Kommissarin Berger stand stockstill in dem Chaos, welches sie umgab. Wäre da nicht die Leiche am Boden gewesen, hätte man es fast für eine Party halten können. Da schoss eine Fotografin hunderte Fotos. Drei Männer, in gebückter Haltung, jeden Zentimeter des Zimmers absuchend, könnten als Putztrupp durchgehen. Und dann war da noch der Türsteher, der jeden Neuankömmling mit finsterem Blick musterte und nur auserwählten Personen Zutritt gewährte. Der Pathologe wirkte wie ein Modeschöpfer, der ab und zu ein kleines Detail an der Frau näher in Augenschein nahm. Zu guter Letzt war da sie selbst, das Mauerblümchen, um das alle viel Abstand hielten.
Der Schein trog aber. Denn keinem der Anwesenden in der Gretlgasse 1 im 21. Wiener Gemeindebezirk war nach Party zumute. Handelte es sich doch offensichtlich um Mord. Dass dieser bereits kurze Zeit nach dem Verbrechen gemeldet worden war, verdankten sie dem neugierigen Nachbarn von gegenüber in der Gretlgasse 4. Die zahlreichen Kerzen, die noch bis vor kurzem gebrannt hatten, wurden von diesem für einen beginnenden Brand gehalten, und er hatte die Feuerwehr alarmiert. Die Feuerwehrleute waren die ersten der Party gewesen, die Doorcrasher sozusagen. Glücklicherweise war die Einsatztruppe vorsichtig vorgegangen, hatte zwar die Tür eingetreten, aber den Tatort nicht mit Löschschaum kontaminiert.
Nun stand Kommissarin Berger im Wohnzimmer, welches mit schwarzen Schränken, einem roten Sofa und einem Glastisch recht erotisch eingerichtet war. Die Bilder an der Wand, allesamt Portraits von der Leiche, allerdings noch zu Lebzeiten, zeigten immer ein großzügiges Dekolleté. Dominiert wurde der Raum jedoch von einem riesigen schneeweißen Teppich, der sich fast über den gesamten Boden erstreckte. Naja, ganz weiß war der flauschige Flokati jetzt nicht mehr. Vielmehr bildete Rot einen starken Kontrast, so dass das Gesamtbild einem modernen Kunstwerk glich. Da gab es das tief ausgeschnittene rote Kleid sowie farblich dazu passender Lippenstift und Nagellack. Und Rot, welches wie eine Erweiterung des Kleides wirkte, so als ob der rote Stoff sich mit dem Weiß des Teppichs vereinigt hätte, dieses Rot war jedoch der Saft des Lebens, oder in diesem Fall des Todes. In dem künstlerischen Arrangement störte nur das ganz gewöhnliche Küchenmesser, welches aus der linken Brust der Frau ragte. Die schwarz-roten High Heels mit etwa 10 cm Absatzhöhe passten da viel besser ins Bild. Für solche Schuhe hätte Kommissarin Berger am liebsten einen Waffenschein ausgestellt.
Eigentlich machte es ja keinen Unterschied, ob das Mordopfer hübsch oder hässlich war, dachte sie vor sich selbst beschämt. Aber das war wirklich mal eine schöne Leiche! Warum aber lag sie da in Weiß und Rot? Noch dazu mit schwarzem Haar. Unwillkürlich musste sie an Schneewittchen denken. Hatten etwa 7 Zwerge etwas damit zu tun? Die grausame Stiefmutter hatte das arme Kind ja mit einem Apfel vergiftet und nicht mit einem Messer ins Herz erstochen. Obwohl, da war noch die Geschichte mit dem Jäger, der Schneewittchen das Herz herausschneiden sollte zum Beweis, dass er sie getötet hatte. Dieser hatte jedoch Herz gezeigt und das schöne Schneewittchen leben lassen. Dass dafür ein Reh dran glauben musste, war eine andere Geschichte.
