Der Terror der Ökonomie - Viviane Forrester Buch aus heutiger Sicht

Als Viviane Forrester ihr Buch „DerTerror der Ökonomie“ vorlegte, war sie 70 Jahre alt. Die alte Dame sah, dass etwas mit unseren Gesellschaften nicht in Ordnung war und wies auf diese Umstände hin. 1997 gab es Windows 95, darauf ging sie nicht ein, aber sie sah, dass die Arbeit immer weniger wurde und die „dynamischen Kräfte“ (so nennt sie diese Kaste aus Machern und Entscheidern, die vorwiegend aus der Wirtschaft und Finanzwelt kommt und die die Politiker steuern) in einer Weise diesen Umstand handhabten, die aus ihrer Sicht nur das Schlimmste zu befürchten Anlass gab.

Diese dynamischen Kräfte sind die Macher und Entscheider, aber auch die Deuter der jeweiligen Ereignisse. Arbeitslosigkeit, so Forrester, wird von den Leuten, die den Profit anstreben, immer als vorübergehende Situation beschrieben und sie selbst würden alles unternehmen, damit wir bald wieder Vollbeschäftigung haben. Dazu sei unbedingt auch Wachstum notwendig und leider, leider auch gewisse Anpassungen auf Seiten der Arbeitnehmer, die zwar kurzfristig zu Verschlechterungen der Lebenssituation und Lebensbedingungen der Menschen führen wird, aber das würde bei Anziehen der Konjunktur alles wieder besser werden.

Frau Forrester deutet diese Beschreibungen unserer Lebenssituationen und daraus folgenden Aufgabenstellungen durch die dynamischen Kräfte, als glatte Lüge. Die Kaste der Reichen und globalisierten Wirtschafts- und Finanz-Machthaber würde die Unterjochung und Unterwerfung der Menschen, sei es nun als Arbeitnehmer oder Arbeitslose, systematisch vorbereiten, in dem der Eindruck erweckt wird, die Arbeitslosigkeit sei ein „kleiner Defekt“ im System und durch tatkräftige Maßnahmen der zuständigen und kompetenten Leute könnten wir die „alten“ Zustände, so wie es mal in den 50er, 60er und 70er Jahren war, wieder erreichen. Aber mehr noch, der angebliche globale Wettbewerb, der zur Arbeitslosigkeit führt und dem wir nur begegnen können, in dem wir uns genauso für wenig Geld verkaufen, wird genutzt, um so viel wie möglich an Rechten und Vorteilen der Menschen einzuschränken oder abzuschaffen. Es findet ein systematischer Wohlstandsabbau statt, weil es angeblich die wirtschaftliche Dynamik und der globale Wettbewerb von uns verlangen und wir diesen Erfordernissen uns beugen müssen.

Viviane Forrester beschreibt diese Situation in unseren Industriegesellschaften, als gigantischen Betrug an den Menschen, der, wenn er nicht von uns Bürgerinnen und Bürger gestoppt wird, uns alle vernichten kann. Jetzt findet diese Unterwerfung des Bürgers unter dem Diktat des Arbeitmarktes noch in einem in etwa vorhandenen demokratischen Rahmen statt, aber diese Ausbeutung der Menschen unter dem Primat der Wirtschaftlichkeit würde andere Dimensionen annehmen, in diktatorischen, totalitären Staaten. Massenmord an den „unnützen“ Menschen wäre vorstellbar. Wir Menschen nehmen die Verlautbarungen der dynamischen Kräfte mit zu viel Gleichmut hin, schreibt Forrester. Die Grundannahmen der Herrschenden sind so konstruiert, dass sie deren Interessen begünstigen. Die Interessen der Bürger spielen da keine Rolle mehr.

Dabei wäre es durchaus möglich, die Arbeitslosigkeit als positiven Umstand zu sehen. Wir Menschen werden von Arbeit befreit. Forrester hat in ihrem Buch das Bedingungslose Grundeinkommen noch nicht erwähnt oder in Betracht gezogen. Das Wort Einkommen kommt bei ihr nicht vor. Sie spricht von der Abhängigkeit der Menschen von bezahlter Arbeit und dem Umstand, dass die Wirtschaft diese Gelegenheit nutzt, um die BürgerInnen zu versklaven. Sie spricht aber davon, dass wir diesen Umstand, ständig zunehmenden Verlusts an gut bezahlter Arbeit, durchaus mit einer anderen Perspektive angehen könnten, nämlich wenn wir nicht versuchen würden zu behaupten, wir könnten die Arbeitslosigkeit durch Vollbeschäftigung wieder ablösen, sondern wenn wir die Arbeitslosigkeit als Fakt, als nicht veränderbaren Umstand akzeptieren und bei einem Wirtschaften und Gestalten unserer Gesellschaften diesen Faktor mit einkalkulieren, ohne dass daraus schikanöse, erniedrigende und versklavende Umstände für die Bevölkerung entstehen.

