Verdammte Idylle! Warum schwärmen bloß alle davon? „Tanja, du musst unbedingt raus. Du versauerst ja hier total mit diesen Massen und dieser Luft. Da muss man ja krank werden. Du schaust auch schon ganz grün aus. Glaube mir, alles was du brauchst, ist eine Luftveränderung.“ Und sie war tatsächlich so blöd gewesen und hatte diesen Mist geglaubt, hatte auch angefangen zu träumen von weiten Ebenen, unverpesteter Luft und netten Nachbarn. Wie hatte sie bloß so naiv sein können? Und noch dazu hatte sie sich permanent etwas gekauft, so dass sie nicht gleich zurück konnte in ihr altes Heim. Ah, wenn sie daran dachte, stieg in ihr diese Sehnsucht hoch. Aber sie konnte nicht zurück, sie hatte ihr geliebtes Heim verkauft.
„Reiß dich zusammen“, sagte sie sich selbst zum hunderttausendsten Mal. Es ist doch nicht so schlimm hier. Sie konnte jeden Abend auf ein Event gehen – gemeinsam mit tausenden anderen. Sie konnte das ganze Wochenende shoppen gehen - gemeinsam mit tausenden anderen. Sie konnte ganz schnell von A nach B gelangen - gemeinsam mit tausenden anderen. Die Luft war wirklich reiner – dafür sorgten die riesigen Klimageräte, die sogar Rosen- und Veilchenduft verströmten. Aber sie hatte sich an die Tierausdünstungen gewöhnt gehabt. Auch ans Frieren im Winter. Ja, die Stadtkuppeln waren immer gleich wohlig temperiert, aber sie vermisste den Wechsel der Jahreszeiten. Und diese E-Pets, die hier alle so liebten, die tauschte sie jederzeit gegen ihre kratzbürstigen, sturen Katzen ein oder gegen ihre wilden, stinkenden Kühe. E-Pets – igitt. Flauschige handgroße Wollknäuel in rosa, türkis oder gelb, gepunktet oder gestreift, manchmal mit bunten Lichteffekten versehen. Und natürlich machte so ein E-Pet kein Häufchen. Kam sofort, wenn es gerufen wurde und ließ sich auch mal abschalten. Als Fressen brauche es sowieso nur Bonuspunkte, die man durch maßlosen Shoppingkonsum erlangte.
Nein, sie konnte dieser Idylle wirklich nichts abgewinnen. Sollten ihre Freunde doch in ihren elektronisch geregelten Stadtkuppeln glücklich werden, aber sie wollte wieder zurück zu ihrem Bauernhof, dem Kuhgestank und den kalten Winternächten.
Blink! Time Out! Alles wurde schwarz um sie. Shit, sie hatte keine Shopping-Bonuspunkte mehr. Tanja nahm ihren E-Helm ab und sah auf ihren kargen Raum. Im realen Leben hatte sie ja gar nichts, weder einen Bauernhof am Mars noch eine E-Flat in einer Stadtkuppel auf der Erde. Sie lebte am Pluto und verdiente sich ihren Unterhalt als Testerin der neuen Kolonie. Und hier gab es noch gar nichts. Aber das hatte sie sich als Sträfling nicht aussuchen können. Hätte sie doch bloß nicht dieses Buch geschrieben. Sie hatte ja genau gewusst, dass Todesstrafe oder Plutokolonie auf das Schreiben von Büchern stand – in ihrer E-World.
E-nde
Dieser Text ist im VHS-Kurs Kreatives Schreiben bei Nicole Kovanda entstanden (Info siehe LinkTipps). Es gab mehrere reale Anfangssätze aus Büchern zur Auswahl und mit einem dieser Sätze sollte man eine Kurzgeschichte schreiben. Mein gewählter Satz stammt aus "Makellose Morde to go" von Susanne Henke.