Eine leise Stimme holte sie aus dem Märchenwald in ihrem Kopf in die Realität zurück „Wir haben gerade am Laptop etwas gefunden, das Sie sich anschauen sollten, KGB.“ Das mit dem KGB klang komisch, aber Sie war schon daran gewöhnt, von allen die sie besser kannten, so genannt zu werden. Kommisasrin Gabriela Berger, da wurde ihr schon vor langer Zeit der Spitzname KGB zugedacht. Eigentlich fand sie das gar nicht so unpassend, weil ja auch vor ihr alle Angst hatten. Kollege N. führte sie zu einem stylischen Apple, und sie musste schon wieder an Schneewittchen denken. Hörte das denn gar nicht auf? „Wir haben uns das Facebookprofil angesehen und unsere Leiche da hat die letzten Tage mit einem User namens Grantiger Gartenzwerg gechattet..“ Der Kollege wollte schon weiterreden, als ihr laut entfuhr: „Himmelzwirnundzugenäht, das gibt’s doch nicht!“. Kollege N. nahm den Ausbruch gelassen und fuhr fort, ihr weitere märchenhafte Details zu schildern.
Die schöne Leiche hieß mit bürgerlichem Namen Sonja Behrens, ihr Künstlername war Loretta Lopez gewesen. In Modelkreisen verwendete man ja nie den eigenen Namen. Jetzt war KGB auch klar, warum sie so unpassender Weise eine hübsche Leiche gedacht hatte. Der Beruf gab dem Kleid samt tiefem Ausschnitt auch gleich neue Einblicke. Aber das Beste kam noch. Als Username hatte Loretta Lopez Schneewittchen gewählt. Und darüber hinaus hatte sie eben die letzten Tage immer öfters mit einem User namens Giftiger Gartenzwerg gechattet. Sie fragte sich schön langsam, ob sie in der Früh gar nicht aufgestanden war und eigentlich noch schlief. Als sie sich kräftig in den Oberarm zwickte, schloss sie einen Traum anhand des realen Schmerzes jedoch messerscharf aus. Der Kollege hatte ihre geistige Abwesenheit nicht bemerkt, und sie musste ihn bitten, die letzten Sätze zu wiederholen. „Was uns stutzig gemacht hat, ist, dass ihr Profilbild nicht ihrem Aussehen entspricht und noch dazu absolut keine Schönheit zeigt. Wir haben das Foto als eine Freundin von ihr identifizieren können, namens Stephanie Stief.“ Nach einer kurzen Pause setzte Kollege N. stolz fort: „Natürlich fragt man sich, warum das alles, aber das digitale Netz ist für uns ja eine wahre Fundgrube. So haben wir zwischen der echten und der falschen Loretta Mails entdeckt, die das Geheimnis lüften. Unser Schneewittchen wurde durch ihre Schönheit und ihren Beruf immer wieder von Männern aufgerissen, die sie nur als Prestigeobjekt wollten, als schöne Kühlerfigur für den Ferrari sozusagen, sie aber wollte endlich wahre Liebe finden. Die Freundin war begeistert vom Vorschlag, für Facebookprofile Fotos zu tauschen, hat ja auch nicht schlecht abgeschnitten dabei. Soweit was wir auf GMX gefunden haben, seltsamerweise haben wir von der Freundin aber absolut nichts auf Facebook finden können.“
Das klang für Kommissarin Berger nicht uninteressant, aber half das wirklich bei der Suche nach dem Mörder oder der Mörderin weiter? Bei Giftiger Gartenzwerg schellten bei ihr die Alarmglocken. Aber eben, weil es so eindeutig klang, konnte genauso gut überhaupt nichts dahinter sein. In ihre Überlegungen hinein platzte plötzlich Kollegin T., mit einem kultigen i-Phone (wie hätte es anders sein sollen, wieder ein Apfel!) in der ordnungsgemäß behandschuhten Hand sprudelte sie los: „Ich habe gerade das Handy durchforstet, und auf WhatsApp bin ich auf etwas Interessantes gestoßen? KGB fragte konsterniert: „Auf was?“ Hierbei handelte es sich nicht um einen grammatikalischen Fehler, der mit „Worauf?“ zu korrigieren gewesen wäre, denn sie meinte wirklich „Auf was?“ und Kollegin T. verstand das seltsamerweise auch. „WhatsApp, das App verwenden heute doch alle, viel besser als SMSen, kann man Fotos und Videos gratis schicken.“ „Schon wieder ein App..le“, konnte KGB den Gedanken nicht vermeiden. „Also, auf WhatsApp hat sie die letzten zwei Tage auch mit Giftiger Gartenzwerg gechattet, dabei sind die beiden immer intimer geworden und haben sich für heute ein romantisches Rendezvous bei ihr ausgemacht“. „Ich glaube, da haben wir unseren Mörder schon“, fügte sie voll Eifer und Stolz hinzu. „Nana, lassen wir die Pferde mal im Stall. Das muss noch gar nichts bedeuten. Aber es ist ein Ansatz. Gute Arbeit, ihr Beiden. Bleibt dran und bis zum Morgenmeeting will ich alle Details in einem Bericht auf meinem Schreibtisch vorfinden.“ „Wird gemacht, KGB,“ antworteten beide wie aus der Pistole geschossen.
