Jüngern wird die Sache schon peinlich, weil natürlich alle mitbekommen, wie Jesus die Frau behandelt: "Lass sie doch gehen, denn sie schreit uns nach." Doch Jesus bleibt bei seiner ablehnenden Haltung: "Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel." Mit anderen Worten: Ich bin nicht zuständig. Das ist ein Schlag! Der Sohn Gottes versagt einem Menschen Hilfe.
Zur "Ehrenrettung" Jesu müssen wir einen Moment uns in Erinnerung rufen, dass Gott nach jüdischem Glauben und nach dem Zeugnis des Alten Testamentes das Volk Israel aus allen Völkern als sein Volk erwählt hat, und tatsächlich auch nur Israel allein! Alle anderen waren die "Heiden". Als Jude war Jesus natürlich in diesem Glauben groß geworden und reagierte jetzt entsprechend.
Aber die Frau lässt nicht locker. Es geht schließlich um ihre Tochter. Und da tut eine Mutter alles: "Herr, hilf mir!" Und das ist der Moment, wo sie vor Jesus auf die Knie fällt.
Was der ihr dann antwortet, ist schon ein starkes Stück und geht weit über die erste "Nicht-Reaktion" hinaus: "Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde." Einen schlimmeren Vergleich als mit einem Hund hätte er für die Frau nicht finden können. Wer sich nur ansatzweise im Orient auskennt weiß, dass dies eine absolut böse Beleidigung ist. Und die Vorstellung, dass seine mögliche Hilfe gegenüber der heidnischen Frau eine Zurücksetzung der "Kinder Israels" sei, ist doch grotesk. Etwas flapsig gesagt: Der Sohn Gottes hatte wohl einen schlechten Tag erwischt.
Aber selbst von dieser Zurückweisung lässt die Frau sich nicht abschrecken. "In Ordnung", könnten sie sagen, "von mir aus bin ich ein verächtlicher Hund. Aber schließlich leben die Hunde bei ihren Herren und fressen das, was von deren Tisch fällt bzw. was die ihnen geben. Deshalb noch einmal: Du hast in allem recht, aber bitte hilf meiner Tochter!" In der Bibel bei Luther lesen wir das dann so: "Ja, Herr; aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen."
Gott sei Dank - und das ist jetzt wortwörtlich zu nehmen - Gott sei gedankt: Jesus kriegt endlich die Kurve. Er ist offensichtlich beeindruckt von der Hartnäckigkeit der Frau. Sie hat nicht locker gelassen. Vielleicht wird Jesus genau in diesem Augenblick - im heidnischen Land - deutlich, dass Gott nicht allein für sein auserwähltes Volk Israel da ist, sondern dass er allen Menschen helfen will. Deshalb antwortet er jetzt der Frau: "Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst!" - Und Matthäus hält dann fest: "Ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde."
Zu dieser Erkenntnis, dass Gott für alle Menschen seinen Sohn in die Welt geschickt hatte, musste die christliche Gemeinde später dann auch noch kommen. Es gab da in den ersten Jahrzehnten durchaus heftige Diskussionen zwischen den Aposteln. Während Simon Petrus und Jakobus, der Bruder von Jesus, die eher konservative Richtung vertraten - Gott und allein Christen aus dem jüdischen Volk - verfolgte der Apostel Paulus den Gedanken, dass letztendlich Jesus für alle Menschen, für die Juden wie für die Heiden, gestorben war und dass alle zu Gott gebracht werden sollten. Am Ende setzte sich diese Richtung durch: "Gehet hin in alle Welt und machet zu Jüngern alle Völker!" (Mt 28; diesen Satz haben wir übrigens schon mal am 6. Sonntag nach Trinitatis gehört)
Bildnachweise
Bild 1
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Michael Angelo Immenraet [Public domain], via Wikimedia Commons
Bild 2 (bearbeitet)
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Ilyas Basim Khuri Bazzi Rahib [Public domain or Public domain], via Wikimedia Commons
Bild 3
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Bild 4
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Jean Germain Drouais [Public domain], via Wikimedia Commons
Bild 5 (bearbeitet)
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Ralf Krüger - Lizenz (CC BY-SA 3.0)