„Alle sind sie ihrem Körper ausgeliefert, der ernährt, beherbergt und gepflegt werden muss, der durchs Leben gebracht werden will und der auf schmerzhafte Weise hinderlich ist.“

Sie beschreibt die Armut und den Umstand, dass die Menschen sich nicht aus eigener Kraft den widrigen Bedingungen entziehen können und das wir Menschen dazu neigen, auf die Armen herablassend herunterzuschauen. Sie ist verwundert darüber, dass zwar immer wieder zu lesen ist, wir seien die stärksten Wirtschaftsnationen, dennoch leisten wir uns Armut und armselige Bedingungen für eine Vielzahl von Menschen. Wir sollten auf die staatliche Führung Druck ausüben und sie erwähnt die „öffentliche Meinung“, die zumindest in Frankreich schon mal 2 Millionen Menschen auf die Straße bringt. Die aber immer seltener sich zu Wort melden würde. Statt Wohlstand in den Industrienationen, würden diese sich zusehends in ihrer Verfassung den Armutsverhältnissen in der Dritten Welt annähern. Der „Zynismus des Arbeitsdiktats“ und der „Terror des Arbeitsmarktes“ diene einzig und allein dem Profitdenken der „dynamischen Kräfte“. Die wirtschaftlichen Prozesse sind zügellos in ihrer Dynamik. Es fehlt eine Steuerung „im Interesse der Bürgerinnen und Bürger“ und ihren menschlichen und wesensgemäßen Anliegen. Der menschliche Bedarf nach Gütern und Dienstleistungen dient heute nicht als Maßstab für die wirtschaftlichen Prozesse. Das müssen wir ändern.

Stattdessen stellt sich die Frage der „Nützlichkeit“ des Menschen für die „autonome Wirtschaft“ und sofern diese nicht gegeben ist, gibt es „überflüssige Menschen“, die zu entsorgen sind. Forrester stellt eine Brutalisierung des Umgangs der Wirtschaft mit den Menschen fest, gesteuert und sanktioniert über die Politik. Die Würde und das Recht der Menschen wird zerstört. Eine Armutsbilligung durch den Staat führt dazu, dass „sich die Menschen verkaufen“.

Das Buch von Viviane Forrester, 1996, war ein „Spiegel-Bestseller“. Vor 16 Jahren geschrieben, hat sie die Verhältnisse beschrieben, in unseren Gesellschaften und genauso, nur noch viel schlimmer ist es heute. Es hat sich in den letzten 16 Jahren nichts zum Besseren gewendet. Der „Bestseller“ hat scheinbar nicht genügend Menschen zum Handeln gebracht.

Ein Artikel im Tagesspiegel, ist in seiner Beschreibung ob der katastrophalen Bedingungen für die Menschen in Spanien, in kaum etwas zu unterscheiden von der Beschreibung unserer Gesellschaften wie Viviane Forrester sie sah. Der Spanier Álvaro Colomer schreibt (in diesem Ton über ein Regierungsmitglied): „.... Als aggressivster Messerstecher geriert sich Justizminister Alberto Ruiz-Gallardón.“ Und weiter: „Ein Messer auf der Brust von Arbeitern und Angestellten ist die Arbeitsmarktreform, die Wirtschaftsminister Luis de Guindos selbst „außerordentlich aggressiv“ genannt hat.

….. rasiert die Reform doch die Rechte der Arbeitnehmer. Entlassungen werden zum Kinderspiel, und im Fall einer Kündigung wird nur noch eine Abfindung von 20 statt bisher 45 Tageslöhnen pro Arbeitsjahr fällig. Gleichzeitig wurden die Tarifverträge für ganze Branchen eingeschränkt.“ - Das ist jetzt, 2012 zu lesen.

In einem anderen Artikel desTagesspiegel, geht es um die Griechen, die auf „ihre Souveränität verzichten“ sollen. Zahlungsunfähigkeit, wirtschaftlicher Absturz, Finanzierungslücken, Kreditlinien, Griechenland-Papiere, Totalpleite, private Gläubiger, Hilfsprogramme, Sperrkonto und Schuldendienst, sind hier die Stichworte. War es nicht früher mal so, dass sich Völker selbst versorgten, mit dem täglich Notwendigen. Dass Völker, Staaten eine eigene Infrastruktur zur Versorgung der Bürgerinnen und Bürger hatten? Wo ist das geblieben. Dass sich das griechische Volk völlig willenlos gegenüber der Okkupation durch die Finanzmafia verhält, ist schon seltsam.

Und zum Schluss noch mal Viviane Forrester, 1996:

„Der Niedergang der Gesellschaften …. zeichnet sich immer deutlicher ab und wird wie ein Naturereignis hingenommen. Immer häufiger greift der Staat lenkend ein, er, der doch selbst mehr und mehr der Privatwirtschaft auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist, einer Privatwirtschaft, die im Verein mit den großen Weltorganisationen wie etwa der Weltbank, der OECD, sowie dem Internationalen Währungsfonds die Zügel in der Hand hält.“