Am nächsten Tag stürmte KGB kurz vor 8 Uhr von der U2 die Rolltreppe hinauf, und langte nach exakt 300 Schritten bei der Landespolizeidirektion Schottenring 7-9 an. Sie eilte die Treppe drei Stockwerke hinauf; der Lift war natürlich wieder mal außer Betrieb. Oben fand sie ihr Team schon vollständig versammelt, die meisten mit einem Kaffeebecher in der einen Hand und mit einer Topfengolatsche in der anderen. Auf einer Seite des Raumes waren auf einer Wand bereits zahlreiche Fotos vom Tatort angepinnt worden, was jedoch keinem im Raum mehr den Appetit verdarb. Ein ganzer Stoß Berichte lagen schon für sie bereit. Sie fasste die Fakten zusammen, wobei sich natürlich viele bei Schneewittchen und Giftiger Zwerg den einen oder anderen Witz nicht verkneifen konnten. Sie schritt aber nicht ein, denn es war ihr ja nicht anders ergangen. Der Fall war ja wirklich von vorne bis hinten märchenhaft.
Eine neue Entwicklung war, dass es sich auch um Diebstahl handelte. Kollegen T. war zu später Stunde nämlich ein schiefes Bild aufgefallen, eines von Schneewittchen im Stil von Andy Warhol. Hinter diesem war er auf einen Safe gestoßen, und der war leer gewesen bis auf eine einzige Goldkette. Erkundigungen bei Versicherungen hatten ergeben, dass sich darin Schmuck im Wert von EUR 1.000.000 befunden hatte. Schneewittchen war bei Wagner Schmuck unter Vertrag gestanden, dem 1917 in Wien gegründeten renommierten Schmuckunternehmen, welches auch für die Wiener Staatsoper die individuell designten, gravierten und mit dem Blauen Wagner Saphir versehenen Ehrenringe herstellte. Und sie wurde in sündteurem Schmuck ausbezahlt, unter anderem mit so wertvollen Stücken wie dem Rivière Armband aus Weißgold, natürlich mit Diamanten besetzt, schon ab EUR 28.000 erhältlich. Weder dieses noch andere Preziosen befanden sich aber im Tresor, und auch nicht an Hals, Handgelenk oder Fingern der schönen Leiche.
Nach Besprechung der Details hatte sie allen ihren Einsatzplan zugeteilt. Sie selbst hatte die Befragung des Nachbarn aus der Gretlgasse 4 übernommen, der die Feuerwehr gerufen und damit zur schnellen Auffindung der Leiche beigetragen hatte. Kollegin L. begleitete sie. Herr Jakob Wolf, so hieß der Mann, war nicht zu Hause. Die Nachbarin sagte aus, dass er frühmorgens mit zwei riesigen Koffern die Wohnung verlassen hatte. Er hatte nicht einmal guten Morgen gesagt, das war sonst nicht seine Art. So ein angenehmer, höflicher Mann, immer zuvorkommend, immer ein Lächeln auf den Lippen. So eine Schilderung machte sie schon skeptisch, und der Teil mit den Koffern veranlasste sie, Kollegin L. die Tür eintreten zu lassen. Zuvor hatten sie beide noch die in die Jahre gekommenen Glock 17 gezückt und gaben sich nun sicherheitshalber gegenseitig Deckung. Aber das Chaos der schäbig eingerichteten 3-Zimmer-Wohnung sowie das Fehlen von Kleidung und persönlichen Sachen bestätigte, dass der Wolf geflohen war.
