„Einen schönen guten Tag, die Damen. Was darf ich Ihnen denn Gutes bringen?“ „Ich hätte gerne einen Melange.“ „Und ich ein stilles Mineral.“ „Vielleicht ein Eis oder eine Torte dazu?“ „Das ging mir zu schnell. Vielleicht kommt später noch was dazu.“ (Die Dame hatte noch keine Zeit zum Überlegen, da der Ober sogleich erschienen ist.) „Hat ja keine Eile, vielleicht wollen Sie sich selbst etwas aus der Vitrine aussuchen? Den Blick der Damen richtig deutend setzt der Ober fort: „Oder kann ich Ihnen den Weg ersparen und Sie beraten?“. „Bitte, das wäre angenehmer.“ „Fruchtig, topfig oder schokoladig?“ „Fruchtig, aber mit wirklich viel Obst und wenig Teig.“ „Da kann ich Ihnen unsere Himbeertorte empfehlen, lauter Himbeeren auf knusprigem Schokoladeboden.“ „Ja, die nehme ich.“ „Und für Sie, gnä‘ Frau?“ „Haben Sie etwas mit Erdbeeren?“ „Erdbeer-Obers-Torte, Erdbeer-Soufflee-Torte, Erdbeer-Mousse, Erdbeerroulade,..“ „Das ist mir zu viel. Wie soll man sich da denn entscheiden können?“ Der Herr Ober ist nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen und kontert gekonnt mit den Zutaten: „Also, die Erdbeer-Obers-Torte besteht aus Biskuit, Mürbteig und Erdbeercreme mit Obers verfeinert. Die Erdbeer-Soufleé-Torte hat einen Boden aus Mürbteig und ist mit luftig-leichtem Grießsoufleé veredelt. Das Erdbeer-Mousse..“ „Ich liebe Grieß, die nehme ich.“ „Sehr gerne. Bin schon unterwegs, die Damen.“
Ich habe diesen kulinarischen Schlagabtausch fasziniert und ungeniert belauscht und mische mich vom Nebentisch in die Unterhaltung der beiden Damen ein: „Das bekommt man aber auch nicht alle Tage geboten, so eine ausführliche Beratung. Sehr zuvorkommend.“ „Ja, ich bin froh, dass ich mir den Weg zur Vitrine ersparen konnte. Vor allem, weil dort so viele leckere Sachen zu finden sind, dass ich mich nie entscheiden kann.“ „Da gebe ich Ihnen recht. Eine schaut besser aus als die andere. Dann wünsche ich Ihnen guten Appetit.“ „Danke, gleichfalls.“
Ich bin zwar mit meinem gebackenen Karfiol - dessen größtes Vergehen es war, zu viel gewesen zu sein - schon fertig, nehme die Wünsche aber trotzdem widerstandlos entgegen. Währenddessen kommt schon der flotte Herr Ober mit einer Melange, einem stillen Mineral sowie einer Himbeertorte und einer Erdbeer-Souffleé-Torte zurück, stellt alles sorgsam und elegant auf den Tisch und wünscht den Damen auch einen „Guten Appetit!“.
Beim Zurückeilen wirft er gewissenhaft einen Blick in die Runde und bemerkt sofort, dass ein Herr sein Portemonnaie gehoben hat als Zeichen, dass er gerne zahlen würde. Mit einem freundlichen „Bin sofort bei Ihnen.“ begibt sich der Herr Ober zur Registrierkassa und kassiert eine Minute später bereits mit der Nachfrage „War alles zur Zufriedenheit?“. Der Herr bekundet dies und drückt seine Zufriedenheit auch mit dem entsprechendem Trinkgeld aus.
Während dieser schnöden Geldtransaktion betritt ein älteres Paar mit Hund den Gastgarten bzw. der Hund mit dem Paar, da er vorausläuft. Ein schattiges Fleckerl ist gleich gefunden, und das Paar sowie der Hund machen es sich gemütlich. Kaum, dass sie Zeit gefunden haben, die Speisekarte aufzuschlagen, bringt der nun auch tierfreundliche Herr Ober eine Wasserschüssel für den kleinen Liebling. Diese wird jedoch abgelehnt, denn für den geliebten Vierbeiner wurde eine eigene mitgebracht. Auch dies kann den Herrn Ober nicht aus der Ruhe bringen, und er trägt besagte Schüssel an mir vorbei, wobei er sich jedoch ein kleines Augenzwinkern in meine Richtung nicht verkneifen kann.
