Die ganze Welt besteht aus Wort und jedes Wort ist Welt.
Am Strand der Sprache bücke ich mich immer wieder nach Fragmenten, die einzigartig schönen Muscheln der Muse gleichen. Sie bringen in mir Erinnerungen zum Klingen und erzählen von fernen Welten, die ich nur erahnen kann. Doch immer wieder fühle ich mich betrogen, dass es nur das Echo meiner eigenen kleinen Sphäre ist und nicht die Sinfonie der großen weiten Welt. So glänzend leuchtet die schwarze Muschel der Muse im heißen weißen Sand und voller Freude bücke ich mich nach ihr, spüle Unrat mit einer Meereswelle ab und erfreue mich am tiefschwarzem Glanz, der Einzigartigkeit verspricht. Doch später fernab ihrer natürlichen Heimat und in trockenem Zustand verwandelt sie sich oft in einen unansehnlichen Allerweltsgegenstand, der von anderen seiner Art kaum zu unterscheiden ist, ihren Artgenossen gleich nicht mehr wert als ein Staubfänger im Regal meiner Rohentwürfe.
Flinken Fischen gleich ziehen Ideen an meiner literarischen Angel, tauchen kurz auf der Oberfläche meines Bewusstseins auf, umtänzeln meine Fantasie, erfreuen mein inneres Auge mit Geschichten von fernen Inseln, Meeresmonstern, Nixen und Schätzen. Sie glitzern im Wasser der Worte, die Sonne der Sehnsucht bescheint ihre wendige Gestalt und das Mondlicht des Märchenhaften beleuchtet ihre Sprünge. Doch bald schon sind sie wieder untergetaucht, und kaum kann ich glauben, dass sie jemals wahr waren. Nur ihre Luftblasen erinnern mich dann noch daran, dass ich mich kurz zuvor an ihrer scheuen Schönheit erfreuen durfte.
Sprachschmetterlinge flattern von Blüte zu Blüte auf der Wiese der wunderbaren Wörter und nähren sich vom Nektar der Neuheiten. Ein Schmetterling schöner als der andere, zerbrechliche Wesen der literarischen Luft. Und es sind Hunderte, nein Tausende, die von Begriff zu Begriff flattern und von denen ich immer wieder einen mit meinem Netz der Neugier einfange. Ich halte nichts davon, sie aufzuspießen und sie hinter Glas zu sammeln. Ich möchte sie mir nur kurz näher betrachten und mir ihr einzigartiges Muster merken. Leider sind ihre Körper zerbrechlich und trotz größter Sorgfalt verletzte ich manchen Flügel, bevor ich dem filigranem Gaukler wieder die Freiheit schenke.
Und immer wieder kommt ein Sturm auf, der Sturm der Sätze, der mich fast umwirft mit seiner Macht. Das Satzfragment „Ich muss..“ nimmt mir jeden Boden unter den Füßen und wirft mich mit aller Wucht auf die Erde der Realität. Das leise Säuseln „Es war einmal..“ flüstert Versprechungen in mein Herz, bringt das Windspiel meiner Sehnsüchte zum Klingen und führt mich in den Wald der Weisheit. Ein leichter Hauch von „Am Anfang war das Wort“ umschmeichelt meine Seele und hebt meine Hoffnung in den Himmel.
Die ganze Welt besteht aus Wort und jedes Wort ist Welt. Dieser Gedanke ist mir zugleich Sicherheit, Geborgenheit und Trost als auch unbändige Sehnsucht, ewige Suche und ein unstillbares Verlangen.
Verloren im Bach der Buchstaben, im See der Silben, im Fluss der Floskeln, in der Welt der Worte, im Sturm der Sätze, am Strand der Sprache. Verloren in der Unmöglichkeit, all das zu (be)schreiben, was ich empfinde. Verloren in der Unendlichkeit von Möglichkeiten des sprachlichen Ausdrucks. So viel möchte ich schreiben, über alles und jedes, über meine kleine Sphäre und die große Welt. Gedanken, Gedichte, Geschichten. Wohin soll ich mich wenden? Welchen Sprachschmetterling soll ich fangen? Welchen Floskelfisch aus den Tiefen meines Unterbewusstseins angeln? Welchem Satzsturm soll ich Einhalt gebieten? Himmel und Hölle sind Worte mir, ist mir die Sprache. Sie sind mein Ein und Alles und doch kann ich nie genug bekommen und bin eine ewig Suchende am Strand der Sprache. Ewig gestrandet, verdammt mich nach jeder noch so unscheinbaren Muschel der Muse zu bücken, und dies nur in der Hoffnung, in einer die Perle der Perfektion zu finden.
Bild: Eigene Kreation