Am Wohnzimmerkasten fanden sie eine Hutschachtel mit einer dunkelbraunen Perücke, künstlichem Vollbart, Schminkutensilien sowie Material fürs Ausstopfen der Wangen. Zusammen mit einem Foto, welches sie in einer Schreibtischlade gefunden hatte, wurde ihr damit einiges klarer. Sie ließ sich von Kollegin L. am Smartphone das Facebook-Profilfoto von Giftiger Zwerg zeigen und wie erwartet, zeigte dies einen braunhaarigen Mann mit Vollbart und dicken Backen. Dieser Mann war erst auf den zweiten oder dritten genauen Blick als Jakob Wolf zu erkennen, wie er auf dem Foto abgebildet war, und wie ihn auch die Nachbarin beschrieben hatte. Na märchenhaft, da hatten sich zwei gefunden, die beide auf Facebook ein falsches Profilfoto gepostet hatten.
KGB beauftragte Kollegin L. sofort eine Personenfahndung auszurufen. Sie selbst durchforstete weiter die Wohnung. Nach einer Stunde gönnte sie sich eine Pause; und wie sie so am Fenster stand, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Giftiger Gartenzwerg alias Jakob Wolf konnte gar keine Kerzen oder deren Schein gesehen haben. Wieso war das niemandem aufgefallen? Die Fenster lagen weit auseinander, und der Blickwinkel vom ersten Stock auf den dritten machte es unmöglich.
Welche Ironie des Schicksals? Schneewittchen hatte nicht um ihres Aussehens geliebt werden wollen und Giftiger Gartenzwerg, der wohl sein Profilbild und sein Aussehen als Vorsichtsmaßnahme für kriminelle Taten verändert hatte, hatte diesem Wunsch gerne entsprochen. Dafür hatte er sie ihres Schmuckes wegen umgebracht. Armes Schneewittchen – so wurde ihr der gläserne Sarg des Berufes zum Verhängnis. Und wieder war ein Apfel schuld. Hätte sie nicht am iPhone per WhatsApp das Rendezvous mit Giftiger Gartenzwerg vereinbart, würde sie noch leben.
So musste sie, KGB, wohl in diesem Märchen den Prinzen spielen. Leider konnte sie Schneewittchen nicht mit einem Kuss zum Leben erwecken, aber sie konnte die böse Stiefmutter, in diesem Fall den giftigen Gartenzwerg ausfindig machen. Das der Zwerg gleichzeitig der böse Wolf vom Rotkäppchen zu sein schien, ließ sie hoffen, dass sie diesen fangen und statt in den tiefen Brunnen in das tiefe Verließ der Justizanstalt Wien-Josefstadt werfen würde.
Während sie vor ihrem geistigen Auge den Wolf gerade mit großer Befriedigung tief hinabstieß, holte sie die Stimme von Kollegin L. in die Wirklichkeit zurück. „Unser Wolf wollte sich wohl einem Rudel in Vancouver anschließen. Jedenfalls hat ihn die Flughafenpolizei beim Boarding des Fluges OS451 nach London erwischt, Flugticket für den Weiterflug nach Vancouver hatte er bei sich. Sie bringen ihn gerade aufs Revier.“ „Na, dann wollen wir mal hören, was uns der Wolf vorheulen wird“, erwiderte KGB und war schon auf dem Weg zum Dienstwagen.
