Das Evangelium für den ersten Gottesdienst im neuen Jahr zielt darauf, dass die vor den Menschen liegende Zeit unter dem Segen Gottes steht. Dazu wird eine Geschichte von Jesus erzählt, wo er den Menschen ein "Gnadenjahr Gottes" vor Augen stellt. Die Begebenheit ist bei Lukas im 4. Kapitel aufgeschrieben.
Nachdem Jesus von Johannes getauft worden war und in der Wüste den Versuchungen des Teufels widerstanden hatte, zog er eine Weile durch Galiläa und kam unter anderem auch nach Kapernaum am See Genezareth. Danach ging er zurück nach Nazareth, wo er aufgewachsen war. Alle Leute kannten ihn hier als den Sohn des Zimmermanns Josef. Sie hatten schon einiges von seinem religiösen Wandel und von seinen Wundern gehört. In Kapernaum sollte er die Schwiegermutter des Fischers Simon Petrus und einen, der nicht mehr gehen konnte, gesund gemacht haben. Aber so richtig glauben konnten sie es nicht. Er war doch einer von ihnen, ein normaler Mann aus Nazareth.
So, wie er es früher auch getan hatte, ging Jesus am Sabbat in die Synagoge zum Gottesdienst. Als gefragt wurde, wer aus der Heiligen Schrift lesen wollte, meldete sich Jesus.
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Der Synagogenvorsteher reichte ihm die Schriftrolle des Propheten Jesaja. Und da las Jesus dann vor: "Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, zu verkündigen das Evangelium den Armen; er hat mich gesandt, zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und den Zerschlagenen, dass sie frei und ledig sein sollen, zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn." ((Jesaja 61,1.2)
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Nachdem er den Text gelesen hatte, gab er das Buch zurück und setzte sich wieder. Alle schauten auf ihn und warteten, wie er den Text erklären würde. Jesus sagte nur einen einzigen Satz: "Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren."
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Wenn die Gemeinde am Neujahrstag diese Geschichte hört, geht es ihr genauso wie der Gemeinde, die Jesus hörte. Auch den Menschen heute wird angekündigt, dass mit dem neuen Jahr wieder ein "Gnadenjahr" Gottes auf sie zukommt, ein Jahr, in dem Gott mit den Menschen mitgeht, ein Jahr, in dem er den Menschen eine neue Chance gibt, ihr Leben so zu regeln, dass es Gott gefallen könnte.
In der Bibel nimmt die Geschichte dann aber eine unerwartete Wendung. Dieser Teil gehört nicht unbedingt zum Evangelium des Neujahrstages, aber Konfirmanden können die Geschichte ruhig vollständig kennen.
Die Zuhörer mussten einen Moment überlegen, was sie da gehört hatten. Aber dann verstanden sie es. Jesus hatte den Satz vorgelesen: "Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, ... zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn." Wenn er dann erklärte: "Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren", dann stand auf einmal die Aussage im Raum, dass er, Jesus, dieser "Gesalbte Gottes" war, auf dem der "Geist Gottes" ruhte und von dem der Prophet Jesaja viele hundert Jahre vorher gesprochen hatte. Konnte das sein? Konnte ein Bewohner Nazareths einer sein, von dem die Heiligen Schriften sprachen?
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Die Menschen in der Synagoge waren sich schnell einig. Das war nicht in Ordnung, was Jesus, der Zimmermannssohn, da gesagt hatte. Das konnte nicht sein, dass die Heiligen Schriften, dass Gott einen von ihnen gemeint hatte. Da konnte doch jeder kommen und behaupten, von ihm stünde etwas in der Bibel. Das musste Jesus ihnen erst einmal beweisen.
Die Menschen erinnerten sich, was sie von den Heilungen in Kapernaum gehört hatten. Das sollte Jesus jetzt auch bei ihnen tun. Doch auf dieses Spiel wollte und konnte sich Jesus nicht einlassen. Er wusste, dass auch in den Heiligen Schriften oft die Rede davon war, dass die Menschen gerade denen, die Gott auserwählt hatte, nicht vertrauten - der Prophet Elia und auch sein Nachfolger Elisa. Es war zum Verzweifeln. Gott sprach durch seine Boten und keiner hörte denen zu.
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Als Jesus diese Vergleiche zog, eskalierte die Situation. Die Menschen in der Synagoge von Nazareth empfangen es als Gotteslästerung, dass Jesus, einer von ihnen, einer, mit dem sie früher gespielt und gearbeitet hatten, dass dieser sich mit den Propheten der Heiligen Schrift verglich. Bei allem Wohlwollen, das ging zu weit. Sie stießen Jesus aus der Synagoge und drängten ihn zu einem Abhang vor der Stadt.
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Gottlob kam es nicht zum Äußersten. Jesus riss sich los und ging mitten durch die Meute hindurch und verließ seinen Heimatort. Sie hatten sich dann doch nicht getraut, ihn den Abhang hinunterzustürzen. Hier in Nazareth würden sie ihn wohl kaum wiedersehen.
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Ralf Krüger - Lizenz (CC BY-SA 3.0)