Herr Ober ist ja auch nur ein Mensch, und noch dazu ein humorvoller. Dies kann ich im Laufe des Nachmittags immer wieder beobachten. Sollte jemand – trotz wunderschönem sonnigen Junitag – mürrisch den Gastgarten betreten haben, hinaus begibt er sich federnden Schritts und mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Und dieser Zauber geht nicht nur von Sonne, dem frischen Grün der Bäume und den leckeren Torten aus. Da haben die umsichtigen Herren Ober und auch Frau Ober sehr wohl ihre Hand im Spiel.
Nun sollte ich vielleicht verraten, dass dies nicht mein erster Besuch in der Kurkonditorei Oberlaa ist. Um nicht zur spät zur Behandlung in der medizinischen Therme zu kommen, trete ich die Weltreise von Meidling immer schon Stunden vorher an und gönne mir manchmal schon vor der Unterwassergymnastik ein leichtes Wiener Frühstück. Nach der Therapie ist es für das Mittagessen meist schon spät, aber glücklicherweise gibt es das Menü bis 15 Uhr. Da der Kurpark länger zum Verweilen auf einer Parkbank einlädt und meine liebe Blase mich nie unbehelligt bis nach Hause fahren lassen würde, muss manchmal noch ein verlängerter Espresso und eine Torte her. Da ich bereits neun Behandlungen hinter mich gebracht habe, kann ich mich somit schon fast als Stammgast bezeichnen, zumindest im schönen Monat Mai und in der ersten Juniwoche. Und in besagtem Zeitraum habe ich kein einziges Mal einen mürrischen Ober erlebt, weder männlicher noch weiblicher Spezies. Ein äußerst bemerkenswerter Fall also!
Zugegeben, ich besuche die Kurkonditorei nicht am Wochenende, da mag es anders ablaufen. Aber ein Gespräch mit einem netten Herrn Ober hat ergeben, dass man tut, was man kann, aber wer gar nicht warten kann, der soll halt bitte schön zum Würstelstand bei der Bushaltestelle gehen oder irgendwo einen McDonalds finden. Die Kurkonditorei ist schließlich kein Durchzugslokal, da wird noch richtig gespeist und genossen. Und es gibt hier auch Ober, die haben noch die alte Schule des Kellnerierens erlernt. Dies durfte ich erfahren, als ich dem einen Herrn Ober ein Kompliment gemacht habe: „Für Sie als Kellner ist das ja wahrscheinlich nichts Besonderes, aber ich muss Ihnen ein Kompliment machen. Wie Sie den beiden Damen (das waren zwei andere Damen als die von mir anfangs genannten und zwar schon vor meiner Behandlung, während besagte Damen nach meiner Behandlung..) das gesamte Frühstück auf einmal gebracht haben, war ich sehr beeindruckt.“
An dieser Stelle möchte ich ausführen, dass das Wiener Frühstück aus einer Semmel, einem Croissant, Butter und Marmelade (im Mini-Gläschen), einem weichen Ei sowie Kaffee oder Tee besteht, wobei das Getränk stilvoll auf einem mit weißem Papierspitzendeckchen geschmückten silbernen Tablett serviert wird und der Rest auf einer silbernen Étagère, wobei das weiche Ei weder noch Platz findet, sondern extra in einem Eibecher auf einem kleinen Teller serviert wird. Und ein Salz- und ein Pfefferstreuer kommen auch noch zum Balanceakt hinzu. Dies mal zwei, und dann können Sie sich vielleicht vor Ihrem geistigen Auge vorstellen, welchen künstlerischen Kellnerakt ich da bewundert habe.
Der Herr Ober hat sich herzlich für mein Kompliment bedankt, und wir sind ein bisschen ins Plauschen gekommen, wie das in Wien glücklicherweise manchmal (noch immer) passieren kann. Wobei mir bewusst war, dass dabei sein wachsames Auge die ganze Zeit sein Revier abgesucht hat, damit ihm nur ja nichts entgeht. Jedenfalls hat er gemeint, er sei noch von der guten alten Schule, wo man Kellnerieren eben noch wirklich gelernt habe. Und dass man damals als Herr Ober auch noch etwas gegolten habe, das war ein angesehener Beruf damals, fast so wie Polizist oder Lehrer. Leider sei das heute nicht mehr so und manche Gäste vergriffen sich auch schon mal im Ton. Aber er tue sein Bestes und erlebe immer wieder, dass gestresste Gäste nach seinen galanten Künsten das Lokal mit besserer Stimmung verließen. Und es sei nicht schon einmal geschehen, dass sogar respektlose Gäste von anderen zurecht gewiesen worden seien, dass der Herr Ober sein Möglichstes tue und er halt auch nur zwei Füße habe (dem kann ich nur zustimmen, zumindest stellte er nur ein Paar in makellos geputzten schwarzen Schuhen zur Schau.)