„Herr Wolf, oder soll ich lieber Grantiger Gartenzwerg zu Ihnen sagen, ich will jetzt die Wahrheit von Ihnen hören. Und glauben Sie mir, ich habe einen sechsten Sinn dafür, wenn mich jemand anlügt. Also geben Sie sich keine Mühe, mir irgendwelche Lügenmärchen zu aufzutischen.“
„Ich war es nicht, der sie umgebracht hat, und das ist die Wahrheit. Ich habe ja schon Ihrem Kollegen alles erzählt, aber bitte sehr, erzähle ich noch mal alles, deswegen verändert sich die Geschichte auch nicht. Ich habe die Loretta via Facebook kennengelernt und nach ein paar Chats haben wir gedacht, wir sind verwandte Seelen und haben uns ein Rendezvous ausgemacht.“
„Bei ihr in der Wohnung. Und dabei haben sie den Safe ausgeraubt und sie umgebracht.“
„Das sehen Sie völlig falsch. Ich meine ja die andere Loretta, also die Freundin von Loretta Lopez bzw. Schneewittchen. Ich meine Stephanie Stief , die als Username Loretta hatte und eben das Foto von ihrer Freundin als ihres ausgegeben hat. Mit Stephanie habe ich mich getroffen und zwar im romantischen Strandgasthaus Birner an der oberen alten Donau. Wir hatten als Erkennungszeichen das Vormagazin in der linken Hand vereinbart, beide mit der Bemerkung, dass unser Profilbild nicht ganz der Wahrheit entspräche. Hätten wir das nicht ausgemacht, wären wir aneinander vorbeigelaufen. Ich habe mich kurz von dem Schock erholen müssen, dass da statt der schwarzhaarigen Schönheit eine pummelige Rothaarige vor mir stand, und sie hat mich wohl eher deswegen angestarrt, weil sie statt auf einen unattraktiven Gartenzwerg hinab- auf einen gutaussehenden Gentleman aufgeschaut hat. Wir haben uns jedenfalls zwei Melange bestellt, und natürlich war die erste Frage „Warum?“. Sie hat gemeint, dass innere Schönheit zählt, die aber nie gesehen wird. Daher hat sie gehofft, dass die Übereinstimmungen und Gefühle von den Chats vorher so groß wären, dass beim Treffen Äußerlichkeiten nicht mehr so wichtig wären. Und ich habe ihr gestanden, dass ich eben nicht nur wegen meines guten Aussehens geliebt werden will. Jedenfalls haben wir uns gut unterhalten, und nach dem Kaffee sind wir auf einen Drink zu ihr gegangen.“
„Auf einen Apfeltee wahrscheinlich, und Sie haben sich ihre Zipfelmützensammlung angeschaut, nicht wahr?“
„Nein, natürlich auf was Alkoholisches und ja, wir sind im Bett gelandet und hatten Sex miteinander. Danach, während sie selig schlief, habe ich mich in ihrer Wohnung umgesehen und dabei eine Schmuckschatulle entdeckt. Leider hat sie mich dabei erwischt, wie ich gerade eine dicke Goldkette mitgehen lassen wollte. Ich habe vorher noch nie etwas gestohlen, und habe es nur getan, weil ich kurz davor in arge Geldschwierigkeiten geraten war und die Goldkette nach der Lösung meiner Probleme aussah. Aber statt dass sie mich angezeigt hat, hat sie mich erpresst. Sie hat mich dazu überredet, mit der echten Loretta Kontakt aufzunehmen und deren Schmuck zu stehlen. Aus Freundschaft war schon lange Hass geworden, weil sie Loretta um ihr Aussehen beneidete, ihre Karriere und den sündhaft teuren Schmuck, den sie dabei bekam. Sie wusste die Kombination vom Safe und kannte die Wohnung gut. Sie versprach mir die Hälfte vom Schmuck, und ich ließ ich mich dummerweise überreden.“
„Und dann ist was schief gegangen und Sie haben Schneewittchen umgebracht. Da gerade kein giftiger Apfel zur Hand war halt mit einem Küchenmesser.“
