Frau M: „Ich höre sehr schlecht. Sie müssen schon lauter sprechen.“ Ich: „Ich habe gefragt, ob ..“ (weiter komme ich nicht) Frau T: „Und wo kommen Sie her?“ Ich: „Ich komme von zuhause. Ich wohne ganz in der Nähe.“ Frau M inzwischen: „Und blind bin ich auch fast. Steht da ein Wasserglas?“ Ich nehme das Glas und drücke es ihr sorgsam in die Hand. Frau M weiter. „Es ist kein Leben mehr. Blind und fast taub. Dazu noch im Rollstuhl..“ Frau T (die ausnahmsweise zugehört und es sogar verstanden hat) „Man muss es nehmen, wie es kommt. Hat keinen Sinn, herumzujammern.“ Frau M hat die leise Stimme von Frau T nicht verstanden, ich wiederhole diese Sätze nicht wie andere zuvor mit lauter Stimme. Frau T fährt fort „Meiner Tochter musste ein Bein amputiert werden, Die kann mich kaum mehr besuchen.“ Frau T: „Aber da kann man ja bald wieder gehen, man muss sich nur an die Prothese gewöhnen. Alles geht, wenn man will.“ Frau M: „Sie wird vom Samariterbund gebracht und geholt. Das kostet jedes Mal EUR 140.“ Frau T hat nicht zugehört und fragt mich plötzlich ganz panisch: „Wo schlafe ich heute? Ich bin ja nur zu Besuch hier. Ich fahre drei Stationen nach Hause, nicht?“ Ich lege ihr die Hand auf den Arm und versuche sie zu beruhigen: „Das ist sicher nicht leicht. Sie sind ja noch nicht so lange hier. Da geht Ihnen Ihre Wohnung ab. Wie viele Zimmer hatten sie eigentlich?“ Kurz ist sie abgelenkt und erzählt über ihre Wohnung. Frau M. erzählt mir gleichzeitig über ihre.Wenig später tupft mich Frau T am Ärmel und fragt verzweifelt: „Wo schlafe ich denn heute? Ich muss doch nach Hause. Ich fahre ja nur drei Stationen. „Als ich erneut ihre Angst spiegle, ihr aber ihre Zimmernummer sage, tadelt sie sich selbst: „Ich Depatte ich, wie man nur so verblödet sein kann.“
Ich versuche erneut mein Bestes, da kommt eine Frau in meinem Alter an meinen Tisch und meint, dass ihr Herr A. erzählt habe, dass er mich als Urlaubsbekanntschaft kennengelernt hat. Das finde ich viel kreativer als unser tatsächliches Zusammentreffen beim Sommerfest. Herr A. ist 89 Jahre, fast nur mehr bettlägrig und erzählt mir manchmal über seine Zeit im Zweiten Weltkrieg. Über die Normalität des Krieges. Ist es eigentlich normaler, ein Kriegsflugzeug zu fliegen oder sich den Hintern auswischen lassen zu müssen?
Hitler war ja Vegetarier. Für ihn musste kein Tier sterben. Hätte man ihn an der Kunstakademie Wien aufgenommen, hätte man dann die Geschichte verändern können?
Und ich, ich bin im Jahr 2017 nur auf Besuch hier und zerbreche mir den Kopf, wie ich den alten Leuten ein Stück Normalität geben kann – ohne dabei selbst verrückt zu werden.
Foto: Eigenes Werk