Der Herrr Ober und ich, beide zusammen wahrscheinlich nicht viel von der schönen Zahl Hundert entfernt (wobei ich keine 20 mehr bin) kamen nicht umhin, ein bisschen den guten alten Zeiten nachzutrauern, wo es halt noch nicht so hektisch war und mehr Respekt und Höflichkeit geherrscht hat. Sie mögen uns recht geben oder nicht, aber mir tut es immer gut, wenn ich mit jemanden in inniger Gemeinsamkeit der schönen Kunst des Raunzens frönen darf. (Nichts hasse ich mehr, als wenn ich ein Gespräch in guter alter Wiener Tradition mit den Worten „Furchtbares Wetter heute, nicht wahr?“ beginne und darauf „Es gibt kein schlechtes Wetter, nur ungeeignete Kleidung.“ retour erhalte. Wie soll man denn da das Gespräch dann bitte schön weiterführen?). Damit aber nicht wegen tatsächlicher Unaufmerksamkeit über den Herrn Ober geraunzt werden konnte, war er nach ein paar Sätzen auch schon wieder davongeeilt . Kaum hatte er meinen Teller abserviert, stand schon sein weibliches Pendant bei mir um nachzufragen, ob ich noch einen Wunsch hätte. Wenn ich etwas früher gelebt hätte und noch dazu männlichen Geschlechts gewesen wäre, hätte ich mich als Kaiser nicht besser behandelt fühlen können – wenn Sie verstehen, was ich meine.
Es wird ja so viel geraunzt in unserem schönen Wien; und ich kann mich selbst fast schon als professionelle Raunzerin bezeichnen, so dass ich zur schönen Abwechslung beschlossen habe, einmal über so ein freundliches Kundenservice, wo der Kunde wirklich noch König und die Kundin wirklich noch Königin ist, zu berichten. Im Sinne unserer erlauchten, wenn auch schon lange verschiedenen, Eminenz Franz Joseph möchte ich hiermit mit Vehemenz ausdrücken: „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut.“
Nun möchte ich den Umstand nicht ausschließen, dass ich demnächst die Weltreise vom zwölften Wiener Gemeindebezirk in den zehnten Hieb nach Oberlaa antrete, ohne dass mich eine medizinische Therapie dazu veranlasst. Und neben einer Lesestunde auf einem schattigen Bankerl am Teich, wo man nebenbei Enten und sogar manchmal langbeinige Graureiher beobachten kann, neben einem Spaziergang zu den wunderschönen Rosenstöcken und den Walderdbeeren, die ich das letzte Mal entdeckt habe (ich verrate aber nicht wo, so viele sind es auch wieder nicht), also neben all dieser wunderbarer Natur in Form von Pflanzen und Tieren, da wird sich wohl auch ein Besuch in der Kurkonditorei ausgehen müssen. Und das nicht nur, weil ich eine alte Kaffeetante bin und Süßem noch nie widerstehen konnte, noch dazu von so erlesener Art und mit so einer Auswahl, dass man fast eine persönliche Beratung benötigt. Nein, nicht nur deswegen, sondern weil hier ein Beruf noch mit Würde ausgeübt wird, und ich mich wirklich als Gast fühlen darf und nicht als lästiges Übel. Weil sich Wiener Schmäh und Höflichkeit und Respekt nicht ausschließen müssen. Und weil auch im 21. Jahrhundert noch Zeit für das Wesentliche sein muss, wobei Sie jetzt bitte schön selbst für sich definieren dürfen, was denn „das Wesentliche“ eigentlich ausmacht.
Und wenn Ihnen dazu nicht gleich etwas einfällt, dann fahren Sie doch bitte schön auf den Reumannplatz, warten dort auf den 68B (der fährt leider nicht so oft), lassen sich zwanzig Minuten bis zur Endstation gut durchrütteln und sinnieren bei einem guten Kaffee und einer ausgezeichneten Torte über den Sinn des Lebens und alle anderen wichtigen und unwichtigen Fragen nach. Wobei ich Ihnen aber untertänigst nicht unterschlagen möchte, dass das halt seinen Preis hat. Weil ganz billig ist die nicht, die Kurkonditorei Oberlaa. Deswegen ist es vielleicht ganz gut, dass so eine medizinische Therapie nur aus zehn Terminen besteht, denn jetzt muss ich erst mal sparen, um mir das wieder leisten zu können. Aber es muss ja nicht immer Frühstück, Mittagessen und Jause sein. Muss ich halt das nächste Mal mit einem kleinen Espresso und einem kleinen Stück Torte vorlieb nehmen. Die Frage ist dann nur: Fruchtig Topfig Schokoladig?