„Nein, so war es nicht, ich schwöre es. Ich habe an Schneewittchen eine Freundschaftsanfrage geschickt, wir haben gechattet und ich habe so getan, als ob sie die Liebe meines Lebens sei. Ich habe meinen Part so gut gespielt, dass sie mich zum ersten Treffen gleich in ihre Wohnung eingeladen hat. Natürlich hatte ich das schon angedeutet und daraufhin gearbeitet. Bei diesem Rendezvous bin ich so erschienen, wie ich mich auch auf Facebook präsentiert habe, mit Perücke, falschem Bart und ausgestopften Wangen. Ich habe ihr was in den Wein gegeben, den wir getrunken haben, und sie ist schnell eingeschlafen. Der Rest war ein Kinderspiel. Safe mit der Kombination, die mir Stephanie gesagt hatte, geöffnet, den ganzen Schmuck rausgenommen, und schon war ich aus der Wohnung wieder draußen.“
„Haben Sie dabei nicht ein kleines Detail ausgelassen? Vielleicht, dass Sie ein Messer im Herzen von Schneewittchen zurückgelassen haben?“
„Nein, ich habe sie nicht umgebracht. Ich habe ihren Schmuck gestohlen, ja, ich habe sie beraubt, aber ich habe sie nicht getötet. Sie hat nur geschlafen, wie ich aus der Wohnung bin. Ich habe aufgepasst, dass mich niemand sieht und bin nach Hause gegangen. Ich wohne ja zufällig schräg gegenüber, was ich nicht wusste, bis mir Stephanie die Adresse gesagt und die Lage der Wohnung beschrieben hat.“
„Ja, ich weiß, in der Gretlgasse 4. Und ich weiß, dass Sie von ihrem Fenster aus keinen Brand bemerkt haben können. Warum haben Sie überhaupt die Feuerwehr gerufen? So sind wir Ihnen ja überhaupt erst auf die Schliche gekommen. Das war nicht sehr gescheit von Ihnen. Und ich dachte, Wölfe gehören zu den ganz Schlauen.“
„Nein, gescheit war das nicht, aber mir ist nichts anderes eingefallen. Kaum, dass ich mich in meiner Wohnung meiner Verkleidung entledigt hatte, hat es an der Tür geläutet. Stephanie. Wir hatten ja vereinbart, dass ich ihr ihren Anteil gleich gebe, und sie mich dann in Ruhe lässt. Sobald sie aber ihren Anteil des Schmuckes eingesteckt hatte, hat sie angefangen zu lachen wie eine Hexe und hat mir ungerührt erzählt, dass sie Schneewittchen erstochen hat. Sie hatte die besagte goldene Kette mit meinen Fingerabdrücken im Safe gelassen und gemeint, dass keiner mir meine Unschuld abnehmen würde, weil meine Fingerabdrücke auch am Glas und auf der Türschnalle zu finden seien. Damit hatte sie recht, weil ich hatte blöderweise erst beim Safe daran gedacht, mir die mitgebrachten Handschuhe anzuziehen.“
„Die Fingerabdrücke auf der Kette hätten aber nicht zu Ihren geführt, wenn Sie sich nicht selbst durch ihren Anruf ins Licht unserer Ermittlungen gerückt hätten. Sie sind nicht vorbestraft und somit noch nicht in unserer Datenbank. Warum haben Sie uns denn auf den Plan gerufen?“
„Stephanie ist in dem Glauben gegangen, dass ich zu viel Angst hätte, die Polizei zu verständigen. Damit hatte sie auch Recht. Aber ich bin kein Mörder, und ich bin den Gedanken nicht losgeworden, dass Schneewittchen vielleicht doch noch nicht tot wäre und noch zu retten sei. Die Feuerwehr habe ich angerufen, weil ich gehofft habe, dass die meine Spuren zerstören. Es brannten ja viele Kerzen in der Wohnung, und die Feuerwehr ist ja nicht zimperlich, wenn sie von einem Brand ausgehen. Da ich mit meinem Handy angerufen hatte und die Nummer gesperrt ist, habe ich mich sicher gefühlt. Ich hätte aber ahnen sollen, dass die Polizei da so ihre Methoden hat, trotzdem den Anrufer herauszufinden.“
„Ja, Herr Wolf, wir haben da so unsere Methoden. Und wir haben auch Methoden, jemanden auszuforschen, wenn er sich nach einem Mord aus dem Staub machen will. Denn war es nicht vielleicht nicht eher so, dass Schneewittchen bei dem romantischen Rendezvous die Kerzen angezündet hat und Sie ihr Licht ausgelöscht haben? Warum sind Sie denn geflohen, wenn Sie sie nicht auf dem Gewissen haben und noch dazu meinten, dass wir den Anruf nicht nachverfolgen können?“
„Diebstahl ist eine Sache. Dabei war mir schon nicht wohl, aber wie gesagt, ich habe das Geld dringend gebraucht. Aber Mord! Das ist eine ganz andere Sache. Nachdem ich die Feuerwehr verständigt hatte, bin ich in Panik geraten und habe die notwendigsten Sachen zusammengepackt. Ich habe den Schmuck genommen und einzeln zwischen meine Sachen gesteckt. Dann habe ich online einen Flug gebucht, Kanada war schon irgendwie immer mein Traumziel, die Zeit hat auch gut gepasst, und meine Kreditkarte wurde gerade noch akzeptiert. Über mehr habe ich mir eigentlich keine Gedanken gemacht. Ich habe ganz instinktiv gehandelt. Dass so schnell eine Fahndung raus gehen würde, hätte ich mir nie träumen lassen.“
„Ja, und somit auch aus der Traum vom Auswandern nach Kanada. Und weil wir gerade beim Träumen sind, was haben Sie sich denn so zusammengeträumt, wie wir NICHT von Facebook und WhatsApp und von Grantiger Gartenzwerg, den Chats und dem Rendezvous erfahren würden?“
„Stephanie hatte mir versprochen, dass alles gelöscht würde, noch am gleichen Abend, an dem ich das Rendezvous in der Wohnung hatte. Sie kannte da jemanden, und der wäre ein Profi in solchen Sachen.“
„Sie sind also ein Schaf im Wolfspelz und haben nicht mehr verbrochen als Schmuck im Wert von einer halben Mille zu klauen. Das ja aber nur, weil sie halt in so einer blöden finanziellen Situation waren? Am Mord sind sie völlig unschuldig und Sie sind ja quasi selbst das Opfer, weil sie von Stephanie erpresst wurden? Verstehe ich Sie so richtig?“
„Naja, ich weiß, ich bin kein Unschuldslamm, und ich bereue alles zutiefst. Ich werde meine Strafe ohne Murren absitzen, aber ich fühle mich wirklich als Opfer. Ich werde mein Lebtag nicht mehr ruhig schlafen können mit dem Wissen, dass ich mitschuldig bin am Tod vom schönen Schneewittchen.“
Sieben Tage später. In der Zwischenzeit waren genug Indizien aufgetaucht, die eindeutig Stephanie Stief als Mörderin belasteten. Die böse Stiefmutter hatte sich jedoch in Luft ausgelöst. Im Unterschied zum Wolf hatte sie aber keine Spuren hinterlassen und sich erfolgreich einer Verhaftung entzogen. Ihr Bekannter hatte wohl genug Arbeit damit gehabt, alle ihre Daten zu löschen und somit verständlicherweise darauf vergessen, die digitalen Spuren des Wolfes zu beseitigen. Dieser hatte Pech und musste nun einige Jahre im Bau einsitzen.
Der schöne Tagtraum von Kommissarin Berger wurde somit wahr, leider jedoch mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass die böse Stiefmutter und eigentliche Mörderin sich mit ihrer Flucht dem Zugriff der Exekutive erfolgreich entzogen hatte. Spieglein, Spieglein an der Wand. Schneewittchens Mörderin sich davongemacht in welches Land?
The (not so happy) End
Auch zu finden unter Kurzgeschichten.